OGH 15Os112/24w

OGH15Os112/24w13.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wachter in der Strafsache gegen * Z* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 6. März 2024, GZ 12 Hv 72/23h‑27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00112.24W.1113.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * Z* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 14. Jänner 2021 in B* eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er während des alkoholbedingten tiefen Schlafes der * F* ihre unbekleideten Brüste umfasste und drückte und ihre unbekleidete Vulva intensiv berührte und streichelte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Beschwerdeführer durch die Abweisung (ON 26 S 21) seiner in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (ON 26 S 20) auf Beiziehung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigen sowie Ladung und Vernehmung der Zeugin Mag. Dr. * M* jeweils zum Beweis, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung zurechnungsunfähig war, in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt.

[5] Zur Begründung der Anträge wurde ausgeführt, der Angeklagte habe am 13. Jänner 2021 mit dem Opfer mehrere Flaschen Rotwein und Gin getrunken, sich in einer Überlastungsdepression befunden und seit 7. Dezember 2020 Medikamente eingenommen. Ein vom Angeklagten in Auftrag gegebenes Privatgutachten von Mag. Dr. M* sei zum Ergebnis gekommen, dass der wegen einer Überlastungsdepression im Krankenstand befindliche Angeklagte aufgrund der Intoxikation durch Alkohol und der verstärkenden Wirkung der Medikamente auf Basis seines schlechten Gesundheitszustands im Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig gewesen sei. Weiters stehe das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten mit seinem bisherigen auffallend im Widerspruch. Da Mag. Dr. M* den Angeklagten ausführlich befundet habe, müsse die Zeugin über ihre „Wahrnehmung im Zuge der Befundaufnahme“ befragt werden.

[6] Die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie ist nur dann geboten, wenn im Beweisverfahren konkrete objektivierte Umstände hervorgekommen sind, die bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs Zweifel hervorrufen, dass der Angeklagte zur Tatzeit fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wobei ein darauf abzielender Antrag diese Indizien anzuführen hat (RIS‑Justiz RS0097641 [insb T15, T16 und T17]).

[7] Gegenständlich stützte sich das auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichtete Begehren auf die behauptete Konsumation einer nicht präzisierten Menge Alkohol durch den Angeklagten und Einnahme von Medikamenten sowie auf in einem – in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenen – Privatgutachten gezogene Schluss-folgerungen (vgl dazu aber RIS‑Justiz RS0097641 [T25]; zur Bedeutung von Privatgutachten siehe RIS‑Justiz RS0097292). Damit erfüllte der Antrag die zuvor dargelegten Kriterien nicht und ließ nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0118444 [T6], RS0118123).

[8] Auf einen im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis lief auch der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der Mag. Dr. M* hinaus, welcher mit dem Verweis auf die „Wahrnehmung“ der Genannten „im Zuge der Befundaufnahme“ auch kein für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage relevantes Beweisthema anspricht (zum Gegenstand des Zeugenbeweises vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0097540, RS0097545).

[9] Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) nimmt Bezug auf die Feststellung (US 7), wonach die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der gegenständlichen Tathandlungen „(insbesondere) alkoholisierungsbedingt eingeschränkt, jedoch grundsätzlich erhalten“ waren, „respektive (...) ausgeschlossen werden“ kann, „dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“. Entgegen der Kritik, es sei nicht erkennbar, was das Erstgericht mit dem Klammerausdruck „(insbesondere)“ feststellen wollte, ist aus objektiver Sicht den Konstatierungen unzweifelhaft entnehmbar (vgl dazu RIS‑Justiz RS0089983 [T2, T3]), dass die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit vor allem aufgrund des Alkoholkonsums des Angeklagten eingeschränkt war.

[10] Warum die Konstatierung, dass die genaue Menge der vom Angeklagten und dem Opfer (in etwa im gleichen Ausmaß) konsumierten Alkoholika nicht festgestellt werden könne (US 4), nach den Kriterien der Logik und Empirie im Widerspruch zur Beweiswürdigung stehen sollte, wonach „(zufolge der diesbezüglich grundsätzlich übereinstimmenden Angaben des Angeklagten und der * F*) unzweifelhaft von beiden eine beträchtliche Menge Alkohol im Form von Rotwein und allenfalls (…) auch Gin konsumiert wurde“ (US 9), macht die Beschwerde (Z 5 dritter Fall) nicht klar (RIS‑Justiz RS0099651).

[11] Entgegen dem Rechtsmittelvorbringen setzt die Tatsachenrüge (Z 5a) die Bezugnahme auf aktenkundiges Beweismaterial voraus (RIS‑Justiz RS0119424 [T1]), weshalb die auf ein nicht zum Akt genommenes Privatgutachten gestützte Argumentation von vornherein ins Leere geht. Gleiches gilt, soweit die Beschwerde bloß aus Erwägungen der Tatrichter Bedenken abzuleiten versucht.

[12] Mit Kritik an der Vorgangsweise des Vorsitzenden, ein vom Angeklagten am 28. Februar 2024 elektronisch eingebrachtes Privatgutachten nicht zum Akt zu nehmen (ON 1.29 und ON 23.3), wird ein Nichtigkeitsgrund nicht zur Darstellung gebracht. Unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge (Z 5a) wird die Subsidiarität derselben gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4) vernachlässigt, welche daraus resultiert, dass andernfalls die wesentlichen Inhaltserfordernisse Letzterer unterlaufen würden (RIS‑Justiz RS0115823 [T2, T6, T10]).

[13] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bringt mit der Behauptung, es fehle die Feststellung, ob sich die dem Angeklagten verschriebenen Medikamente auf die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit ausgewirkt haben, einen materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0099810).

[14] Gleiches gilt für das Vorbringen (nominell Z 9 lit b), das Gericht habe „trotz hinreichender Beweisergebnisse (Medikamentenliste, Aussage des Angeklagten und der Zeugin * F*), keine Konstatierungen zur psychischen Krankheit des Angeklagten getroffen, dessen Annahme die Straflosigkeit des Angeklagten begründen würde“ (zur Geltendmachung eines Feststellungsmangels vgl RIS‑Justiz RS0118580).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte