European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00057.24T.0911.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Strafsache AZ 7 U 332/23m des Bezirksgerichts Leopoldstadt verletzt die dem Angeklagten nach Verkündung des Urteils mündlich erteilte Rechtsmittelbelehrung § 447 StPO iVm § 268 zweiter Satz StPO und § 84 Abs 2 erster Satz StPO.
Gründe:
[1] Mit in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 18. April 2024 (ON 16) wurde der – in der Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertretene (ON 16 S 1) – * P* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
[2] Im Anschluss an die Verkündung des Urteils erbat der Angeklagte nach prozessordnungskonformer Rechtsmittelbelehrung drei Tage Bedenkzeit (ON 16 S 3), worauf ihn die Richterin des Bezirksgerichts Leopoldstadtergänzend belehrte, dass ein allfälliges Rechtsmittel schriftlich, nämlich „postalisch, Einlaufkasten, mail“, bis längstens 22. April 2024, 24:00 Uhr, „zu erfolgen“ habe (ON 16 S 3 iVm ON 1.11).
[3] In seiner an das Bezirksgericht Leopoldstadt gerichteten E-Mail vom 22. April 2024 erklärte der Angeklagte, gegen das genannte Urteil „Einspruch“ zu erheben, weil die ihm zur Last gelegte Tat nicht bewiesen und ihn entlastendes Beweismaterial „nicht ordnungsgemäß angefordert“ worden sei (ON 21).
[4] Über diese als Anmeldung der Berufung gewertete (ON 23) Eingabe hat das Landesgericht für Strafsachen Wien (zu AZ 134 Bl 20/24w) noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die dem Angeklagten nach Verkündung des Urteils in der Hauptverhandlung am 18. April 2024 mündlich erteilte Rechtsmittelbelehrung mit dem Gesetz nicht in Einklang:
[6] Gemäß § 447 StPO iVm § 268 zweiter Satz StPO ist der Angeklagte zugleich mit der Verkündung des Urteils des Bezirksgerichts über die ihm dagegen zustehenden Rechtsmittel zu belehren. Diese Rechtsmittelbelehrung hatm – soweit hier von Relevanz – nicht nur die Aufklärung darüber zu umfassen, inwieweit die Möglichkeit der Urteilsbekämpfung besteht, sondern auch eine Belehrung über die dabei einzuhaltenden Fristen (RIS‑Justiz RS0124108) und Formerfordernisse (vgl RIS‑Justiz RS0132695; Danek/Mann, WK-StPO § 268 Rz 13).
[7] Das Rechtsmittel der Berufung gegen Urteile des Bezirksgerichts (§§ 463 f StPO) kann – vom Fall der mündlichen Anmeldung in der zum Urteil führenden Gerichtssitzung (§ 467 Abs 4 StPO) abgesehen – gemäß § 84 Abs 2 erster Satz StPO (mangels abweichender Regelung in § 466 Abs 1 StPO) nur schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) angemeldet (und ausgeführt [§ 467 Abs 1 StPO]) werden. Da E-Mails keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs darstellen (§ 6 ERV 2021), ist die Anmeldung der Berufung im bezirksgerichtlichen Verfahren per E-Mail unzulässig (dazu eingehend 14 Os 51/12z; RIS-Justiz RS0127859; Murschetz, WK-StPO § 84 Rz 12). Derartige Eingaben sind vielmehr prozessual unbeachtlich (RIS-Justiz RS0127859 [T3]).
[8] Indem die Richterin des Bezirksgerichts den Angeklagten – verfehlt – dahin belehrte, dass das Rechtsmittel gegen das Urteil (auch) per „mail“ erhoben werden könne, verstieß sie gegen § 447 StPO iVm § 268 zweiter Satz StPO und § 84 Abs 2 erster Satz StPO.
[9] Da die unrichtige Rechtsmittelbelehrung den Ablauf der dreitägigen Anmeldungsfrist nicht hinderte (RIS‑Justiz RS0096136 [T1]; Danek/Mann, WK-StPO § 268 Rz 15; Ratz, WK-StPO § 284 Rz 9; Kirchbacher, StPO15 § 268 Rz 4) hatte es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).
[10] Über die – bereits von der Generalprokuratur aufgezeigte – Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 364 StPO), wenn eine Fristversäumnis primär auf einen Fehler des Gerichts zurückzuführen ist (dazu RIS‑Justiz RS0101415), wurde der Verurteilte bereits anlässlich der Zustellung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes informiert.
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