European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00125.24M.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Spruch:
Die Akten werden dem Berufungsgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt die Herausgabe einer Gästehütte (3,0 m x 3,5 m in 11 cm starker Rundstammbauweise) und brachte vor, der beklagte Gesellschafter habe seinen als nicht protokollierter Einzelunternehmer geführten Gastronomiebetrieb mit Einbringungsvertrag vom 23. 3. 2018 als Sacheinlage in die klagende GmbH eingebracht. Die Gästehütte, bei der es sich um ein Superädifikat handle, sei Teil dieses Betriebs gewesen, das Eigentum daran sei daher auf die Klägerin übergegangen. Die Klägerin bewertete dieses Begehren mit 6.000 EUR.
[2] Weiters begehrt die Klägerin die Zahlung von 17.964,49 EUR sA. Dabei handle es sich um den Stand des bei der Klägerin geführten Verrechnungskontos des Beklagten, welcher sich aus fortlaufender Verrechnung von Zahlungen der Klägerin für den Beklagten (beispielsweise Einkommenssteuerzahlungen, Versicherungsprämien, Diesel etc) und Gutschriften zu Gunsten des Beklagten zusammensetze, die in keinem Zusammenhang mit der klagenden Gesellschaft stünden. Der Beklagte habe die Geschäftsführerin der Klägerin angewiesen, sich auch um seine finanziellen Angelegenheiten zu kümmern. Im Einvernehmen habe eine laufende Aufrechnung stattgefunden.
[3] Das Erstgericht gab beiden Klagebegehren statt.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige, weil das Herausgabebegehren deutlich unterbewertet worden sei, und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[5] Gegen dieses Urteil richtet sich die „außerordentliche Revision“ des Beklagten, die das Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorlegte.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die zur Entscheidung vorgelegten Akten sind an das Berufungsgericht zurückzustellen.
[7] 1. Eine gemeinsame Bewertung (des einheitlichen Streitgegenstands) genügt nur bei iSd § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnenden Begehren. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung (vgl RS0110872 [T8]) anzusehen (RS0122950). Bei selbständigen Begehren bedarf es aber – weil die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand zu beurteilen ist (§ 55 Abs 4 JN) – einer gesonderten Bewertung der nicht in einem Geldbetrag bestehenden Entscheidungsgegenstände (vgl 1 Ob 185/18i). Es kann sonst die für jeden selbständigen Streitgegenstand gesondert vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeit der Revision (RS0130936; RS0042642) nicht erfolgen.
[8] 2. Eine Zusammenrechnung kommt nach § 55 Abs 1 Z 1 JN nur in Frage, wenn die einzelnen Ansprüche – nach den Klagsangaben (RS0042741 [insbes T7]) – in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Das ist hier nicht der Fall.
[9] 2.1. Mehrere Ansprüche stehen im tatsächlichen Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766). Ein solcher Zusammenhang besteht zwischen den geltend gemachten Ansprüchen auf Herausgabe und Zahlung nicht.
[10] 2.2. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Dabei gilt das Kriterium, dass die Ansprüche miteinander im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037905; RS0037648). Auch ein solcher Zusammenhang ist zwischen den geltend gemachten Ansprüchen auf Herausgabe der Gästehütte, gestützt auf den Einbringungsvertrag vom 23. 3. 2018, und dem auf eine einvernehmliche laufende Verrechnung gestützten Zahlungsbegehren, die ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben können, nicht erkennbar.
[11] 3. Das Berufungsgericht wird daher die fehlende gesonderte Bewertung nur des Herausgabebegehrens nachzuholen haben.
[12] 4. Sollte das Berufungsgericht aussprechen, dass der Wert des Herausgabebegehrens zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt, wird es – allenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens, was seiner Beurteilung vorbehalten bleibt (vgl RS0109623 [T14]) – den als „außerordentliche Revision“ bezeichneten Schriftsatz der Kläger insoweit als Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu behandeln und darüber abzusprechen haben, ob der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision abgeändert (§ 508 Abs 3 ZPO) oder der Antrag gemeinsam mit der Revision insoweit zurückgewiesen wird (§ 508 Abs 4 ZPO).
[13] 5. Betreffend das Zahlungsbegehren richtet sich die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 3 ZPO, weil der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Eine Partei kann in einem solchen Fall nur gemäß § 508 Abs 1 ZPO einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist das ordentliche Rechtsmittel auszuführen.
[14] Das Berufungsgericht wird betreffend das Zahlungsbegehren – allenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens, was seiner Beurteilung vorbehalten bleibt (vgl RS0109623 [T14]) – den als „außerordentliche Revision“ bezeichneten Schriftsatz der Kläger insoweit als Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu behandeln und darüber abzusprechen haben, ob der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision abgeändert (§ 508 Abs 3 ZPO) oder der Antrag gemeinsam mit der Revision insoweit zurückgewiesen wird (§ 508 Abs 4 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)