European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00066.24F.1015.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Datenschutzrecht, Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] Der 2019 verstorbene Erblasser, ein erfolgreicher Unternehmer, hinterließ eine Witwe (die nunmehrige Klägerin), zwei Söhne und eine Tochter. Er setzte die Klägerin zu seiner testamentarischen Alleinerbin ein und vermachte den Kindern als Vermächtnis Stückaktien an der H* AG (in der Folge nur: AG). Der reine Nachlass belief sich nach dem im Verlassenschaftsverfahren errichteten Inventar (einschließlich der Stückaktien an der AG) auf rund 1 Mio EUR, abzüglich der Stückaktien auf nur rund 75.000 EUR. Der Nachlass wurde der Klägerin zur Gänze eingeantwortet.
[2] Gemeinsam mit dem älteren Sohn errichtete der Erblasser im Jahr 1998 die beklagte Privatstiftung. Der Erblasser wendete der Beklagten bei deren Errichtung 1 Mio ATS, den ganz überwiegenden Teil der von ihm bis dahin gehaltenen Geschäftsanteile an der H* GmbH (in der Folge: Immo GmbH) sowie vier Liegenschaften unentgeltlich zu. Mit Nachstiftungsverträgen in den Jahren 2001 und 2002 widmete der Erblasser der Beklagten unentgeltlich weitere fünf Liegenschaften. Der ältere Sohn widmete der Beklagten seine Geschäftsanteile an der Immo GmbH.
[3] Stiftungszweck war einerseits die Versorgung der Stifter selbst, der als Begünstigte im Familienbuch ausgewiesenen Familienmitglieder der Stifter und deren Nachfolger sowie andererseits die Ausschüttung ständiger Zuwendungen an eine Gemeinde zur Unterstützung von Alten und Kranken. Dem Erblasser oblag die Nominierung der Mitglieder des ersten Stiftungsvorstands und (generell) die Bestimmung des Vorstandsvorsitzenden. Mitwirkungsrechte in diesem Zusammenhang kamen dem Familienbeirat zu, der bis zur allfälligen Bestellung eines für das Vermögen des Erblassers zuständigen Sachwalters nur aus mindestens einem Mitglied bestehen musste. Der Familienbeirat bestimmte bis zum Ableben des Erblassers die Aufgabenverteilung des Vorstands. Der Erblasser war „auf Lebenszeit bzw bis zu einer allfälligen Sachwalterbestellung“ Mitglied des Familienbeirats und konnte weitere Mitglieder nach seinem Belieben nominieren und zur Abberufung vorschlagen. Die Begünstigten waren in ein vom Stiftungsvorstand zu führendes Familienbuch einzutragen, als „erste Begünstigte“ waren in der Stiftungsurkunde neben der Klägerin und der Gemeinde die Kinder des Erblassers genannt. Der Stiftungsvorstand war nicht befugt, die der Stiftung gehörenden Geschäftsanteile der Immo GmbH zu veräußern oder zu belasten, die Veräußerung von Liegenschaften war nur an die Immo GmbH gestattet. Der Stiftungsvorstand hatte „als Vertreter der Hauptgesellschafterin“ der Immo GmbH dafür Sorge zu tragen, dass die Abberufung des auf Lebenszeit bestellten Geschäftsführers – also des Erblassers – ebenso ausgeschlossen ist wie die Bestellung weiterer Geschäftsführer ohne Zustimmung des Erblassers.
[4] Im Übrigen lautete die Stiftungsurkunde auszugsweise wie folgt:
„§ 2
Zweck, Mittelherkunft und -verwendung der Stiftung
[...]
(2) Die Stiftung erhält die Mittel zur Erfüllung des Stiftungszweckes aus Ausschüttungen der [Immo GmbH], deren Veranlagung und aus Erträgen aus der Vermietung der stiftungseigenen Liegenschaften. […]
§ 26
Zuwendungsverteilung
Die durch den Stiftungsvorstand aufgrund des vom Familienbeirat genehmigten Jahresabschlusses beschlossene Höhe der monatlichen Zuwendungen ist ab Jänner des der Genehmigung des Jahresabschlusses folgenden Jahres gültig. Das heißt, dass jedes Jahr die Höhe der Zuwendungen neu festgesetzt wird. [...]
§ 27
(1) Bis zum Ende des Jahres des Ablebens bzw der Sachwalterbestellung [des Erblassers] sind keine systematischen Zuwendungen an Begünstigte vorgesehen. Es steht aber [dem Erblasser] frei, jederzeit und in jeder beliebigen Höhe Zuwendungen an jede von ihm benannte Person oder Institution in Form einer notariell beglaubigten Erklärung anzuordnen. [...]
(9) [...] Die Stiftungsbegünstigung sowie alle Anwartschaftsrechte erlöschen bei Einbringung einer Klage durch den Pflichtteilsberechtigten gegen die Stiftung wegen Verletzung des Pflichtteiles. [...]
X. ÄNDERUNGEN DER STIFTUNGSURKUNDE
§ 28
Änderungen der Stiftungsurkunde in jedem Punkte sind dem Stifter [Erblasser] auf Lebenszeit vorbehalten. Danach entscheidet der Stiftungsvorstand gemäß § 6 Abs (4) dieser Urkunde über Änderungen derselben, wobei die Änderungen im Sinne der Bestimmungen dieser Stiftungsurkunde zu erfolgen haben. [...]
§ 29
Widerruf der Stiftung
Die Stiftung kann zu Lebzeiten [des Erblassers] von den Stiftern einstimmig widerrufen werden. In diesem Falle sind die Stifter Letztbegünstigte, wobei das Stiftungsvermögen an sie in jenem Verhältnis zu verteilen ist, in dem sie durch Vermögenswidmungen zu ihm beigetragen haben.“
[5] 2006 änderte der Erblasser die Stiftungsurkunde unter anderem in § 2 Abs 2, der nunmehr lautete (Hervorhebung durch den Senat, Anm):
„Die Stiftung erhält die Mittel zur Erfüllung des Stiftungszweckes aus Ausschüttungen ihrer Beteiligungsgesellschaften, aus Erträgen aus der Vermietung der stiftungseigenen Liegenschaften, gegebenenfalls aus der Veräußerung von Vermögenswerten der Stiftung sowie aus der Veranlagung des liquiden Stiftungsvermögens.“
[6] Gleichzeitig kam es zum Entfall der Regelungen über die eingeschränkte Veräußerbarkeit von Liegenschaften und der Anteile an der Immo GmbH.
[7] Der geänderte § 26 der Stiftungsurkunde lautete nunmehr:
„XI. STIFTUNGSBEGÜNSTIGTE
§ 26
(1) Stiftungsbegünstigte bzw Anwartschaftsberechtigte auf Zuwendungen aus der Stiftung sind bis zum Ableben bzw der Sachwalterbestellung [des Erblassers] dieser sowie die von ihm bezeichneten Personen; danach die Ehefrau sowie die Kinder des [Erblassers], die Nachkommen dieser Kinder und deren Nachfolger.“
[8] Eine 2019 erfolgte Änderung der Stiftungsurkunde durch den Erblasser eliminierte ständige Zuwendungen an sozial Bedürftige aus dem Stiftungszweck und führte zur Streichung der Gemeinde aus dem Kreis der ersten Begünstigten.
[9] Der Erblasser gründete gemeinsam mit der beklagten Privatstiftung im Jahr 2006 die AG, deren Stückaktien zu mehr als 99 % die Beklagte (und im verbliebenen Umfang der Erblasser) übernahm. Bis kurz vor seinem Tod war der Erblasser Alleinvorstand der AG. Der Erblasser und die Beklagte brachten ihre Anteile an der Immo GmbH ohne materielle Gegenleistung mit Sacheinlagevertrag in die AG ein. 2007 kam es zu weiteren umfassenden Veränderungen im Hinblick auf die Beteiligungen an der Unternehmensgruppe.
[10] Der Erblasser war bestrebt, das Schicksal seiner Unternehmensgruppe wie auch seiner Familie so weit wie möglich vorzubestimmen. Aus diesem Grund schloss er 2007 mit seinen Kindern einen Syndikatsvertrag, mit dessen Hilfe er die Geschicke seiner Unternehmen über den Tod hinaus lenken wollte.
[11] Die Klägerin nimmt die beklagte Privatstiftung nach §§ 789 ff ABGB auf Zahlung von 25.000.000 EUR sA (bei Exekution in das gesamte Vermögen) in Anspruch. Hilfsweise erhebt sie ein auf die Exekutionsführung in vier Liegenschaften und die Stückaktien der AG beschränktes Zahlungsbegehren. Die Verlassenschaft reiche zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin von einem Sechstel bei Weitem nicht aus, sodass die Beklagte, der der Erblasser wesentliche Vermögenswerte zugewendet habe, als Geschenknehmerin passivlegitimiert sei. Aufgrund des dem Erblasser eingeräumten umfassenden Änderungsrechts, das ihm auch eine Änderung der Bestimmung über das nur gemeinsam mit dem Mitstifter auszuübende Widerrufsrecht ermöglicht hätte, habe der Erblasser das Vermögensopfer erst mit seinem Tod erbracht. Bei einem Widerruf der Privatstiftung wären – ausgehend vom Verhältnis des von den Mitstiftern jeweils zugewendeten Vermögens – jedenfalls mehr als 90 % des Stiftungsvermögens dem Erblasser als Letztbegünstigtem zugekommen. Da sich der Erblasser das Recht vorbehalten habe, alleine über die Höhe von Zuwendungen auch aus der Substanz der Privatstiftung zu entscheiden, habe er im Ergebnis allein die Macht gehabt, das Substanzvermögen der Stiftung an sich zu bringen. Die Klägerin nahm – unter Heranziehung einer Quote von 90 % (als jedenfalls auf den Erblasser entfallender Anteil am Wert der Privatstiftung) – eine detaillierte Berechnung ihres Pflichtteilsanspruchs vor, wobei sie das ihr bereits zugekommene Nachlassvermögen und eine ihr gemachte Liegenschaftsschenkung einbezog. Den Wert ihrer eigenen Begünstigtenstellung aus der Privatstiftung müsse sie sich wegen der normierten – allerdings sittenwidrigen – kassatorischen Klausel nicht anrechnen lassen. Bei Anrechnung der von der Klägerin bisher tatsächlich bezogenen Zuwendungen aus der beklagten Stiftung verbleibe jedenfalls ein über dem Klagebegehren liegender Betrag.
[12] Die Beklagte bestreitet und wendet ein, dass der Erblasser das Vermögensopfer mehr als zwei Jahre vor seinem Tod erbracht habe. Der Erblasser habe die Privatstiftung nur mit Zustimmung des Mitstifters widerrufen können. Das ihm allein zukommende Änderungsrecht würde ihm schon aufgrund wechselseitiger Treuepflichten keine Änderung der Bestimmung über die Ausübung des Widerrufsrechts erlauben. Jedenfalls im Umfang zwingender Belastungen – konkret der auf allfällige Ausschüttungen abzuführenden Kapitalertragssteuer von 27,5 % – liege bereits ein Vermögensopfer vor. Die Ausführungen zur Höhe des Klagebegehrens seien unschlüssig, die Berechnungen der Klägerin nicht nachvollziehbar. Die Klägerin müsse sich jedenfalls den Wert ihrer eigenen Begünstigtenstellung, die eine sukzessive Pflichtteilsdeckung sicherstelle, anrechnen lassen. Auf dieser Grundlage könne das Klagebegehren höchstens mit rund 5,7 Mio EUR zu Recht bestehen.
[13] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Zahlungshauptbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Aufgrund des umfassenden Änderungsvorbehalts hätte der Erblasser auch die Bestimmung über die gemeinsame Ausübung des Widerrufsrechts abändern können. Dem Erblasser wären auf Grundlage der von ihm veranlassten Änderungen der Stiftungsurkunde Ausschüttungen unter Aufbrauch der Substanz möglich gewesen. Steuerliche Aspekte stünden der Erbringung des Vermögensopfers dem Grunde nach nicht entgegen.
[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es wies mit Teilurteil das Hauptzahlungsbegehren unbekämpft ab und sprach mit im Revisionsverfahren allein bekämpftem Zwischenurteil aus, dass das eine Exekutionsbeschränkung enthaltende Eventualbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Klagebegehren sei hinreichend schlüssig, das Erstgericht habe auch alle zum Grund des Anspruchs gehörenden Fragen geklärt und daher zu Recht ein Zwischenurteil gefällt. Den Einwand fehlender Passivlegitimation habe die Beklagte in erster Instanz nicht erhoben. Die Erbringung des Vermögensopfers erforderte die endgültige Aufgabe der Substanz. Der umfassende, nicht eingeschränkte Änderungsvorbehalt des Erblassers stehe der Erbringung des Vermögensopfers durch den Erblasser entgegen. Der Änderungsvorbehalt beziehe sich auch auf den Modus im Zusammenhang mit dem Widerruf der Stiftung. Der ältere Sohn habe diesem uneingeschränkten Änderungsrecht zugestimmt. Der Erblasser habe auch die Möglichkeit gehabt, Zuwendungen an sich selbst als Begünstigten und Ausschüttungen auch aus der Veräußerung von Vermögenswerten der Stiftung vornehmen zu lassen.
[15] Die Beklagte hafte als Geschenknehmerin aber nur mit dem Wert der geschenkten Sachen. Dass die im Eventualbegehren angeführten Sachen bei der Beklagten nicht mehr vorhanden wären, sei nicht behauptet worden.
[16] Die Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, wann bei einem umfassenden Änderungsrecht eines (Mit‑)Stifters das Vermögensopfer nach neuer Rechtslage als wirklich gemacht anzusehen sei.
[17] Gegen das Zwischenurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, auch das Eventualbegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[18] Die Klägerin beantragt, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[19] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
[20] Die Beklagte argumentiert, dass das Vermögensopfer bereits mit den Vermögenswidmungen und damit außerhalb der relevanten Zweijahresfrist erbracht worden sei. Der Erblasser habe den Rückerwerb des geschenkten bzw gewidmeten Vermögens nicht selbständig veranlassen können, weil er die Privatstiftung nur gemeinsam mit dem älteren Sohn widerrufen hätte können. Das umfassende Änderungsrecht ermögliche es dem Erblasser nicht, die Bestimmungen über die Ausübung des Widerrufsrechts alleine abzuändern. Dabei sei auch die Treuepflicht des Erblassers gegenüber seinem Mitstifter zu berücksichtigen. Da auch ein umfassendes Änderungsrecht keine widerrufsgleichen Handlungen ermögliche, müsse das Vermögensopfer wenigstens teilweise erbracht worden sein, was der Fällung eines Zwischenurteils vor Klärung dieser Frage entgegenstehe. Da der Erblasser der Beklagten niemals Stückaktien der AG zugewendet habe, könne das Eventualbegehren insoweit jedenfalls nicht zu Recht bestehen.
Dazu hat der Fachsenat erwogen:
[21] 1. Nach der hier gemäß § 1503 Abs 7 Z 2 ABGB anzuwendenden Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 gilt als Schenkung im Sinn des § 781 Abs 1 ABGB ausdrücklich auch die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung (§ 781 Abs 2 Z 4 ABGB). Damit unterliegen Zuwendungen des Erblassers an die Privatstiftung – sei es bei Gründung oder im Weg der Nachstiftung (vgl Müller in Müller/Melzer, Stiftungsmanagement2 [2022] Rz 100) – jedenfalls der Hinzurechnung.
[22] Vor dem ErbRÄG 2015 fehlte eine vergleichbare ausdrückliche Regelung. Ungeachtet dessen sah die Judikatur Zuwendungen an Privatstiftungen auch dann als Schenkungen im Sinn des § 785 ABGB aF an, wenn die Zuwendung zugleich mit dem einmaligen Stiftungsakt erfolgt (10 Ob 45/07a mwN).
[23] Da die Privatstiftung als juristische Person nicht pflichtteilsberechtigt sein kann (2 Ob 98/17a Punkt B.2.1. mwN), spielt die Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB (bzw § 785 Abs 3 Satz 2 ABGB aF) eine entscheidende Rolle.
[24] 2. Zur Frage des Beginns dieser Zweijahresfrist im Zusammenhang mit der Dotierung einer Privatstiftung nahm der Oberste Gerichtshof zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 in zwei Entscheidungen Stellung:
[25] 2.1. In der Entscheidung 10 Ob 45/07a widmete der Erblasser der (unter anderem) beklagten Privatstiftung Vermögen. Der Erblasser als alleiniger Stifter behielt sich in der Stiftungsurkunde einerseits das Recht zu „jeglicher Änderung der Stiftungserklärung sowie der Stiftungszusatzurkunde“ und andererseits den Widerruf der Stiftung vor. Zu Letztbegünstigten waren die Rechtsnachfolger der Begünstigten bestimmt, der Erblasser wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Stiftungsvorstand zum alleinigen Begünstigten bestimmt, die Ehefrau und die Söhne erhielten Anwartschaftsrechte auf Zuwendungen aus der Stiftung. Der Oberste Gerichtshof ging nach Darstellung des Meinungsstands in der Literatur davon aus, dass in der zu beurteilenden Fallkonstellation – also bei Kombination eines Widerrufsvorbehalts mit einem umfassenden Änderungsvorbehalt – dem Stifter noch so wesentliche Einflussmöglichkeiten auf das Stiftungsvermögen verbleiben, dass das von § 785 ABGB aF geforderte Vermögensopfer noch nicht als erbracht anzusehen ist und die Zweijahresfrist daher erst mit dem Tod des Erblassers zu laufen beginnt. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Lehrmeinungen zur Frage, ob nicht nur ein Widerrufsvorbehalt allein, sondern auch ein umfassender Änderungsvorbehalt für sich genommen der Erbringung des Vermögensopfers entgegensteht, konnte vor diesem Hintergrund unterbleiben.
[26] 2.2. In der Entscheidung 2 Ob 98/17a hatte der Fachsenat Vermögenswidmungen an eine vom 2010 verstorbenen Erblasser gemeinsam mit seinem Sohn errichtete Privatstiftung zu beurteilen. In der Stiftungsurkunde war kein Widerrufsrecht vorgesehen, sie enthielt allerdings einen Änderungsvorbehalt dahin, dass die Stiftungserklärung, die Stiftungsurkunde und allfällige Stiftungszusatzurkunden durch den Erblasser alleine geändert werden konnten. Im Jahr 2005 kam es nach einem „Rollentausch“ zwischen dem Erblasser und seinem Sohn dazu, dass das Änderungsrecht nur mehr vom Erblasser gemeinsam mit dem Sohn ausgeübt werden konnte. Änderungen der Stiftungserklärung, die eine Erhöhung von (betragsmäßig konkret gedeckelten) Ausschüttungen an Begünstigte zum Gegenstand haben, bedurften der Zustimmung des Vorstands. Bei dieser Sachlage führte der Senat aus:
[27] Ob die Schenkung innerhalb der Zweijahresfrist gemacht worden sei, richte sich nach dem Zeitpunkt des Vermögensopfers. Dieses sei jedenfalls dann nicht erbracht, wenn der Geschenkgeber die Schenkung rückgängig machen könne, was im Fall einer Privatstiftung bei einem Widerrufsrecht zutreffe. Dem sei im Hinblick auf Liegenschaften die Vereinbarung eines Fruchtgenussrechts gleichzuhalten. Nach einem Teil der Literatur solle dem Widerrufsrecht ein weitreichendes Änderungsrecht gleichzuhalten sein, das es dem Stifter faktisch ermögliche, auf das gestiftete oder in die Stiftung eingebrachte Vermögen zuzugreifen. In diesem Zusammenhang sei allerdings zu beachten, dass bloße (also nicht mit einem Widerrufsvorbehalt verbundene) Änderungsrechte nach der jüngeren Rechtsprechung keine widerrufsgleiche Wirkung haben könnten. Bloße Änderungsrechte könnten daher dem Eintritt des Vermögensopfers nicht mehr entgegenstehen, wohl aber Änderungsrechte, die einem Dritten eingeräumt würden, dem Berechtigten den Zugriff auf die Sache und wohl auch einen Teil der Substanz ermöglichten, worin eine Zuwendung an den Änderungsberechtigten liegen könne.
[28] Im vorliegenden Fall habe sich der Erblasser weder ein Widerrufsrecht noch – soweit das überhaupt relevant sein sollte – ein umfassendes Nutzungsrecht vorbehalten. Inwieweit sein zunächst bestehendes Änderungsrecht der Annahme eines Vermögensopfers entgegengestanden sei, könne offen bleiben. Da der Erblasser seit dem Jahr 2005 das Änderungsrecht nur mehr im Einvernehmen mit dem Sohn ausüben habe könne, habe er jedenfalls nicht mehr allein auf das Stiftungsvermögen oder die Erträge zugreifen können, womit das Vermögensopfer jedenfalls erbracht sei.
[29] Diese Entscheidung wurde in der Literatur im hier dargestellten Umfang überwiegend kritisch aufgenommen (siehe dazu sogleich Punkt 5.).
[30] 3. Zur hier anzuwendenden Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 liegt noch keine Judikatur zur im Zentrum des Revisionsverfahrens stehenden Frage vor, ob (auch) ein umfassender Änderungsvorbehalt der Erbringung des Vermögensopfers entgegensteht.
[31] 3.1. Nach § 782 Abs 1 ABGB sind Schenkungen, die der Erblasser in den beiden letzten Jahren vor seinem Tod an Personen, die nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören, wirklich gemacht hat, auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten hinzuzurechnen.
[32] 3.2. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 34) soll es für den Beginn des Fristenlaufs in Anlehnung an die Vermögensopfertheorie darauf ankommen, wann die Schenkung wirklich gemacht wurde, also der Verstorbene das Vermögensopfer in Bezug auf die Zuwendung endgültig erbracht hat. Insbesondere der Widerruf der Privatstiftung, wenn der Stifter Letztbegünstigter ist, sowie „andere Stifterrechte, die zum Rückerwerb verwendet werden können“, führten dazu, dass das Vermögensopfer noch nicht erbracht worden sei. Bei Zuwendungen an eine Privatstiftung beginne die Frist nicht zu laufen, solange sich der Verstorbene als Stifter ein Widerrufsrecht „oder sonstige umfassende Änderungen“ vorbehalten habe, weil in diesem Fall das Vermögensopfer noch nicht endgültig erbracht worden sei.
[33] 4. Die Kombination von umfassendem Änderungs‑ und Widerrufsrecht verhindert ebenso unstrittig die Erbringung des Vermögensopfers wie der Vorbehalt eines vom Erblasser alleine auszuübenden Widerrufsrechts, wenn dieser selbst Letztbegünstigter ist (vgl dazu etwa Umlauft, Anrechnung2 159 mwN).
[34] 5. In der Literatur wird darüber hinaus – soweit ersichtlich – fast einhellig vertreten, dass auch ein vom Erblasser alleine auszuübender umfassender Änderungsvorbehalt der Erbringung des Vermögensopfers entgegensteht (idS etwa Musger in KBB7 Nach § 788 ABGB Rz 7; Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 ABGB Rz 29; Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 782 Rz 3 mwN; Oberhumer in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht² Rz 15.8.; so bereits zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 zB Schauer, OGH: Schutz der Pflichtteilsberechtigten gegenüber Privatstiftung, JEV 2007, 90 oder Welser, Widerrufsrecht, unbeschränktes Änderungsrecht und Schenkungsanrechnung bei der Privatstiftung, in FS Aicher [2012] 865).
[35] 5.1. Umlauft (Anrechnung² 161) weist darauf hin, dass ein widerrufsgleiches Änderungsrecht stiftungsrechtlich nicht zulässig sei. Darunter sei das Recht zu verstehen, die Stiftungserklärung so zu ändern, dass das Stiftungsvermögen, ohne dass ein Widerrufsrecht vorbehalten worden wäre, wieder in das Eigentum des Stifters (oder eines Dritten) fließe. Es sei also faktisch ein Widerrufsrecht, das via Änderungsrecht umgesetzt werden solle. Auch wenn ein solches Vorgehen unzulässig sei, sei es sehr wohl zulässig, durch ein vorbehaltenes Änderungsrecht den Großteil des gestifteten Vermögens an Begünstigte, zu denen auch der Stifter gehören könne, zuzuwenden. Wenn dies aber zulässig sei, werde bei einer solchen Konstellation das Vermögensopfer nicht als erbracht anzusehen sein. Wirtschaftlich betrachtet könnten nämlich sowohl das Widerrufsrecht wie auch das Änderungsrecht sehr ähnliche Ergebnisse erzielen.
[36] 5.2. Klampfl (Privatstiftung und Pflichtteilsrecht [2018] 207 f) führt aus, dass auch ein maßgebliches Änderungsrecht des Erblassers das Vermögensopfer verhindern könne. Entscheidend sei, ob der Stifter durch Ausübung des Änderungsrechts die Möglichkeit habe, das gewidmete Vermögen wiederzuerlangen. Diese Möglichkeit bestehe insbesondere dann, wenn das Änderungsrecht die Festlegung von Begünstigten und von Zuwendungen an diese zulasse. Vor diesem Hintergrund verhindere jedenfalls ein umfassendes – also inhaltlich unbeschränktes – Änderungsrecht das Vermögensopfer.
[37] Dieser Autor betont an anderer Stelle (Privatstiftung und Pflichtteilsrecht nach der Erbrechtsreform 2015, JEV 2015, 120 [125]), dass als in den Materialien erwähntes „sonstiges Recht“, das die Rückerlangung des gewidmeten Vermögens in durchsetzbarer Weise ermögliche, insbesondere ein entsprechend umfangreiches Änderungsrecht in Betracht komme. Zu beachten seien aber die stiftungsrechtlichen Gestaltungsgrenzen, insbesondere die Unzulässigkeit widerrufsgleicher Änderungen – es sei damit zu prüfen, inwieweit über ein zurückbehaltenes Änderungsrecht tatsächlich und zulässiger Weise das Vermögen wiedererlangt werden kann. Außerdem gelte das Vermögensopfer in der Höhe steuerlicher oder sonstiger zwingender Belastungen, die bei der Durchsetzung einer Rückerlangung anfallen würden, als sofort eingetreten, da insoweit eine Rückerlangung des gewidmeten Vermögens jedenfalls nicht möglich sei.
[38] An der Entscheidung 2 Ob 98/17a übt Klampfl in seiner Glosse (GesRZ 2018, 191 [198 ff]) teilweise Kritik. Bei einem Änderungsrecht sei stets konkret zu prüfen, ob und in welchem Umfang es dem Erblasser die Wiedererlangung des gewidmeten Vermögens ermögliche. In diesem Umfang werde der Eintritt eines Vermögensopfers nämlich entgegen den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs verhindert.
[39] 5.3. Foglar-Deinhardstein/Gruber (Querverbindungen zwischen Stiftungs-, Zivil- und Gesellschaftsrecht, PSR 2018/16) leiten aus den Gesetzesmaterialien ab, dass für die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 davon auszugehen sei, dass umfassende Änderungsrechte des Stifters die Erbringung des Vermögensopfers hinderten. Damit werde auch ein Gleichklang zur exekutionsrechtlichen Judikatur hergestellt, wonach die dem Stifter gegenüber der Stiftung zustehenden Gesamtrechte der Exekution nach §§ 331 ff EO unterliegen, wenn sich der Stifter das Recht auf Widerruf oder ein Änderungsrecht vorbehalten habe.
[40] 5.4. Nach Ansicht von Burger-Scheidlin (EAnm zu 2 Ob 98/17a, PSR 2018/20, 88 f) ist die Aussage, dass bei Vorbehalt des umfassenden und alleinigen Änderungsrechts das Vermögensopfer bereits erbracht sei, zu weit gegriffen. Wenn das vorbehaltene Änderungsrecht eine freie Änderung der Stiftungserklärung in allen Punkten ermögliche, eröffne das dem Stifter letztlich eine Verfügung über das der Stiftung gewidmete Vermögen, etwa indem er Stiftungszweck und Begünstigtenregelung ändere. Im Ergebnis könne er eine Auflösung der Stiftung durch vollkommene Auskehr des Stiftungsvermögens bewirken, wobei „natürlich“ darauf zu achten sei, dass die Änderungen nicht widerrufsähnlich sein dürften. Wenn das alleinige und umfassende Änderungsrecht nach der Judikatur pfändbar sei, müsse es eine vermögenswerte Rechtsstellung vermitteln.
[41] 5.5. Müller (in Müller/Melzer, Stiftungsmanagement², Rz 111) führt aus, dass ein umfassendes Änderungsrecht alleine dem Stifter weitreichende Einflussmöglichkeiten gebe, unter Umständen sogar mehr Rechte als ein reines Widerrufsrecht. Daher sei die Aussage in der Entscheidung 2 Ob 98/17a, wonach der Vorbehalt eines umfassenden Änderungsrechts dem Eintritt des Vermögensopfers wegen der Unzulässigkeit widerrufsgleicher Änderungen nicht entgegenstehe, kritisch zu betrachten.
[42] 5.6. Zöchling-Jud/Zollner (Privatstiftung und Pflichtteilsrecht – erste Überlegungen zum ErbRÄG 2015, in Artmann/Rüffler/Torggler, Gesellschaftsrecht und Erbrecht [2016], 41 [49 f]) betonen, dass ein vom Erblasser alleine auszuübender umfassender und uneingeschränkter Änderungsvorbehalt dem Eintritt des Vermögensopfers entgegenstehe. Ein solcher ermögliche es nämlich dem Stifter, sich selbst zum Begünstigten einzusetzen, Ausschüttungen an sich selbst verbindlich anzuordnen, auf die Dauer der Privatstiftung Einfluss zu nehmen und sich selbst zum Letztbegünstigten einzusetzen. Bei wertender Betrachtung eröffne ein solches Änderungsrecht damit weitreichendere Möglichkeiten als ein reines Widerrufsrecht. Dass dem „bloß“ änderungsberechtigten Stifter widerrufsgleiche Änderungen verboten seien, vermöge keine gegenteilige Beurteilung unter dem Blickwinkel der Vermögensopfertheorie zu rechtfertigen. Schließlich ließen sich mit beiden Rechten wirtschaftlich ähnliche Ergebnisse erzielen, was im Ergebnis bedeute, dass der Stifter sowohl durch die einmalige Ausübung des Widerrufsvorbehalts als auch durch die Inanspruchnahme des Änderungsrechts die finanziellen Folgen der Stiftungserrichtung zumindest weitgehend rückgängig machen könne. Dies spreche für eine pflichtteilsrechtliche Gleichbehandlung von vollumfänglichem Änderungsrecht und Widerrufsvorbehalt.
[43] 5.7. N. Arnold (PSG4 Einleitung Rz 23a) hält fest, dass der Aussage in der Entscheidung 2 Ob 98/17a, wonach ein bloßes Änderungsrecht dem Eintritt des Vermögensopfers nicht entgegenstehe, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden könne. Die Unzulässigkeit widerrufsgleicher Änderungen bei fehlendem Widerrufsvorbehalt bedeute nicht, dass das Vermögen über ein Änderungsrecht nicht schrittweise oder zumindest teilweise wieder rückerlangt werden könne. Dies könne durch Abänderung einer Versorgungsstiftung in eine Verbrauchsstiftung oder die Einsetzung des Änderungsberechtigten zum Begünstigten – allenfalls auch verknüpft mit einem Rechtsanspruch auf Zuwendungen – geschehen. Dass das Änderungsrecht gegenüber dem Widerrufsrecht hinsichtlich des gewidmeten Vermögens die schwächere Einflussposition in Bezug auf die Rückholungsmöglichkeiten darstelle, sei dadurch zu lösen, dass nicht der gesamte Vermögenswert zu berücksichtigen sei, sondern nur jener, der mit ausreichender Rechtssicherheit zurückgeholt werden könnte.
[44] 5.8. Zollner/Hartlieb (Stiftermehrheit und Pflichtteilsrecht, PSR 2020/12) kritisieren die Entscheidung 2 Ob 98/17a und verweisen darauf, dass durch (häufige) Änderungen die finanziellen Folgen der Stiftungserrichtung weitgehend rückgängig gemacht werden könnten und das Änderungsrecht im Vergleich zum Widerrufsrecht als das weitergehende Recht zu verstehen sei.
[45] 5.9. Zollner/Krebs (Zum Vermögensopfer bei der Ein-Stifter-Stiftung, PSR 2020/21) betonen, dass ein umfassendes Änderungsrecht es dem Stifter erlaube, die Stiftungserklärung in allen Angelegenheiten zu ändern, was auch den Stiftungszweck, die Begünstigten, die Letztbegünstigten sowie Höhe und Fälligkeit der Zuwendungen umfasse. Der dadurch eröffneten Möglichkeit, das gewidmete Vermögen nach eigenem Willen wiederzuerlangen, stehe das Verbot widerrufsgleicher Änderungen nicht entgegen, weil dieses die Änderung des Stiftungszwecks und das Tätigen maßgeblicher Zuwendungen an den Änderungsberechtigten als Begünstigten nicht hindere. Damit verhindere auch ein umfassendes und uneingeschränktes Änderungsrecht den Eintritt des Vermögensopfers. Das habe auch der Gesetzgeber erkannt und in den Materialien auf „andere Stifterrechte, die zum Rückerwerb verwendet werden können,“ hingewiesen. Bei wertender Gesamtbetrachtung sei das umfassende Änderungsrecht sogar weitreichender als ein reiner Widerrufsvorbehalt, weil es dem Stifter erlaube, sich jederzeit einen klagbaren Anspruch auf Zuwendung einzuräumen, wohingegen das reine Widerrufsrecht nur ermögliche, den Vermögensfluss nach den Vorgaben der Stiftungserklärung in Gang zu setzen.
[46] 5.10. Zollner (Neues zur Vermögensopfertheorie, PSR 2021/32) merkt an, dass ein inhaltlich unbeschränktes Änderungsrecht dem Stifter – anders als etwa bei einem Fruchtgenussrecht – ermögliche, die ursprüngliche Vermögenswidmung wieder rückgängig zu machen, also die Substanz wieder auszukehren. Wegen des Verbots widerrufsgleicher Änderungen sei es ihm aber nicht möglich, das gesamte ursprünglich gewidmete Vermögen uno actu wieder an sich selbst zurückzutransferieren.
[47] 5.11. Kletečka (Anrechnung auf den Pflichtteil nach dem ErbRÄG 2015, in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht [2015], 89 [100 f]) tritt hingegen dafür ein, dass ein (wenn auch umfassendes) Änderungsrecht des Stifters der Erbringung des Vermögensopfers nicht entgegenstehe. Der Gesetzgeber habe in den Materialien mit der Erwähnung des Vorbehalts „sonstiger umfassender Änderungen“ offenbar ein widerrufsgleiches Änderungsrecht vor Augen gehabt. Ein solches gebe es aber wegen des Verbots widerrufsgleicher Änderungen gar nicht. Vertrete man die Meinung, dass nicht nur ein Widerrufsrecht, sondern auch ein Änderungsrecht das Vermögensopfer verhindere, stelle sich die mit großer Rechtsunsicherheit verbundene Frage der Grenzziehung.
[48] 5.12. Hofmann (EAnm zu 2 Ob 98/17a, NZ 2018/64, 192) führt aus, dass der Oberste Gerichtshof den formalistischen Lehrmeinungen zuneigen dürfte, die einfache Änderungsrechte oder Einflussmöglichkeiten für den Aufschub des Vermögensopfers nicht genügen ließen. Letztlich habe das Höchstgericht die Frage aber nicht abschließend beantwortet. Die angedeutete formalistische Betrachtungsweise erscheine vertretbar, weil sie auch im Interesse des Pflichtteilsberechtigten liege, der dadurch seine Prozesschancen viel besser einschätzen könne.
[49] 6. Nach Ansicht des Senats steht ein umfassender, vom Erblasser alleine auszuübender Änderungsvorbehalt (hier: „in jedem Punkte“) der Erbringung des Vermögensopfers im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 entgegen:
[50] 6.1. Bei einem umfassenden, nicht eingeschränkten Änderungsvorbehalt in der Stiftungserklärung (§ 33 Abs 2 PSG) ist grundsätzlich jede Änderung der Stiftungsurkunde zulässig. Die Änderung der Stiftungserklärung ist im Gesetz nicht näher determiniert und kann daher auch in der Form ausgeübt werden, dass Auszahlungen an den Stifter angeordnet werden. Die Änderungsbefugnis des Stifters umfasst auch Änderungen des Stiftungszwecks, der Begünstigten und Letztbegünstigten, die Höhe und Fälligkeit von Zuwendungen, sodass sich der Stifter beim Änderungsrecht sogar einen klagbaren Anspruch auf die Leistung von Zuwendungen verschaffen kann (RS0120753). Der Änderungsvorbehalt dient damit der Wahrung der „verlängerten Eigentümerinteressen“. Bei Ausübung dieser Option gilt der Grundsatz der Eigentümerlosigkeit der Privatstiftung nicht (6 Ob 61/04w Punkt 2.).
[51] Eine Beschränkung bei der Ausübung vorbehaltener Änderungsrechte kann sich aus der (in gewissem Umfang bestehenden) Treuepflicht zwischen Mitstiftern ergeben (6 Ob 122/16h Punkt 2.). Eine weitere Grenze zieht die Rechtsprechung insofern, als ein Stifter, der sich den Widerruf der Privatstiftung nicht vorbehalten hat, diesen nicht durch Änderung der Stiftungserklärung nach Entstehen der Privatstiftung nachholen kann. Verboten sind also widerrufsgleiche Änderungen (6 Ob 237/15v Punkt 4.). Ob eine Änderung widerrufsgleich ist, ist je nach der Ausgestaltung im Einzelfall materiell zu beurteilen (N. Arnold, PSG4 § 33 Rz 45).
[52] Keine unzulässige widerrufsgleiche Änderung nahm der 6. Senat in einem Fall an, in dem die Ausübung des Änderungsrechts zur Gründung einer Substiftung führte, in die die wesentlichen Vermögensbestandteile der Stiftung (nämlich ein Schloss samt Park) eingebracht wurden, woraufhin der Vorstand der Privatstiftung deren Auflösung gemäß § 35 Abs 2 Z 2 PSG wegen Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks beschloss. Der Oberste Gerichtshof bewilligte die Eintragung dieses Auflösungsbeschlusses und wies darauf hin, dass keine Übertragung des Stiftungsvermögens an den Letztbegünstigten erfolgt sei, sondern die Errichtung einer Substiftung zu einer Fortdauer der Vermögensbindung (im Anlassfall ohne Vorbehalt eines Widerrufs) führe (6 Ob 237/15v). Die Errichtung einer Substiftung ist damit regelmäßig ebenso wenig als widerrufsgleich zu beurteilen wie die Anordnung der Verwendung auch der Vermögenssubstanz für Auszahlungen an Begünstigte (Welser in FS Aicher 877). Letztlich ermöglicht das umfassende Änderungsrecht sogar die Einräumung eines klagbaren Anspruchs auf Zuwendung (Zollner/Krebs, PSR 2020/21, 116 [120]; vgl auch Umlauft, Anrechnung² 161).
[53] 6.2. Auf Basis dieser Grundsätze überzeugt nach Ansicht des Senats die weit überwiegende Meinung in der Literatur, dass ein wie hier alle Punkte umfassender Änderungsvorbehalt die Erbringung des Vermögensopfers hindert. Zwar kann ein solches Änderungsrecht keine widerrufsgleichen Wirkungen erzeugen, allerdings darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass die Rechtsprechung insoweit enge Grenzen zieht (vgl oben Punkt 6.1.). Zu bedenken ist auch, dass im Anlassfall nicht nur der Erblasser, sondern auch der mitstiftende Sohn Vermögenswidmungen an die Privatstiftung vorgenommen hat, sodass auch bei gänzlicher Ausschüttung des dem vom Erblasser eingebrachten Vermögens entsprechenden Anteils keine widerrufsgleiche Wirkung erzielt würde. Entscheidend ist letztlich, dass der umfassende Änderungsvorbehalt Änderungen des Stiftungszwecks, der Begünstigten und Letztbegünstigten und der Höhe und Fälligkeit von Zuwendungen ermöglicht. Damit ist – wenn auch nicht uno actu – ein dem Widerruf wirtschaftlich annähernd gleichzuhaltendes Ergebnis erzielbar, was der Erbringung eines Vermögensopfers zur Gänze entgegensteht (vgl Umlauft, Anrechnung² 161). Der umfassende Änderungsvorbehalt als rechtliche Gestaltungsmöglichkeit (vgl zur Irrelevanz rein faktischer Einflussmöglichkeiten 2 Ob 98/17a Punkt B.2.2.) ist damit letztlich Ausdruck der „verlängerten Eigentümerinteressen“, also des Umstands, dass der Stifter seine Eigentümerstellung zu bewahren trachtet.
[54] Diese Ansicht wird durch die insoweit deutlichen Gesetzesmaterialien gestützt, die neben dem Widerruf auch ausdrücklich „andere Stifterrechte, die zum Rückerwerb verwendet werden können,“ nennen und vom Fehlen eines Vermögensopfers ausgehen, solange sich der Verstorbene als Stifter „sonstige umfassende Änderungen“ vorbehalten hat.
[55] Die in der Entscheidung 2 Ob 98/17a zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 und überdies nur obiter getätigte Aussage, wonach der Vorbehalt eines umfassenden Änderungsrechts für sich alleine die Erbringung des Vermögensopfers nicht hindern könne, wird im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 damit nicht aufrecht erhalten.
[56] 6.3. Die von der Beklagten ins Treffen geführte Treuepflicht (vgl dazu Klampfl, Privatstiftung und Pflichtteilsrecht 214; zur Ablehnung einer allgemeinen Treuepflicht zwischen Mitstiftern vgl N. Arnold, PSG4 § 3 Rz 54c) kann der Annahme, dass das Vermögensopfer im vorliegenden Fall zu Lebzeiten des Erblassers nicht erbracht wurde, nach Ansicht des Senats nicht entgegenstehen:
[57] Der ältere Sohn hat sich als Mitstifter von Beginn an einem ganz umfassenden, vom Erblasser zu dessen Lebzeiten alleine auszuübenden Änderungsrecht unterworfen. Nach dem Tod des Erblassers sollte das Änderungsrecht „im Sinne der Bestimmungen dieser Stiftungsurkunde“ dem Stiftungsvorstand zukommen. Ein Änderungsrecht des älteren Sohnes war damit gar nicht vorgesehen. Dem älteren Sohn kam auch keine rechtlich gesicherte Position auf eine Begünstigtenstellung (zu Lebzeiten des Erblassers) zu (vgl zu Fällen der Annahme einer Treuepflicht auch Kalss/Zollner, Ausübung und Änderung von Stifterrechten bei einer Stiftermehrheit, GesRZ 2006, 227 [233 f]). Schließlich legt die Klägerin ihrem Begehren auch nur jenen Anteil am Stiftungsvermögen zu Grunde, der den vom Erblasser der Privatstiftung gewidmeten Werten entspricht.
[58] 6.4. Insgesamt sind damit die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass das Vermögensopfer des Erblassers im vorliegenden Fall erst mit dessen Tod eingetreten ist und damit innerhalb der Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB erfolgte hinzuzurechnende Vermögensübertragungen im Sinn des § 781 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen. Ob es dem Erblasser aufgrund des umfassenden Änderungsrechts ohne Mitwirkung des älteren Sohnes möglich gewesen wäre, die Ausübungsmodalitäten des Widerrufsrechts zu ändern, kann dahingestellt bleiben.
6.5. Als Zwischenergebnis folgt:
[59] Ein umfassender, vom Erblasser alleine auszuübender Änderungsvorbehalt in allen Punkten steht der Erbringung des Vermögensopfers im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 zur Gänze entgegen.
7. Zu den restlichen Revisionsargumenten ist auszuführen:
[60] 7.1. Die Frage der Zulässigkeit eines Zwischenurteils ist grundsätzlich eine prozessuale Frage; ihre unrichtige Lösung bedeutet daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (RS0040918 [T10]). Zur Erlassung eines Zwischenurteils über den Grund des Anspruchs ist es aber auch erforderlich, dass alle rechtserzeugenden Tatsachen, aus denen der Anspruch abgeleitet wird, und alle Einwendungen, die seinen Bestand berühren, geklärt worden sind (RS0122728). Fehlt es insoweit an den entsprechenden Feststellungen, liegt ein Feststellungsmangel vor, der mit Rechtsrüge geltend zu machen ist (2 Ob 157/09s Punkt 7. mwN; RS0123877).
[61] Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit des Zwischenurteils bereits bejaht und damit eine diesbezügliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz verneint. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Dass die Pflichtteilsquote der Klägerin ein Sechstel beträgt und der Wert der der Klägerin zugekommenen Verlassenschaft zur Deckung der von ihr behaupteten Pflichtteilsansprüche bei Weitem nicht hinreicht, hat die Klägerin in erster Instanz vorgebracht. Die Beklagte ist diesen Ausführungen nicht einmal im Ansatz entgegengetreten, sondern in den von ihr angestellten Berechnungen selbst von einer Pflichtteilsquote der Klägerin von einem Sechstel und einem den behaupteten Pflichtteilsanspruch der Klägerin nicht einmal annähernd abdeckenden reinen Nachlass ausgegangen. Dass der behauptete Pflichtteilsanspruch der Klägerin zur Gänze durch Zuwendungen von Todes wegen oder Schenkungen gedeckt wäre, hat die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet. Dass die die Grundlage des Klagebegehrens bildenden Vermögenswidmungen zu Gunsten der Beklagten grundsätzlich einer Hinzurechnung nach § 781 Abs 2 Z 4 ABGB unterliegen, hat die Beklagte in erster Instanz ebenfalls nicht in Zweifel gezogen. Feststellungen zum Wert der hinzu- und anzurechnenden Verfügungen betreffen die Höhe des Anspruchs. Insgesamt gelingt es der Beklagten damit nicht, das Vorliegen von den Grund des Anspruchs betreffenden sekundären Feststellungsmängeln aufzuzeigen, sodass sie im Ergebnis lediglich einen bereits verneinten Verfahrensmangel erster Instanz rügt, was im Revisionsverfahren nicht mehr möglich ist.
[62] 7.2. Der erstmals in der Revision – und damit entgegen dem Neuerungsverbot – aufgestellten Behauptung, die Kinder als Vermächtnisnehmer hätten gemäß § 764 Abs 2 ABGB vorrangig zur Deckung des Pflichtteils der Klägerin beizutragen gehabt, ist entgegenzuhalten, dass die selbst pflichtteilsberechtigten Kinder jedenfalls keinen Beitrag unter Schmälerung ihres eigenen Pflichtteilsanspruchs zu leisten haben (Kogler in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 764 ABGB Rz 12 mwN).
[63] 7.3. Das Klagebegehren bei Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen gegen einen Geschenknehmer hat grundsätzlich auf Zahlung bei sonstiger Exekution in die (noch vorhandene) geschenkte Sache zu lauten (2 Ob 111/21v Rz 26 mwN). Die Klägerin hat in erster Instanz ausdrücklich vorgebracht, dass die im Eventualbegehren angeführten Liegenschaften nach wie vor im Eigentum der Beklagten stehen und die Stückaktien der AG an die Stelle der vom Erblasser der Beklagen gewidmeten Geschäftsanteile der GmbH getreten sind. Dem ist die Beklagte in erster Instanz nicht (substantiiert) entgegengetreten, sondern vielmehr selbst davon ausgegangen, dass das vom Erblasser gestiftete Vermögen aus den Liegenschaften und den Aktien besteht. Bei ihrer Argumentation, dass die Stückaktien nicht als vom Erblasser geschenkte Sache angesehen werden könnten, handelt es sich damit um eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung.
[64] 8. Insgesamt war damit der Revision nicht Folge zu geben.
[65] 9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO (vgl 3 Ob 206/23z Rz 27).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)