VwGH 2008/22/0408

VwGH2008/22/040818.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des F, vertreten durch Mag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 14/1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. März 2007, Zl. 147.668/2- III/4/06, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

61997CJ0329 Ergat VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
ARB1/80 Art6;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/29;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z2;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
61997CJ0329 Ergat VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
ARB1/80 Art6;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/29;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z2;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 25. August 2006 auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung gemäß den §§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 und 24 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei im Jahr 2001 mit einem Visum D nach Österreich eingereist. In weiterer Folge sei ihm eine Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" ausgestellt und bis 5. Mai 2003 verlängert worden. Im Anschluss daran sei dem Beschwerdeführer eine bis 17. April 2005 gültige Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" ausgestellt worden, die am 13. April 2005 bis 30. Oktober 2005 verlängert worden sei.

Am 25. August 2006 habe der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter per Post einen "Verlängerungsantrag" auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" eingebracht. Unter Berücksichtigung, dass er letztmalig bis zum 30. Oktober 2005 über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt habe und der "Verlängerungsantrag" erst am 25. August 2006 (also nahezu zehn Monate nach Ablauf des zuletzt erteilten Titels) eingebracht worden sei, sei dieser im Hinblick auf § 24 Abs. 2 NAG jedenfalls als Erstantrag zu werten. Ein solcher sei gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten.

Der gegenständliche Antrag sei per Post durch den Rechtsvertreter im Inland eingebracht worden. Der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung ebenfalls - unbestritten - im Inland aufgehalten, weshalb § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung entgegenstehe. Weiters sei das Erfordernis der im § 19 Abs. 1 NAG normierten Bestimmung der persönlichen Antragstellung nicht erfüllt worden.

In der Berufung seien besonders berücksichtigungswürdige Gründe für das Zulassen einer Inlandsantragstellung vorgebracht worden, daher sei eine Überprüfung im Sinn des § 72 NAG durchgeführt worden.

Der Beschwerdeführer habe angegeben, sich seit 2001 in Österreich aufzuhalten und seither - mit Ausnahme von kurzen Unterbrechungen - einer Beschäftigung nachzugehen. Im Jahr 2003 wäre ihm ein Aufenthaltstitel mit der Gültigkeitsdauer von zwei Jahren erteilt worden. Anlässlich des im Jahr 2005 gestellten Verlängerungsantrages wäre der Aufenthaltstitel jedoch nur um etwas mehr als sechs Monate verlängert worden. Der Beschwerdeführer wäre jedoch wiederum von einer zweijährigen Gültigkeitsdauer ausgegangen und hätte die in seinem Reisedokument angebrachte "Aufenthaltsvignette" nicht kontrolliert. Dies wäre ausschließlich ein Behördenfehler, der keinesfalls ihm angelastet werden könnte und mit einer Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG zu sanieren wäre.

Dieser Argumentation könne von der belangten Behörde nicht gefolgt werden, weil es dem Beschwerdeführer zukomme, die Befristung der "Aufenthaltsvignette" in seinem Reisedokument zu beachten bzw. zu kontrollieren.

Das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich könnten keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall darstellen. Die Inlandsantragstellung werde daher nicht zugelassen.

Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Fall in Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006 zu beurteilen ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach er den Antrag vom 25. August 2006 mehr als sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt habe, dieser somit im Hinblick auf § 24 Abs. 2 NAG als Erstantrag zu werten sei und weder das Erfordernis der persönlichen Antragstellung gemäß § 19 Abs. 1 NAG noch jenes der Auslandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG erfüllt sei. Die Auffassung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer dem Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an sich im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten hätte müssen, begegnet somit keinen Bedenken.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, käme im vorliegenden Fall gemäß § 74 in Verbindung mit § 72 NAG in Betracht. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug - besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, 2008/22/0310, mwN).

Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang auf den aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Familiennachzug hin und bringt weiter vor, der Vater des Beschwerdeführers sei österreichischer Staatsbürger und unterstütze den Beschwerdeführer bei der Bestreitung seines Lebensunterhaltes. Der Beschwerdeführer wohne auch in der Wohnung seines Vaters. Die belangte Behörde hätte den Integrationsgrad sowie das Familienleben des Beschwerdeführers berücksichtigen und ihm diesbezüglich Parteiengehör gewähren müssen.

Bereits aus dem Antrag vom 25. August 2006 geht hervor, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vater im gemeinsamen Haushalt lebt und von diesem Unterhalt erhält. Weiters wurden dem Beschwerdeführer - was im angefochtenen Bescheid auch festgestellt wurde - wiederholt Niederlassungsbewilligungen zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt. Dass der Beschwerdeführer seit November 2001 überwiegend berufstätig war, geht ebenfalls aus dem Verwaltungsakt hervor.

Indem die belangte Behörde dem "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und der "Integration in Österreich" von vornherein die Eignung als "Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall" abgesprochen hat und ein "Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK" für entbehrlich erachtete, hat sie die Rechtslage - schon vom Ansatz her - verkannt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0249, mwN). Da angesichts des über Jahre dauernden - zum Teil aufgrund von mehreren Niederlassungsbewilligungen rechtmäßigen - Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland und seiner familiären sowie beruflichen Bindungen hier nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die belangte Behörde zur Bejahung humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG gelangen könnte, war der angefochtene Bescheid bereits wegen des auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden Feststellungsmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Anwendung des § 19 Abs. 1 NAG deswegen verfehlt ist, weil zuvor ein Verbesserungsverfahren einzuleiten gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, 2008/22/0834, mwN).

Obwohl dies weder in der Beschwerde noch während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurde, wird im fortgesetzten Verfahren auch zu prüfen sein, ob der Beschwerdeführer Rechte aus dem Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB), besitzt, war er doch - wie dem Verwaltungsakt zu entnehmen ist - zwischen 20. Jänner 2003 und 13. März 2005 durchgehend beim selben Arbeitgeber beschäftigt. Sollte der Beschwerdeführer tatsächlich aufgrund eines legalen Aufenthaltes und einer entsprechenden (bewilligten) Beschäftigung eine Berechtigung nach Art. 6 ARB erlangt (und nicht wieder verloren) haben, war er im Sinn des § 21 Abs. 2 Z 2 NAG bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. Das einem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder beruflichen Tätigkeit und das entsprechende Recht, sich zu diesem Zweck im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, dürfte nicht dadurch beschränkt werden, dass die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung abgelehnt wird, er habe sie verspätet beantragt. Demnach wäre der Beschwerdeführer zur Antragstellung im Inland berechtigt gewesen und die belangte Behörde hätte nicht mit der Begründung einer unzulässigen Inlandsantragstellung den Antrag abweisen dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0687, mit Hinweisen auf die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. März 2010

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