OGH 4Ob157/22z

OGH4Ob157/22z25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * GmbH & Co KG Zweigniederlassung *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Wandlung eines Vertrags und Zahlung von 27.347 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2020, GZ 3 R 130/19s-53, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juli 2019, GZ 17 Cg 59/16p-46, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00157.22Z.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 30. März 2020 zu 4 Ob 40/20s bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 6. September 2022 wird zurückgewiesen.

III. 

1. Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung von 5.642,58 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. Oktober 2012 richtet.

2. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden – soweit das Urteil des Erstgerichts noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist – aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zu I.

[1] Der Senat hat das vorliegende Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag nach Art 267 AEUV unterbrochen und angeordnet, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt wird.

[2] Die Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, liegt mittlerweile vor. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.

[3] Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig.

[4] Der nach Erstattung der Revisionsbeantwortung vom 21. 2. 2020 eingebrachte weitere Schriftsatz der Beklagten vom 6. 9. 2022 ist daher zurückzuweisen (RS0041666; RS0100170 [T2]).

Zu III.

[5] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 4. 10. 2012 bei der beklagten Kfz-Händlerin einen Audi Q5 2.0 TDI Quattro mit Dieselmotor des Typs EA189 samt Abgasmanipulationssoftware in gebrauchtem Zustand um 34.200 EUR. Der Kläger lehnte ein Software-Update (samt Thermofenster zwischen 15 Grad Celsius und 33Grad Celsius) ab.

[6] Der Kläger begehrte, gestützt auf Gewährleistung, Geschäftsirrtum und listige Irreführung, die Wandlung des Kaufvertrags und Zahlung von 27.347 EUR (Kaufpreis minus Benützungsentgelt), in eventu 6.000 EUR (zusätzlicher Wertverlust wegen des Abgasskandals). Hätte er im Zeitpunkt des Ankaufs gewusst, dass das Fahrzeug mit einer Abgasmanipulationssoftware versehen ist, hätte er es nicht gekauft.

[7] Die Beklagte bestritt die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs. Sie habe den Kläger auch nicht in Irrtum geführt oder arglistig getäuscht. Selbst wenn der Kläger mit dem Wandlungsbegehren durchdringen sollte, müsse er sich ein Benützungsentgelt anrechnen lassen. Dieses ergebe sich aus der Differenz zwischen dem angemessenen Kaufpreis im Zeitpunkt des Kaufvertrags und dem Händlereinkaufspreis als Weiterverkaufspreis im Zeitpunkt der Wandlung.

[8] Das Erstgericht bejahte die Voraussetzungen der Wandlung und gab der Klage mit 12.500 EUR statt. Dieser Betrag entspreche dem Händlereinkaufspreis zum 25. 1. 2019 (Schluss der mündlichen Verhandlung), woraus sich ein Benützungsentgelt von 21.700 EUR errechne.

[9] Im Umfang von 5.642,58 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 10. 2012 erwuchs die Abweisung der Klage in Rechtskraft.

[10] Das Berufungsgericht wies (im übrigen Teil) die Klage ab, weil der Kläger eine Verbesserung durch die Beklagte hätte in Anspruch nehmen müssen. Die Verbesserung sei zumutbar gewesen, weil kein qualifizierter Vertrauensverlust vorgelegen sei. Das ihm angebotene Software‑Update wäre mit keinen nachteiligen Folgen für das Fahrzeug verbunden gewesen. Der Kläger habe die – weder unmögliche noch unzumutbare – Verbesserung daher ungerechtfertigterweise verweigert. Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf die Vielzahl der zum „VW-Skandal“ anhängigen Verfahren zulässig.

[11] Der Kläger beantragt mit seiner – von der Beklagten beantworteten – Revision, der Klage zur Gänze stattzugeben; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Hinsichtlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Betrags von 5.642,58 EUR sA ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Was nicht bereits Gegenstand der Anfechtung in der Berufung war, ist durch Eintritt der Teilrechtskraft im Berufungsverfahren unüberprüfbar geworden und kann nicht mehr Gegenstand der Überprüfung im Revisionsverfahren sein.

[13] Voraussetzung ist allerdings, dass dieser Teil nicht in einem untrennbaren Sachzusammenhang mit dem noch überprüfbaren Teil steht (RS0041355). Ein solcher Sachzusammenhang liegt nicht vor (vgl auch 8 Ob 21/23f), da eine quantitative Trennung des unangefochten gebliebenen und des angefochtenen Entscheidungsteils möglich ist (vgl RS0041347).

[14] Die Revision ist im Übrigen zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[15] 1.1 Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt in der im Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtung in der Ausprägung der Umschaltlogik eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung (siehe nur 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 46 ff; 3 Ob 140/22t, Rz 31 ff). Deren Vorhandensein im Übergabezeitpunkt begründet einen – nicht geringfügigen – Sachmangel (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 51; 2 Ob 5/23h, ErwGr 2.1.).

[16] 1.2 Dies gilt auch für ein Thermofenster, das eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius gewährleistet, weil die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist (8 Ob 118/23w, Rz 11; 9 Ob 42/23a, Rz 13; 3 Ob 40/23p, Rz 16 ua). Eine solche Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt nach der Rechtsprechung nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (4 Ob 204/23p, Rz 16; 10 Ob 31/23s, Rz 31; 3 Ob 121/23z, Rz 13 ua).

[17] 2.1 Der Kläger hat ausdrücklich vorgebracht, das Thermofenster sei so gestaltet, dass das Abgasrückführsystem nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius einwandfrei funktioniert. Außerhalb dieses Bereichs, somit im normalen Betrieb, erfolge die Nutzung eines schadstoffreichen Modus. Die Beklagte trat diesem Vorbringen nicht entgegen, sondern brachte ausdrücklich vor, dass eine volle Abgasrückführung auch nach dem Software‑Update lediglich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius stattfinde. Sie berief sich auf den Schutz bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- und oberhalb festgelegter Temperaturen. Im Revisionsverfahren beschränkte sich die Beklagte auf den (unrichtigen, vgl oben Punkt 1.1) Hinweis, dass die Frage der vollen Funktionsfähigkeit der Abgasrückführung im genannten Temperaturbereich nicht relevant sei.

[18] 2.2 Im vorliegenden Fall ist damit unstrittig, dass der vom Kläger abgelehnte Verbesserungsversuch der Beklagten, nämlich die Vornahme eines Software‑Updates, das oben in Punkt 1.1 beschriebene Thermofenster mit sich gebracht hätte.

[19] 2.3 Der angebotene Verbesserungsversuch war daher untauglich, weil danach immer noch eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden gewesen wäre (vgl 9 Ob 70/22t, Rz 28 mwN). Der Kläger ist daher mit seinem Wandlungsbegehren im Recht.

[20] 3. Die Rechtssache ist aber noch nicht spruchreif, weil Feststellungen über die Parameter zwecks Ermittlung des Benützungsentgelts fehlen. Abweichend vom Erstgericht ist nämlich der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (RS0134263).

[21] 4. Der Revision ist daher (im Übrigen) Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen sind – soweit das Urteil des Erstgerichts noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist – aufzuheben und dem Erstgericht ist aufzutragen, Feststellungen im oben genannten Sinn nachzutragen und auf dieser Basis den Zuspruch zu bemessen.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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