European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00104.24M.0925.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 597,52 EUR (darin enthalten 95,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
2. Der Revision der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung – einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Feststellungsbegehrens – insgesamt zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 985 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. Dezember 2022 binnen 14 Tagen zu zahlen.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 4.925 EUR sA sowie 4 % Zinsen aus 985 EUR vom 5. Jänner 2019 bis 27. Dezember 2022 zu zahlen, und es werde mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motortyp * des Audi A7, Fahrzeugidentifikationsnummer * zukünftig entstehe, wird abgewiesen.
3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.028,16 EUR (darin enthalten 319,67 EUR USt und 1.026 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
4. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 941,44 EUR (darin enthalten 174,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 402,86 EUR (darin enthalten 67,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
EntscheidungsgründeundBegründung:
[1] Der Kläger kaufte am 5. 1. 2019 von einem privaten Verkäufer einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A7 Sportback 3.0 TDI (Kilometerstand: 178.000 km) um 19.700 EUR. Das im August 2011 erstmals zum Verkehr zugelassene und nach Euro 5 akkreditierte Fahrzeug ist mit einem Turbodieselmotor der Baureihe EA896 Generation 2 ausgestattet, bei dem nur von + 17 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius Außentemperatur eine volle Abgasrückführung erfolgt („Thermofenster“).
[2] Ein von der Beklagten entwickeltes Software‑Update, nach dem ein Thermofenster von + 5 Grad Celsius bis + 38 Grad Celsius Außentemperatur vorliegen würde, wurde dem Kläger nicht angeboten. Hätte er im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gewusst, dass aufgrund der Ausgestaltung der Abgaseinrichtung die Gefahr besteht, dass die Typengenehmigung bzw die Zulassung des Fahrzeugs entzogen werden könnte, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Das Fahrzeug befindet sich nach wie vor in seinem Besitz und hat inzwischen einen Kilometerstand von 255.000 km.
[3] Die im Jahr 2011 von der luxemburgischen Société Nationale de Certification et d'Homologation (SNCH) erteilte EG‑Typgenehmigung des Fahrzeugs ist nach wie vor aufrecht.
[4] Der Kläger begehrt die Zahlung von 5.910 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftig aus der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehende Schäden. Im Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Er habe das Fahrzeug um 30 % zu teuer gekauft. Dieser zu viel gezahlte Kaufpreis gegenüber einem mangelfreien Fahrzeug bilde den Schaden. Der Schaden sei von der beklagten Herstellerin listig herbeigeführt worden und sie habe ihn vorsätzlich geschädigt. Sein Anspruch werde auch auf Schutzgesetzverletzung gestützt.
[5] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Die hier verbaute temperaturabhängige Abgasregelung sei vom deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) trotz detaillierter Kenntnisse darüber stets für zulässig erachtet worden. Ihr könne daher nicht einmal fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden, zumal sie – selbst bei Rechtswidrigkeit – einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen sei. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil die EG‑Typgenehmigung unverändert aufrecht sei. Dem Feststellungsbegehren fehle das Feststellungsinteresse.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Schadenersatzanspruch bestehe mangels Verschuldens der Beklagten nicht. Auch das Kraftfahrt‑Bundesamt habe über Jahre und selbst nach der bei Aufkommen des „Abgasskandals“ eigens eingeleiteten Prüfung der hier verbauten Abschalteinrichtung die Ansicht vertreten, dass diese normgerecht ausgeführt sei.
[7] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise ab. Es sprach dem Kläger den Ersatz von 985 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 1. 2019 (Tag des Kaufvertrags-abschlusses) zu und wies das Mehrbegehren ab. Rechtlich führte es aus, das Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO (EG) Nr 715/2007 zu qualifizieren. Selbst bei Vornahme des Software‑Updates wäre die ursprünglich bestehende unzulässige Abschalteinrichtung nicht beseitigt.
[8] Die Beklagte habe – was den maßgeblichen Zeitraum vor dem In‑Verkehr‑Bringen des Fahrzeugs betreffe – lediglich behauptet, es wäre auch bei Angabe der konkreten Parameter die Typgenehmigung zu erteilen gewesen, zumal im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nur eine Pflicht zur Beschreibung bestanden habe und keine Anforderungen an die Systemleistung definiert gewesen seien. Daraus sei nicht ersichtlich, worauf sich ihr schutzwürdiges Vertrauen gründen hätte können. Es sei daher von ihrem Verschulden an der vorgeworfenen Schutzgesetzverletzung auszugehen.
[9] Der konkrete Schaden des Klägers stehe nicht fest. Er habe innerhalb der von der Rechtsprechung angewendeten Bandbreite für den nach § 273 Abs 1 ZPO festgesetzten Minderwert Anspruch auf den Ersatz von 5 % des Kaufpreises. Er habe das Fahrzeug auch nach Aufdecken der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung behalten und weiter so verwendet, als würde das Problem nicht bestehen.
[10] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und erklärte nachträglich die ordentliche Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO doch für zulässig, weil es entgegen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung Verzugszinsen ab Abschluss des Kaufvertrags und nicht erst ab Geltendmachung durch die Klage zugesprochen habe.
[11] Erkennbar nur gegen den das Leistungsbegehren abweisenden Teil (4.925 EUR sA) des Urteils des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren auch insoweit stattzugeben.
[12] Gegen den dem Klagebegehren stattgebenden Teil des Urteils des Berufungsgerichts richtet sich dieRevision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehen auch insofern abzuweisen.
[13] Hilfsweise werden jeweils Aufhebungsanträge gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision des Klägers ist mangels Darlegung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
[15] Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch teilweise berechtigt.
I. Zur Revision des Klägers:
[16] 1. Mittlerweile besteht eine gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach der primär nach unionsrechtlichen Anforderungen zu bestimmende Ersatz des Minderwerts im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % bis 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen ist. Dabei kann auch ein von einer Partei angebotener Beweis (Sachverständigengutachten) übergangen werden (RS0134498). Bei Feststellbarkeit des Minderwerts des angekauften Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt ist jener zu ersetzen (RS0134498 [T6]). Ist dies – wie hier – nicht der Fall, ist auf die Ausmittlung nach § 273 Abs 1 ZPO in der Bandbreite von 5 % bis 15 % zurückzugreifen. Die vom Kläger allein beanstandete Vorgangsweise des Berufungsgerichts, das unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO den Minderwert mit 5 % des Kaufpreises festsetzte, ist daher durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt.
[17] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Beklagte wies auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hin und hat damit Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung.
II. Zur Revision der Beklagten:
[18] 1. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das Thermofenster, mit dem das Fahrzeug ausgestattet ist, eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 VO (EG) Nr 715/2007 ist, für das die beklagte Herstellerin einzustehen hat.
[19] Bestritten wird von der Beklagten im Revisionsverfahren der Beginn des Zinsenlaufs. Sie treffe auch kein Verschulden an der konkret verbauten Abschalteinrichtung (Thermofenster). Insofern liege eine Überraschungsentscheidung und damit ein Mangel des Berufungsverfahrens vor.
2. Zum Verzugszinsenbegehren des Klägers:
[20] 2.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird (auch) ein Schadenersatzanspruch wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 VO (EG) Nr 715/2007 erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch den Zugang einer Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können ([25. 4. 2023] 10 Ob 2/23a [Rz 44]; 6 Ob 150/22k [Rz 47]; 3 Ob 121/23z [Rz 31]; 6 Ob 133/23m [Rz 10]; 6 Ob 197/23y [Rz 27]; 9 Ob 18/24y [Rz 22]; 4 Ob 38/24b [Rz 16]). Das Berufungsgericht hat – wie es selbst erkannt hat – diese Rechtsprechung nicht beachtet und dem Kläger Verzugszinsen ab dem Tag des Kaufvertragsabschlusses und nicht (wie es richtig wäre) erst ab dem auf die Klagezustellung folgenden Tag zuerkannt.
[21] 2.2. Die Zustellung der Klage erfolgte am 27. 12. 2022, sodass dem Kläger Verzugszinsen ab dem 28. 12. 2022 zustehen. Dass er die Beklagte vor der Einbringung der Klage gemahnt hätte, behauptet er nicht.
[22] 2.3. Wenn der Kläger in der Revisionsbeantwortung für Schadenersatzansprüche, die er (auch) auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB stützt, den genannten Beginn des Verzugszinsenlaufs in Abrede stellt, weil dies „den natürlichen Rechtsgrundsätzen widerspricht“, zeigt er keine rechtlichen Argumente auf, die gegen die zu Punkt 2.1. angeführte Rechtsprechung sprechen.
[23] 3. Die von der Beklagten in Bezug auf die Verschuldensthematik behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
[24] 3.1. § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RS0122365 [T4]).
[25] 3.2. Den Schädiger (hier: die Beklagte) trifft die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]).
[26] 3.3. Der (nicht mit diesem Beweis belastete) Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren explizit zum Verschulden der Beklagten am Einbau des unzulässigen Thermofensters vorgebracht, namentlich genannten leitenden Angestellten vorgeworfen, bewusst die Entscheidung getroffen zu haben, die Abschalteinrichtung zu verbauen, und auch behauptet, gegenüber der Typengenehmigungsbehörde sei keine Offenlegung der Emissionsstrategie erfolgt. Dem Vorbringen der Beklagten zu deren fehlendem Verschulden hielt er insbesondere entgegen, diese habe keinen Beweis angeboten, dass im Zeitpunkt der Typgenehmigung die temperaturabhängige Abschalteinrichtung offengelegt worden wäre.
[27] Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren Vorbringen zu ihrem fehlenden Verschulden erstattet, das jedoch vom Berufungsgericht für nicht ausreichend konkret erachtet wurde, um ihr fahrlässiges Verhalten zu verneinen. Diese Beurteilung teilt die Beklagte in der Revision. Sie kann aber nicht erfolgreich verlangen, das Gericht zweiter Instanz hätte mit ihr unterlassenes Vorbringen zu ihrem fehlenden Verschulden erörtern müssen, worauf sie vorgebracht hätte, dass namentlich – allerdings wiederum – nicht genannte leitende Mitarbeiter aus technischen Gründen von der Zulässigkeit des Thermofensters ausgegangen seien. Wie dargelegt, bedurfte es keiner richterlichen Erörterung, wenn bereits der Kläger – wie hier – auf das Fehlen geeigneten Tatsachenvorbringens hingewiesen hat (RS0122365).
[28] 3.4. Die Beklagte behauptet auch einen entschuldbaren Rechtsirrtum, weil ihre unrichtige Rechtsansicht über die Zulässigkeit des Thermofensters vom Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) als „zuständiger Behörde“ bei Offenlegung aller Funktionen vor Erteilung der EG‑Typgenehmigung oder bei hypothetischer Einholung einer solchen Auskunft geteilt worden wäre (vgl dazu 10 Ob 27/23b [Rz 36]). Damit zeigt sie die erforderliche Relevanz der unterlassenen Erörterung nicht auf (vgl RS0037095 [T4, T6]), weil nach den Feststellungen die luxemburgische SNCH die EG‑Typgenehmigung erteilte und damit zuständig war und nicht das deutsche KBA. Mit derhypothetischen Rechtsansicht einer gar nicht zuständigen Behörde vermag die Beklagte jedenfalls keinen ihr Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum aufzuzeigen.
[29] 4. Der Revision der Beklagten ist daher nur betreffend den Beginn des Verzugszinsenlaufs Folge zu geben. In der Hauptsache hat es beim Zuspruch zu bleiben.
[30] 5. Die Entscheidung über die Kosten beruht (entsprechend der Begründung des Berufungsgerichts) im erstinstanzlichen Verfahren auf § 43 Abs 1 ZPO, im Berufungsverfahren in Verbindung mit § 50 ZPO.
[31] Im Revisionsverfahren beruht die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 2 erster Fall ZPO, § 54 Abs 2 JN in Verbindung mit § 50 ZPO. Nach der Rechtsprechung werden Zinsen für die Streitwerthöhe im Sinn des § 54 Abs 2 JN nicht berücksichtigt (vgl RS0042388). Zinsen haben daher auch für die Frage des Erfolgs eines Rechtsmittels keine Auswirkungen (9 ObA 49/09k; Schindler/Schmoliner in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 50 ZPO Rz 7). Die Beklagte hat – ungeachtet ihres Erfolgs im Zinsenpunkt – dem Kläger Kostenersatz für die Revisionsbeantwortung zu leisten.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)