VwGH 2009/22/0051

VwGH2009/22/005115.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher u.a., Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 2008, Zl. 151.230/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
MRK Art8;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
MRK Art8;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 6. August 2002 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellten und als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gewerteten Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, den gegenständlichen Antrag zwecks Familienzusammenführung mit seiner damaligen Ehefrau, einer österreichischen Staatsbürgerin, gestellt habe.

Der Beschwerdeführer sei am 2. Dezember 1998 eingereist und habe einen Asylantrag eingebracht; das Asylverfahren sei in zweiter Instanz rechtskräftig am 8. Februar 2000 "negativ beschieden" worden. Der Beschwerdeführer sei ohne entsprechenden Aufenthaltstitel weiterhin im Bundesgebiet geblieben. Die am 15. April 2002 geschlossene Ehe sei mit Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 2. Mai 2005 gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt worden. Am 1. Februar 2006 habe er wieder eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. "Allerdings besteht derzeit kein gemeinsamer Hauptwohnsitz."

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und es sei die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Der Beschwerdeführer habe sich sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten, weshalb § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegenstehe. Die Ehe mit einer Österreicherin "stellt keinesfalls ein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".

Unter Hinweis auf die §§ 72 und 74 NAG führte die belangte Behörde aus, dass humanitäre Gründe trotz diesbezüglicher Prüfung nicht hätten festgestellt werden können. Der langjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers sei lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen. Auch die Ehe mit einer Österreicherin stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund dar.

Weiters erfülle der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen der (Freizügigkeits-)Richtlinie 2004/38/EG .

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde entgegen der Beschwerdeansicht die Bestimmungen des NAG (im Blick auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006) anzuwenden hatte. Dem NAG ist nämlich weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Februar 2010, 2008/22/0202).

Weiters beurteilte die belangte Behörde das Gebot der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG zutreffend als inhaltliche Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2008/22/0202).

Festzuhalten ist weiters, dass - wie der Gerichtshof der Europäischen Union im Beschluss vom 19. Dezember 2008, Rs. C- 551/07 , "D. Sahin", über ein Vorabentscheidungsersuchen (bis zu dessen Beantwortung (auch) das vorliegende Beschwerdeverfahren ausgesetzt war) ausgesprochen hat - die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG auch auf den Beschwerdeführer als Fremden Anwendung finden würde, der unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt ist und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit dem Unionsbürger begründet hat. Da der Beschwerdeführer jedoch mit einer österreichischen Staatsbürgerin und nicht mit einer sonstigen Unionsbürgerin verheiratet ist, weiters keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht hätte, und letztlich der Verfassungsgerichtshof im Urteil vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., gleichheitsrechtliche Bedenken in Bezug auf § 57 NAG nicht geteilt hat, vermag der Beschwerdeführer Rechte nach den §§ 52 ff NAG nicht geltend zu machen.

Das Recht, entgegen § 21 Abs. 1 NAG den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. wieder das zitierte Erkenntnis vom 18. Februar 2010).

Zu Recht wendet sich die Beschwerde gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK. Auch wenn der Aufenthalt des Beschwerdeführers vorerst auf einem als unbegründet abgewiesenen Asylantrag beruhte und die erste Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin für nichtig erklärt wurde, sind doch zu seinen Gunsten der über neunjährige inländische Aufenthalt und die (zweite, bereits mehr als zwei Jahre aufrechte) Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zu berücksichtigen. Dass es sich auch bei der zweiten Ehe um eine Aufenthaltsehe handle, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Das Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes allein führt nicht dazu, dass ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK verneint werden darf; der Begriff des in Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens umfasst nämlich jedenfalls das Verhältnis zwischen Ehepartnern, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie tatsächlich zusammenleben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2000, 2000/19/0126, mwN).

Weiters hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nicht abgesprochen, berufstätig zu sein (dazu erliegt im Verwaltungsakt eine Arbeitsbestätigung).

In Gesamtbetrachtung der Umstände des vorliegenden Falles hätte daher die belangte Behörde - unter der Annahme, dass keine Aufenthaltsehe vorliegt - zum Ergebnis gelangen müssen, dass durch die Verweigerung des Familiennachzugs ein unzulässiger Eingriff nach Art. 8 EMRK vorliegt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. April 2010

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