European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00210.23F.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Grundbuchsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.370,30 EUR (darin 395,05 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist der Sohn des 2021 verstorbenen Erblassers, die Beklagte dessen testamentarische Alleinerbin. Im Testament hat der Erblasser den Pflichtteil des Klägers aufgrund des seit Jahrzehnten fehlenden Kontakts um die Hälfte vermindert. Der Erblasser schenkte der Beklagten mit Übergabsvertrag 2016 zwei Liegenschaften. Dabei wurde zu seinen Gunsten ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht sowie ein Belastungs‑ und Veräußerungsverbot vereinbart und einverleibt. Im Schenkungsvertrag (Übergabsvertrag) wurde auch vereinbart, dass im Fall des Vorversterbens der Beklagten das gesamte Vertragsvermögen an den Erblasser zurückfallen solle. Zum Zeitpunkt der Schenkung waren der Erblasser und die Beklagte nicht mehr miteinander verheiratet.
[2] Der Kläger macht mit seiner 2022 eingebrachten Klage die Hinzurechnung der Schenkung nach § 782 Abs 1 ABGB geltend und begehrt gemäß § 789 Abs 1 ABGB von der Beklagten als Geschenknehmerin die Zahlung von 100.000 EUR zur Erfüllung des ihm zustehenden (gekürzten) Pflichtteils.
[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage mit der wesentlichen Begründung ab, dass der Erblasser die Schenkung an die nicht pflichtteilsberechtigte Klägerin bereits 2016 wirklich gemacht habe. Weder der Vorbehalt eines Nutzungsrechts, noch die Vereinbarung eines Veräußerungs‑ und Belastungsverbots oder eines „Rückfallsrechts“ würden dagegen sprechen, dass der Erblasser bereits mit Abschluss des Schenkungsvertrags ein Vermögensopfer erbracht hat.
[4] Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob ein Rückfallsrecht verhindert, dass der Übergeber die Schenkung „wirklich gemacht“ und somit das Vermögensopfer erbracht hat, ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu.
[5] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Berufungsurteil aufzuheben und diesem, hilfsweise dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen. Inhaltlich macht der Kläger geltend, dass aufgrund einer Gesamtschau der Vereinbarungen im Schenkungsvertrag das Vermögensopfer erst mit dem Tod des Übergebers erbracht worden sei.
[6] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
[8] 1. Nach § 782 Abs 1 ABGB (in der hier anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015) sind Schenkungen, die – wie hier unstrittig – der Verstorbene in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod an Personen, die nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören, wirklich gemacht hat, bei der Berechnung der Verlassenschaft hinzuzurechnen.
[9] 2. Nach gesicherter Rechtsprechung ist eine Schenkung in diesem Sinn „wirklich gemacht“, wenn der Geschenkgeber das Vermögensopfer endgültig erbracht hat. Zur Bestimmung dieses Zeitpunkts ist nicht der Abschluss eines der Zuwendung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts maßgeblich, sondern dessen tatsächliche Erfüllung im Sinne eines endgültigen und unwiderruflichen Übergangs der Rechtszuständigkeit (RS0133712). Maßgeblicher Zeitpunkt für den Eigentumserwerb und damit der „wirklich gemachten“ Schenkung ist demnach – spätere Bewilligung und Vollzug vorausgesetzt – jener des Einlangens des Grundbuchsgesuchs (2 Ob 119/20v). Der Erfolg des Rechtsmittels hängt damit davon ab, ob die Schenkung bereits im Jahr 2016 iSd § 782 ABGB „wirklich gemacht“ wurde, der Erblasser also bereits zu diesem Zeitpunkt das Vermögensopfer endgültig erbracht hat.
[10] 3.1 Nach der Judikatur (2 Ob 119/20v; 2 Ob 111/21v; 2 Ob 6/22d) wird das Vermögensopfer bei einer Liegenschaftsschenkung auch dann erbracht, wenn sich der Geschenkgeber ein Wohnungsgebrauchsrecht samt Belastungs- und Veräußerungsverbot zurückbehält; das gilt auch bei Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts (RS0133711).
[11] 3.2 Die Vorinstanzen sind im Sinn der referierten Judikatur zutreffend davon ausgegangen, dass das vereinbarte lebenslängliche unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht sowie das Belastungs‑ und Veräußerungsverbot das Vermögensopfer nicht hindern.
[12] 4. Entsprechendes gilt auch für das im Anlassfall vereinbarte „Rückfallsrecht“.
[13] 4.1 Dabei handelt es sich um eine Form des von Lehre (dazu ausführlich Kronthaler, Die Besitznachfolgerechte [2019]) und Rechtsprechung (RS0010431; RS0012539; RS0017098; RS0038444) entwickelten Besitznachfolgerechts. Dabei vereinbaren alter und neuer Eigentümer in Anlehnung an die Nacherbschaft, dass das Eigentum des Erwerbers bei Eintritt einer Bedingung oder nach Ablauf einer Frist an einen anderen, nämlich den Besitznachfolger, fällt oder dass zumindest die Verpflichtung besteht, das Eigentum zu übertragen. Der Besitznachfolger kann entweder der alte Eigentümer oder ein Dritter sein (Rassi, Grundbuchsrecht3 Rz 4.31 mwN). Ein solches Besitznachfolgerecht bewirkt eine (mit einem Belastungs‑ und Veräußerungsverbot vergleichbare) Verfügungsbeschränkung des Eigentümers (5 Ob 209/17x; RS0010791 [T1]; RS0000058).
[14] 4.2 Von der konkreten vertraglichen Gestaltung hängt es ab, wann die Besitznachfolge eintritt. Im Anlassfall war der Rückfall (nur) für den Fall vorgesehen, dass die Beklagte vor dem Erblasser stirbt. Das Berufungsgericht wies darauf hin, dass für den Erblasser keine Möglichkeit bestanden hätte, die Schenkung zu widerrufen. Damit hätte keine Rückübertragung stattfinden können, die von seinem Willen abhing.
[15] 4.3 Dem ist zuzustimmen. Nach den Materialien zu § 782 ABGB wird das Vermögensopfer zwar ausgeschlossen, wenn der Geschenkgeber noch in der Lage ist, die geschenkte Sache wieder zurück zu erwerben (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 34; vgl dazu 2 Ob 119/20v Rz 27 ff). Damit ist aber (nur) gemeint, dass diese Rückerlangung vom Willen des Geschenknehmers abhängt (siehe in den zitierten Materialien: „Widerrufsvorbehalt … Rückschenkungsangebot … Stifterrechte“; vgl 2 Ob 142/18y). Das im Anlassfall vereinbarte Besitznachfolgerecht kann damit das Vermögensopfer nicht ausschließen, weil der Erblasser nicht mehr die Möglichkeit hatte, die Liegenschaft zurückzufordern.
[16] 5. Auch die Bezugnahme auf die „Gesamtschau“ aller Rechte kann den Standpunkt des Klägers nicht stützen. Die kombinierte Vereinbarung eines Wohnungsgebrauchsrechts, eines Belastungs‑ und Veräußerungsverbots sowie eines Besitznachfolgerechts ändert nichts daran, dass der Erblasser den Schenkungsvertrag bereits unwiderruflich erfüllt hat und damit das Vermögensopfer endgültig erbracht hat (vgl auch Apathy/Wolkerstorfer, ZR VII ErbR7 Rz 11/7).
[17] 6. Die Vorinstanzen haben die Klage daher zutreffend abgewiesen, weshalb der Revision keine Folge zu geben war.
[18] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 Abs 1, 50 ZPO. Der Tarifansatz nach TP 3 C beträgt bei einem Streitwert von 100.000 EUR richtig 1.315,10 EUR.
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