OGH 11Os55/24h

OGH11Os55/24h17.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz sowie dieHofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Loibl LL.M., BSc als Schriftführer in der Strafsache gegen * N* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. März 2024, GZ 41 Hv 38/23s‑87, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00055.24H.0717.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen über den Verfall und die Einziehung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * N* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zeitraum vom 14. Juli 2020 bis zum 7. März 2021 in W* als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung von Suchtgifthandel in übergroßem Ausmaß vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er insgesamt zumindest 65.253 Gramm Heroin (28.058,79 Gramm Heroin-Base bei einem Reinheitsgehalt von rund 43 % Diacetylmorphin, sohin insgesamt das 9.352,93-fache der Grenzmenge) sowie 4.132 Gramm Kokain (2.479,2 Gramm Kokain‑Base bei einem angenommenen Reinheitsgehalt von 60 % Cocain, sohin das 165,28‑fache der Grenzmenge) im Auftrag des abgesondert verfolgten V* an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer übergab, wobei sein Vorsatz jeweils auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge des § 28b SMG umfasste und er zudem die Tat gewerbsmäßig beging und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden ist.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Verfahrensrüge behauptet zunächst – sinngemäß – eine Nichtigkeit bewirkende Verletzung des § 140 Abs 1 StPO zufolge Vorkommens der Ergebnisse der Überwachung der vom Beschwerdeführer über „Sky‑ECC‑Chats“ geführten verschlüsselten Kommunikation durch Verlesung in der Hauptverhandlung (ON 86 S 10).

[5] Wie der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses zu dem in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2024 gestellten Antrag des Angeklagten, die „Beweisverwertung der Berichterstattung des Bundeskriminalamts in ON 2.10 und ON 2.5 nicht zuzulassen“, entnommen werden kann (ON 77 S 13; vgl auch ON 86 S 2), ging das Schöffengericht bezüglich der Sachverhaltsgrundlage der angefochtenen prozessleitenden Verfügung – vom Rechtsmittelwerber aus Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO unbekämpft gelassen (vgl aber RIS-Justiz RS0118977; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40 f) – davon aus, dass „Ermittlungsbehörden anderer EU‑Staaten“ „einen Server sichergestellt und ausgewertet“ und die diesbezüglichen Ergebnisse „im Rechtshilfeweg in das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... Eingang gefunden“ haben. Demgemäß sei deren Verwertung als „sonstige Beweismittel“ „nicht unzulässig“.

[6] Dabei beruft sich das Erstgericht – zutreffend – auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS‑Justiz RS0119110 [insb T10]; 11 Os 142/23a [Rz 6], 15 Os 101/23a [Rz 9] ua), wonach es sich bei den von ausländischen Behörden übermittelten Kommunikationsdaten nicht um Ergebnisse einer nach dem fünften Abschnitt des achten Hauptstücks der StPO durchgeführten Ermittlungsmaßnahme handelt und diese Vorgangsweise, weil sich die StPO nur an österreichische und nicht auch an ausländische Strafverfolgungsorgane als Normadressaten wendet, keinem Beweisverwendungsverbot gemäß § 140 Abs 1 StPO unterliegt.

[7] Insoweit geht der – unter verschiedenen Gesichtspunkten weitwendig beleuchtete – Beschwerdeeinwand, die angesprochene Maßnahme hätte nach österreichischem Recht nicht gerichtlich bewilligt werden können bzw dürfen, von Vorneherein ins Leere (vgl zum Ganzen auch Pilnacek, Verwendung von Daten einer Kommunikation in einem österr Strafverfahren, die durch eine im Ausland angeordnete Überwachungsmaßnahme gewonnen wurden, ÖJZ 2023/722 f).

[8] Indem die Rüge aus Medieninformationen des Bundesministeriums für Inneres, der Kenntnis der Verwendung von „Krypto-Messengerdiensten“ durch Straftäter und dem grundsätzlichen Interesse an von anderen europäischen Ländern „abgeschöpften“ Daten ein „Zutun“ der österreichischen Polizei „zumindest in mittelbarer Form“ abzuleiten trachtet, argumentiert sie außerhalb der angesprochenen Anfechtungskategorie. Ebenso aus Z 3 des § 281 Abs 1 StPO unbeachtlich ist die aus einer von den vom Erstgericht der Beweisverwertung zugrundegelegten Tatsachenannahmen abweichenden Sachverhaltsbasis entwickelte Kritik (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 39).

[9] Zwar könnte ein Angeklagter durch eine auf die Sicherung eines fairen Verfahrens im Sinn des Art 6 MRK abzielende Antragstellung der – solcherart nicht unter ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion stehenden – Verwendung der ausländischen Ermittlungsergebnisse als Beweis im inländischen Strafverfahren entgegentreten (neuerlich RIS‑Justiz RS0119110).

[10] Die in Bezug auf die Abweisung des eingangs erwähnten, in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2024 gestellten Antrags (ON 77 S 13) ausgeführte Verfahrensrüge (Z 4) scheitert jedoch daran, dass am 1. März 2024 die Neudurchführung der Hauptverhandlung „wegen geänderter Senatszusammensetzung gemäß § 276a StPO“ beschlossen wurde (ON 86 S 2), in dieser jedoch ein entsprechendes Vorbringen nicht erstattet wurde (RIS‑Justiz RS0098869, RS0099049). Gleiches gilt auch, soweit der Beschwerdeführer die Nichterledigung der in der Hauptverhandlung am 7. Dezember 2023 begehrten Ladung und Vernehmungmehrerer Zeugen (vgl ON 57 S 4) behauptet.

 

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[12] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Urteil in Ansehung des Verfalls- und des Einziehungserkenntnisses jeweils eine zum Nachteil des Angeklagten wirkende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet:

[13] Das Erstgericht erklärte „gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB“ einen Betrag von 800.000 Euro für verfallen (US 2). Den wesentlichen Urteilsannahmen zufolge übernahm der Angeklagte im Tatzeitraum „jeweils nach entsprechender Anweisung“ Erlöse aus dem Suchtgifthandel „in Höhe von 881.685 € und übertrug zumindest 818.575 € an weitere, bislang unbekannte Mittäter“ (US 4) bzw „in der Höhe von insgesamt zumindest 800.000 € und gab davon nach Abzug der ihm zufließenden 'Provision' einen Großteil an Geldkuriere“ der Verbindung weiter (US 5).

[14] „Erlangt“ im Sinn des § 20 Abs 1 StGB sind jedoch nur solche Vermögenswerte, die der Täter in seine faktische und wirtschaftliche Verfügungsmacht bringt und die er wirtschaftlich ausnutzen kann (RIS‑Justiz RS0134603). Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Täter – wie hier – den Vermögenswert nur kurzzeitig innehat, weil er ihn vereinbarungsgemäß aufgrund der Mitverfügungsmacht von anderen Tatbeteiligten als bloßen Durchgangserwerb weiterzugeben hat (vgl 11 Os 127/23w [Rz 9]).

[15] Insofern entbehrt das Ersturteil einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage für den Ausspruch des Wertersatzverfalls (§ 20 Abs 3 StGB) in Bezug auf eine über die einbehaltenen – betragsmäßig überdies unbestimmt gebliebenen – „Provisionen“ hinausgehende Höhe.

[16] Das Einziehungserkenntnis wiederum determiniert mit der bloßen Bezugnahme auf das in den Entscheidungsgründen nicht näher dargestellte „sichergestellte Suchtgift“ (US 2) den Gegenstand der Einziehung nicht (RIS-Justiz RS0121298 [T9]).

[17] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war daher das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in den Aussprüchen über den Verfall und die Einziehung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§ 285e StPO) und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0130617, RS0119220).

[18] Die Entscheidung über die (nur) gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung des Angeklagten kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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