OGH 1Ob173/24h

OGH1Ob173/24h19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ao Univ.‑Prof. Dr. T* L*, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 44.395 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. September 2024, GZ 14 R 57/24s‑17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00173.24H.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin steht als Universitätsdozentin in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis. Im Zeitraum 2007 bis 2019 leistete sie regelmäßig Journaldienste im Tierspital einer Universitätsklinik.

[2] Mit der am 27. 9. 2023 eingelangten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung eines immateriellen Schadenersatzes von 44.395 EUR für von 2007 bis 2019 unionsrechtswidrig über die Grenzen der Richtlinie 2003/88/EG hinaus von ihr verrichtete Dienste. Von der Verpflichtung zur Zahlung des geforderten Betrags könne sich die Beklagte dadurch befreien, dass sie der Klägerin im Rahmen eines fortdauernden Dienstverhältnisses bei fortlaufenden Bezügen Freizeit in jenem Ausmaß gewähre, welches ausgehend vom Normalstundenlohn dem Betrag von 44.395 EUR entspreche.

[3] Die Vorinstanzen wiesen den Ersatzanspruch, den sie als Amtshaftungsanspruch qualifizierten, infolge Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG mit Mitte 2023 ab.

[4] Spätestens Mitte 2020 habe die Klägerin soweit Kenntnis von dem mit der gegenständlichen Klage geltend gemachten Schaden und der diesbezüglichen Rolle der Beklagten gehabt, dass sie die Klage mit Aussicht auf Erfolg einbringen hätte können.

Rechtliche Beurteilung

[5] In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[6] 1. Die Klägerin macht in der Sache einen Amtshaftungsanspruch geltend.

[7] 1.1. Den Dienstgeber trifft auch dann eine Fürsorgepflicht für seine Dienstnehmer, wenn das Dienstverhältnis durch Ernennungsakt begründet wurde und daher öffentlich‑rechtlichen Charakter hat (RS0021507). Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist in diesem Fall ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sodass der Beamte, soweit ihm die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht nach dienstrechtlichen Vorschriften möglich ist, Amtshaftungsansprüche erheben kann, wenn der Dienstgeber diese Pflicht ihm gegenüber verletzt hat und die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AHG vorliegen (RS0021507 [T5, T8]).

[8] Die Pflicht, auf die Einhaltung der Mindestruhezeiten zu achten, diese zu kontrollieren und jede Überschreitung zu verhindern, ist der Fürsorgepflicht des Dienstgebers zuzuordnen. Sollte der Dienstgeber seiner entsprechenden Fürsorgepflicht nicht nachgekommen sein, sodass es zu einer Unterschreitung der täglichen und/oder wöchentlichen Ruhezeiten gekommen ist, könnte er – hier nach § 49 Abs 2 UG 2002 der Bund – der Klägerin aus dem Titel der Amtshaftung schadenersatzpflichtig werden (1 Ob 82/23z [Rz 39]).

[9] 1.2. Das Berufungsgericht ist dieser Rechtsprechung gefolgt und hat das Klagebegehren als Amtshaftungsanspruch qualifiziert.

[10] Die Klägerin legt in der Revision nicht dar, infolge welchen Verstoßes gegen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG zu Ruhe‑ und Höchstarbeitszeiten ihr „unionsrechtswidrig“ eine Arbeitsleistung „in durchgehend überlangen Arbeitszeiten“ abverlangt worden sein soll.Sie argumentiert nicht, dass Bestimmungen der Richtlinie 2003/38/EG innerstaatlich nicht umgesetzt wurden, dass von einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie auszugehen sei und ein Verstoß dagegen Staatshaftungsansprüche auslösen könnte. Wederbehauptet sie dem Inhalt nach einen Staatshaftungsanspruch noch vermag sie einen Anspruch „sui generis“ darzulegen, für den – so ihre nicht näher begründete Behauptung – die „allgemeine grundsätzliche Verjährungsfrist von 30 Jahren“ gelten soll.

2. Zur Verjährung:

[11] 2.1. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 leg cit in drei Jahren nach dem Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist. Diese Frist wird dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben dem Schaden der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (RS0034512 [T9]).

[12] 2.2. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG ist mit den unionsrechtlichen Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz vereinbar (1 Ob 51/15d [Punkt 3.]; 1 Ob 82/23z [Rz 48], jeweils mwN; vgl EuGH C‑228/96 , Aprile, Rn 19 mwN; C‑62/00 , Marks & Spencer, Rn 35; C‑445/06 , Danske Slagterier, Rn 32, wonach die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist).

[13] 2.3. Die Klägerin leitet ihre Ersatzansprüche aus der Nichtgewährung von Ruhezeiten in den Jahren 2007 bis 2019 ab. Ihr war der Schaden und der anspruchsbegründende Sachverhalt jedenfalls Mitte 2020 bekannt. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Ansprüche infolge Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG im Zeitpunkt der Einbringung der Klage am 27. 9. 2023 bereits verjährt gewesen seien, ist von der Judikatur gedeckt (1 Ob 82/23z [Rz 50]) und wird von der Revisionswerberin auch nicht substantiiert in Frage gestellt.

3. Keine Unterbrechung der Verjährung durch dienstbehördliches Verfahren:

[14] 3.1. Die Klägerin beantragte am 23. 11. 2020 bei der Dienstbehörde eine finanzielle Entschädigung und/oder die Feststellung des Ausmaßes an Zeitausgleich, die bzw das sich aus der Überschreitung der unionsrechtlich zulässigen Höchstgrenze der Arbeitszeit und der Nichtgewährung der unionsrechtlich gebotenen Ruhezeiten im Rahmen ihrer Dienstleistungen der Jahre 2007 bis 2019 ergibt.

[15] Dieser Antrag wurde sowohl von der Dienstbehörde als auch dem Bundesverwaltungsgericht abgewiesen, weil weder eine gesetzliche Grundlage für eine nachträgliche Gewährung entgangener Wochenruhezeiten noch für eine finanzielle Abgeltung bestehe. Auf die Klägerin gelange als Universitätsdozentin die Ausnahmebestimmung des § 173 Abs 1 Z 5 BDG 1979 zur Anwendung, wonach die Bestimmungen zu den Höchstgrenzen der Dienstzeit sowie der Ruhezeiten nicht anzuwenden seien. Eine Unionsrechts-widrigkeit der österreichischen Rechtslage bestehe nicht, weil nach Art 17 Abs 1 lit a der Richtlinie 2003/88/EG der Gesetzgeber bei „Personen mit selbständiger Entscheidungsbefugnis“ betreffend Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten abweichende Regelungen treffen könne, wozu auch Wissenschaftler – wie die Klägerin – zu zählen seien (Beilage ./A).

[16] Der Verwaltungsgerichtshof wies die außerordentliche Revision der Klägerin zurück (Ra 2023/12/0030 [unter Bezugnahme auf Ra 2023/12/0038]).

[17] 3.2. § 1497 ABGB bestimmt, dass Ersitzung und Verjährung unterbrochen werden, wenn der Berechtigte seinen Gegner „belangt“. Als „Belangen“ gilt nach gefestigter Rechtsprechung nicht nur das Erheben der Klage gegen den Gegner; es kann auch auf andere Art erfolgen, etwa durch einen Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren (RS0034631). Im Kern geht es bei diesem „Belangen“ – soweit es Schadenersatz betrifft – um die Frage, ob der Schädiger – im Vergleich mit dem späteren Zivilprozess – vom Berechtigten in einem zur Durchsetzung eines bestimmten Anspruchs vorgesehenen und zeitlich zuerst geführten Verfahren (6 Ob 14/01d) wegen des gleichen Vermögensnachteils in Anspruch genommen wurde (RS0041512) und dieser Vermögensnachteil (dort) ausreichend konkretisiert und individualisiert wurde (1 Ob 85/19k [Punkt 3.4.] mwN uva).

[18] Das (verjährungsrechtliche) Gleichhalten des zuvor gesetzten Verfolgungsschritts mit der späteren Klage ist darin begründet, dass ein Geschädigter/Anspruchsberechtigter seine Ansprüche gegenüber dem Schädiger/Anspruchs-verpflichteten zwar binnen gebotener Frist und in einem dazu vorgesehenen Verfahren verfolgen muss; er soll aber nicht gezwungen werden, mehrere Verfahren, die im Kern dasselbe Ziel zum Inhalt haben, führen zu müssen (1 Ob 85/19k [Punkt 3.4.]).

[19] 3.3. Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens kann dort zur Fristunterbrechung im Sinn des § 1497 ABGB führen, wo ein solches für die Geltendmachung des Rechts gesetzlich vorgesehen ist (6 Ob 14/01d [Punkt 4.] = RS0057231 [T1] mwN; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1497 ABGB Rz 66; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 1497 Rz 27 [Stand 1. 1. 2022, rdb.at]; Mayr in Fasching/Konecny 3 III/1 Vor § 230 ZPO Rz 28 [Stand 1. 8. 2017, rdb.at]).

[20] 3.4. Wenn sich die Klägerin erkennbar auf § 1497 ABGB beruft, wonach die Verjährung unterbrochen wird, wenn der Schuldner vom Berechtigten belangt wird, weil sie ihren Anspruch auch im dienstbehördlichen Weg geltend gemacht habe, kommt ein solches „Belangen“ im gegenständlichen Fall nicht in Betracht.

[21] Der Oberste Gerichtshof hat bereits im vergleichbaren Zusammenhang mit einem Bescheid, mit dem der Antrag eines späteren Amtshaftungsklägers auf Gewährung von Ersatzruhezeiten (zB in Form von Zeitausgleichsstunden) für die in den letzten Jahren unterbrochenen und damit nicht gewährten Ruhezeiten oder die Nachzahlung einer entsprechenden finanziellen Vergütung bzw Abgeltung abgewiesen worden war, ausgesprochen, dass dieser Bescheid nicht verjährungshemmend gewesen sei, weil die verwaltungsbehördliche Antragstellung mangels gesetzlicher Grundlage aussichtslos war (1 Ob 82/23z [Rz 49]).

[22] Die Klägerin geht selbst davon aus, dass sie ihren Anspruch im Dienstrechtsweg „auf verfahrensrechtlich verfehltem Wege“ geltend machte. Die Einleitung eines dienstbehördlichen Verfahrens, das für die Durchsetzung des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs rechtlich gar nicht vorgesehen ist, ist jedenfalls kein „Belangen“ und kann – wovon im Ergebnis die Vorinstanzen ohne Fehlbeurteilung ausgingen – die Verjährung des Anspruchs im Sinn des § 1497 ABGB nicht unterbrechen.

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