OGH 6Ob173/23v

OGH6Ob173/23v20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Udo Elsner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. J* S*, vertreten durch Mag. Michael Bodmann, MSc, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Juni 2023, GZ 12 R 20/23h‑35, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. November 2022, GZ 10 Cg 79/21t‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00173.23V.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Persönlichkeitsschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„1) Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, gegenüber Dritten die Behauptungen zu unterlassen, dass

a) der zwischen der beklagten Partei und der klagenden Partei am 18. 7. 2015 abgeschlossene Patentlizenzvertrag von der beklagten Partei gekündigt und/oder vorzeitig beendet worden sei,

b) die klagende Partei über keine gültige Lizenz verfüge,

c) die klagende Partei nicht in der Lage sei, das Grant Agreement Projekt * zu erfüllen und/oder,

d) die klagende Partei nicht zur Entwicklung, Produktion und Vertrieb von „A*“ berechtigt sei,

wird abgewiesen.

2) Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.116,68 EUR (darin enthalten 2.350,38 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 11.118,92 EUR (darin enthalten 963,32 EUR an Umsatzsteuer und 5.339 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte ist Arzt und Erfinder auf dem Gebiet der Vagus-Nerv‑Stimulation. Er war Gründungsgesellschafter und bis Ende März 2019 Alleingeschäftsführer der Klägerin. Diese vertreibt ein Medizinprodukt, das Gerät „A*“.

[2] Der Beklagte als Lizenzgeber schloss mit der Klägerin als Lizenznehmerin im Jahr 2015 einen ausschließlichen und unwiderruflichen, unbefristeten Lizenzvertrag über die zur Entwicklung dieses Geräts voraussichtlich erforderlichen Patente. Ein (im Einzelnen geregeltes) Lizenzentgelt an den Beklagten war erst ab dem Zeitpunkt dessen völligen Rückzugs aus der Gesellschaft zu bezahlen. Eine (ordentliche) Kündigungsmöglichkeit wurde nur der Klägerin als Lizenznehmerin eingeräumt. Punkt 17. des Patentlizenzvertrags räumte dem Beklagten die Möglichkeit ein, den Vertrag aus dort angeführten wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aufzulösen.

[3] Die Klägerin beantragte eine EU‑Förderung im Rahmen des EU‑Förderprojekts Horizon 2020. Diese wurde genehmigt und am 1. 10. 2019 mit der zuständigen Förderstelle, der (damaligen) Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen („EASME“ [nunmehr EISMEA]), ein Grant Agreement mit einem Fördervolumen von rund 2,2 Mio EUR abgeschlossen. Aufgrund von Unstimmigkeiten unter den Mitgesellschaftern schied der Beklagte im Juli 2021 gänzlich aus der Gesellschaft aus. Das EU‑Förderprogramm ist auch ohne den Beklagten erfüllbar.

[4] Mit Schreiben an den Rechtsanwalt der Klägerin (den Klagevertreter) vom 3. 8. 2021 sprach der Beklagte, verteten durch den Beklagtenvertreter, die sofortige Beendigung der Lizenzverträge aus. Dem widersprach der Klagevertreter, weil kein wichtiger Grund für eine sofortige außerordentliche Vertragsauflösung vorgelegen sei.

[5] Am 16. 8. 2021 richtete der Beklagtenvertreter im Namen des Beklagten an die EASME, zu Handen der zuständigen Projektleiterin, ein Schreiben (in englischer Sprache), das die nun inkriminierten und im Spruch genannten Äußerungen enthielt und auszugsweise lautete:

„[...] We represent [den Beklagten] and herewith would like to inform you, that since January 22nd 2021 the license agreement with [der Klägerin] of July 18th 2015 was terminated.

[...] Since [der Beklagte] is no longer a share holder of [der Klägerin] and there is no valid license for [die Klägerin] to be able to fulfill the project *, we also announced the omission to develop, manufacture and sell A* to [der Klägerin] with August 3rd 2021. [...].“

[6] Die Klägerin begehrt, den Beklagten zur Unterlassung dieser Behauptungen zu verurteilen. Diese seien unrichtig und zielten offenbar darauf ab, der Klägerin die Weiterentwicklung und den Vertrieb des Produkts A* zu erschweren. Der Beklagte sei gemäß dem Lizenzvertrag zu einer Kündigung des Lizenzvertrags nicht berechtigt gewesen. Ein wichtiger Grund für eine vorzeitige Auflösung habe nicht vorgelegen. Da der Beklagte den von ihm selbst abgeschlossenen Lizenzvertrag kenne, seien die Behauptungen wider besseres Wissen erfolgt. Die unrichtigen Behauptungen des Beklagten seien geeignet, nicht nur den Ruf der Klägerin zu schädigen, sondern darüber hinaus auch die weitere Entwicklung der Produkte sowie die Produktion und den Vertrieb erheblich zu erschweren. Sowohl Geschäftspartner, Fördergeber, Kooperationspartner als auch einzelne Gesellschafter der Klägerin seien aufgrund der unrichtigen Behauptungen des Beklagten irritiert und führe dies insbesondere auch zu Schwierigkeiten bei Finanzierungen.

[7] Der Beklagtewendete ein, die zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Lizenzverträge seien berechtigt und wirksam per sofort am 3. 8. 2021 gekündigt worden. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beklagten und der Klägerin sei derart tiefgreifend zerstört, dass eine Beendigung der Lizenzverträge gerechtfertigt sei. Daraus ergebe sich, dass der Klägerin (aus Sicht des Beklagten) keine Lizenzen zur Verfügung stünden, um das geförderte Projekt * erfüllen zu können. Das Grant Agreement * sei vor dem Hintergrund der persönlichen medizinischen Leistungen des Beklagten abgeschlossen worden und sei der aufrechte Bestand der Lizenzverträge mit dem Beklagten ein Grund für die EASME gewesen, die Förderungswürdigkeit des Projekts zu bejahen. Ohne die Expertise des Beklagten sei die Einführung des A* in den klinischen Alltag in wirtschaftlich vertretbarer Weise nicht machbar. Die Mitteilung des Beklagten an die EASME sei nicht öffentlich gewesen; sie sei an eine vertrauliche Stelle gegangen und habe ein berechtigtes Interesse der EASME an den in diesem Schreiben enthaltenen Informationen bestanden.

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Keiner der in Punkt 17. des Patentlizenzvertrags angeführten wichtigen Gründe, aber auch keine vergleichbaren wichtigen Gründe für eine vorzeitige Auflösung des Patentlizenzvertrags lägen hier vor. Ein subjektiver Vertrauensverlust rechtfertige eine vorzeitige Auflösung nicht, sodass der Patentlizenzvertrag aufrecht bestehe. Der Beklagte habe behauptet, dass der Patentlizenzvertrag gekündigt/beendet sei, die Klägerin über keine Lizenz verfüge, nicht in der Lage sei, das Förderprojekt zu erfüllen und zur Entwicklung, Produktion und zum Vertrieb von A* nicht berechtigt sei. Diese Behauptungen seien im Kern unrichtig, weil die Behauptung einer Beendigung der Verträge die Wirksamkeit einer solchen voraussetze. Hier habe der Beklagte aber gewusst, dass sich die Klägerin der ausgesprochenen Kündigung widersetzt habe. Ein gerechtfertigtes Interesse, falsche Behauptungen gegenüber der EASME aufzustellen, bestehe nicht. Behauptungen gegenüber der EASME, dass die Klägerin infolge Beendigung des Patentlizenzvertrags nicht mehr in der Lage sei, das Förderabkommen zu erfüllen, seien zweifelsfrei geeignet, den Ruf der Klägerin zu schädigen.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die außerordentliche Beendigung/ Kündigung sei mangels ausreichender Gründe unwirksam, der Lizenzvertrag nach wie vor aufrecht. Dem anwaltlich vertretenen Beklagten sei klar gewesen, dass die Frage der Beendigung des Lizenzvertrags ungeklärt gewesen sei. Die dennoch ohne weiteren Vorbehalt erfolgte Mitteilung an die EASME erweise sich vor diesem Hintergrund als vorsätzlich falsch. Ein rechtliches Interesse der EASME an dieser Mitteilung sei nicht erkennbar. Auf eine Qualifizierung der EASME als eine der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Behörde komme es nicht mehr an.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts zu den Voraussetzungen des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf; sie ist auch berechtigt.

[11] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit und die Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[12] 2.1. Die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung hat nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen (RS0115084). Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RS0031883 [T6]).

[13] Zum vom Erstgericht angenommenen Verständnis des Inhalts der Äußerungen und zu deren „wahre[m] Tatsachenkern“ enthielt die Berufung keine Ausführungen. Dessen diesbezügliche Auslegung ist aber ohnehin nicht zu beanstanden. Denn die Äußerung über die Kündigung/Beendigung des Lizenzvertrags ist im Zusammenhang mit den weiteren (hier ebenfalls inkriminierten) Äußerungen in dem Schreiben zu beurteilen. Darin geht es klar erkennbar darum, dass die Klägerin keine Lizenz mehr habe. Daher versteht der Leser das Wort „terminated“ dahin, dass der Lizenzvertrag bereits wirksam beendet sei.

[14] 2.2.1. Dauerschuldverhältnisse können nach ständiger Rechtsprechung durch einseitige Erklärung aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Schuldners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar machen (5 Ob 121/19h [ErwGr 1.1.]; RS0027780 [T47]). Bei vereinbarter Unkündbarkeit ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen (RS0027780 [T63]). Welche schwerwiegenden Gründe die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses bewirken und zu dessen Auflösung berechtigen, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042834; RS0111817).

[15] 2.2.2. Nach den Feststellungen setzte der Geschäftsführer der Klägerin kein Verhalten, um den Beklagten gezielt aus der Gesellschaft hinauszudrängen. Die durchgeführte Kapitalerhöhung erfolgte zur Gegenfinanzierung des EU-Projekts und nicht, um die Anteile des Beklagten zu verwässern oder diesen aus der Gesellschaft hinauszudrängen; sie war zur Vermeidung einer Insolvenz notwendig. Es war dem Beklagten auch nicht zugesagt worden, dass es zu keiner Verwässerung seiner Anteile kommen würde. Der Beklagte hatte schon vor der Kapitalerhöhung Geschäftsanteile an Investoren, Mitarbeiter und Berater übertragen und am 1. 4. 2019 seine Geschäftsführertätigkeit in der Klägerin beendet. Die ihm aus Anlass der Kapitalerhöhung eingeräumte Kaufoption zur Übernahme von 100 % der Geschäftsanteile übte er nicht aus.

[16] 2.2.3. Das Berufungsgericht war der Auffassung, weder die Veränderung der Gesellschafterstruktur der Klägerin durch die Kapitalerhöhung noch das Ausscheiden des Beklagten aus der Gesellschaft stellten einen wichtigen Grund für eine Aufkündigung des Lizenzvertrags durch den Beklagten dar, ebenso wenig unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft zu führen sei. Der Fall des Rückzugs des Beklagten aus der Gesellschaft sei bereits bei Abschluss des Lizenzvertrags bedacht und dafür eine eigene Regelung über das dann zu zahlende Entgelt getroffen worden. Dass der Beklagte nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft das Gerät A* nicht durch eine andere Gesellschaft vertreiben lassen kann, entspreche daher dem Vertragsinhalt. Eine der Klägerin zuzurechnende Nichtzahlung von Patentgebühren und damit eine Verletzung des Punkts 12. des Lizenzvertrags liege nach den Feststellungen, wonach seitens des Beklagten die Verlängerung des betreffenden Patents verweigert wurde, nicht vor. Der Lizenzvertrag sei daher weiterhin aufrecht.

[17] Mit dem bloßen Hinweis, diese Erwägungen seien nicht zutreffend, hält die Revision dem keine zugkräftigen Argumente entgegen. Ob die Beurteilung des Berufungsgerichts zutrifft, muss im vorliegenden Fall aber ohnehin nicht abschließend geklärt werden.

[18] 2.2.4. Zwar sind unwahre Tatsachenbehauptungen nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt (6 Ob 135/20a [ErwGr 1.3.]; RS0054817 [T41]). Da nach den Feststellungen das Förderprogramm auch ohne den Beklagten erfüllbar ist, ist die Äußerung laut Pkt c) des Klagebegehrens unwahr. Selbst wenn die außerordentliche Kündigung im Sinne der Auffassung der Vorinstanzen mangels eines wichtigen Grundes unwirksam war und daher auch die inkriminierten Äußerungen laut Pkt a), b) und d) des Klagebegehrens unwahr waren, besteht jedoch wegen des Vorliegens desAusnahmetatbestands des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB kein Unterlassungsanspruch der Klägerin:

[19] 2.3. Nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB besteht keine Haftung für eine nichtöffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

[20] Ob ein berechtigtes Interesse des Mitteilenden oder des Erklärungsempfängers iSd § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RS0117060 [T1]). Berechtigt ist das Interesse an der vertraulichen Mitteilung nach der ständigen Rechtsprechung, wenn diese für die persönlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen oder Verhältnisse von Bedeutung ist oder ein öffentliches Interesse an der Mitteilung besteht (RS0031946;RS0031988). Dabei genügt, dass der Empfänger bei Unterstellung der Wahrheit der Mitteilungen ein berechtigtes Interesse daran hat (6 Ob 42/14s [ErwGr 2.1.]; RS0031999).

[21] Unterstellt man die Wahrheit der inkriminierten Äußerungen, konnte sich daraus ergeben, dass die Fördervereinbarung der Klägerin mit der EASME nicht eingehalten werden konnte. Damit lag zumindest eine wirtschaftliche Bedeutung für Letztere vor. Ein berechtigtes Interesse des Erklärungsempfängers, hier der zuständigen Projektleiterin der EASME, war daher gegeben.

[22] 2.4. Bei der Beurteilung des vertraulichen Charakters einer Mitteilung (also ihrer Nichtöffentlichkeit) kommt es auf die erkennbare Absicht des Mitteilenden an (RS0031972). Vertraulichkeit liegt dann vor, wenn mit einer Weiterverbreitung nicht zu rechnen ist (RS0032421 [T3]), etwa weil eine gesetzliche oder vertragliche Verschwiegenheitspflicht besteht (RS0032421 [T3]). Das ist unter anderem bei Institutionen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen der Fall (6 Ob 163/22x [ErwGr I.2.]; vgl RS0031906 [T6]). Die Mitteilung ist dann nichtöffentlich, wenn sie nach den Umständen des Falls als vertraulich anzusehen ist. Dem steht nicht entgegen, dass sie mehreren Personen zugänglich wird (bspw der Sekretärin des Adressaten); die Vertraulichkeit ist aber nicht mehr gegeben, wenn mit einer Weitergabe an außenstehende Personen gerechnet werden muss (RS0031906). Die bloß abstrakte Gefahr der Weitergabe reicht jedoch nicht aus, um den Rechtfertigungsgrund zu verneinen (6 Ob 28/17m [ErwGr 2.2.2.]; 6 Ob 184/04h). Nach ständiger Rechtsprechung sind Straf- und Disziplinaranzeigen oder sonstige vertrauliche Mitteilungen an die zuständigen, zur gewissenhaften Nachprüfung der Angaben verpflichteten Stellen grundsätzlich gerechtfertigt (RS0031927 [insb T4]), wenn sie nicht wider besseres Wissen erfolgten (RS0114015 [T4, T9]). Jüngst wurde von der Rechtsprechung der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB bei Mitteilungen eines Kinderschutzzentrums an den Kinder- und Jugendhilfeträger und an die Familiengerichtshilfe bejaht (6 Ob 24/17y), ebenso die Mitteilung eines Plagiatsverdachts vom Mitherausgeber eines Sammelbands von Beiträgen aus einer Ringvorlesung an die für die Plagiatsprüfung zuständige Stelle der Universität (6 Ob 104/21v).

[23] 2.5. Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbeantwortung selbst eingeräumt, dass die EASME aufgrund des inkriminierten Schreibens eine „behördliche Überprüfung“ betreffend die der Klägerin gewährten Förderung durchgeführt hat. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass die Mitarbeiter der EASME nach Art 23 Abs 2 der VO (EG) Nr 58/2003 zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

[24] Nach den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen ist daher bei dem inkriminierten Schreiben von einer vertraulichen Mitteilung iSd § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB auszugehen. Dem steht nicht entgegen, dass die EASME als Exekutivagentur gemäß Art 23 Abs 1 der VO (EG) Nr 58/2003 nach Maßgabe der Bestimmungen der VO (EG) Nr 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission unter den dort geregelten Voraussetzungen und Einschränkungen (vgl Art 4 dieser VO) auf Antrag in einem förmlichen Verfahren und unter gerichtlicher Kontrolle Zugang (auch) zu den bei ihr eingegangenen Dokumenten zu gewähren hatte (vgl zum Zugang im Zusammenhang mit dem Rahmenprogramm „Horizon 2020“ etwa EuGH C‑135/22 P [EuG T‑158/19 ], Breyer/REA; vgl zur Klagsmöglichkeit des Betroffenen auch EuGH C‑175/18 P , PTC Therapeutics/EMA).

[25] 2.6. Im Allgemeinen wird von der Rechtsprechung eine grundsätzlich anzunehmende Rechtfertigung einer ehrenbeleidigenden oder kreditschädigenden Äußerung dann verneint, wenn diese wissentlich falsch ist (RS0031996 [T1]; vgl RS0105665). Das bloße „Wissenmüssen“ reicht für den Ausschluss eines Rechtfertigungsgrundes nicht aus (RS0022784 [T2]). Maßgeblich dafür ist daher nicht, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an (6 Ob 30/19h [ErwGr 1.3.]; 6 Ob 40/09i). Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit trifft den Kläger (RS0105665; RS0114015 [T11]; 6 Ob 129/16p). Die Klage ist daher abzuweisen, wenn der Täter zwar den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder gar nicht angetreten, die Unwahrheit jedoch nicht wider besseres Wissen behauptet hat (6 Ob 30/19h [ErwGr 1.4.]; 6 Ob 40/09i).

[26] Das Berufungsgericht war der Ansicht, dem anwaltlich vertretenen Beklagten sei bewusst gewesen, dass keinesfalls feststehe, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung wirksam und der Lizenzvertrag damit tatsächlich beendet gewesen sei. Es sei klar gewesen, dass die Frage der Beendigung des Lizenzvertrags ungeklärt gewesen sei. Die dennoch ohne weiteren Vorbehalt erfolgte Mitteilung an die EASME erweise sich vor diesem Hintergrund als vorsätzlich falsch. Der Beklagte vertritt nach wie vor den Standpunkt, die Kündigung sei wirksam erfolgt.

[27] Aus dem bloßen Umstand, dass die Klägerin der außerordentlichen Kündigung widersprochen hat und deren Wirksamkeit zwischen den Parteien strittig war, kann nicht der Schluss gezogen werden, der Beklagte oder der Beklagtenvertreter hätten die inkriminierten Behauptungen wider besseres Wissen aufgestellt. Auch ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass die Äußerung, die Klägerin sei (wegen des Ausscheidens des Beklagten) nicht in der Lage, das Grant Agreement Projekt zu erfüllen (Punkt c] des Klagebegehrens), wissentlich falsch war.

[28] 3. Die Revision hat somit Erfolg. Die Klage ist abzuweisen.

[29] Die Kostenentscheidung des Verfahrens erster Instanz gründet auf § 41 Abs 1 ZPO. Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis des Beklagten wurden nicht erhoben. Die Kostenentscheidung des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte