VwGH 96/06/0145

VwGH96/06/014526.6.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde

1. des Stefan S, 2. des Herbert S und 3. des T, alle in St, alle vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 12. April 1996, Zl. Ve1-550-2385/1-3, betreffend Parteistellung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. B, St; 2. Gemeinde St, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §7 Abs1 Z4;
AVG §7 Abs1;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs1;
BauO Tir 1989 §30 Abs9;
BauO Tir 1989 §31 Abs9;
BauRallg;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §7 Abs1 Z4;
AVG §7 Abs1;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs1;
BauO Tir 1989 §30 Abs9;
BauO Tir 1989 §31 Abs9;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er sich auf Spruchpunkt b) des Berufungsbescheides bezieht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen insgesamt Aufwendungen von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Partei vom 28. April 1995 wurde der Antrag des Erstmitbeteiligten um Erteilung der baubehördlichen Bewilligung zur Errichtung

1. eines Terrassenanbaues mit massiver Balkonbrüstung, an der Nordwestseite (Vorderfront Wohntrakt) des bestehenden Bauernhauses in M Nr. 16, St., im Erdgeschoß, und zur Errichtung von diversen Kellerräumen unterhalb der Terrasse im Untergeschoß sowie 2. zur Errichtung (Neubau) einer Holzkrainerwand ebenfalls an der Nordwestseite und der damit verbundenen Geländeaufschüttung und Einfriedung auf dem Grundstück Nr. 255/4 in EZ n1, KG St, abgewiesen (erster Absatz des Spruches). Weiters wurde den Beschwerdeführern im Spruch dieses Bescheides (im Absatz 3) "auf Grund ihres Ansuchens bzw. ihres Vorbringens anläßlich der mündlichen Verhandlung" Parteistellung im verfahrensgegenständlichen Bauverfahren zuerkannt.

Der Erstmitbeteiligte erhob Berufung "gegen den Bauabweisungsbescheid vom 1995-04-28,

Zahl 131-9/14/1994-95(A)". Die Begründung der Berufung setzt sich ausschließlich mit der Abweisung der Bewilligung auseinander. Letztlich ersucht der Erstmitbeteiligte, da keine Gründe für eine Versagung der Baubewilligung vorlägen, "um eine positive Entscheidung" bzw. um eine rasche Entscheidung.

Aufgrund der Berufung des Erstmitbeteiligten wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 10. Oktober 1995 der erstinstanzliche Bescheid behoben und die Baubewilligung für das angeführte Bauvorhaben gemäß den Planunterlagen erteilt (Spruchpunkt a)). Die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden mangels Parteistellung gemäß § 30 Abs. 1 Tiroler Bauordnung zurückgewiesen (Spruchpunkt b)).

Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung ist in bezug auf Spruchpunkt b) im wesentlichen damit begründet, daß die im erstinstanzlichen Bescheid getroffene Feststellung der Zuerkennung der Parteistellung an die Beschwerdeführer nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Die Berufung des Erstmitbeteiligten habe sich "gegen den Bauabweisungsbescheid von 1995-04-28, Zl. ..."

gerichtet: Aus dieser Formulierung könne nicht gefolgert werden, der erstinstanzliche Bescheid sei nur teilweise angefochten worden. Die Feststellung der Parteistellung habe daher nicht in Rechtskraft erwachsen können. Die Berufungsbehörde sei daher berechtigt gewesen, den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG auch hinsichtlich dieser Frage abzuändern. Die Berufungsbehörde habe zutreffend angenommen, daß die Beschwerdeführer keine Parteistellung im verfahrensgegenständlichen Bauverfahren hätten. Nach Anführung des § 30 Abs. 1 Tiroler Bauordnung wird auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, nach der für die Parteistellung als Nachbar wesentlich sei, ob je nach Größe und Art des Bauvorhabens Auswirkungen auf das Nachbargrundstück zu erwarten seien, wobei die Entfernung, welche noch eine Stellung als Nachbar einräume, von der Höhe und von den vom Projekt zu erwartenden Immissionen abhängen. Es sei somit zu prüfen, ob die Möglichkeit bestehe, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung mit Rückwirkungen auf das Grundstück desjenigen, dessen Parteistellung zu prüfen sei, zu rechnen sei. Die Verletzung von Nachbarschaftsrechten sei im Baubewilligungsverfahren zu klären. Im vorliegenden Fall handle es sich bei den beantragten Baumaßnahmen um einen untergeschoßigen, 4 m tiefen Anbau, die Errichtung einer begehbaren Terrasse auf dem untergeschoßigen Anbau samt vorhandener Holzlege sowie um die Errichtung einer Holzkrainerwand zwischen Vorderkante der Holzlege und der vorhandenen Krainerwand des Nachbarhofes. Wie sich aus den vorgelegten Planunterlagen ergebe, befinde sich das verfahrensgegenständliche Bauobjekt in einer Mindestentfernung von ca. 40 m zur Grundgrenze des Erst- und Drittbeschwerdeführers sowie in einer Mindestentfernung von 95 m zur Grundgrenze des Zweitbeschwerdführers. Im Hinblick auf diese Entfernungen könne durch die geplante Errichtung eines Terrassenanbaues im Erdgeschoß sowie von diversen Kellerräumen unterhalb der geplanten Terrasse im Untergeschoß bzw. durch die Errichtung einer Holzkrainerwand nicht mit Wirkungen auf die Grundstücke der Vorstellungswerber gerechnet werden. Daß durch diese Baumaßnahmen mit Immissionen auf die Grundstücke der Beschwerdeführer zu rechnen sei, hätten diese nicht vorgebracht, derartige Rückwirkungen seien auch auszuschließen. Die Einwendungen der Beschwerdeführer seien daher zu Recht zurückgewiesen worden. Ungeachtet dessen komme den Einwänden der Beschwerdeführer keine Berechtigung zu. Der Verwandtschaftsgrad des Vizebürgermeisters zum Erstmitbeteiligten (er sei der Cousin der Mutter des Erstmitbeteiligten) stelle keinen Befangenheitsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 AVG dar. Auch daß ein Gemeindevorstandsmitglied Gesellschafter eines Unternehmens sei, das mit Arbeiten am verfahrensgegenständlichen Bauobjekt betraut worden sei, sei nicht geeignet, einen Befangenheitstatbestand gemäß § 7 Abs. 1 Z. 4 AVG zu begründen. Es treffe weiters auch im Hinblick auf die Niederschrift über die 35. Sitzung des Gemeindevorstandes vom 9. Oktober 1995 nicht zu, daß Gegenstand der Abstimmung im Gemeindevorstand nur der Spruch, nicht jedoch die Begründung des Berufungsbescheides gewesen sei. Sofern sich die Beschwerdeführer dagegen wendeten, daß kein Amtssachverständiger, sondern ein Privatgutachter zur Frage des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes im Zusammenhang mit dem vorliegenden Bauobjekt herangezogen worden seien, werde darauf hingewiesen, daß gemäß § 52 Abs. 2 AVG die Behörde auch nichtamtliche Sachverständige als Sachverständige herangezogen werden könnten, wenn es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten sei. Entscheidend sei im vorliegenden Fall, daß es sich bei den in Frage stehenden Gutachten um solche zum Straßen-, Orts- und Landschaftsbild handle, in bezug worauf dem Nachbar kein Mitspracherecht zustehe.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführer erachten sich in dem Recht auf Zuerkennung der Parteistellung sowie in dem Recht auf Versagung einer Baubewilligung für die verfahrensgegenständliche Baumaßnahme verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer machen geltend, daß ihnen im erstinstanzlichen Bescheid Parteistellung zuerkannt worden sei und dieser Teil des erstinstanzlichen Bescheides rechtskräftig geworden sei. In bezug auf diesen Spruchteil sei vom Erstmitbeteiligten keine Berufung erhoben worden. Die Berufung des Erstmitbeteiligten habe überdies keinen Berufungsantrag enthalten und auch keine taugliche Anfechtungserklärung hinsichtlich des Spruchteiles über die Zuerkennung der Parteistellung.

Nach der hg. Judikatur (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zlen. 95/05/0010, 0011) ist bei der Auslegung des Begriffes "begründeter Berufungsantrag" in § 63 Abs. 3 AVG kein strenger Maßstab anzulegen, ist doch dem Geist des AVG ein übertriebener Formalismus fremd. Die Berufung muß aber wenigstens erkennen lassen, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt.

Die Berufung wendet sich - wie bereits dargelegt - gegen den "Bauabweisungsbescheid vom 1995-04-28 Zl. ...". Der Antrag, es werde um eine positive Entscheidung ersucht, ist im Zusammenhalt mit der Begründung, die sich ausschließlich gegen die Abweisung der Baubewilligung wendet, als ausreichend begründeter Berufungsantrag anzusehen, mit dem der erste Absatz des erstinstanzlichen Bescheides bekämpft wurde, damit die abweisende Erledigung der Behörde in eine positive, die Baubewilligung gewährende Entscheidung geändert werde. Auch wenn die Bezeichnung des Bescheides, in dem im Kopf unter der Geschäftszahl im Betreff "Bauabweisung" angeführt ist, zunächst dafür spricht, daß sie sich gegen den erstinstanzlichen Bescheid zur Gänze wendet, ist aus den vorgetragenen Berufungsgründen und aus der Formulierung des Berufungsantrages darauf zu schließen, daß nur der erste Absatz des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem die Baubewilligung abgewiesen wurde, in der Berufung bekämpft wird. Der Berufungsantrag auf positive Erledigung ergibt im Hinblick auf Absatz drei des Spruches, in dem den Beschwerdeführern die Parteistellung zuerkannt wurde, keinen Sinn. Die Beschwerdeführer sind auch im Recht, wenn sie meinen, daß der im dritten Absatz des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommene Ausspruch über die Zuerkennung der Parteistellung an die Beschwerdeführer einen trennbaren Bestandteil des erstinstanzlichen Bescheides darstellt und somit mangels Bekämpfung durch den Erstmitbeteiligten mit Berufung in Rechtskraft erwachsen ist. Es erweist sich somit als rechtswidrig, wenn die Berufungsbehörde in Spruchpunkt b) ihres Bescheides den Spruchteil des erstinstanzlichen Bescheides betreffend die Zuerkennung der Parteistellung auf Grund der eingeschränkten Berufung des Erstmitbeteiligten in eine Zurückweisung der Einwendungen der Beschwerdeführer geändert hat. Indem die belangte Behörde diesen Mangel im Rahmen des Vorstellungsverfahrens nicht aufgegriffen hat, belastete sie ihren Bescheid, soweit er sich auf Spruchpunkt b) des Berufungsbescheides bezog, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die Beschwerdeführer rügen weiters im Zusammenhang mit der Erteilung der Baubewilligung, daß ein Gemeindevorstandsmitglied, das Gesellschafter jenes Unternehmens sei, das den Auftrag zur Durchführung des verfahrensgegenständlichen Bauvorhabens erhalten habe, aus diesem Grund als befangen anzusehen sei. Wäre die Befangenheit dieses Mitgliedes des Gemeindevorstandes angenommen worden, wäre der Gemeindevorstand bei seiner Abstimmung am 9. Oktober 1995 beschlußunfähig gewesen. Allein der Umstand, daß ein Gemeindevorstandsmitglied Gesellschafter des mit der Errichtung eines Bauvorhabens betrauten Unternehmens ist, kann keine Befangenheit im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 4 AVG begründen, zumal sich sachliche Bedenken gegen den Berufungsbescheid nicht ergeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1970, Slg. Nr. 7872/A). Auch in der Beschwerde werden keine Bedenken dahingehend geltend gemacht, daß die erteilte Baubewilligung nicht gesetzmäßig sein soll.

Die Beschwerdeführer machen letztendlich geltend, daß ihnen bei der Frage, ob auch die Begründung des Berufungsbescheides im Gemeindevorstandsbeschluß Deckung finde, die von der belangten Behörde angeführte Niederschrift über die Gemeindevorstandssitzung vom 9. Oktober 1995 nicht zur Kenntnis gebracht worden sei und sie somit im Parteiengehör verletzt worden seien. Aus dem im Akt einliegenden Protokoll der 35. Sitzung des Gemeindevorstandes am 9. Oktober 1995 ergibt sich, daß der in Frage stehende Berufungsbescheid vollinhaltlich durch den Gemeindesekretär am Beginn der Gemeindevorstandssitzung verlesen wurde. Der Umstand, daß die Bescheidbegründung - wie die Beschwerdeführer behaupten - in dieser Gemeindevorstandssitzung nicht erörtert worden sei, kann an dem Umstand, daß diese Bescheidbegründung in der Sitzung verlesen wurde und die Beschlußfassung in der Folge "entsprechend dem bereits zu Beginn dieses Tagesordnungspunktes verlesenen Berufungsbescheid-Entwurfes" erfolgte, nichts ändern.

Der angefochtene Bescheid war, soweit er sich auf Spruchpunkt b) des Berufungsbescheides bezieht, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalsätze u.a. für Schriftsatzaufwand abzuweisen.

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