VwGH 99/01/0130

VwGH99/01/013011.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des A E in G, geboren am 22. August 1979, vertreten durch Mag. Thomas Moser, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Rudolfstraße 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 1998, Zl. 205.286/0-VIII/23/98, betreffend Zurückweisung einer Berufung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §10 Abs1;
AVG §37;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;
AVG §10 Abs1;
AVG §37;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (Arben E.) stellte am 10. August 1998 einen Asylantrag. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 24. August 1998 vor dem Bundesasylamt gab er u.a. an, dass für ihn und seinen Unterhalt Josef L. garantiere. Als Anschrift des Asylwerbers scheint die Adresse des Josef L. auf.

Mit Bescheid vom 22. September 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 23. September 1998 zugestellt.

Am 30. September 1998 langte beim Bundesasylamt ein (u.a. auch vom Beschwerdeführer unterfertigter) Schriftsatz ein, welcher am 29. September 1998 zur Post gegeben wurde und folgenden Wortlaut hat:

"Goldwörth 26.9.1998

Berufung gegen Bescheid Az. 98 06.039-BAL

Auf Antrag von Herrn Arben E. geb. am 22.8.1979 berufe ich, Josef L. als Unterkunftgeber, gegen den Bescheid vom 22.9.1998.

In diesem Bescheid wird angegeben, dass gegen den Asylwerber keine direkte Bedrohung in seiner Heimat bestehe.

Arben E. behauptet, es bestehe sehr wohl eine direkte Bedrohung in seiner Heimat. Als Beispiel gibt er an, dass ein Freund nach Kriegsbeginn seine Familie besuchen wollte, von dort aber nicht mehr zurückkam.

Weiters gibt er an, dass seine Familie auf der Flucht ist.

In diesem Bescheid wird auch behauptet, dass Herr Arben E. kein Interesse an der Rückkehr habe. Das stimmt nicht. Er ist jedes Jahr nach der Saisonarbeit nach Hause gefahren.

Auf Grund dieser Tatsachen bitten wir um eine positive

Erledigung.

Hochachtungsvoll:

Asylbewerber: (Arben E.) Unterkunftgeber: (Josef L.)"

Das Kuvert, in dem dieser Schriftsatz übersandt wurde, weist auf der Rückseite den Namen und die Adresse sowie die Telefonnummer des Josef L auf. Es findet sich auf dem Kuvert kein Hinweis auf eine andere Person.

Die belangte Behörde hat diesen Schriftsatz als Berufung des Josef L. gedeutet und sie gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Ihre Entscheidung begründete sie im Wesentlichen folgendermaßen:

Der Berufungswerber Josef L. sei nicht Partei des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen; ihm sei auch nicht irrtümlicherweise der erstinstanzliche Bescheid zugestellt worden. Seine Berufung müsse daher unzulässig sein. Aus dem Wortlaut des Berufungsschriftsatzes ergebe sich auch bei größtem Wohlwollen hinsichtlich der Auslegung der gewählten Worte und auch unter Berücksichtigung, dass dem AVG ein strenger Formalismus nicht innewohne, nicht, dass der nunmehrige Berufungswerber im Vollmachtsnamen des Asylwerbers hätte berufen wollen. Vielmehr führe der Berufungswerber ausdrücklich aus, dass er "als Unterkunftsgeber" berufe. Es sei der belangten Behörde verwehrt, über den tatsächlichen Wortlaut des Berufungsschriftsatzes hinaus "etwas in diesen Schriftsatz hinein zu interpretieren", was der Wortlaut nicht hergeben könne. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass am Ende des Schriftsatzes der Asylwerber selber unterschrieben habe und im letzten Satz des Berufungsschriftsatzes die Mehrzahl (arg.: "bitten wir") verwendet werde.

Diese Auslegung des Berufungsschriftsatzes werde auch noch dadurch unterstrichen, dass sich auf dem den Berufungsschriftsatz enthaltenden Kuvert überhaupt kein Hinweis auf den Namen des Asylwerbers, sondern lediglich der Name und die Anschrift des Josef L. finde.

Es sei der belangten Behörde verwehrt, die Regelungen des § 13 Abs. 3 AVG anzuwenden, da der Berufung kein Formgebrechen anhafte. Insbesondere hätte auch eine schriftliche Vollmacht nicht nachträglich eingefordert werden können, da sich der nunmehrige Berufungswerber überhaupt nicht auf solche erteilte Vollmacht berufen habe.

Ergänzend führte die belangte Behörde aus, dass die Berufung auch keinen begründeten Berufungsantrag enthalten hätte und es sohin auch aus diesem Grunde zu keiner "positiven Erledigung" hätte kommen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, von Arben E. erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung (in eventu Abweisung) der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhalt mit seiner Begründung ausgelegt werden muss. Daraus ergibt sich der Bescheidwille der belangten Behörde, die vorliegende Prozesshandlung (Berufung) nicht (auch) dem Beschwerdeführer sondern (allein) Josef L. zuzurechnen und aus diesem Grunde zurückzuweisen. Das bedeutet, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides auch die Entscheidung darüber enthält, dass die Berufung nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist. Dadurch konnte der Beschwerdeführer in seinen subjektiven öffentlichen Rechten verletzt werden (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Zl. 81/11/0119, Slg. 11.625/A, und das Erkenntnis vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/04/0149).

Der Umstand, dass der angefochtene Bescheid Josef L. und nicht dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist, steht einer Beschwerdeerhebung (durch Arben E.) - anders als die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint - infolge der Bestimmung des § 26 Abs. 2 VwGG gleichfalls nicht entgegen.

Die - somit zulässige - Beschwerde ist auch begründet. Die belangte Behörde geht davon aus, dass die Berufung von Josef L. im eigenen Namen erhoben worden sei und er auch nicht als Bevollmächtigter des Asylwerbers in Betracht komme.

Der belangten Behörde ist einzuräumen, dass sich in der Berufung Hinweise darauf finden, dass Josef L. sie in seinem eigenen Namen verfasst hat. Dafür spricht die Wortfolge "berufe ich, Josef L.", die eigenhändige Unterfertigung des Schreibens sowie schließlich der Umstand, dass auf dem Kuvert, in dem die Berufung der Erstbehörde übersandt wurde, lediglich der Name, die Adresse und die Telefonnummer des Josef L. aufscheinen.

Aus diesen Tatsachen ergibt sich jedoch noch nicht in eindeutiger Weise, dass Josef L. den Schriftsatz im eigenen Namen verfassen wollte und damit eine unzulässige Berufung erhoben hat. So finden sich auch Hinweise darauf, dass Josef L. lediglich als Bevollmächtigter eingeschritten sein könnte. Auch wenn er - worauf die belangte Behörde zutreffend hinweist - den Schriftsatz lediglich als "Unterkunftgeber" und nicht als "Bevollmächtigter" unterfertigt hat, könnte für eine Bevollmächtigung die Formulierung sprechen, dass Josef L. "auf Antrag von Herrn ..." eingeschritten ist. Weiters lassen sich sogar Anhaltspunkte dafür finden, dass Arben E. den Schriftsatz im eigenen Namen verfassen wollte. Dafür könnte nämlich der Umstand sprechen, dass er den Schriftsatz selbst unterfertigt hat. Dies würde zwar einerseits gegen das Bestehen eines Vollmachtsverhältnisses, andererseits aber auch dagegen sprechen, dass Josef L. die Berufung im eigenen Namen verfassen wollte.

Im Ergebnis liegt damit eine Prozesshandlung vor, die bei der belangten Behörde erhebliche Zweifel hätte wecken müssen, wem sie tatsächlich zuzurechnen ist. Diese Zweifel waren nun zwar nicht, wie der Beschwerdeführer meint, im Wege eines Auftrages zur Behebung von Formgebrechen gemäß § 13 Abs. 3 AVG auszuräumen. Wohl aber war im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 37 AVG anzuwenden, wonach den Parteien im Ermittlungsverfahren Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben ist. Ebenso wie die Behörde etwa verpflichtet ist, den Sinn eines mehrdeutigen Parteienantrages durch Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung festzustellen, ist sie auch verpflichtet, sich in einem Zweifelsfall wie dem vorliegenden Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist (vgl. nochmals grundlegend das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. 11.625/A). Da sie diese Klärung unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Die Zurückweisung der Berufung wäre - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - auch nicht mangels eines begründeten Berufungsantrages gerechtfertigt gewesen. Dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages gemäß § 63 Abs. 3 AVG wird nämlich bereits dann entsprochen, wenn die Berufung erkennen lässt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. September 1999, 96/21/1006, vom 26. Juni 1997, 96/06/0145, und vom 21. Februar 1996, 95/21/0946). Da in der Berufung von einer Bitte um eine "positive Erledigung" (des Antrages auf Gewährung von Asyl) die Rede ist und erkennbar Argumente gegen die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ins Treffen geführt werden, liegt ein begründeter Berufungsantrag vor. Ob die angeführten Argumente untauglich oder nicht stichhältig sind oder die Berufung aussichtslos wäre, ist dabei nicht relevant (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 1998, 97/10/0175, vom 7. November 1996, 95/06/0232, und vom 8. April 1997, 96/07/0083).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Verfahrenshilfe bewilligt wurde.

Wien, am 11. Oktober 2000

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