Nur fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag ganz oder zum Teil nachgesehen werden. Für die Nachsicht einer festgesetzten Abgabe ist zwar die Rechtskraft des Abgabenbescheides nicht Voraussetzung, doch erscheint es in der Regel unzweckmäßig, vor Eintritt der Rechtskraft einem Nachsichtsbegehren zu entsprechen.
Ähnliche Überlegungen gelten für Anträge betreffend die Nachsicht von Vorauszahlungen, solange die Veranlagung nicht erfolgt ist; auch in diesen Fällen wird eine Nachsicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit vorerst nicht in Betracht kommen.
Erstattungen oder Vergütungen, die zu beantragen unterlassen wurde, dürfen nicht Gegenstand einer Nachsicht sein.
Der Antrag auf Nachsicht ist ein entscheidungspflichtiges Anbringen (
§ 85 BAO); die Abgabenbehörde ist somit verpflichtet, über einen solchen Antrag ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden (
§ 85a BAOEine Nachsicht der Abgabenschuld kann nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und in der dafür vorgesehenen Rechtsform - nämlich mit Bescheid - erfolgen (
VwGH 28.2.2000, 99/17/0323).
Ohne Antrag ist eine Nachsicht ausgeschlossen.
Die Nachsicht ist stets abgabenbezogen; über das Begehren des Abgabepflichtigen darf bei Bewilligung einer Nachsicht nicht hinausgegangen werden.
Im Gegensatz zur Löschung (
§ 235 BAO) und zur Entlassung aus der Gesamtschuld (
§ 237 BAO) können dem
§ 236 Abs. 2 BAO zufolge unter sinngemäßer Anwendung des
§ 236 Abs. 1 BAO auch bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten nachgesehen werden, wenn das Behalten des Betrages als unbillig anzusehen ist. In diesem Fall ist kein strengerer Maßstab anzulegen als bei Nachsicht noch nicht entrichteter Abgaben (
VwGH 20.1.1987, 86/14/0103;
VwGH 22.2.2000, 94/14/0144;
VwGH 25.10.2006, 2004/15/0150). Wurde allerdings der Nachsichtsantrag ausschließlich auf Geldmangel gestützt und vor Erledigung des Antrages die Abgabe entrichtet, so liegt keine Unbilligkeit mehr vor (
VwGH 8.4.1991, 90/15/0015).
Das Antragsrecht auf Nachsicht bereits entrichteter Abgaben unterliegt keiner Befristung.
Die Ermessensentscheidung über die Bewilligung einer Nachsicht ist nur zulässig, wenn die Einhebung oder bei bereits entrichteten Abgaben das Behalten der entrichteten Abgabe nach Lage des Falles unbillig ist (siehe Rz 1636 bis Rz 1668).
Antragsberechtigt ist der Abgabepflichtige gemäß
§ 77 BAO, daher auch ein noch nicht mit Leistungsgebot in Anspruch genommener Gesamtschuldner sowie ein kraft abgabenrechtlicher Vorschriften persönlich für eine Abgabe Haftender, auch wenn die Haftung noch nicht mit Haftungsbescheid geltend gemacht wurde (VwGH 22.9.1987, 87/14/0079). Es soll somit schon der potentielle Schuldner durch
§ 236 BAO die Abwehrmöglichkeit gegen drohende Ansprüche haben (VwGH 25.2.1963, 1965/61).
Die Legitimation zur Antragstellung für eine Nachsicht ist bereits dann gegeben, wenn die Abgabe einem Abgabepflichtigen gegenüber fällig geworden ist; demjenigen, auf den eine Abgabe zwar überwälzt wird, der aber nicht Schuldner der betreffenden Abgabe ist (zB der Letztverbraucher hinsichtlich der Umsatzsteuer), fehlt jedoch die Legitimation, einen Antrag auf Nachsicht zu stellen.
Zufolge der Vorschrift des
§ 187 FinStrG gilt
§ 236 BAO nicht für im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren verhängte Geldstrafen. Es handelt sich allerdings um den Sonderfall einer Abschreibung, wenn in Ausübung des Gnadenrechtes gemäß
§ 187 FinStrG eine Geldstrafe nachgesehen wird.
Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast naturgemäß beim Nachsichtswerber. Seine Sache ist es, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann (VwGH 19.6.2013, 2010/16/021927.6.2013,
2013/15/0173§ 114 BAO tritt insoweit in den Hinter88/15/0121). Im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht sind nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen (
VwGH 25.11.2002, 97/14/0013;
VwGH 26.2.2013, 2010/15/0077). Legt der Abgabepflichtige jene Umstände nicht dar, aus denen sich die Unbilligkeit der Einhebung ergibt, so ist es allein schon aus diesem Grund ausgeschlossen, eine Abgabennachsicht zu gewähren (
VwGH 30.9.1992, 91/13/0225). In Anbetracht der Interessenlage trifft den Abgabepflichtigen eine erhöhte Mitwirkungspflicht; er hat somit das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast zu tragen (
VwGH 22.10.2002, 96/14/0059, 97/14/0091;
VwGH 20.5.2010, 2009/15/0008).
Der Nachsichtswerber muss im Hinblick auf die der Abgabenbehörde im Fall eines abgabenrechtlichen Gesamtschuldverhältnisses obliegende Prüfungspflicht, ob die Nachsichtsvoraussetzungen bei allen Mitschuldnern gegeben sind, gegenüber der Abgabenbehörde zumindest behaupten, dass die Einhebung der Abgabe auch bei den übrigen Gesamtschuldnern unbillig wäre (
VwGH 30.3.2000, 99/16/0099;
VwGH 19.12.2002, 99/15/0023).
Für die Beurteilung des Nachsichtsantrages sind nicht jene Vermögens- und Einkommensverhältnisse relevant, die zum Zeitpunkt der Festsetzung der Abgaben bestanden haben, sondern maßgeblich ist die wirtschaftliche Lage bei der Entscheidung über das Nachsichtsansuchen (
VwGH 26.6.2002, 98/13/0035;
VwGH 30.7.2002, 99/14/0315). Bei Entscheidung über die Bescheidbeschwerde (
§ 243 BAO) gegen die Abweisung eines Nachsichtsantrages ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeerledigung maßgeblich. Ändert sich die Sachlage, so kann allenfalls neuerlich um Abgabennachsicht angesucht werden (
VwGH 14.7.1994, 91/17/0170).