OGH 4Ob128/23m

OGH4Ob128/23m4.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch die Hauer § Majer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Horst Pechar, Rechtsanwalt in Weiz, wegen 13.926 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 30. November 2022, GZ 6 R 145/22w‑32, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Weiz vom 26. April 2022, GZ 13 C 133/20s‑28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00128.23M.0404.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.223,70 EUR (darin enthalten 203,95 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte erwarb mit Anwartschaftsvertrag vom 12. 7. 2019 zu einem Gesamtkaufpreis von 270.950 EUR Miteigentumsanteile an einem Grundstück zur Begründung von Wohnungseigentum an einer darauf zu errichtenden Wohnung samt KFZ‑Abstellplatz. Im Anwartschaftsvertrag wurde ein Ratenplan festgelegt. Punkt 5e) des Vertrags regelt, dass nach Bezugfertigstellung bzw vereinbarter vorzeitiger Übernahme der Vertragsobjekte ein Teilbetrag von 17 % des gesamten Kaufpreises (46.061,50 EUR) zur Zahlung fällig wird. Der Beklagte zahlte davon lediglich 32.135 EUR, der Klagsbetrag haftet noch aus. Die laut Punkt 5f) des Vertrags folgende „letzte“ Rate wurde vom Beklagten nach Fertigstellung der Gesamtanlage entrichtet.

[2] DieKlägerin begehrt die Zahlung der offenen 13.926 EUR. Der Beklagte halte diesen Betrag rechtsmissbräuchlich und sittenwidrig zurück, zumal das Wohnobjekt vollständig fertiggestellt und ohne wesentliche Mängel übergeben worden sei.

[3] Der Beklagte wendete die mangelnde Fälligkeit der Klagsforderung ein, da ihm aufgrund zahlreicher Mängel am Objekt das Zurückbehaltungsrecht gemäß § 1052 ABGB – welches auch bei Zahlung in Form eines Ratenplans nach dem BTVG zustehe – zukomme. Die Kosten für die sachverständige Erhebung der Mängel in Höhe von 1.926 EUR wendete der Beklagte als Gegenforderung ein.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte zahlreiche Mängel samt Mängelbehebungskosten von 17.963,80 EUR brutto fest. Rechtlich qualifizierte es die Mängel aufgrund deren Natur und unter Bedachtnahme auf die Größe der Wohnhausanlage (10 Wohnungen) als „nicht gravierend“ iSd BTVG. Es verneinte ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten.

[5] Das Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab. Der Beklagte sei auch berechtigt, wegen Mängeln an allgemeinen Teilen den Werklohn zurückzubehalten. Auch im Rahmen des BTVG stehe dem Erwerber das Leistungsverweigerungsrecht nach § 1052 ABGB zu. Im Hinblick auf den Zweck des Zurückbehaltungsrechts des Beklagten könne dies auch nicht davon abhängen, dass nicht die letzte eigentliche Rate (Punkt 5f des Vertrags), sondern ein Teil der vorletzten nach Bezugsfertigstellung zu bezahlenden Rate offen sei. Weder habe der Beklagte die Mängelbehebung verweigert, noch liege eine schikanöse Rechtsausübung vor. Das Berufungsgericht hielt fest, dass der vereinbarte Haftrücklass (Punkt 5g des Vertrags) keine eigentliche Rate sei.

[6] Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zur Rechtsfrage zu, ob sich der Erwerber auch hinsichtlich der nach dem Ratenzahlungsplan (hier) vorletzten eigentlichen Rate auf sein Zurückbehaltungsrecht nach (richtig) § 1052 ABGB berufen könne, obwohl die dem entsprechenden Bauabschnitt zuzuordnenden Leistungen abgeschlossen seien.

[7] Die Klägerin macht in ihrer – vom Beklagten beantworteten – Revision geltend, ein Zurückbehaltungsrecht bestehe nur an der letzten Rate, nicht aber an vorgelagerten Raten des im BTVG vorgesehenen Ratenplanmodells. Dass die Wohnung schon übergeben sei, könne daran nichts ändern. Die Klägerin habe ihre von der geforderten Teilzahlung abgedeckte Leistung erfüllt, weil keine gravierenden Mängel vorhanden gewesen seien. Die noch gerügten Mängel, deren Behebung zum Teil vom Beklagten nicht zugelassen worden sei, seien äußerst geringfügig und vom Haftrücklass 10fach gedeckt, sodass die Zurückbehaltung des Beklagten Schikane sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 121/14x ausgesprochen, dass auch im Bereich des BTVG bei Anwendung der „Ratenplanmethode“ (§ 10 BTVG) der Erwerber bei Vorliegen ins Gewicht fallender Mängel unter Berufung auf § 1052 ABGB jedenfalls die – abgesehen vom Haftrücklassbetrag – (bei vollständiger Fertigstellung fällige) letzte Rate bis zu deren Behebung „zurückbehalten“ kann (insoweit etwas verkürzend der RS0129938).

[10] 1.2. Die Klägerin argumentiert, dass der vorliegende Fall nicht vergleichbar sei, weil der Beklagte die vorletzte Rate zurückbehalte und es am Synallagma der Leistungen fehle.

[11] 1.3. Dem ist entgegenzuhalten, dass einerseits die genannte Entscheidung des 1. Senats Zurückbehaltungen von Beträgen sowohl von der letzten als auch von der vorletzten Rate zum Gegenstand hatte, und andererseits die Vereinbarung einer Vorausleistungspflicht des Verbrauchers insoweit unzulässig ist, als damit das gesetzliche Leistungsverweigerungsrecht umgangen würde (RS0124872 [T1]).

[12] 1.4. Auch ist vorrangiges Ziel des BTVG das Vorauszahlungsrisiko des Erwerbers durch Sicherungspflichten des Bauträgers weitgehend auszuschalten und so den Konsumentenschutz in einem speziellen Bereich der Immobilienbranche zu verstärken (RS0113312).

[13] 1.5. Auch im Schrifttum wird bejaht, dass ein Zurückbehaltungsrecht nach § 1052 ABGB auch hinsichtlich allfälliger, zum Übergabezeitpunkt noch nicht bezahlter früherer/weiterer Baufortschrittsraten zustehe, da zum Zeitpunkt der Übergabe des eigentlichen Vertragsgegenstands an den Erwerber die Gewährleistung und Zurückbehaltungsregeln des ABGB die Beurteilungskriterien des BTVG hinsichtlich eines Mangels „überlagern“ und somit ab dem Übergabezeitpunkt jedenfalls das Gewährleistungsrecht gemäß ABGB zur Anwendung komme und beim Verbrauchervertrag Einschränkungen des Gewährleistungsrechts des Verbrauchers gemäß § 9 KSchG unzulässig seien (Gartner, Bauträgervertragsgesetz5 § 10 Rz 20).

[14] 1.6. Die Zahlung entsprechend einem Ratenplan ist zwar an das Zug-um-Zug-Prinzip angelehnt, aber dennoch stehen die einzelnen Leistungen nicht in funktionellem Synallagma zu den Raten (Friedl in Illedits [Hrsg], Wohnrecht4 § 10 BTVG Rz 2 mwN).

[15] Das Berufungsgericht hat daher zutreffend das grundsätzliche Zurückbehaltungsrecht des Beklagten (§ 1052 ABGB) bejaht.

[16] 2. Dem Argument der Klägerin, die Mängelbeseitigung würde ohnedies im Haftrücklass Deckung finden, ist entgegenzuhalten, dass mit dem Haftrücklass in erster Linie eine Deckung für zunächst verborgene Mängel geschaffen und ein Hinausschieben der Endabrechnung im Hinblick auf allenfalls noch vorhandene, aber zunächst nicht erkennbare Mängel verhindert werden soll. Damit wird aber nicht automatisch auf das darüber hinausgehende Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers mangels Fälligkeit des Werklohns wegen Unterlassung einer Verbesserung des mangelhaften Werks verzichtet (RS0018128; 8 Ob 628/90 = RS0020059).

[17] 3.1. Ein Zurückbehaltungsrecht betreffend den Werklohn bis zur vollständigen Verbesserung des Werks besteht dann nicht, wenn die Ausübung dieses Rechts zur Schikane ausartet. Diese liegt dann vor, wenn das unlautere Motiv der Handlung die lauteren Motive eindeutig überwiegt, es also augenscheinlich im Vordergrund steht, oder auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RS0021872 [T4]).

[18] 3.2. Vorliegend hält der Beklagte 13.926 EUR zurück. Die gesamten Mängelbehebungskosten belaufen sich auf 17.963,80 EUR; jene, die bloß sein Wohnungseigentumsobjekt betreffen, betragen 2.442 EUR.

[19] 3.3. Bei der Beurteilung der Schikane wird einerseits auf das Verhältnis zwischen dem noch offenen Werklohn bzw Kaufpreis und dem Verbesserungsaufwand (und nicht auf dessen Verhältnis zum gesamten Werklohn bzw Kaufpreis) abgestellt (5 Ob 200/02a; 3 Ob 142/08s mwN; 5 Ob 191/20d; RS0020161 [T6]), ohne dass es eine „fixe Prozentsatzgrenze“ im Verhältnis zwischen (restlichem) Werklohn bzw Kaufpreis und Verbesserungsaufwand gibt (RS0026265 [T6]; 2 Ob 34/21w). So wurde bei einem Verbesserungsaufwand von 2,6 % des offenen Werklohns (RS0026265 [T7]) sowie bei einem solchen von 5 % des (noch offenen) Werklohns die Schikane verneint (RS0021872 [T5]).

[20] 3.4. Hier hält der Beklagte einen Betrag zurück, der unter jenem des gesamten Verbesserungsaufwands liegt. Auch wenn die Klägerin einzelne Behebungsschritte, etwa über 70 EUR, hervorhebt, ändert das nichts daran, dass hier das Verhältnis zwischen Zurückbehaltungsbetrag und Verbesserungsaufwand eine Schikane ausschließt.

[21] 4.1. Die Fälligkeit des Werklohns kann nur so lange hinausgeschoben werden, als ein Verbesserungsanspruch besteht und die Verbesserung im Interesse des Bestellers liegt. Fällt dieses Interesse weg, besteht kein Bedürfnis nach Gewährung eines gänzlichen Leistungsverweigerungsrechts mehr. Das Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers erlischt somit, sobald er die Fertigstellung des Werks durch den Unternehmer verhindert oder unmöglich macht oder wenn er das noch unvollendete Werk von einem Dritten vervollständigen lässt. Es entfällt ebenso bei fehlender nötiger Kooperation zur Bewerkstelligung der Mängelbehebung durch den Verpflichteten (1 Ob 93/11z mwN).

[22] 4.2. Hier erachtete es das Berufungsgericht als gerechtfertigt, dass der Beklagte wegen eines bereits gescheiterten Verbesserungsversuchs durch bloßes Überspachteln und Übermalen von Rissen einen späteren gleichartigen Versuch verweigerte. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden, erscheint es doch zweckmäßig, die Mängelbehebung erst nach Klärung der notwendigen Behebungsmaßnahmen zuzulassen.

[23] 5.1. Zur Sachlegitimation des einzelnen Wohnungseigentumswerbers ist auszuführen, dass diese dem Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts aus seinem individuellen Vertrag mit dem Bauträger auch dann (allein) zusteht, wenn die Mängel nicht (nur) sein eigenes Wohnungseigentumsobjekt, sondern allgemeine Teile des Hauses betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung können einzelne Wohnungseigentümer solche Gewährleistungs‑ und Schadenersatzansprüche auch ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer geltend machen (5 Ob 40/18w; 2 Ob 34/21w2 Rz 26; RS0082907).

[24] 5.2. Es ist daher ohne rechtliche Relevanz, wenn hier der Großteil der Mängel allgemeine Teile des Gebäudes und nur ein geringerer Teil das Wohnungseigentumsobjekt des Beklagten betrifft.

[25] 6. Die in der Revision behauptete Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[26] 7. Zusammenfassend hat der Beklagte sein Zurückbehaltungsrecht zu Recht ausgeübt. Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.

[27] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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