OGH 5Ob166/23g

OGH5Ob166/23g27.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in derRechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. F* S.p.A, *, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. F* S.p.A, *, vertreten durch die Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 19.362 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revisionen der klagenden und der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Mai 2023, GZ 4 R 55/23w‑48, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 23. März 2023, GZ 2 Cg 27/21d‑41, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00166.23G.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.722,64 EUR (darin enthalten 310,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.694,40 EUR (darin enthalten 282,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Mit Vertrag vom 9. 2. 2018 kaufte der Kläger ein von der Erstbeklagten hergestelltes Wohnmobil Hymer VAN 374 als Neuwagen um 64.540 EUR. Das Fahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007. Darin ist ein Dieselmotor Typ F1AGL411D der Abgasklasse Euro 6b verbaut. Die Zweitbeklagte ist die Herstellerin mechanischer Komponenten dieses Motors; die Motorsteuerung stammt von einem anderen Unternehmen.

[2] Das Fahrzeug ist mit einer Abgas-Reduktionsstrategie ausgestattet, die die Abgasrückführung nach Beendigung der Typ 1-Prüfung bzw nach einer Fahr- und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet („Timerfunktion“). Zudem verfügt es über eine temperaturabhängig gesteuerte Abgasrückführung, die die Rückführung von Abgasen unter 20 Grad Celsius Umgebungs- bzw Außentemperatur reduziert („Thermofenster“).

[3] Der Kläger ging beim Kauf davon aus, dass das Fahrzeug den rechtlichen und technischen Vorgaben entspricht. Ob er das Fahrzeug auch sonst gekauft hätte, ist nicht mehr feststellbar; er hätte das Fahrzeug jedenfalls nicht um 64.000 EUR erworben.

[4] Der Kläger begehrte von beiden Beklagten aus dem Titel des (deliktischen) Schadenersatzes die Zahlung von 19.362 EUR. Das entspreche 30 % des Anschaffungspreises für das Fahrzeug und damit dem objektiven Minderwert des Kaufpreises, der bei Offenlegung der Abgasmanipulationen für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre. Darüber hinaus begehrte er die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegenüber beiden Beklagten ab. Ausgehend von der aufrechten Typengenehmigung für das Fahrzeug verneinte es eine unzulässige Abschaltvorrichtung und damit einen Schaden des Klägers.

[6] Der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz teilweise Folge, verpflichtete die Erstbeklagte zur Zahlung von 19.362 EUR sA und sprach aus, dass diese dem Kläger für künftige Schäden aus der im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschaltvorrichtung hafte. Die Abweisung des Zahlungs- und Feststellungsbegehrens gegenüber der Zweitbeklagten bestätigte es hingegen. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil das Höchstgericht noch nicht zur Frage eines auf Ersatz des objektiven Minderwerts gerichteten Schadenersatzanspruchs eines Fahrzeugkäufers gegen den Hersteller des Fahrzeugs und zu einer allfälligen Haftung des bloßen Motorenherstellers Stellung genommen habe.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richten sich die jeweils von der Gegenseite beantworteten Revisionen des Klägers und der Erstbeklagten, die entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig sind. Die Begründung kann sich daher auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

I. Der Behandlung der beiden Rechtsmittel ist Folgendes voranzustellen:

[8] 1. Die Anwendung österreichischen Rechts ist zwischen den Parteien nicht strittig (vgl 9 Ob 26/23y Rz 15).

[9] 2. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie zwischenzeitig durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt ist (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Soweit im Zeitpunkt der Fällung dieser Entscheidung eine Rechtsfrage bereits durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt ist, kann aus ihr die Zulässigkeit der Revision daher nicht mehr abgeleitet werden (vgl 9 Ob 26/23y Rz 16).

II. Zur Revision der Beklagten:

[10] 1. Das Berufungsgericht qualifizierte das im Fahrzeug verbaute Thermofenster (Reduktion der Abgasrückführung unter 20 Grad Celsius Umgebungs-temperatur) als iSd VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung. Dazu hat der Oberste Gerichtshof zu von der Erstbeklagten hergestellten Fahrzeugen bereits wiederholtausgeführt (4 Ob 119/23p; 9 Ob 26/23y Rz 20), dass die auch im vorliegenden Fall relevante Feststellung des Erstgerichts „unter 20 Grad Celsius“ nicht offen lasse, ob die Grenze, bei der die Abgasrückführung drastisch reduziert wird, bei 19 Grad Celsius oder bei 10 Grad Celsius oder bei 5 Grad Celsius oder erst bei 0 Grad liege und damit nicht bloß „vage“ ist, wie die Revisionswerberin auch im vorliegenden Fall meint. Sie beschreibt vielmehr eindeutig den Temperaturbereich, der alle Temperaturbereiche unter 20 Grad Celsius umfasst. Damit besteht auch kein Zweifel, dass die Abgasrückführung ungedrosselt nur bei Außentemperaturen über 20 Grad Celsius arbeitet und das auch nur während der ersten 22 Minuten des Fahrbetriebs nach einem Motorkaltstart, weil dann die „Timerfunktion“ eingreift. Mechanismen, die die Abgasreduktion im normalen Fahrbetrieb – der in der Regel länger als 22 Minuten dauert und auch bei Außentemperaturen unter 20 Grad Celsius stattfindet – drastisch senken, sind nach zwischenzeitig gefestigter Rechtsprechung unabhängig von Motorschutzausnahmen unzulässige Abschalteinrichtungen (4 Ob 119/23p; 9 Ob 26/23y Rz 20; ebenso 2 Ob 137/23w Rz 22).

[11] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Leitentscheidung 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB qualifiziert, das (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung schützt (Rz 28 f). Dem ist der Oberste Gerichtshof in weiteren, dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Entscheidungen gefolgt (2 Ob 130/23s Rz 5; 4 Ob 119/23p Rz 21 ff). Eine (unzulässige) Überraschungsentscheidung durch das Berufungsgericht, wie die Erstbeklagte in diesem Zusammenhang geltend macht, liegt schon deswegen nicht vor, weil sich der Kläger bereits in seiner Klage ausdrücklich darauf berufen hat, dass die VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz anzusehen sei.

[12] 3. Den Schädiger trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Dazu zeigt die Erstbeklagte auch im Verfahren dritter Instanz nicht auf, welche ihr zurechenbaren Personen aufgrund welcher Umstände darauf vertrauen durften und auch vertraut haben, dass die von ihr verbaute Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers unionsrechtlich zulässig sei (9 Ob 26/23y Rz 40; 8 Ob 109/23x Rz 29 ff). Sie kann damit auch keine Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht darlegen.

[13] 4. Richtig ist, dass die Bejahung des im Revisionsverfahren allein zu beurteilenden deliktischen Schadenersatzanspruchs gegen den Hersteller eines Fahrzeugs (unter anderem) das Vorliegen eines Schadens erfordert. Als Schaden ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Nach nunmehr gefestigter Judikatur des Obersten Gerichtshofs besteht ein solches (rechtliches) Minderinteresse bei Erwerb eines mit einer iSd Art 5 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs– den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl nur 2 Ob 130/23s Rz 4 mwN). Das ist nach den Feststellungen nicht der Fall.

[14] 5. Zu dem vom Berufungsgericht anhand des festgestellten Minderwerts zugesprochenen Schadenersatz nimmt die Erstbeklagte in ihrer Revision nicht Stellung und kann damit insgesamt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

III. Zur Revision des Klägers:

[15] 1. Nach mittlerweile gesicherter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trifft eine deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung(nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typen-genehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (RS0134616). Der Motorenhersteller haftet wegen einer solchen Schutzgesetzverletzung entgegen der vom Kläger in seiner Revision vertretenen Ansicht nicht (zuletzt 9 Ob 18/24y Rz 14 mwN).

[16] 2. Zwar ist eine (unmittelbare) Haftung der Herstellerin des Motors nach § 874, § 1295 Abs 2 ABGB denkbar (siehe nur 9 Ob 18/24y Rz 14 mwN). Dass der zweitbeklagten Motorenherstellerin zurechenbare Personen es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer wie den Kläger veräußert wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen (oder zumindest einen inhaltlich anderen) Kaufvertrag geschlossen hätten (vgl dazu nur 2 Ob 158/23h Rz 18), macht der Kläger in seiner Revision gar nicht geltend und kann damit auch keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts aufzeigen.

[17] 3. Soweit der Kläger in seiner Revision unterstellt, die Zweitbeklagte sei Herstellerin der Motorsteuerungssoftware gewesen, geht er zudem nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

IV. Kostenentscheidung:

[18] Die Kostenentscheidungen beruhen jeweils auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Sowohl der Kläger (zur Revision der Erstbeklagten) als auch die Zweitbeklagte(zur Revision des Klägers) haben in ihren Revisionsbeantwortungen darauf hingewiesen, dass die jeweiligen Rechtsmittel mangels Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zulässig sind. Sie haben daher Anspruch auf Ersatz der darauf entfallenen Kosten. Für die Revisionsbeantwortung des Klägers gebührt jedoch kein Streitgenossenzuschlag, weil ihm in diesem Verfahrensabschnitt lediglich eine Partei gegenüberstand (vgl Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 3.25). Die Höhe der Umsatzsteuer in Italien hat die Zweitbeklagte bereits im Verfahren erster Instanz bescheinigt.

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