European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00130.23S.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Das von der Klägerin im April 2018 gekaufte, von der Erstbeklagten hergestellte Wohnmobil ist nach den Feststellungen mit zwei Abschalteinrichtungen, darunter einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführungsrate (in der Folge nur: Thermofenster), ausgestattet. Das Berufungsgericht qualifizierte das Thermofenster als iSd VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung und ging auf Tatsachenebene unter anderem davon aus, dass die Erstbeklagte das konkrete Vorbringen der Klägerin zur Reduktion der Abgasrückführung bei einer Außentemperatur von unter 20 Grad Celsius nicht substantiiert bestritten habe.
[2] 1.1. Bloßes unsubstantiiertes Bestreiten ist ausnahmsweise als Geständnis anzusehen, wenn die vom Gegner aufgestellte Behauptung offenbar leicht widerlegbar sein musste, dazu aber nie konkret Stellung genommen wird (RS0039927). Die Wertung des fehlenden substantiellen Bestreitens als schlüssiges Tatsachengeständnis (§ 267 ZPO) hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0040078 [T4]). Eine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zeigt die Erstbeklagte, die sich im erstinstanzlichen Verfahren im Detail mit der Frage der Zulässigkeit eines Thermofensters befasst, die von der Klägerin als maßgeblich ins Treffen geführte Außentemperatur aber nicht in Zweifel gezogen hat, nicht auf. Die vom Erstgericht zur Frage der relevanten Temperaturgrenze für das im konkreten Fahrzeug vorhandene Thermofenster getroffene Negativ‑Feststellung steht einer Zugrundelegung der zugestandenen Tatsache nicht entgegen (9 ObA 39/18b Punkt 5.2. mwN).
[3] 1.2. Ausgehend von diesem schlüssigen Tatsachengeständnis hält sich die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass bei einem Einsetzen der Reduktion der Abgasrückführung ab einer Umgebungstemperatur von weniger als 20 Grad Celsius die volle Abgasrückführung weniger als vier bis fünf Monate im Jahr aktiv ist, im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl jüngst 3 Ob 142/22m Rz 44 ff). Die Rechtsansicht, dass bei reduzierter Abgasrückführung im überwiegenden Teil des Jahres die in diesem Sinn programmierte Abschalteinrichtung selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO (EG) 715/2007 zulässig wäre, wenn sie erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (3 Ob 142/22m Rz 46), erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig.
[4] 2. Voraussetzung für die Bejahung eines im Revisionsverfahren allein zu beurteilenden deliktischen Schadenersatzanspruchs gegen den Hersteller des Fahrzeugs ist (unter anderem) das Vorliegen eines Schadens. Als Schaden ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer iSd Art 5 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 22 f), was hier ausgehend von den Feststellungen nicht der Fall ist.
[5] 3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Leitentscheidung 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB qualifiziert, das (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung schützt (Rz 28 f). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts hält sich damit im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[6] 3.1. Die behauptete unzulässige Überraschungsentscheidung durch das Berufungsgericht liegt schon deswegen nicht vor, weil sich die Klägerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich darauf berufen hat, dass die VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz anzusehen sei.
[7] 3.2. Wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass die Erstbeklagte im erstinstanzlichen Verfahren den ihr gemäß § 1298 ABGB obliegenden Beweis fehlenden Verschuldens nicht angetreten sei, stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.
[8] 4. Insgesamt war die außerordentliche Revision damit zurückzuweisen.
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