OGH 10ObS42/23h

OGH10ObS42/23h25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*, geboren * 1978, *, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2023, GZ 8 Rs 110/22 p‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00042.23H.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 22. Juli 2019 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 21. Dezember 2018 auf Gewährung von Invaliditätspension ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bestehe.

[2] Das Erstgericht wies einen Schriftsatz des Klägers mitsamt dem damit vorgelegten Privatgutachten zurück und die auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. Jänner 2019 gerichtete Klage ab; weiters sprach es aus, dass kein Anspruch auf medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe.

[3] Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit und gab ihr im Übrigen nicht Folge; es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] In seiner wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5] 1. Die Revision wendet sich gegen das „Ignorieren“ eines vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens (richtig: einer weiteren Stellungnahme des Privatgutachters).

[6] 1.1. Soweit damit die vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens angesprochen wird, ist eine solche nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RIS‑Justiz RS0042981; RS0042917).

[7] 1.2. Das Berufungsgericht verneinte überdies einen in der Unterlassung der Einholung einer (neuerlichen) Äußerung des gerichtlichen Sachverständigen liegenden Verfahrensmangel erster Instanz, der daher mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0043061; RS0042963).

[8] Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn eine Mängelrüge infolge unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften unerledigt blieb, oder wenn das Berufungsgericht einen gerügten Mangel erster Instanz mit einer aktenwidrigen oder rechtlich unhaltbaren Begründung verneint hätte. Einen solchen Fall spricht die Revision aber nicht an.

[9] Das Berufungsgericht kam vielmehr zum Schluss, dass die Ausführungen des Privatgutachters keinen wesentlichen neuen Informationswert im Vergleich zu den bereits vorliegenden Stellungnahmen geliefert hätten, zu denen sich der gerichtliche Sachverständige aber bereits geäußert hatte. Auf diese Argumentation geht die Revision nicht ein.

[10] 2. Der Revisionswerber rügt den Entfall einer mündlichen Berufungsverhandlung, in der das – seiner Ansicht nach unschlüssige, mangelhafte und unrichtige – Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen zu erörtern und eine Zeugin einzuvernehmen gewesen wären.

[11] 2.1. Die Entscheidung, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, steht nach § 480 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts (RS0127242); eine Verpflichtung zur Beweiswiederholung oder ‑ergänzung besteht nicht (RS0126298 [T5]).

[12] 2.2. Dass das Berufungsgericht seinen insofern bestehenden Ermessensspielraum überschritten hätte, zeigt die Revision nicht auf. Die vom Kläger in der Berufung geltend gemachten Einwände betrafen im Wesentlichen das medizinische Leistungskalkül. Der Umstand, dass das Berufungsgericht auf Tatsachenebene dem gerichtlichen Sachverständigen (und nicht dem Privatgutachter) folgte und weitere Erörterungen oder Beweisaufnahmen für nicht erforderlich hielt, macht die Sache weder tatsächlich noch rechtlich komplex im Sinne des § 480 Abs 1 ZPO.

[13] 3. Die Revision behauptet, das gerichtliche Sachverständigengutachten sei widersprüchlich, nicht schlüssig, nicht nachvollziehbar und nicht methodengerecht; das Berufungsgericht habe seinen Inhalt ohne inhaltliche Auseinandersetzung ungeprüft übernommen.

[14] 3.1. Ob ein schon in der Berufung behaupteter Mangel des Verfahrens erster Instanz vom Berufungsgericht zu Recht verneint wurde, ist wie ausgeführt vom Revisionsgericht – auch in Sozialrechtssachen – nicht mehr zu prüfen (RS0043061; RS0042963). Darüber hinaus sind die hier angesprochenen Fragen, ob einem Sachverständigengutachten gefolgt werden kann (RS0043320 [T1, T27]) und ob es schlüssig ist (RS0043371 [T15]), solche der nicht revisiblen Beweiswürdigung.

[15] 3.2. Eine Anfechtung der Ergebnisse von Sachverständigengutachten, die die Tatsacheninstanzen ihrer Entscheidung zugrunde gelegt haben, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist nach der Rechtsprechung nur insoweit möglich, als dem Sachverständigen bei seinen Schlussfolgerungen ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder gegen objektiv überprüfbare zwingende Gesetze sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RS0043404; RS0043168) oder eine grundsätzlich inadäquate Methode angewendet wurde (RS0127336; RS0118604 [T8]).

[16] Derartiges wird mit der Behauptung, der Sachverständige hätte bestimmte Diagnosen nicht oder unrichtig befundet oder er hätte unrichtige Schlüsse gezogen, aber nicht aufgezeigt.

[17] 3.3. Die in der Revision weiters enthaltene Behauptung einer ungeprüften Übernahme des Inhalts des Sachverständigengutachtens übergeht die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts.

[18] 4. Der Kläger wendet sich überdies gegen die vom Berufungsgericht bestätigte Abweisung seines Antrags auf Einholung eines Fakultätsgutachtens (im Sinne des § 126 StPO).

[19] 4.1. Die Fragen, ob der Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügt (RS0040586 [T4]; RS0043235 [T13]) und ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (RS0043320; RS0043414 [T6, T17, T18]), fallen jedoch ebenso in das Gebiet der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. Dies gilt auch für das vom Kläger angesprochene Gutachten eines bestimmten Sachverständigen.

[20] 4.2. Inwiefern in diesem Zusammenhang der Grundsatz der Waffen‑ und Chancengleichheit verletzt worden sein kann, vermag die Revision nicht nachvollziehbar darzulegen.

[21] 5. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.

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