OGH 8ObA1/23i

OGH8ObA1/23i25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner & Partner, Rechtsanwältinnen in Graz, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch die Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Zustimmung zur Entlassung, in eventu zur Kündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 2022, GZ 7 Ra 45/22z‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00001.23I.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 120 Abs 1 ArbVG darf ein Mitglied des Betriebsrats bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit nur nach vorheriger Zustimmung des Gerichts gekündigt oder entlassen werden.

[2] Nach § 121 Z 3 ArbVG darf das Gericht einer Kündigung unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 ArbVG nur zustimmen, wenn das Betriebsratsmitglied die ihm aufgrund des Arbeitsverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung aus Gründen der Arbeitsdisziplin nicht zugemutet werden kann.

[3] Unter „beharrlich“ ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Dienstverweigerung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verweigerung der Dienste beziehungsweise der Befolgung der Anordnung gerichteten Willens zu verstehen. Daher muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Angestellten mit Grund geschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0029746 zur vergleichbaren Bestimmung des § 27 Z 4 AngG).

[4] 2. Die Beklagte hat die Einhaltung der durch § 9 der 3. COVID-19-MV eingeführten 3G-Nachweispflicht am Arbeitsplatz verweigert. Damit durfte ihr ein Betreten des Arbeitsorts nicht mehr gestattet werden und war ihr die Erbringung der Arbeitsleistung nicht mehr möglich. Gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass sie damit den Kündigungsgrund des § 121 Z 3 ArbVG erfüllt hat, bestehen keine Bedenken.

[5] 3. Darauf, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz die 3G‑Nachweispflicht am Arbeitplatz nicht mehr bestand, kommt es nicht an. Das zur Kündigung berechtigende Verhalten des Arbeitnehmers nach § 121 Z 3 ArbVG muss im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht andauern, sondern das Fortsetzen des Arbeitsverhältnisses aus Gründen der Arbeitsdisziplin unzumutbar machen.

[6] Nachdem die Beklagte aufgrund ihrer Haltung für die Klägerin über mehrere Monate nicht einsetzbar war und aufgrund dieses Verhaltens auch in der Zukunft nicht damit gerechnet werden kann, dass sie bereit sein wird, im Fall neuerlicher pandemiebedingter Beschränkungen den rechtlichen Vorgaben zu entsprechen, ist diese Unzumutbarkeit jedenfalls zu bejahen.

[7] 4. Sowohl die Klage des Betriebsinhabers auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds als auch jene auf Entlassung muss unverzüglich erfolgen, nachdem dem Arbeitgeber der Grund, der zur Kündigung oder Entlassung berechtigt, bekannt geworden ist. Ob dem entsprochen wurde, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen

[8] In der Regel liegt kein (konkludenter) Verzicht auf die Geltendmachung von Kündigungs- oder Entlassungsgründen vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in unmissverständlicher Weise, zB durch eine Suspendierung, zeigt, dass er aus dem Verhalten des Arbeitnehmers Konsequenzen ziehen werde und eine Weiterbeschäftigung als unzumutbar ansieht (vgl 9 ObA 127/16s).

[9] 5. Im vorliegenden Fall wurde vom Berufungsgericht berücksichtigt, dass die Beklagte sofort suspendiert wurde, es sich um ein fortdauerndes Verhalten handelte, wobei der Klägerin ein Zeitraum zuzubilligen gewesen sei, der die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung dokumentiert, und der Beklagten auch eine Frist gesetzt wurde, ihr Verhalten zu ändern. Dass mit einer solchen Änderung auch bei Androhung einer sonstigen Beendigung des Dienstverhältnisses dies keinesfalls zu erwarten war, lässt sich aus den Feststellungen – entgegen der Revision – nicht ableiten. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klage davon ausgehend nicht verspätet erfolgte, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[10] 6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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