OGH 4Ob118/23s

OGH4Ob118/23s25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * AG, *, vertreten durch GPK Pegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Innsbruck, wegen 13.050 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. April 2023, GZ 3 R 149/22k-33, womit das Urteildes Landesgerichts Linz vom 23. September 2022, GZ 66 Cg 49/21f-26, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00118.23S.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 4. 2. 2015 um 43.500 EUR bei einem Autohändler einen Gebrauchtwagen, und zwar einen von der Beklagten hergestellten Mercedes C220 Blue Tech Diesel, in dem ein Motor OM651 eingebaut ist. Das Fahrzeug hat der Euro‑Abgasnorm 6 zu entsprechen. Nach dieser darf eine bestimmte NOx-Emission nicht überschritten werden. Der Pkw weist allerdings außerhalb des Temperaturbereichs zwischen 20° C und 30° C deutliche Anstiege bei den NOx‑Emissionen auf. Mit der Durchführung eines Software-Updates würden im Temperaturbereich zwischen 5° C und 30° C die zulässigen NOx-Emissionen nicht mehr überschritten werden. Beim Klagsfahrzeug wurde kein Software-Update durchgeführt.

[2] Der Kläger begehrte, gestützt auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB und Art 5 VO (EG) 715/2007 iVm § 1311 ABGB, eine Preisminderung von 30 % und die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Er hätte das Fahrzeug nicht um den gezahlten Kaufpreis erworben, wenn er gewusst hätte, dass es nicht den Mindeststandards der Euro-Abgasnorm 6 entspreche.

[3] Die Beklagte bestritt die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs. Es entspreche der Euro-Abgasnorm 6. Die Beklagte habe weder Manipulationen vorgenommen noch eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Fahrzeug habe dem vertraglichen Schuldinhalt entsprochen, sämtliche Prüfvorschriften seien eingehalten worden und daher könne keine vorsätzliche und sittenwidrige Manipulation der Abgasstrategie durch Entwicklung und Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen. Der Kaufpreis von 43.500 EUR sei angemessen gewesen und es sei in der Zwischenzeit zu keinem Preisverfall gekommen.

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Nach der Rechtsprechung des EuGH stelle das in den Fahrzeugen programmierte Thermofenster eine Abschalteinrichtung dar, die ein wesentlicher Mangel sei. Auch nach Durchführung eines Software-Updates wären die Temperaturbereiche unter 5° C und über 30° C nicht erfasst. Es stelle sich daher die Frage, ob der durch das Software-Update angebotene Verbesserungsversuch nicht untauglich gewesen sei, weil danach immer noch eine unzulässige Abschalteinrichtung (wenngleich nicht mehr im ursprünglichen Umfang) vorhanden sei. Dazu komme, dass das Erstgericht keine Feststellungen darüber getroffen habe, ob (und wann) die Beklagte dem Kläger das Software-Update konkret angeboten habe. Im fortgesetzten Verfahren habe das Erstgericht Feststellungen zu diesem Themenkreis zu treffen. Die Frage der Haftung der Beklagten lasse sich aber auch deshalb dem Grunde nach noch nicht beantworten, weil das Erstgericht keine hinreichenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen habe, um beurteilen zu können, ob der Beklagten überhaupt ein haftbar machendes, auch subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten ihrer Organe, leitenden Angestellten oder Repräsentanten anzulasten sei. Überdies fehlten Feststellungen zur Beurteilung der Angemessenheit des Kaufpreises und die allfällige Wertminderung des Fahrzeugs.

[6] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zur Frage zu, ob der vom Käufer eines Fahrzeugs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend gemachte Schadenersatz im Sinne einer „Wertminderung“ auch gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs begehrt werden könne. Auch zur Frage, ob bei Ausweitung des „Thermofensters“ (nach einem Software-Update) auf den Temperaturbereich von 5° C bis 30° C noch immer eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, liege keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor.

[7] Der Kläger beantragt mit seinem Rekurs, in der Sache selbst zu entscheiden, die Beklagte beantragt mit ihrer Rekursbeantwortung, die Klage abzuweisen, in eventu den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist zulässig, weil die Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts teilweise einer Klarstellung und Korrektur bedarf. Im Ergebnis ist der Rekurs jedoch nicht berechtigt.

[9] 1. Ein Thermofenster, das eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15° C und 33o C gewährleistet, weil die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist, begründet einen (nicht geringfügigen) Sachmangel (8 Ob 118/23w Rz 11; 9 Ob 42/23a Rz 13; 3 Ob 40/23p Rz 16 ua). Eine solche Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt nach der Rechtsprechung nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (4 Ob 204/23p Rz 16; 10 Ob 31/23s Rz 31; 3 Ob 121/23z Rz 13 ua).

[10] 2.1. Im vorliegenden Fall wurde ein Anstieg der NOx‑Emission außerhalb eines Temperaturbereichs zwischen 20° C und 30° C, und damit eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem, die dessen Wirksamkeit verringert, festgestellt, bzw nach einem – nicht durchgeführten – Software-Update außerhalb von 5° C und 30° C.

[11] 2.2. In der Entscheidung vom 21. 2. 2024 zu 6 Ob 175/23p, der ebenfalls ein Fahrzeug mit Dieselmotor Typ OM651 zugrunde lag, wurde zu Rz 58 ff festgehalten, dass trotz des Umstands, dass in einem Temperaturbereich zwischen 5° C und 30C keine temperaturabhängige Emissionsveränderung hinsichtlich der NOx-Werte mehr vorliege und das Fahrzeug in diesem Bereich alle Grenzwerte einhalte, (außerhalb davon) dennoch Bedingungen vorlägen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, zumal im gesamten Unionsgebiet (und auch in Österreich) regelmäßig sowohl höhere als auch tiefere Umgebungstemperaturen vorherrschten. Es blieb daher zu prüfen, ob der beklagte Hersteller die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen könne. Die Frage wurde im zitierten Verfahren verneint, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass das Thermofenster von 5° C bis 30° C im Zeitpunkt des Software-Updates die einzige technische Lösung und dessen Einrichtung ausschließlich notwendig gewesen wäre, um unmittelbare Risiken für den Motor abzuwenden, die so schwer wögen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb darstellten. Daher liege auch nach dem Software-Update noch eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG vor.

[12] 2.3. Dasselbe trifft im hier zu beurteilenden Fall zu. Die genannte Ausnahme ist eng auszulegen, sodass eine Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, wobei diese Risiken so schwer wiegen müssen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden. Es liegt am Beklagten, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (4 Ob 171/23k, Rz 19, 23, je mwN).

[13] 2.4. Im vorliegenden Fall stützt sich die Beklagte gar nicht auf die genannte Verbotsausnahme. Es ist daher auch hier von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Somit fehlen – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – zur Frage der unzulässigen Abschalteinrichtung keine Feststellungen.

[14] 3. Es entspricht auch gesicherter Rechtsprechung, dass ein auf eine unzulässige Abschalteinrichtung gestützter Schadenersatzanspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Hersteller geltend gemacht werden kann (zB 5 Ob 141/23f; RS0016298 [T3, T6]; RS0134560; RS0008775 [T21] ua).

[15] 4. Allerdings fehlen Feststellungen, um ein Verschulden der Beklagten zu beurteilen (vgl dazu die Ausführungen in 6 Ob 175/23p Rz 68 ff). Darauf wurde auch im angefochtenen Aufhebungsbeschluss hingewiesen. Dem tritt der Kläger im Rekurs nicht entgegen. Es hat daher bei der Rückverweisung an das Erstgericht zu bleiben.

[16] 5.1. Falls auf Basis der nachzutragenden Feststellungen der Klagsanspruch dem Grunde nach zu Recht besteht, bedarf es auch der vom Berufungsgericht genannten Feststellungen zur Ermittlung des Minderwerts des Fahrzeugs.

[17] 5.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der zu ersetzende Betrag iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen (RS0134498). Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangt (8 Ob 109/23x).

[18] 6. Der angefochtene Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist somit im Ergebnis zu bestätigen. Eine (weitere) Befassung des EuGH – wie von der Beklagten angeregt – mit der Problematik hält der Senat aufgrund der bereits bestehenden Rechtsprechung des EuGH für entbehrlich.

[19] 7. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 ZPO (RS0035976; RS0036035).

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