Normen
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
NAG 2005 §82 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
NAG 2005 §82 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 23. Oktober 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, vom 26. November 2003 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 8. August 2003 sei die Adoption des Beschwerdeführers durch seine Wahleltern, österreichische Staatsbürger, bewilligt worden. Der gegenständliche Antrag sei nach Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 als Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger" im Rahmen der Familienzusammenführung mit den Adoptiveltern des Beschwerdeführers zu werten. Der Beschwerdeführer habe den Antrag im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte er jedoch den Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen, weil er gemäß § 21 NAG nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt sei.
Eigenen Angaben zufolge sei der Beschwerdeführer im Jahr 2003 (laut Beschwerdevorbringen im März 2003) illegal nach Österreich eingereist und habe seither bei seinen Adoptiveltern gelebt. Sein illegaler Aufenthalt seit dem Jahr 2003 widerstreite den Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG.
Das "Bundesministerium für Inneres" habe auch keine humanitären Gründe im Sinne des § 72 NAG erkennen können, weil weder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens noch der Unversehrtheit infolge gewillkürter Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Antrag oder in der Berufung behauptet worden sei bzw. keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht sei. Seine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.
Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde entschieden hat:
Eingangs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde entgegen der Beschwerdeansicht die Bestimmungen des NAG anzuwenden hatte. Dem NAG ist nämlich weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das Erkenntnis vom 15. April 2010, 2009/22/0051, mwN). Der Gerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Übergangsbestimmungen des § 81 Abs. 1 iVm § 82 Abs. 1 NAG verfassungsrechtlich unbedenklich sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, 2008/22/0420, mwN).
Zu dem Vorbringen der vermeintlichen Schlechterstellung von Angehörigen nicht freizügigkeitsberechtigter Österreicher ist der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., zu verweisen, worin der Verfassungsgerichtshof die in § 57 NAG (in der Stammfassung) getroffene Differenzierung zwischen Angehörigen von Österreichern, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und solchen, die keinen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht haben, als verfassungskonform beurteilt hat.
Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und die Entscheidung über den gegenständlichen Antrag im Inland abgewartet hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handle und der Bewilligung die Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG entgegenstehe, begegnet keinen Bedenken des Gerichtshofes.
Die Beschwerde bringt jedoch vor, die belangte Behörde hätte im Rahmen der Beurteilung nach den §§ 72 ff NAG (jeweils in der Stammfassung) auch "familiäre Erwägungen" anstellen müssen. Der Beschwerdeführer sei Angehöriger österreichischer Staatsbürger. Dieses Argument hätte die belangte Behörde bei ihrer Abwägung berücksichtigen müssen. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage in bezug auf § 73 NAG führten aus, "dass durch § 73 Abs. 4 NAG der explizit eine Familienzusammenführung vorsehe, die mangels Quotenpflicht nicht möglich wäre, aber dennoch nach Artikel 8 EMRK geboten ist, die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für Familienangehörige aus humanitären Gründen möglich ist." Damit habe sich die belangte Behörde jedoch in keiner Weise auseinandergesetzt.
Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesen aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen - nach ständiger hg. Judikatur - besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 22. September 2009, 2008/22/0766, sowie vom 18. März 2010, 2008/22/0408, mwN).
Indem die belangte Behörde im Rahmen der Prüfung hinsichtlich des Vorliegens humanitärer Gründe gemäß § 72 NAG das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers unberücksichtigt ließ und ein "Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK", sogar ausdrücklich für entbehrlich erachtete, hat sie die Rechtslage - schon vom Ansatz her - verkannt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0249, mwN). Sie hat weder entsprechende Feststellungen getroffen noch sich damit auseinandergesetzt, ob ausnahmsweise eine Familienzusammenführung im Licht des Art. 8 EMRK (aus den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, G 119, 120/03 angestellten Überlegungen) geboten erscheint obwohl sich aus der Niederschrift mit dem Beschwerdeführer und seinen Adoptiveltern Anhaltspunkte ergeben haben und der Beschwerdeführer auch in der Berufung ein diesbezügliches Vorbringen (samt Beweisanboten) erstattete.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 6. Juli 2010
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