OGH 9ObA5/24m

OGH9ObA5/24m19.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Haider/Obereder/Pilz Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Universität *, vertreten durch Mag. Branco Jungwirth, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2023, GZ 9 Ra 73/23f‑22, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 21. März 2023, GZ 21 Cga 80/22w‑16, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00005.24M.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.450,40 EUR (darin enthalten 408,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist am 26. 3. 1969 geboren. Sie ist seit 17. 2. 2004 im Ausmaß von 20,4 Wochenstunden mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2.353,58 EUR, 14 x jährlich, bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten (idF: KV) anzuwenden. Das Dienstverhältnis wurde von der Beklagten mit folgendem Schreiben vom 24. 5. 2022 aufgekündigt:

„Auflösung des Dienstverhältnisses

Sehr geehrte Frau P*!

Wir sehen uns leider dazu veranlasst, das zwischen Ihnen und der Universität * ab * 2004 eingegangene Dienstverhältnis unter Einhaltung der kollektivvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist zum 30. 9. 2022 aufzukündigen. Das Dienstverhältnis endet daher am 30. 9. 2022. Wir ersuchen Sie, Ihren offenen Resturlaub während der Kündigungsfrist zu konsumieren. Die aliquoten Sonderzahlungen werden mit der Endabrechnung ausbezahlt. Ihre Arbeitspapiere und die Endabrechnung erhalten Sie nach Beendigung des Dienstverhältnisses im Postweg übermittelt.

Im Sinne des § 105 ArbVG wurde der Betriebsrat von der Kündigung ordnungsgemäß verständigt.

Mit freundlichen Grüßen“

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis zur Beklagten über den 30. 9. 2022 hinaus aufrecht fortbestehe, in eventu, die mit Schreiben vom 24. 5. 2022 ausgesprochene Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses für rechtsunwirksam zu erklären. Sie bringt vor, sie unterliege dem besonderen Kündigungsschutz nach § 22 KV, wonach das Arbeitsverhältnis nur unter Angabe eines Grundes gekündigt werden dürfe. Da ein solcher im Kündigungsschreiben nicht genannt sei, sei die Kündigung rechtsunwirksam. Darüber hinaus sei sie auch sozialwidrig.

[3] Die Beklagte bestreitet. Sie wendet – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – ein, zwar müsse aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit die Kündigung der Klägerin begründet sein, das Unterbleiben der Nennung des Kündigungsgrundes im Kündigungsschreiben mache die Kündigung jedoch nicht per se rechtsunwirksam. § 21 KV normiere zwar ein Schriftlichkeitserfordernis für die Kündigung, nicht jedoch für die Angabe des Kündigungsgrundes. Es reiche aus, wenn der Kündigungsgrund spätestens im gerichtlichen Verfahren objektiviert werde.

[4] Das Erstgericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30. 9. 2022 hinaus aufrecht fortbesteht. Die Kündigung sei nur schriftlich zulässig und müsse der angegebene Kündigungsgrund iSd § 22 Abs 2 KV vorliegen. Daher führe die Nichtangabe des Grundes im Kündigungsschreiben zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dies stimme auch damit überein, dass der KV im Zuge der Ausgliederung der Universitäten entstanden sei und die Kollektivvertragsparteien offensichtlich ein Surrogat für den Kündigungsschutz der Vertragsbediensteten schaffen wollten.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen diese Entscheidung nicht Folge. Gemäß § 22 KV würden bestimmte ArbeitnehmerInnen, zu denen unstrittig auch die Klägerin zähle, einen erweiterten Kündigungsschutz genießen. Sie dürften nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden. Diese Gründe seien in § 22 Abs 2 KV (taxativ) aufgezählt. Die Kündigung bedürfe zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Für die §§ 21 und 22 KV sei das Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG 1948) vorbildhaft gewesen. Auch die Kündigungstatbestände in § 22 Abs 2 KV entsprächen im Wesentlichen denen des § 32 Abs 1 VBG 1948. Gemäß § 32 Abs 1 VBG 1948 könne der Dienstgeber ein Dienstverhältnis, das ununterbrochen ein Jahr gedauert hat, nur schriftlich und mit Angabe des Grundes kündigen. Eine entgegen § 32 VBG 1948 ausgesprochene Kündigung sei rechtsunwirksam. Der Schutzzweck der Angabe des Kündigungsgrundes liege darin, dass Kündigungsgründe, die in einer schriftlichen Kündigung nicht enthalten seien, nicht nachträglich zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden könnten. Ohne Schriftlichkeitsgebot könne diesem Schutzzweck schon wegen dessen mangelnden Beweiswerts nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Es treffe zwar zu, dass § 22 Abs 6 KV nicht auf dessen Abs 1 verweise, die Regelung in § 22 Abs 1 KV wäre aber ohne Sanktion sinnentleert. Damit sei die Kündigung der Klägerin mangels Angabe von Kündigungsgründen im Kündigungsschreiben rechtsunwirksam.

[6] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Auslegung des § 22 Abs 1 KV keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[7] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[10] 1. Auf das Dienstverhältnis ist unstrittig der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten (KV) anzuwenden.

[11] Gemäß § 21 Abs 1 KV kann ein auf unbestimmte Zeit eingegangenes Arbeitsverhältnis nach den folgenden Bestimmungen durch Kündigung aufgelöst werden. Die Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

[12] § 22 KV lautet auszugsweise wie folgt:

„Abs 1: ArbeitnehmerInnen, die seit 20 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, oder die das 45. Lebensjahr vollendet haben und seit 15 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, oder die das 50. Lebensjahr vollendet haben und seit zehn Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, dürfen nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden. (...)

Abs 2: Ein Grund, der die Universität zur Kündigung nach Abs 1 berechtigt liegt vor, wenn (…)

Abs 5: Weigert sich der/die ArbeitnehmerIn, den Verpflichtungen nach Abs 4 nachzukommen, kann das Arbeitsverhältnis von der Universität nach § 21 gekündigt werden.

Abs 6: Eine entgegen Abs 2 und Abs 5 ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam. (...)“

[13] 2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nicht nach §§ 914, 915 ABGB, sondern nach §§ 6, 7 ABGB auszulegen (RS0008807). In erster Linie ist bei der Auslegung der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Bei der Auslegung einer kollektivvertraglichen Norm darf den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RS0008897).

[14] 3. Ausgehend vom Wortlaut der relevanten Bestimmungen ergibt sich zunächst aus § 21 Abs 1 KV, dass jede Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedarf. § 22 Abs 1 KV sieht zusätzlich für bestimmte ArbeitnehmerInnen, zu denen unstrittig auch die Klägerin zählt, einen erweiterten Kündigungsschutz vor. Diese dürfen nur „mit Angabe eines Grundes“ gekündigt werden. In der Folge werden in Abs 2 die Gründe, die zu einer Kündigung berechtigen, taxativ (vgl Pfeil in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 § 22 KollV Rz 7) aufgezählt.

[15] Der KV verlangt daher im Rahmen des erweiterten Kündigungsschutzes nicht nur das Vorliegen eines Kündigungsgrundes, sondern ausdrücklich auch, dass die Kündigung nur unter Angabe des Grundes erfolgen darf. Richtig ist zwar, dass § 22 Abs  1 KV dafür nicht ausdrücklich die Schriftform vorsieht. Diese Bestimmung macht aber die Angabe des Kündigungsgrundes zum notwendigen Inhalt der Kündigung, die – wie ausgeführt – nach § 21 Abs 1 KV in jedem Fall schriftlich zu erfolgen hat. Entgegen der Revision ist dabei nicht zwischen (schriftlicher) Kündigungserklärung und (formloser) Begründung zu unterscheiden, vielmehr hat die (in jedem Fall) schriftlich zu erfolgende Kündigung auch eine Begründung durch Angabe des Kündigungsgrundes zu enthalten.

[16] 4. Insoweit entspricht diese Regelung § 32 Abs 1 VBG 1948, der vorsieht, dass die Kündigung schriftlich und mit Angabe eines Grundes zu erfolgen hat. Dass sich im VBG 1948 beide Voraussetzungen in derselben Bestimmung finden, im KV dagegen in unterschiedlichen Paragraphen ergibt sich aus der Regelungssystematik, ändert aber nichts am identen Inhalt beider Normen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Bestimmung des KV dem VBG 1948 nachgebildet wurde (so etwa: Pfeil in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 § 22 KollV Rz 2; derselbe in Reissner/Tinhofer, Das neue Universitätsarbeitsrecht, 172). Die im Wesentlichen übereinstimmende Regelung und der übereinstimmende Regelungszweck sprechen für eine gleichlautende Auslegung.

[17] 5. Daraus, dass der KV ausdrücklich die Angabe des Kündigungsgrundes, nicht nur dessen Vorliegen verlangt, lässt sich ableiten, dass es in den Fällen des erweiterten Kündigungsschutzes nicht nur darauf ankommt, dass ein Kündigungsgrund vorliegt, sondern der Dienstgeber den von ihm herangezogenen Kündigungsgrund auch dem Dienstnehmer mit der Kündigung bekanntzugeben hat. Sinn einer solchen Regelung kann aber nur sein, dass der Dienstgeber sich nicht nachträglich auf andere als die bekanntgegebenen Kündigungsgründe berufen kann. So hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt zu verschiedenen Gesetzen, die die (schriftliche) Angabe des Kündigungsgrundes fordern, ausgesprochen, dass der dem Gekündigten dienende Schutzzweck der notwendigen Angabe des Kündigungsgrundes in der schriftlichen Kündigung ist, dass andere als in der schriftlichen Kündigung geltend gemachten Kündigungsgründe nicht nachträglich zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden dürfen (RS0082181; vgl auch RS0031367).

[18] 6. Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung zum VBG 1948 durch die Formvorschrift des § 32 Abs 1 VBG 1948 („nur schriftlich mit Angabe des Grundes“) nicht Dritte geschützt werden, sondern lediglich der Gekündigte, der Klarheit darüber erhalten soll, welcher Sachverhalt als Kündigungsgrund in Wahrheit geltend gemacht wird. Die Formvorschrift steht daher einer nur am Empfängerhorizont orientierten Auslegung der Kündigung nicht entgegen (RS0053351). Ist zweifelhaft, welcher Kündigungsgrund vom Dienstgeber in Wahrheit geltend gemacht wurde, dann ist die Auflösungserklärung so zu verstehen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Geschäftszweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte (9 ObA 87/16h).

[19] Entgegen der Revision lässt sich daraus jedoch nicht die Gleichwertigkeit einer mündlichen Erklärung ableiten. Die Schriftform dient in der Regel nicht nur dem Übereilungsschutz, sondern auch der Beweissicherung (vgl 9 ObA 110/15i). Unabhängig von der Auslegung der Kündigungserklärung soll damit auch ermöglicht werden, deren Inhalt objektiv belegbar zu machen.

[20] Hat daher eine Kündigung begründet und schriftlich zu erfolgen, entspricht es dem Zweck der Regelung, dass die Angabe des Kündigungsgrundes als Teil der Kündigungserklärung schriftlich zu erfolgen hat und so den vom Dienstgeber herangezogenen Kündigungsgrund objektiv belegbar macht.

[21] 7. Soweit sich die Revision zur Bestätigung ihrer Rechtsauffassung auf Pfeil (in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht an Universitäten2 § 21 Rz 5) und Novak (in Universitätsrecht4 S 199) beruft, übergeht sie, dass sich diese Kommentierungen jeweils auf § 21 KV beziehen, also auf die allgemeine Regelung der Kündigung, die anders als § 22 Abs 1 KV keine Angabe eines Kündigungsgrundes verlangt.

[22] Richtig ist zwar, dass Pfeil (in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht an Universitäten2 § 22 Rz 7) zur Angabe des Kündigungsgrundes nach § 22 Abs 1 KV meint, „dessen Nichtnennung im Kündigungsschreiben bleibt aber wohl ohne Folgen“, diese Auffassung wird jedoch nicht näher begründet. Dagegen vertreten Löschnigg/Ogriseg/Ruß (Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zur Universität, zfhr 2014 1 [4]), das Wesen des erweiterten Kündigungsschutzes bestehe darin, dass die Kündigung nur mit Angabe eines Grundes und Vorliegen eines Kündigungsgrundes zulässig sei. Liege eine der beiden Voraussetzungen nicht vor, verfalle die Kündigung von vornherein der Rechtsunwirksamkeit (Nichtigkeit ex tunc).

[23] 8. Ist aber die Angabe des Kündigungsgrundes wie dargelegt Teil der notwendigerweise schriftlichen Kündigungserklärung, so ergibt sich bereits aus § 21 Abs 1 KV, dass ein Verstoß gegen diese Formvorschrift zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Dass daher § 22 Abs 6 KV, der inhaltliche und nicht formelle Mängel der Kündigung zum Gegenstand hat, nicht auf § 22 Abs 1 KV Bezug nimmt, ist aufgrund der Systematik der Regelung konsequent, ist aber für die Unwirksamkeit einer gegen § 22 Abs 1 iVm § 21 Abs 1 KV verstoßenden Kündigung ohne Bedeutung.

[24] 9. Die schriftliche Kündigung der Klägerin enthielt keine Angabe eines Kündigungsgrundes. Mangels Einhaltung der kollektivvertraglichen Formvorschrift ist die Kündigung daher unwirksam. Auf mündliche Erklärungen anlässlich der Kündigung kommt es nicht an. Feststellungen dazu waren daher nicht zu treffen.

[25] 10. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen der Klage zu Recht stattgegeben. Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[26] 11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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