OGH 9Ob67/23b

OGH9Ob67/23b26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner-Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Walter Lenfeld ua, Rechtsanwälte in Landeck, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Dr. Gernot Amoser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 17.355 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Juli 2023, GZ 4 R 25/23i‑32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 3. November 2022, GZ 11 C 35/21w‑28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00067.23B.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.410,90 EUR (darin 235,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger kaufte vom beklagten Gebrauchtwagenhändler mit Kaufvertrag vom 31. 1. 2020 ein Fahrzeug der Marke Audi R 8 zu einem Kaufpreis von 46.500 EUR.

[2] Zufolge eines vom Beklagten zuvor durchgeführten „Fehler – Checks“ wusste er über einen Mangel am Getriebe Bescheid und wies den Kläger im Zuge des Verkaufsgesprächs auch darauf hin. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde für sämtliche Kategorien (mechanischer Zustand, Karosserie, Lack, Innenraum/Sonstiges und elektrische und elektronische Ausstattung) die Klasse 3 (entsprechend „genügend fahrbereit“) vereinbart. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde festgehalten, dass das Getriebe „sporadisch auf Neutral“ geht, das Fahrzeug aber in seinem Zustand 3 betriebs- und zulassungsfähig ist. Im Hinblick auf den Schaden am Getriebe erklärte sich der Beklagte zu einem Preisnachlass von etwa 3.000 bis 3.500 EUR bereit. Weder dem Kläger noch dem Beklagten war bei Vertragsabschluss bekannt, dass das Fahrzeug bereits zum damaligen Zeitpunkt aufgrund des Getriebemangels weder verkehrs- noch betriebssicher war und es – etwa bei Überholvorgängen – zu schweren Unfällen kommen kann.

[3] Die objektive Preisminderung am Fahrzeug beträgt 17.355 EUR. Der Kläger forderte den Beklagten im Februar 2020 zur Reparatur auf. Der Beklagte nahm keine Verbesserung vor.

[4] Der Kläger begehrte vom Beklagten den Klagsbetrag von 17.355 EUR aus den Titeln der Gewährleistung (Preisminderung – Reparaturkosten), des Schadenersatzes und eines gemeinsamen Irrtums (Vertragsanpassung).

[5] Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Soweit für das Revisionsverfahren relevant, stützte er sich darauf, dass dem Kaufvertrag aufgrund des gemeinsamen Irrtums über die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs die Geschäftsgrundlage entzogen sei. Es werde daher die Aufhebung des Kaufvertrags begehrt und dem Kläger die Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs angeboten.

[6] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab. Dem – grundsätzlich gerechtfertigten – Gewährleistungsanspruch des Klägers auf Preisminderung stehe entgegen, dass die Grundlage für den Kaufvertrag weggefallen sei, weil sich beide Parteien bei Kaufvertragsabschluss in einem gemeinschaftlichen wesentlichen Irrtum befanden. Da der Kläger das (faire) Angebot des Beklagten, den vollen Kaufpreis rückzuerstatten nicht angenommen habe, erweise sich sein Zahlungsbegehren als nicht berechtigt.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, erkannte die Klagsforderung mit 17.355 EUR als zu Recht bestehend an, wies die Gegenforderung (vorprozessuale Kosten) wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 17.355 EUR samt Zinsen. Dem Kläger stehe wegen des schon bei Kaufvertragsabschluss bestehenden schweren Mangels am Fahrzeug mangels Verbesserung durch den Beklagten als sekundärer Gewährleistungsbehelf gemäß § 932 Abs 4 ABGB der geltend gemachte Preisminderungsanspruch zu. Dass auch der Beklagte einem Irrtum über diesen Mangel unterlegen sei, sei unerheblich, weil Gewährleistungsansprüche und Irrtumsansprüche nebeneinander geltend gemacht werden könnten.

[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die aktive Geltendmachung des Gewährleistungsanspruchs durch eine Partei die prozessuale Einrede eines wesentlichen gemeinsamen Irrtums ausschließe.

[9] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt in seinerRevisionsbeantwortung, die Revision des Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision des Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

[12] Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob das Preisminderungsbegehren des Klägers abzuweisen ist, weil der Beklagte die Einrede eines gemeinsamen wesentlichen Irrtums über den Kaufgegenstand erhob und Vertragsaufhebung geltend machte. Dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug bereits zum Übergabezeitpunkt aufgrund des Getriebemangels weder verkehrs- noch betriebssicher war und dies einen Sachmangel im Sinne des § 922 ABGB darstellt, den der Beklagte trotz Aufforderung durch den Kläger nicht behoben hat und dieVerbesserungskosten (Preisminderung) 17.355 EUR betragen, wird vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen.

[13] 1.1. Nach den dem Gewährleistungsrecht zugrunde liegenden Wertvorstellungen soll der Übernehmer einer Sachegrundsätzlich das erhalten, was ihm vom Übergeber versprochen wurde, zielen doch die gesetzlichen Bestimmungen zum Gewährleistungsrecht darauf ab, die subjektive Äquivalenz der Leistungen der Vertragspartner in Fällen der Schlechterfüllung wiederherzustellen (RS0018636). Als primäre Gewährleistungsbehelfe stehen dem Übernehmer daher nach § 932 Abs 2 ABGB die Verbesserung und der Austausch der Sache zu. Kommt dies nicht in Betracht, bleibt die erhaltene Leistung also endgültig hinter dem Geschuldeten zurück, soll auch seine Verpflichtung entsprechend (relativ) reduziert werden (Preisminderung). In beiden Fällen bleiben die individuellen Wertvorstellungen (die subjektive Äquivalenz) voll gewahrt. Nur bei der Vertragsauflösung wird auf die Bewertungen der Parteien nicht mehr Rücksicht genommen, sondern der Vertrag „auf Null gestellt“, was zumindest die objektive Äquivalenz wahrt.

[14] 1.2. Liegt eine der Voraussetzungen des § 932 Abs 4 ABGB vor (hier: Verweigerung der Verbesserung durch den Beklagten), dann hat der Übernehmer die Wahl zwischen den sekundären Gewährleistungsbehelfen der Preisminderung und, sofern es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, auf Auflösung des Vertrags (nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage vor dem GRUG: Wandlung) (vgl P. Bydlinski in KBB7 § 932 Rz 20; Zöchling‑Jud in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 932 Rz 60). Beim Preisminderungsanspruch handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das bei erfolgreicher Geltendmachung den Vertrag nachträglich modifiziert, sodass der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis im Umfang der Preisminderung herabgesetzt wird. Das zu viel Gezahlte kann nach Bereicherungsrecht zurückgefordert werden (P. Bydlinski in KBB7 § 932 Rz 22; RS0018759 [T1]).

[15] 2. Richtig ist, dass die Regeln über die Gewährleistung einerseits und über die Irreführung andererseits nebeneinander bestehen (RS0014814) und es dem Übernehmer der mangelhaften Sache bei Vorliegen auch der Voraussetzungen des § 871 ABGB möglich ist, den Anspruch auf Vertragskorrektur nicht nur aus Gewährleistung abzuleiten sondern auch auf Irrtum zu stützen (vgl RS0016255, RS0016256). Während aber das Gewährleistungsrecht dem Käufer einen Ausgleich dafür schaffen soll, dass die Kaufsache nicht diejenigen Eigenschaften hat, die sie nach dem Vertrag haben soll (also auf dem Gedanken einer Störung der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung beruht), soll das Irrtumsrecht sicherstellen, dass niemand an einen Vertrag gebunden bleiben muss, den er unter dem Einfluss eines Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft geschlossen hat (3 Ob 520/94 [3 Ob 559/95] mwN).

[16] 3. Im vorliegenden Fall ficht jedoch der Verkäufer (der grundsätzlich Gewährleistungspflichtige) den Kaufvertrag wegen eines gemeinsamen wesentlichen Irrtums an.

[17] 3.1. Nach der – hier nicht näher zu erörternden – und von der Lehre kritisierten Rechtsprechung (jüngst Pletzer, Der OGH und der gemeinsame Irrtum in FS Lovrek, 601 ff mwN) bewirkt ein gemeinsamer wesentlicher Geschäftsirrtum die Unverbindlichkeit des Vertrags unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB (RS0016230 [T3]). Er setzt nur voraus, dass beide Parteien demselben Irrtum unterliegen (RS0016226). Geht man – in Übereinstimmung mit den Parteien – davon aus, dass im vorliegenden Fall beide Kaufvertragsparteien über die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs irrten, liegt ein gemeinsamer Irrtum vor. Fraglich ist nur, ob dieser vom Verkäufer einem gerichtlich geltend gemachten Preisminderungsanspruch des Käufers entgegen gehalten werden kann und insofern den Verkäufer zur Vertragsanfechtung berechtigt.

[18] 3.2. Es ist ebenfalls ständige Rechtsprechung, dass die irrtumsrechtliche Vertragsanfechtung gerichtlich geltend gemacht werden muss (RS0016253). Dies kann auch in der Form geschehen, dass der Irregeführte gegen die Leistungsklage des anderen Teils die Einrede der Ungültigkeit erhebt (RS0016253 [T9]; RS0098986). Aus prozessualer Sicht kann der Verkäufer gegen die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten im Fall der Anfechtung von Willensmängeln und der Wandlung verteidigungsweise echte Gestaltungsrechte geltend machen, die sich nicht nur gegen den einzelnen Anspruch, sondern gegen das gesamte zugrunde liegende Rechtsgeschäft richten (G. Kodek, Die Einrede im Zivilrecht, 307). Eine Auseinandersetzung mit den Wirkungen dieser Einrede (vgl dazu 6 Ob 186/21b Rz 100 mwN; 3 Ob 216/06w); G. Kodek, Die Einrede im Zivilrecht, 311 f) erübrigt sich hier, weil das Vorliegen eines gemeinsamen Irrtums – wie nachfolgend aufgezeigt wird – nichts an der Berechtigung des Klagebegehrens ändern kann.

[19] 4. Der Kläger hat hier sein ihm nach § 932 Abs 4 ABGB zustehendes Wahlrecht dahin ausgeübt, dass er klageweise Preisminderung geltend macht. Der Beklagte erhebt gegen diesen Klagsanspruch die (materielle, rechtsgestaltende) Einrede des gemeinsamen Irrtums. Er leitet daraus nicht die Vertragsanpassung ab (§ 872 ABGB), sondern begehrt die (ein aliud darstellende – siehe 2 Ob 67/14p Pkt 3 mwN –) gänzliche Vertragsaufhebung mit Wirkung ex tunc, um die Klageabweisung zu erreichen.

[20] 5. Die Ansicht des Berufungsgerichts, diese Einrede habe in der vorliegenden Konstellation unbeachtlich zu bleiben, ist zutreffend:

[21] 5.1. Da sich der zur Gewährleistung berechtigte Kläger seinen subjektiven Wertvorstellungen entsprechend dafür entschieden hat, das Fahrzeug zu behalten und einen Preisminderungsanspruch klageweise durchzusetzen, soll der Beklagte, der das Rechtsgeschäft nicht korrekt erfüllt hat, indem er entgegen seiner ausdrücklichen Zusage, ein genügend fahrbereites Fahrzeug entsprechend der Klasse 3 zu verkaufen, tatsächlich ein nicht betriebs- und verkehrssicheres Fahrzeug verkauft und auch die Verbesserung verweigert hat, dieses Recht des Klägers nicht mittels einredeweise geltend gemachter irrtumsrechtlicher Vertragsaufhebung zu Fall bringen können. Es soll ihm nicht offen stehen, sich auf diesem Weg von dem ihm nach § 932 Abs 4 ABGB zugewiesenen Risiko der Preisminderung zu entlasten und sich so seinen Gewährleistungspflichten zu entziehen.

[22] 5.2. In Fällen der Sachmängelgewährleistung bei Speziesschulden liegt nämlich typischerweise ein gemeinsamer Irrtum von Käufer und Verkäufer vor. Handelt es sich bei der Kaufsache um eine mangelhafte Speziesschuld, wird der Käufer in der Regel einem Irrtum über vertragsrelevante Eigenschaften unterliegen, andernfalls wäre die Gewährleistung gemäß § 928 ABGB ausgeschlossen. Ähnlich verhält es sich beim Verkäufer, denn hätte dieser vom Fehlen dieser vertragsrelevanten Eigenschaft gewusst, würde dies in aller Regel List begründen (Jud, Schadenersatz bei mangelhafter Leistung [2003] 66; unter Berufung auf Honsell, Aktuelle Probleme der Sachmängelhaftung, 205). Da also in Fällen der Sachmängelgewährleistung gewöhnlich ein gemeinsamer Irrtum vorliegt, könnte der Verkäufer mittels der Einrede des gemeinsamen Irrtums das Wahlrecht des zur Gewährleistung berechtigten Käufers umgehen. Dies würde zu dem systemwidrigen Ergebnis führen, dass dadurch der Verkäufer entscheiden könnte, wie er auf seine Schlechterfüllung gegenüber dem Käufer reagiert. Nach dem Gesetz soll aber, wie bereits oben erwähnt, gerade dem Käufer die Wahl offenstehen (Ofner in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 932 Rz 79; P. Bydlinski in Bydlinski/Perner/Spitzer, ABGB7 § 932 ABGB Rz 20; Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 932 ABGB Rz 394; vgl RS0128891). Nur mit diesem Ergebnis wird ein erheblicher Wertungswiderspruch beim Zusammentreffen zwischen den leistungsstörungsrechtlichen Bestimmungen und jenen der Anfechtung wegen Vorliegens eines gemeinsamen Irrtums vermieden. Auch nach Zöchling-Jud (in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 Vor §§ 922–933b ABGB Rz 13/1) kommt eine Anfechtung wegen gemeinsamen Irrtums durch den Verkäufer nicht in Betracht, weil sonst die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche des Käufers ausgehöhlt werden könnten.

[23] 5.3.  Kerschner (Probleme der Sachmängelhaftung. Oder: – Das ABGB ist tot – Es lebe das BGB! JBl 1989, 541 [542]) meint (insofern die These von Honsell einschränkend) – abgeleitet aus dem allgemeinen Irrtumsrecht –, dass der Verkäufer nicht gerade wegen Irrtums über jene Eigenschaft anfechten kann, deren Fehlen den Mangel begründet.

[24] 5.4. Auch ein Vergleich mit der schlichten anfänglichen Unmöglichkeit, bei deren Vorliegen der Vertrag dennoch als gültig zustandegekommen gilt (Kolmasch in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar6 § 878 ABGB Rz 3), bestätigt dieses Ergebnis: Vonkilch/Walch (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 871 ABGB Rz 214 unter Hinweis auf Reischauer, Zum Ersatz des Erfüllungsinteresses bei anfänglicher Unmöglichkeit – eine Replik, JBl 2022, 560 [567]) zeigen insofern zutreffend auf, dass es schon irrtumsrechtlich jeglicher Rechtfertigung entbehre, beispielsweise dem unbewusst eine mangelhafte Sache leistenden Schuldner deswegen eine Vertragsanfechtung zu gestatten (und damit den Gläubiger zugleich seiner leistungsstörungsrechtlichen Ansprüche zu berauben!), weil auch der Schuldner von der Mangelfreiheit der Sache ausgegangen sei. Hinzu komme, dass die Bejahung einer Irrtumsanfechtung in derartigen Konstellationen auch in massiven Widerspruch zu Normen des Leistungsstörungsrechts gerate, die, wie etwa § 1119 Alt 1 ABGB, für den Fall der anfänglich schlichten Unmöglichkeit – die in der Regel auch beiden Vertragsteilen nicht bekannt sein werde – definitive Vertragswirksamkeit offenkundig voraussetzen; dies explizit auch und gerade dann, wenn der Schuldner irrigerweise davon ausgegangen sei, ordnungsgemäß erfüllen zu können (der Gläubiger erwarte dies ohnedies regelmäßig).

[25] 6. Dass der Beklagte dem Kläger zugleich mit der Erhebung der Einrede der Vertragsanfechtung im Prozess angeboten hat, den Kaufpreis gegen Rückgabe des Fahrzeugs zurückzuerstatten, führt zu keiner anderen Beurteilung, hätte er andernfalls doch dem Kläger anbieten müssen, ihn vermögensmäßig so zu stellen, wie dieser nach erfolgreicher Geltendmachung des von ihm gewählten Preisminderungsanspruchs stünde. Erhebt der Beklagte aber – wie hier – die Einrede der Anfechtung zu dem Zweck, sich den ihn treffenden Gewährleistungspflichten zu entziehen, hat diese Einrede wirkungslos zu bleiben.

[26] 7. Dies ist auch nach der insofern vergleichbaren deutschen Rechtslage der Fall (Armbrüster in Münchner Kommentar zum BGB9 § 119 Rz 31; Westermann in Münchner Kommentar zum BGB8 § 437 Rz 56, wonach der Verkäufer durch seine irrtumsrechtliche Anfechtung nicht die gegen ihn gerichteten Gewährleistungsansprüchen zu Fall bringen dürfe; Berger in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch19 § 437 Rz 32; Heinrich/Dörner in Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch12 § 119 Rz 2 ua).

[27] 8. Auch nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs ist es dem Verkäufer – allerdings nach dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs – verwehrt, vom Anfechtungsrecht Gebrauch zu machen, wenn die Folge wäre, dass er sich gesetzlich angeordneten Zurechnungen, nämlich seiner Gewährleistungspflicht entzöge. Nehme der Verkäufer irrig Mängelfreiheit an, solle er sich nicht durch Irrtumsanfechtung von seiner Gewährleistungspflicht befreien können (BGH VIII ZR 135/87, NJW 1988, 2597).

[28] 9. Nicht zuletzt trägt dieses Ergebnis auch dem Art 3 Abs 2 der (ex‑)Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 5. 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Verbrauchsgüterkauf‑RL) Rechnung, wonach der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Abs 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Abs 5 und 6 hat. Nach Art 3 Abs 3 1. Satz Verbrauchsgüterkauf‑RL kann der Verbraucher vom Verkäufer zunächst die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist (Am bisherigen System aus Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung, Preisminderung und Vertragsbeendigung hält Art 13 RL [EU] 2019/771 fest, Kodek/Leupold, Gewährleistung NEU, 44). Umgesetzt wurde diese europarechtliche Vorgabe im nationalen Recht in § 932 Abs 2 ABGB (9 Ob 64/13x Pkt I 4.1 f). Würde man der Einrede des Verkäufers wegen eines gemeinsamen Irrtums über den Sachmangel und damit der VertragsaufhebungVorrang gegenüber dem gewährleistungsrechtlichen Wahlrecht des Käufers Vorrang einräumen, wäre das unionsrechtlich gewährte unabdingbare Mindestmaß an Verbraucherschutz (vgl 1 Ob 209/16s Pkt 3.1.; Zum Gebot der richtlinienkonformen Interpretation der §§ 922 ff ABGB: Zöchling‑Jud in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 Vor §§ 922–933b ABGB Rz 8) nicht bewerkstelligt.

[29] 10. Für die Berechtigung des geltend gemachten Preisminderungsanspruchs des Klägers ist es demnach ohne Bedeutung, ob die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Kaufsache überhaupt nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten. Feststellungen zum hypothetischen Parteiwillen sind daher nicht erforderlich.

[30] 11. Der gewährleistungsberechtigte Kläger (Käufer) behält somit sein ihm nach § 932 Abs 4 ABGB zustehendes und nach § 9 KSchG einseitig zwingendes Wahlrecht zwischen Preisminderung und Vertragsauflösung. Die vom gewährleistungspflichtigen Beklagten (Verkäufer) dagegen erhobene Einrede des gemeinsamen Irrtums bleibt ohne Erfolg.

[31] Der Revision des Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[32] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte