OGH 9ObA97/23i

OGH9ObA97/23i19.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Ulrich Berger und Mag. Christof Pusswald, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch Haider|Obereder|Pilz Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, wegen Zustimmung zu einer Kündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. August 2023, GZ 7 Ra 6/23s-51, mit der der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 26. Juli 2022, GZ 22 Cga 21/19a‑48, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00097.23I.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, der klagenden Partei die Zustimmung zur Kündigung der beklagten Partei gemäß § 121 Z 3 ArbVG zu erteilen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.883,40 EUR (darin enthalten 313,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin beschäftigt rund 90 Arbeiter:innen und 90 Angestellte. Der Beklagte ist seit 1. 7. 1997 bei der Klägerin im 3 Schicht‑Modell vollzeitbeschäftigt. Er ist seit 20. 11. 2008 als (nicht freigestellter) Arbeiterbetriebsratsvorsitzender tätig.

[2] Die Klägerin begehrt mit der am 18. 7. 2019 eingebrachten Klage die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung des Beklagten. Sie bringt stark zusammengefasst vor, der Beklagte verletze seit Jahren – trotz mehrfacher Verwarnungen – beharrlich seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Bei der Betriebsratstätigkeit handle es sich um ein Ehrenamt. Lediglich für jene Obliegenheiten als Betriebsratsmitglied, welche zwingend während der Arbeitszeit erfüllt werden müssten, habe der Beklagte einen Anspruch auf Freistellung unter Fortzahlung des Entgelts. Neben früheren Vorfällen sei der Beklagte auch 2019 wiederholt seiner Arbeitspflicht unter Verweis auf betriebsrätliche Tätigkeit nicht nachgekommen und verwarnt worden. Zuletzt habe er am 29. 6. 2019 (Samstag) um 3:49 Uhr den Betriebsleiter per E‑Mail informiert, dass er am 1. 7. 2019 ab 13:00 Uhr „Betriebsratsstunden nehmen“ werde, da am 2. 7. 2019 in der Dauer von mindestens 8 Stunden eine Betriebsratssitzung stattfinde, welche eventuell am 3. 7. 2019 fortzusetzen sei. Der Beklagte habe dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt, obwohl der Betriebsleiter ihn ausdrücklich aufgefordert habe, ordnungsgemäß zur Arbeit zu erscheinen. Am 8. 7. 2019 sei der Beklagte der ihm zugewiesenen Schicht erneut mit der Begründung einer „betriebsrätlichen Pflichtenerfüllung“ ferngeblieben und habe nach Aufforderung eine Bestätigung über ein Beratungsgespräch bei der Gewerkschaft vorgelegt. Auch dieses sei nicht zwingend während der Arbeitszeit zu führen gewesen.

[3] Beim Beklagten seien 2018 861 gearbeiteten Stunden 692 Stunden Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeiten gegenüber gestanden, 2019 bis einschließlich 10. 7. bei 993 Sollstunden 454 Betriebsratsstunden. Dies könne nicht mehr mit einer gesetzeskonformen Betriebsratstätigkeit in Einklang gebracht werden, sondern stelle eine grundlegende Arbeitsverweigerung dar.

[4] Außerdem beschimpfe und beleidige der Beklagte mitunter Kolleg:innen und schüchtere diese auch ein. In diesem Zusammenhang sei er zuletzt am 18. 3. 2021 verwarnt worden. Schließlich habe der Beklagte gegenüber der Geschäftsleitung und auch Dritten den Vorwurf erhoben, seitens der Klägerin sei es zu Prämienmanipulationen und illegalen Machenschaften auf dem Rücken der Belegschaft gekommen. Dies habe sich zwischenzeitig als unrichtig und haltlos erwiesen.

[5] Die dargestellten Vorfälle veranschaulichten, dass der Beklagte – trotz zahlreicher Verwarnungen – seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkomme und dienstliche Anweisungen beharrlich missachte. Daher sei der Klägerin die Weiterbeschäftigung des Beklagten nicht zumutbar, weshalb die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung gemäß § 121 Z 3 ArbVG vorlägen.

[6] Eine Verfristung der Klage werde bestritten. Die Klägerin habe auf die zahlreichen Verfehlungen des Beklagten zuerst mit schriftlichen Verwarnungen und in der Folge mit Entgeltkürzungen reagiert; als der Zustand durch die Fortsetzung des renitenten Verhaltens des Beklagten untragbar geworden sei, habe sie sich unverzüglich entschlossen, die Klage auf Zustimmung zur Kündigung einzubringen.

[7] Der Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Er bringt zusammengefasst vor, aufgrund seiner umfangreichen Aufgaben als Vorsitzender des Betriebsrats der Arbeiter:innen sei es sehr oft unumgänglich, dass er Betriebsratstätigkeiten auch während der Arbeitszeit vornehme. Er sei nie unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben. Selbst wenn man von einer Verständigungspflicht ausgehe, habe der Beklagte die Klägerin jedenfalls nur „in groben Umrissen“ über den Grund und die voraussichtliche Dauer der Abwesenheit zu informieren gehabt. Ein Verstoß dagegen stelle maximal eine Ordnungswidrigkeit dar. Falls er tatsächlich seine Freizeitansprüche „überschritten“ habe, hätte dies lediglich eine Entgeltkürzung zur Folge. Am 29. 6. 2019 habe er den Betriebsleiter schriftlich über die für 2. 7. 2019 anberaumte Betriebsratssitzung informiert. Am 8. 7. 2019 habe er keine arbeitsvertragsrechtliche Verfehlung begangen, sondern eine dringend notwendige Betriebsratstätigkeit wahrgenommen. Insgesamt lägen daher die Voraussetzungen für eine Zustimmung zur Kündigung des Beklagten wegen beharrlicher Pflichtenverletzung nicht vor. Eine entsprechende Klage sei im Übrigen auch dann abzuweisen, wenn das Fehlverhalten des Betriebsratsmitglieds in Ausübung seines Mandats gesetzt worden und unter Abwägung der Umstände des Falls entschuldbar sei.

[8] Die Klage sei auch verspätet. Die letzte Verwarnung datiere vom 13. 6. 2019 und der letzte vorgebrachte Vorfall vom 8. 7. 2019. Bei der Zeitspanne von 10 Tagen bis zur Klagseinbringung könne nicht mehr von einer unverzüglichen Geltendmachung des Kündigungsrechts gesprochen werden. Dieses sei somit verwirkt. Aufgrund des Zuwartens mit der Klagserhebung sei auch nicht von einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beklagten auszugehen.

[9] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[10] Neben detaillierten Feststellungen zu früheren von der Klägerin angeführten Vorfällen, ging es hinsichtlich der Vorwürfe nach der letzten Ermahnung von folgendem Sachverhalt aus:

[11] Fünf Tage vor dem 17. 6. 2019 informierte der Beklagte den Betriebsleiter der Klägerin darüber, dass er sich vom 17. bis 19. 6. 2019 bei einer Schulungsveranstaltung befinden werde. Der Beklagte wurde aufgefordert, eine Teilnahmebestätigung und ein Seminarprogramm vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Beklagte am 18. 6. 2019 nach. Für die Teilnahme an dieser Veranstaltung bezahlte die Klägerin dem Beklagten kein Entgelt. In einem diesbezüglich vom Beklagten eingeleiteten Gerichtsverfahren, wurde ein Vergleich geschlossen.

[12] Am 2. 7. 2019 fand eine Betriebsratssitzung statt. Davon und von beanspruchten „Betriebsratsstunden“ am 1. 7. 2019 ab 13:00 Uhr informierte der Beklagte den Betriebsleiter erst am 29. 6. 2019. Die Dringlichkeit dieser Sitzung – und damit die Notwendigkeit, sie während der Arbeitszeit des Beklagten abzuhalten und sehr kurzfristig anzukündigen – steht nicht fest (Anm.: dislozierte Feststellung). Mit Schreiben vom 3. 7. 2019 teilte der Beklagte der Geschäftsführung der Klägerin mit, dass in der Betriebsratssitzung am 2. 7. 2019 festgestellt worden sei, dass die Vorgehensweise der Prämienberechnung der Klägerin rechtswidrig sei. Im Zusammenhang mit der Prämienberechnung der Klägerin sprach der Beklagte gegenüber Dritten von „illegalen Machenschaften“ und dem Verdacht eines strafbaren Verhaltens, unter anderem auch noch in einem E‑Mail vom 18. 12. 2019. Letztlich wurde in einer Sitzung von Betriebsrat und Geschäftsführung festgehalten, dass die Prämien korrekt sind.

[13] Am 8. 7. 2019 blieb der Beklagte der ihm zugewiesenen Schicht mit der Begründung einer betriebsrätlichen Pflichterfüllung fern. Über Aufforderung der Geschäftsführung legte er ein Schreiben der Gewerkschaft vor, wonach er wegen eines Beratungsgesprächs in G* anwesend gewesen sei. Welche Beratung der Beklagte bei diesem Termin in Anspruch nahm, kann nicht festgestellt werden.

[14] Der Beklagte zeigte gegenüber Arbeitskolleg:innen häufig in Ton- und Wortwahl ein Fehlverhalten. Im Jahr 2021 verhielt sich der Beklagte gegenüber dem Arbeitnehmer M* aggressiv am Arbeitsplatz.

[15] Im Jahr 2018 arbeitete der Beklagte als Betriebsschlosser 861 Stunden. Dem stehen 692 Stunden für Betriebsratstätigkeiten gegenüber. Im Jahr 2019 leistete der Beklagte bis einschließlich 10. 7. 2019 454 Betriebsrats-stunden und 451 Arbeitsstunden.

[16] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, dass dem Beklagten in den von der Klägerin beanstandeten Fällen der Nachweis nicht gelungen sei, dass die Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit nicht oder nur unverhältnismäßig erschwert möglich gewesen wären. Damit habe er trotz mehrfacher Verwarnungen die Grundsätze der Mandatsausübung und die ihn treffende Arbeitspflicht wiederholt missachtet. Dieses Verhalten machten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin unzumutbar. Schließlich sei er noch am 8. 7. 2019 der ihm zugewiesenen Schicht ferngeblieben. Eine Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden.

[17] Der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Grundsätzlich müsse der Betriebsinhaber „dem Grunde nach“ überprüfen können, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Freizeit zur Erfüllung der Betriebsratsobliegenheiten vorliegen und somit entsprechende Arbeitsfreistellungen zu Recht in Anspruch genommen werden. Über die Anordnung zu einer rechtzeitigen Information habe der Beklagte Bescheid gewusst. Darüber hinaus sei er mehrfach davon in Kenntnis gesetzt worden, dass er Betriebsratstätigkeiten grundsätzlich nicht während der Arbeitszeit verrichten dürfe und sich – falls er dies dennoch für erforderlich halte – unter Bekanntgabe des Grundes (in groben Umrissen) und der voraussichtlichen Dauer beim Betriebsleiter abzumelden habe. Eine damit verbundene nennenswerte Erschwerung seiner Betriebsratstätigkeit sei nicht ersichtlich. Der Beklagte sei generell der Ansicht gewesen, dem nicht nachkommen zu müssen und habe damit die ihm aufgrund des Arbeitsverhältnisses obliegenden Pflichten – insbesondere jene zur weisungsgemäß frühzeitigen Information der Klägerin über beabsichtigte Abwesenheiten und zur Erbringung der Arbeitsleistung in jenen Fällen, in denen er Freistellungen ohne nachvollziehbare Interessenabwägung in Anspruch genommen habe – beharrlich verletzt. Da sich der Beklagte bis zuletzt trotz mehrfacher Verwarnungen immer wieder weigere, die Klägerin über seine Abwesenheiten wegen betriebsrätlicher Tätigkeiten frühzeitig und ausreichend zu informieren, sei von einer beharrlichen schuldhaften Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten auszugehen.

[18] Auch der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds habe „unverzüglich“ zu erfolgen. Wenn die Klägerin ab dem Vorfall vom 8. 7. 2019 noch 10 Tage mit der Klagseinbringung zugewartet habe, sei zu berücksichtigen, dass die Willensbildung bei juristischen Personen – wie der Klägerin – umständlicher ist als bei physischen und dass sie dem Beklagten erkennbar noch die Möglichkeit gegeben habe, sein Fernbleiben von der Schicht am 8. 7. 2019 zu rechtfertigen. Der Klägerin sei angesichts der rechtlichen Komplexität des Sachverhalts auch zuzubilligen, juristischen Rat einzuholen. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des vorliegenden Falls sei mit dem Erstgericht davon auszugehen, dass die Klagseinbringung am 18. 7. 2019 rechtzeitig erfolgte.

[19] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zu den Fragen, inwieweit Mitglieder des Betriebsrats zulässigerweise angewiesen werden dürfen, Betriebsratstätigkeiten möglichst früh unter „grober“ Bekanntgabe des Grundes sowie der voraussichtlichen Dauer bekanntzugeben, ob Verstöße gegen eine solche Weisung nur „Ordnungswidrigkeiten“ darstellten, ob im Fall der in Ermangelung eines Freistellungsanspruchs gemäß § 116 ArbVG ungerechtfertigten Unterlassung der Arbeitsleistung als Sanktion lediglich eine Entgeltkürzung in Betracht komme und ob unter Bedachtnahme auf die Mandatsschutzklausel bereits der bloße Nachweis betriebsrätlicher Tätigkeiten während der Abwesenheit vom Arbeitsplatz einer (Zustimmung zur) Kündigung entgegenstehe, eine Klarstellung erforderlich erscheine.

[20] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[21] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[22] Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

[23] 1. Voranzustellen ist, dass – ausgehend vom Vorbringen der Klägerin – unmittelbarer Anlass für die Klagseinbringung der Vorfall vom 8. 7. 2019 (Montag) war. Die Klage langte am 18. 7. 2019 (Donnerstag) bei Gericht ein. Der Beklagte erhob den Einwand, dass die Klage verspätet sei, weil sie nicht unverzüglich nach Bekanntwerden des Kündigungs‑ oder Entlassungsgrundes erfolgt sei. Dazu brachte die Klägerin lediglich vor, dass auf die Verfehlungen des Beklagten zuerst mit schriftlichen Verwarnungen reagiert worden sei, in der Folge sei ihm das Entgelt gekürzt worden und als er sein Verhalten fortgesetzt habe, habe sich die Klägerin unverzüglich und sofort entschlossen, die Klage auf Zustimmung zur Kündigung einzubringen.

[24] Die Vorinstanzen gingen wie ausgeführt davon aus, dass die Klage fristgerecht erhoben wurde. Auch in der Revision hält der Beklagte seinen Einwand der verspäteten Geltendmachung aufrecht.

[25] 2. Gemäß § 120 Abs 1 ArbVG darf ein Mitglied des Betriebsrats bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit grundsätzlich nur nach vorheriger Zustimmung des Gerichts gekündigt oder entlassen werden. Sowohl die Klage des Betriebsinhabers auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds als auch jene auf Entlassung muss unverzüglich erfolgen, nachdem dem Arbeitgeber der Grund, der zur Kündigung oder Entlassung berechtigt, bekannt geworden ist (vgl 8 ObA 1/23i). Ob dem entsprochen wurde, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

[26] 3. Richtig hat das Berufungsgericht dazu die allgemeinen Grundsätze dargestellt: Bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist bei juristischen Personen darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung umständlicher ist als bei physischen Personen; es müssen solche Verzögerungen anerkannt werden, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RS0029328). Dem Dienstgeber muss eine Überlegungsfrist sowie die Möglichkeit zur Einholung einer Rechtsauskunft zugebilligt werden (RS0031587 [T5]).

[27] Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf generell nicht überspannt werden (RS0029273 [T16]; vgl RS0031587 [T1]). Dem Dienstgeber ist das Recht zuzubilligen, bei einem undurchsichtigen Sachverhalt bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem Kündigungsausspruch zuzuwarten (RS0029297 [T12]). Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Kündigungsrechts verhindern (RS0028987 [T2]).

[28] Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Es ist dabei auch den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen Rechnung zu tragen (RS0031789).

[29] 4. Im vorliegenden Fall sind zwischen dem Vorfall, der Anlass für die Klagsführung war, und der Klagseinbringung 10 Tage verstrichen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass mangels anderer Feststellungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte in diesem Zusammenhang seine Pflicht zur rechtzeitigen Information missachtet hätte. Eine (offenbar von der Klägerin geforderte) Bestätigung der Gewerkschaft datiert ebenfalls vom 8. 7. 2019.

[30] Dafür, warum die Klägerin mit der Klagseinbringung 10 Tage zugewartet hat, sind weder nach dem Vorbringen der Klägerin noch nach den Feststellungen ansatzweise Gründe ersichtlich.

[31] Wie ausgeführt ist es richtig, dass das Einholen von Rechtsauskünften oder komplexe Unternehmensstrukturen eine ausreichende Rechtfertigung für das Verstreichen eines solchen Zeitraums darstellen können. Das gilt aber nur dann, wenn sich diese Umstände im konkreten Einzelfall auch tatsächlich verwirklicht haben, wofür aber bei einem objektiv zu langem Zeitraum zwischen Bekanntwerden des Kündigungs-/Entlassungsgrundes und seiner Geltendmachung der Arbeitgeber behauptungs‑ und beweispflichtig ist.

[32] Macht der Arbeitgeber daher – wie hier die Klägerin – solche Gründe garnicht geltend, können sie nicht abstrakt zu seinen Gunsten gewertet werden. Insbesondere kündigte die Klägerin bereits in der letzten vorangehenden Ermahnung an: „Dies stellt zugleich die letztmalige Verwarnung dar und wird im Wiederholungsfalle wegen andauernder Pflichtverletzung das Kündigungs‑ oder Entlassungsverfahren gemäß ArbVG eingeleitet“, hatte also schon zu diesem Zeitpunkt entsprechende Überlegungen angestellt. Der Beklagte legte über Aufforderung eine entsprechende Bestätigung der Gewerkschaft vor. Ein aufklärungsbedürftiger Sachverhalt lag danach nicht mehr vor und die Klägerin legt auch in der Revisionsbeantwortung nicht dar, welche Entscheidungsgrundlagen ihr gefehlt hätten.

[33] Dessen ungeachtet wurde bei dem Vorfall vom 8. 7. 2019 auch nach Vorlage der Bestätigung der Gewerkschaft bis 18. 7. 2019 zugewartet. Der Beklagte musste aber nach über einer Woche und Entsprechung des Auftrags der Klägerin nicht mehr damit rechnen, dass die Klägerin seine Abwesenheit am 8. 7. 2019 noch zum Anlass für die Einleitung eines Kündigungsverfahrens nehmen wird.

[34] Irgendeine Rechtfertigung für das Zuwarten wurde – wie ausgeführt – nicht vorgebracht. Dem Beklagten ist daher darin zuzustimmen, dass von einer Verfristung des Anspruchs auf Zustimmung zur Kündigung gestützt auf den Vorfall vom 8. 7. 2019 auszugehen ist.

[35] 5. Während des Verfahrens hat die Klägerin zwar weiteres Vorbringen zum Verhalten des Beklagten gegenüber Kollegen geltend gemacht, dieses Verhalten nach eigenen Behauptungen aber nur zum Gegenstand einer weiteren Ermahnung gemacht.

[36] 6. Auf die Vorwürfe des Beklagten gegenüber der Geschäftsleitung in Zusammenhang mit den Prämien wurde die Kündigung ebenfalls nicht gestützt. Dieses Vorbringen wurde nur in Replik auf die Behauptung des Beklagten, dies sei das Motiv für die Kündigung, erstattet.

[37] 7. Da somit von einer Verfristung der Geltendmachung des Kündigungsgrundes auszugehen ist, war der Revision Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.

[38] 8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO.

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