VwGH Ra 2023/12/0038

VwGHRa 2023/12/003824.6.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und Senatspräsidentin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede als Richter und Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des Dr. W F in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz‑Josefs‑Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2023, W227 2253208‑1/5E, betreffend finanzielle Abgeltung bzw. nachträgliche Gewährung entgangener Ruhezeiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt der Veterinärmedizinischen Universität Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
EURallg
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
32003L0088 Arbeitszeit-RL
32003L0088 Arbeitszeit-RL Art17 Abs1 lita

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023120038.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2 Mit E‑Mail vom 23. November 2020 beantragte der Revisionswerber, den ihm „zustehenden Anspruch einer finanziellen Entschädigung und/oder das Ausmaß an Zeitausgleich festzustellen, der bzw. das sich aus der Überschreitung der unionsrechtlich zulässigen Höchstgrenzen der Arbeitszeit und der Nichtgewährung der unionsrechtlich gebotenen Ruhezeiten im Zeitraum 2007 bis 2019 ergibt“. Er brachte vor, er habe als Universitätsassistent im Rahmen der ihm vorgegebenen Diensteinteilung in den Jahren 2007 bis 2019 regelmäßig Journaldienste geleistet. Dabei seien 1. durchgehende Dienstzeiten von bis zu 32 Stunden vorgeschrieben und geleistet worden, 2. im Anschluss an Dienste von über 13 Stunden nicht immer entsprechend unmittelbar verlängerte Ruhezeiten gewährt worden sowie 3. Dienstzeiten von über 48 Stunden im Schnitt von 17 Wochen geleistet worden. All dies widerspreche den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG der Europäischen Union. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) müsse für Verstöße gegen das Unionsrecht ein Ausgleich in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung gewährt werden (Hinweis auf EuGH 25.11.2010, Fuß, C‑429/09 ).

3 Mit Bescheid vom 15. Februar 2022 wies die belangte Behörde (Dienstbehörde) den Antrag des Revisionswerbers gemäß §§ 48a bis 48e50155 Abs. 6, 178 und 187 Abs. 2 Z 4 Beamten‑Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) sowie gemäß §§ 13b49 und 49a Gehaltsgesetz 1956 (GehG) ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, für die begehrte finanzielle Abgeltung der nicht gewährten Ruhezeiten bestehe keine gesetzliche Grundlage im Beamtendienstrecht. Das vom Revisionswerber angeführte Judikat des EuGH sei vorliegend nicht einschlägig, weil der Revisionswerber der Überschreitung der Höchstgrenzen der Dienstzeit schriftlich zugestimmt habe, sodass gemäß Art. 22 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2003/88/EG kein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege. Der Dienstgeber habe weder auf den Betriebsrat noch auf die Bediensteten Druck ausgeübt, die Zustimmung zur Einteilung zu Journaldiensten zu unterzeichnen. Der Revisionswerber sei selbst Mitglied des Betriebsrates. Nach seinen eigenen Angaben habe er die Journaldienste geleistet, weil er keine Einkommenseinbußen habe erleiden wollen. Bezüglich der Zeiträume, für die eine Zustimmung nicht vorliege, sei bereits Verjährung allfälliger Ansprüche eingetreten.

4 Dagegen erhob der Revisionswerber durch seinen anwaltlichen Vertreter Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und wendete ua. ein, die in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2022 beantragte Zeugeneinvernahme sei zu Unrecht unterlassen worden. Hätte die beantragte Beweisaufnahme stattgefunden, so hätte sich die Richtigkeit seines Vorbringens zur unzulässigen Druckausübung im Zusammenhang mit den Zustimmungserklärungen aus den Jahren 2016 und 2017 ergeben. Der Wegfall der Journaldienste hätte eine Einkommenseinbuße von 25% bedeutet.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht ‑ ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen ‑ die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

6 Das Bundesverwaltungsgericht führte zusammengefasst aus, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe der Wesenskern des öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnisses darin, dass Personen in einem grundsätzlich lebenslangen Dienstverhältnis in Bindung an das Gesetz tätig werden und bezugsrechtliche Ansprüche nur nach besoldungsrechtlichen Vorschriften geltend gemacht werden können. Es bestehe weder eine gesetzliche Grundlage für eine nachträgliche Gewährung entgangener Wochenruhezeiten noch für eine finanzielle Abgeltung derselben.

7 Über die gesetzliche Höchstgrenze hinausgehende Dienstzeiten seien gemäß § 48a Abs. 4 BDG 1979 nur mit Zustimmung des Beamten zulässig. Im vorliegenden Fall sei die Ausnahmebestimmung des § 187 Abs. 2 Z 4 BDG 1979 anwendbar. Danach seien auf den Universitätsassistenten im Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit die §§ 47a, 48 Abs. 1, Abs. 2 dritter Satz, Abs. 2a erster und zweiter Satz und Abs. 4 und 5 und die §§ 48a bis 48e BDG 1979 (Dienstzeit) und sohin die Bestimmungen zu den Höchstgrenzen der Dienstzeit sowie zu den Ruhezeiten nicht anzuwenden. Ein Verstoß gegen die die Dienstzeit betreffenden Bestimmungen des BDG 1979 könne daher nicht erkannt werden. Die vom Revisionswerber geleisteten Journaldienste seien ihm abgegolten worden.

8 Eine Unionsrechtswidrigkeit der österreichischen Rechtslage sei ebenso wenig erkennbar. Gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2003/88/EG könne der österreichische Gesetzgeber beispielsweise bei „Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ betreffend Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten abweichende Regelungen treffen. Unter „Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ seien auch Universitätsassistenten zu verstehen (Hinweis auf ABl. EU 2017/C 165/01, Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, S. 45). Damit greife die vom Revisionswerber genannte Entscheidung des EuGH nicht.

9 Zu den in der Stellungnahme vom 1. Februar 2022 beantragten Zeugeneinvernahmen verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die fehlende Anwendbarkeit des § 48a Abs. 4 BDG 1979. Damit sei auf die Frage, ob die vom Revisionswerber unterfertigten Erklärungen aus 2016 und 2017 gegebenenfalls unter Zwang zustande gekommen sein könnten, nicht näher einzugehen gewesen.

10 Zum Absehen von der Durchführung der mündlichen Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der unstrittige Sachverhalt ergebe sich aus den vorliegenden Akten. Es handle sich zudem um keine übermäßig komplexe Rechtsfrage. Daher könne von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die von den Parteien auch nicht beantragt worden sei, abgesehen werden.

11 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Das Nichtvorliegen eines Anspruchs auf finanzielle Entschädigung oder Zeitausgleich entspreche der unionsrechtskonformen nationalen Rechtslage und der im Erkenntnis zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Folgende Rechtsfragen werden in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgeworfen:

„1. Ist oder wäre (auch) ein Zahlungsausgleich (Geldausgleich) amtshaftungsrechtlicher Natur, sodass die behördliche und verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist ‑ obgleich es hier nach der Judikatur des EuGH (C‑429/09 ) um einen besonderen Anspruch gegenüber dem Dienstgeber und nicht um einen schadenersatzrechtlichen Anspruch iSd § 1 AHG geht.

2. Welche Dienstzeitregelung iSd. RL 2003/88/EG der Europäischen Union soll in meinem Fall Gültigkeit haben, wenn der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts gemäß (insbesondere) die Bestimmungen der §§ 48a bis 48e BDG 1979 gemäß dessen § 173 Abs. 1 Z 5 auf Universitätsdozenten nicht anzuwenden sind - ohne dass andererseits die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 erster und zweiter Satz leg. cit. in Frage gestellt wird, und ohne dass irgendeine andere Begrenzungsregelung iSd Vorangeführten unionsrechtlichen Regelung als gültig dargestellt wird.

3. Ob dem Standpunkt der belangten Behörde entsprechend eine Einverständniserklärung von mir zur obangeführten Dienstzeitgestaltung Gültigkeit hat oder meinem Vorbringen gemäß wegen Nichterfüllung der darin festgelegten Voraussetzungen keine Gültigkeit hat und darüber hinaus wegen ungerechter Druckausübung durch den Dienstgeber auf mich als anfechtbar und unwirksam anzusehen ist.“

14 Zu keiner dieser Fragen liege Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die im angefochtenen Erkenntnis zitierte Rechtsprechung sei nicht einschlägig. Im Zusammenhang mit der dritten Frage stelle die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung einen weiteren Zulässigkeitstatbestand dar. Es sei fraglich, ob das in der Zustimmungserklärung festgehaltene Erfordernis „um die Kontinuität des Dienstes zu gewährleisten“ erfüllt gewesen sei. Er habe das in Abrede gestellt und dazu sowie auch zur Frage der unzulässigen Druckausübung Zeugeneinvernahmen beantragt. Dieses Vorbringen sei nicht berücksichtigt worden. Es hätte eine mündliche Verhandlung mit Beweisaufnahme aus diesem Grund jedenfalls stattfinden müssen.

15 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 Im vorliegenden Revisionsfall hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsansicht, dass dem Revisionswerber weder nachträglich Ruhezeiten noch eine finanzielle Abgeltung für nicht eingeräumte Ruhezeiten zu gewähren sind, zusammengefasst damit begründet, dass eine gesetzliche Grundlage für derartige Ansprüche im nationalen Recht nicht bestehe und dass ein derartiger Anspruch auch nicht auf Unionsrecht gestützt werden könne, weil gemäß Art. 17 Abs. 1 lit a der Richtlinie 2003/88/EG für Universitätsassistenten eine von der genannten Richtlinie abweichende Regelung betreffend Ruhe‑ und Höchstarbeitszeiten vom nationalen Gesetzgeber getroffen werden dürfe.

19 In der zu 1. in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfenen Rechtsfrage wird thematisiert, ob ein „Geldausgleich“ amtshaftungsrechtlicher Natur sei und die Dienstbehörde zur Entscheidung darüber daher nicht zuständig wäre. Die belangte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht gelangten im vorliegenden Dienstrechtsverfahren zu dem Ergebnis, dass eine Rechtgrundlage im nationalen Recht nicht bestehe, auf deren Grundlage sie eine Entschädigung bzw. finanzielle Abgeltung für nicht gewährte Ruhezeiten zuerkennen könnten. Ob allenfalls ein Amtshaftungsanspruch in diesem Zusammenhang bestehen könnte, musste im vorliegenden Dienstrechtsverfahren nicht geklärt werden.

20 Die zu 2. in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat das Bundesverwaltungsgericht beantwortet, nämlich dahin, dass betreffend Universitätsassistenten von den Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG zu Ruhe‑ und Höchstarbeitszeiten vom nationalen Gesetzgeber abgewichen werden dürfe. Dass dies nicht zuträfe (und aus welchen Gründen), wurde in der Zulässigkeitsbegründung nicht behauptet.

21 Auf die zu 3. in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfene Rechtsfrage kommt es beim vorliegenden Ergebnis nicht an, weil danach eine Zustimmung bzw. Einverständniserklärung des Revisionswerbers nicht erforderlich war, sodass auch deren Inhalt oder ob allenfalls zu deren Erlangung Druck ausgeübt wurde, nicht entscheidungswesentlich ist. Es mussten zur Klärung dieser Fragen vom Verwaltungsgericht daher auch keine Zeugeneinvernahmen durchgeführt werden (vgl. auch die oben wiedergegebenen Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis) und entgegen den Behauptungen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision keine Beweisaufnahmen in einer mündlichen Verhandlung zur Klärung dieser Umstände erfolgen.

22 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG wurde somit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht aufgezeigt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 24. Juni 2024

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