OGH 1Ob146/23m

OGH1Ob146/23m23.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* K*, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Max Leitner (SFU), Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 94.007,40 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Juni 2023, GZ 14 R 70/23a‑21, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. Februar 2023, GZ 68 Cg 9/22a‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00146.23M.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Grundrechte

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die 21‑jährige Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige. Sie war aufgrund einer von ihrer Mutter in der Botschaft Nigerias in Wien ausgeübten Tätigkeit vom 1. 12. 2014 bis 28. 2. 2018 zum Aufenthalt in Österreich berechtigt („Blaue Karte“).

[2] Am 22. 2. 2018 stellte die Klägerin im Beisein ihrer Mutter einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Schülerin nach § 63 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (kurz: NAG). Sie verblieb nach der Beendigung der Tätigkeit ihrer Mutter samt dieser und ihren Geschwistern in Österreich.

[3] Mit Bescheid vom 31. 10. 2018 wies der Landeshauptmann von Wien ihren Antrag ab, weil keine Unterlagen vorgelegt worden seien, die den gesicherten Lebensunterhalt und Aufenthalt der Mutter im Bundesgebiet belegen würden.

[4] Gegen diesen abweisenden Bescheid erhob die Klägerin Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

[5] Mit Bescheid vom 25. 1. 2019 („BFA‑Bescheid“) erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: „BFA“) der Klägerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (kurz: FPG 2005) und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG 2005 fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Es setzte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA‑Verfahrensgesetz (kurz: BFA‑VG) einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab. Begründend führte es im Wesentlichen aus, es sei wahrscheinlich, dass das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde nach dem NAG abweisen werde, und stützte sich bei der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde auf § 18 Abs 2 Z 1 BFA‑VG: die sofortige Ausreise der Klägerin sei im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich, weil sich ihre Mutter beharrlich weigere, Österreich selbständig zu verlassen, und über keine Existenzmittel und keinen aufrechten Krankenversicherungsschutz verfüge, weshalb die Gefahr bestehe, dass ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.

[6] Gegen diesen BFA‑Bescheid vom 25. 1. 2019 erhob die Klägerin eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

[7] Am 26. 2. 2019 wurde die Klägerin (samt ihrer Mutter und ihren Geschwistern) aufgrund eines Festnahmeauftrags gemäß § 34 Abs 3 Z 3 iVm § 40 Abs 1 Z 1 BFA‑VG zum Zweck der Abschiebung festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum gebracht.

[8] Am 28. 2. 2019 wurden die Klägerin, ihre Mutter und ihre Geschwister nach Nigeria abgeschoben.

[9] Vor ihrer Abschiebung hatte die Klägerin die siebente Klasse eines Bundesgymnasiums besucht; sie war damals schwanger. Aufgrund der Abschiebung konnte sie im Schuljahr 2018/2019 die siebente Klasse nicht abschließen.

Das Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerde gegen den BFA‑Bescheid vom 25. 1. 2019 zunächst mit Teilerkenntnis vom 1. 3. 2019 teilweise statt und hob die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ersatzlos auf.

[10] Mit (End‑)Erkenntnis vom 17. 4. 2019 hob das Bundesverwaltungsgericht den BFA‑Bescheid vom 25. 1. 2019 im Übrigen ersatzlos auf. Begründend führte es im Wesentlichen aus, es habe keine Grundlage für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 2 Z 1 BFA‑VG gegeben. Die minderjährige Klägerinhabe noch vor dem Ablauf ihres aufgrund des diplomatischen Status ihrer Mutter bis zum 28. 2. 2018 rechtmäßig gewesenen Aufenthalts einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, weshalb sie rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei und nicht auf Basis des § 52 Abs 1 FPG 2005 eine Rückkehrentscheidung gegen sie ergehen hätte dürfen. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach dem NAG könne die Behörde (BFA) nicht vorgreifen, sondern es sei der Ausgang dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten. Die minderjährige Klägerin habe aufgrund des anhängigen Verwaltungsgerichtsverfahrens ein Bleiberecht.

[11] Das Verwaltungsgericht Wien erteilte der Klägerin (in Stattgebung ihrer Beschwerde) mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 9. 7. 2019 nach § 63 Abs 1 NAG den Aufenthaltstitel „Schüler“.

[12] Am 5. 9. 2019 beantragte die Klägerin bei der österreichischen Botschaft in Nigeria die Erteilung eines „Visums D“ zur Abholung ihres Aufenthaltstitels.

[13] Am 23. 9. 2019 wurde der Klägerin nach ihrer Wiedereinreise nach Österreich vom Landeshauptmann von Wien der Aufenthaltstitel ausgestellt.

[14] Am 17. 11. 2019 brachte die Klägerin in Österreich ihren Sohn zur Welt.

[15] Die Finanzprokuratur teilte der Klägerin mit Teilanerkennungsschreiben vom 22. 11. 2021 mit, dass die Beklagte den auf das AHG gestützten Ersatzanspruch hinsichtlich der Schubhaftentschädigung von 200 EUR anerkenne. Hinsichtlich eines geltend gemachten Verdienstentgangs werde der Ersatzanspruch nicht als berechtigt anerkannt. Weiters teilte sie der Klägerin mit, dass die Beklagte die kausal durch die Abschiebung verursachten Kosten unter der Voraussetzung der Vorlage geeigneter Nachweise anerkenne, und ersuchte um entsprechende Nachweise.

[16] Die Klägerin begehrt gestützt auf den Titel der Amtshaftung 94.007,40 EUR sA von der Beklagten, bestehend aus 24.007.40 EUR „abschiebungskausalen“ Kosten und Sachschäden (die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Teilurteils und des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens sind) sowie 70.000 EUR (14 x 2.500 EUR für zwei Jahre) an zukünftigem Verdienstentgang. Zum – für das Revisionsverfahren bedeutsamen – Schadenersatzanspruch wegen Verdienstentgangs brachte sie zusammengefasst vor, durch die Abschiebung habe sie die siebente Klasse nicht abschließen können. Bei ihrer Rückkehr nach Österreich im September 2019 habe sie nicht mehr an die (alte) Schule zurückkehren können, weil sie zu lange abgemeldet gewesen sei und nicht mehr in das laufende achte Schuljahr einsteigen habe können. Da „Ende September“ 2019 auch die Geburt ihres Sohnes kurz bevorgestanden sei, sei auch eine Aufnahme an einer anderen Schule unmöglich gewesen. Für sie sei aber ein Schulabschluss mit Matura unerlässlich, weil sie das Pharmaziestudium anstrebe. Sie habe sich daher entschieden, ihren Abschluss mittels einer Abendschule nachzuholen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Die Matura werde sie voraussichtlich Ende des Jahres 2023 oder Anfang 2024 abschließen können. Unter Berücksichtigung des notwendigen Aufnahmeverfahrens für das Pharmaziestudium und ihrer Vorbereitung darauf, habe sie dadurch zwei Jahre verloren, in denen sie sonst früher mit dem Pharmaziestudium beginnen hätte können.

[17] Dadurch werde sich ihr Eintritt ins Berufsleben – mit einer Tätigkeit als angestellter Pharmazeutin in einer Apotheke mit einem Nettoeinstiegsgehalt von zumindest 2.500 EUR monatlich – verzögern. Ihr würden daher zukünftig die letzten zwei gehaltsmäßig besten Berufsjahre entgehen. Da diese aber noch weit in der Zukunft lägen, und aufgrund der damit einhergehenden Bemessungsschwierigkeiten, mache sie den Verdienstentgang für die (künftigen) ersten zwei Berufsjahre – in der Höhe von 70.000 EUR – geltend.

[18] Die einschlägigen Normen des Fremdenrechts bezweckten auch den Schutz der Rechtsgüter der Personen, die abgeschoben werden sollten.

[19] Durch die rechtswidrige Abschiebung sei auch ihre Freiheit eingeschränkt worden, weshalb ihr ein künftiger Verdienstentgang (ersatzweise) zustehe.

[20] Die Beklagte wandte – soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen ein, es sei davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest zum Ende ihrer Schwangerschaft – und auch nach der Geburt – die Schule ohnehin nicht besucht hätte, weshalb sich ihr Schulabschluss in diesem Zeitraum jedenfalls verzögert hätte.

[21] Bislang sei noch nicht einmal absehbar, ob die Klägerin tatsächlich die Schule abschließen, geschweige denn Pharmazie studieren und dieses Studium auch abschließen werde. Den – ihr obliegenden – Beweis dafür, dass sie bei einem Unterbleiben der Abschiebung die Schule und ein Studium der Pharmazie zwei Jahre früher abgeschlossen hätte, habe sie nicht erbracht.

[22] Es bestehe auch kein Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem allfälligen Verdienstentgang: Schutzzweck der Bestimmungen über die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und über die Abschiebung sei nur die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, nicht aber der Schutz des wirtschaftlichen Erwerbs von Fremden in Österreich.

[23] Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verdienstentgang und ihrer Behauptung, dass sie ohne die erfolgte Abschiebung Pharmazie studiert hätte, handle es sich um eine bloße Annahme: Weder sei sie vor ihrer Abschiebung im Bereich der Pharmazie tätig gewesen, noch habe sie eine Einstellungszusage vorgelegt, aus der hervorgegangen wäre, dass sie eine bestimmte Stelle nicht habe antreten können. Sie habe noch nicht einmal die Schule abgeschlossen. Daher werde bestritten, dass bei ihr der Schaden eines Verdienstentgangs eingetreten sei. Es sei in keiner Weise gesichert, dass sie die siebente und achte Klasse sowie die Matura (beim ersten Versuch) bestanden hätte. Ebenso wenig könne mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sie den Aufnahmetest für das Pharmaziestudium überhaupt, geschweige denn in dem von ihr geplanten Jahr, bestanden hätte. Es könne weiters in keiner Weise davon ausgegangen werden, dass die Klägerin sämtliche Prüfungen bestanden, ihr Studium abgeschlossen und anschließend eine Arbeit mit dem nun geltend gemachten Gehalt gefunden hätte.

[24] Hätte die Klägerin unmittelbar nach der Zuerkennung des Aufenthaltstitels am 9. 7. 2019 – bzw unmittelbar nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Wien – die Erteilung eines Visums beantragt, wäre dieses noch im August 2019 ausgestellt worden und der Klägerin eine rechtzeitige Einreise vor dem Schulbeginn möglich gewesen. Die Klägerin treffe das Alleinverschulden daran, dass sie erst nach Beginn des neuen Schuljahres wieder nach Österreich einreisen habe können.

[25] Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Schadenersatzbegehren wegen Verdienstentgangs von 70.000 EUR sA ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Die Abschiebung der Klägerin sei rechtswidrig gewesen. Sie mache mit dem Verdienstentgang einen bloßen Vermögensschaden geltend. Die Antragstellung nach § 21 Abs 2 Z 2 iVm Abs 6 NAG habe eine Sonderverbindung zwischen den Parteien und dem Bleiberecht der Klägerin geschaffen und diese vor einer Abschiebung geschützt, solange das Verfahren über die Aufenthaltsbewilligung nach dem NAG anhängig gewesen war. Auch Verfahrensgesetze – wie insbesondere § 18 BFA‑VG („Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde“) – dienten gerade dem Schutz der durch einen Antrag betroffenen Partei, und daher auch dem Schutz vor einer rechtswidrigen Abschiebung. Daher sei der Rechtswidrigkeitszusammenhang des behaupteten Verdienstentgangs mit der Übertretung des § 18 BFA‑VG gegeben.

[26] Die Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit eines (hypothetischen) zukünftigen Verdienstentgangs bei Erwerbsunfähigkeit aufgrund einer Körperverletzung nach § 1325 ABGB sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Abgesehen von der Schubhaft liege in Ansehung der Klägerin auch keine Freiheitsentziehung vor.

[27] Der geltend gemachte Verdienstentgang sei mangels einer rechtlich gesicherten Position und mangels einer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erwartbaren Gewinnaussicht weder als positiver Schaden im Sinn des § 1293 ABGB noch als entgangener Gewinn zu beurteilen: Die Klägerin habe nämlich keine gesicherte Rechtsposition auf eine Tätigkeit als Pharmazeutin behauptet und die Realisierung dieser Erwerbschance sei auch nicht als sicher anzusehen.

[28] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[29] Rechtlich führte es aus, die von der Klägerin behauptete Verzögerung ihres Schulabschlusses um zwei Jahre sei nach ihrem Vorbringen nicht (bereits) durch die zwei Tage dauernde Beschränkung ihrer körperlichen (persönlichen Bewegungs‑)Freiheit bei ihrer Festnahme und in der Schubhaft, sondern vielmehr erst durch den danach rund sieben Monate (bis Ende September 2019) dauernden Auslandsaufenthalt in Nigeria samt dem während dieses Zeitraums bestehenden Rückkehrverbot verursacht worden. Die Verzögerung sei nicht durch eine Verletzung des absolut geschützten Rechtsguts der persönlichen (Bewegungs‑)Freiheit erfolgt, zumal die Klägerin in Nigeria nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt gewesen sei.

[30] Die im NAG, im FPG 2005 und im BFA‑VG enthaltenen Regelungen des Fremdenrechts hätten als „Schutzgesetze“ im Sinn des § 1311 ABGB nicht auch den Schutzzweck, den Fremden vor einem ihm (zukünftig) entstehenden Verdienstentgang zu schützen. Die Vorschriften des Fremdenrechts über aufenthaltsbeendende Maßnahmen einschließlich der Bestimmungen über die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Abschiebung (vgl etwa § 2 Abs 2 FPG 2005, § 18 Abs 2 Z 1 und Abs 5 BFA‑VG) verfolgten ausschließlich den Zweck, ein geordnetes Fremdenwesen aufrecht zu erhalten und dessen geordneten Vollzug zu gewährleisten. Nach den Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 bezweckten die Bestimmungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen – einschließlich Rückkehrentscheidungen und Schubhaft –, dass der Drittstaatsangehörige (Fremde) unter vollständiger Achtung seiner Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werde. Diese Vorschriften dienten nicht auch dem Zweck, einen – noch dazu erst zukünftigen – Verdienstentgang des Fremden zu verhindern bzw einen wirtschaftlichen Erwerb und/oder sein wirtschaftliches Fortkommen in Österreich zu schützen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 1 Ob 45/93 sei zu einer früheren Rechtslage vor dem „Fremdenrechtspaket 2005“ ergangen und nicht einschlägig, weil sich der Oberste Gerichtshof darin nicht mit der Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs auseinandergesetzt habe, sondern vielmehr Thema die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG gewesen sei.

[31] Der behauptete hypothetische zukünftige Verdienstentgang der Klägerin – der keines ihrer Grundrechte betreffe – liege außerhalb jeglichen Rechtswidrigkeitszusammenhangs mit den seit 2005 in Geltung stehenden Vorschriften des Fremdenrechts, insbesondere den Bestimmungen über die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Abschiebung. Das Verdienstentgangsbegehren sei in Ermangelung einer Rechtsgrundlage abzuweisen.

[32] Auch die Begründung des Erstgerichts, ein künftiger Verdienstentgang sei nicht schlüssig behauptet worden, treffe zu.

Rechtliche Beurteilung

[33] Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision, die von der Beklagten nach Freistellung beantwortet wurde, ist im Hinblick auf die korrekturbedürftigen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Schutzzweck der Bestimmungen über die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Abschiebung und der Rechtsansicht der Vorinstanzen zur fehlenden schlüssigen Behauptung eines Verdienstentgangs zulässig. Die Revision ist entsprechend dem hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens berechtigt.

1. Grundsätzliches zur Amtshaftung:

[34] 1.1. Gemäß § 1 Abs 1 AHG haften die dort genannten Rechtsträger, darunter die Beklagte, für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Ganz allgemein begründet nur eine unvertretbare Rechtsanwendung Amtshaftungsansprüche (RS0049955; RS0049969; RS0050216). Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit ein Verschulden des Organs wird in der Regel dann angenommen, wenn die Entscheidung oder Verhaltensweise des Organs von einer klaren Rechtslage oder ständigen Rechtsprechung ohne sorgfältige Überlegung der Gründe abweicht (RS0049912; RS0049951 [T4]).

[35] Die Beklagte bestreitet nicht, dass der BFA‑Bescheid vom 25. 1. 2019, auf dessen Grundlage die Klägerin nach Nigeria abgeschoben und ihrer Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, und der nachfolgend vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurde, auf einer rechtswidrigen und unvertretbaren Rechtsansicht beruhte. Die Klägerin leitet (nach ihrem erstinstanzlichen Vorbringen) aus den Folgen dieses Bescheids ihren Verdienstentgang ab.

[36] 1.2. Wird im Amtshaftungsverfahren ein bloßer Vermögensschaden geltend gemacht, ist dieser nur aufgrund einer (vorwerfbaren) Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, der Übertretung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB oder eines sittenwidrigen Verhaltens des Schädigers ersatzfähig (1 Ob 223/22h [Rz 20] mwN).

[37] Zutreffend ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die von der Klägerin behauptete Verzögerung ihres Schulabschlusses um zwei Jahre nach ihrem Vorbringen nicht (bereits) durch die zwei Tage dauernde Beschränkung ihrer körperlichen Freiheit bei ihrer Festnahme und in der Schubhaft, sondern vielmehr erst durch den danach rund sieben Monate dauernden Auslandsaufenthalt in Nigeria samt Rückkehrverbot verursacht worden ist. Die Verzögerung erfolgte nicht durch die Verletzung des absolut geschützten Rechtsguts der persönlichen Freiheit, war doch die Klägerin in Nigeria nicht in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt. Damit kommt hier nur die Übertretung von Schutzgesetzen in Betracht.

[38] 1.3. Auch im Amtshaftungsrecht gilt, dass die verletzte Vorschrift auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen Vermögensnachteilen zu schützen (RS0050038 [T1]). Der Schutzzweck der Norm ist ein selbständiges Abgrenzungskriterium der Haftung neben der Rechtswidrigkeit, dem Verschulden und der Kausalität. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein (RS0027553 [T18]). Ohne dessen haftungseingrenzende Wirkung droht eine Uferlosigkeit der Haftpflicht. Aufgrund eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens ist daher nur für jene dadurch verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck der übertretenen Norm erfasst werden, weil diese zumindest auch derartige Schäden verhindern will. Die Normzweckprüfung ist teleologisch ausgerichtet und stellt primär darauf ab, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt festgehaltenen Anordnung zumindest (mit‑)verfolgt wird. Nicht jeder Schutz, den eine Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck umfasst (vgl RS0027553 [T14]; RS0022813 [T10, T16]; RS0031143 [T7, T19, T22]).

[39] 1.4. Im Amtshaftungsbereich muss besonders geprüft werden, ob Pflichten des Rechtsträgers nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse eines einzelnen Betroffenen normiert sind (vgl RS0031143 [T4, T11]; RS0050038 [T27]). Angesichts der in der Regel öffentlichen Interessen wahrenden öffentlich‑rechtlichen Vorschriften genügt es für die Annahme des erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwar, dass die Verhinderung eines Schadens eines Dritten bloß mitbezweckt ist (RS0031143 [T5, T13]). Die verletzte Amtspflicht muss aber gerade dem Geschädigten gegenüber bestanden haben (RS0031143 [T6]), was auch davon abhängen kann, ob bereits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen ihm und dem Rechtsträger bestand oder aber die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eine so große und unbestimmte Personenzahl betrifft, dass dies der Allgemeinheit gleichzusetzen ist (RS0049993).

2. Zum Schutzzweck von § 21 NAG, § 52 FPG 2005 sowie § 18 BFA‑VG:

[40] 2.1. Der Fachsenat hat sich bereits mehrfach mit dem Schutzzweck fremdenrechtlicher Bestimmungen befasst.

[41] In der Entscheidung zu 1 Ob 45/93 (= SZ 67/26) schloss der Oberste Gerichtshof zum früheren Fremdenpolizeigesetz einen Amtshaftungsanspruch auf Ersatz eines ihm in Österreich ergangenen Verdienstes nicht aus, weil der klagende Ausländer zwar mit Erfolg das Aufenthaltsverbot, nicht aber die spätere Verhängung der Schubhaft bekämpfte. Darin bejahte der Oberste Gerichtshof implizit den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verdienstentgang und dem zu Unrecht gegen den Ausländer erlassenen Aufenthaltsverbot.

[42] In der Entscheidung zu 1 Ob 74/15m sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass die einer Stadt als Rechtsträgerin eines öffentlichen Krankenhauses entstandenen Pflegekosten für eine nicht krankenversicherte ausländische Staatsangehörige ein ersatzfähiger Schaden seien, der vom Schutzzweck des § 11 Abs 2 Z 3 NAG erfasst sei. Das Bestehen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Sinn von § 11 Abs 2 Z 3 NAG bezwecke, wie sich aus Z 4 dieser Bestimmung ergebe, dass der Aufenthalt des Fremden für Bund, Land und Gemeinde zu keiner finanziellen Belastung führen dürfe. Somit solle die klagende Stadt davor bewahrt werden, dass sie unabweisbare Patienten aufnehmen müsse, die über keinen aufrechten Versicherungsschutz verfügen, und ihr daher Pflegegebühren entstehen.

[43] Zuletzt sprach der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 232/22g (Rz 47) aus, dass bei Nachweis der Kausalität, dass eine klagende ausländische Staatsangehörige bei rechtzeitiger Ausstellung der Aufenthaltskarte eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit aufgenommen hätte, kein Zweifel am Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe und ihr der erzielte Verdienst zu ersetzen sei. Die Pflicht der Behörde zur Ausstellung der Aufenthaltskarte nach § 54 NAG habe den Zweck, dem Inhaber eine Urkunde in die Hand zu geben, die zwar andere Behörden nicht binde, aber dennoch das Wahrnehmen der aus der materiellen Aufenthaltsberechtigung folgenden Rechte erleichtere. Ein Verdienstentgang, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, hätte der Aufenthaltsberechtigte mit der Aufenthaltskarte seine Berechtigung zur Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit nachweisen können, stehe daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der verletzten Pflicht nach § 54 Abs 1 NAG.

[44] 2.2. Maßgeblich, ob im Rahmen der Amtshaftung eine Norm gerade auch den Schutz des Geschädigten bezweckt, ist (wie dargelegt) insbesondere, ob bereits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen dem Geschädigten und dem Rechtsträger, dessen Organe eine Amtspflicht verletzten, besteht. In der Entscheidung zu 1 Ob 20/93 wurde ausgesprochen, dass zur Auslegung des speziellen schadenersatzrechtlichen Schutzzwecks die (dort in einem Landesgesetz) ausgesprochene oder verweigerte Berechtigung zur Verfahrensbeteiligung wichtigster Anhaltspunkt sei. In der Entscheidung zu 1 Ob 320/97h wurde ergänzend ausgeführt, dass die Einräumung eines subjektiv‑öffentlichen Rechts und die daran geknüpfte Rechtsmittellegitimation regelmäßig das wesentliche Indiz dafür sind, dass das dem öffentlichen Recht zuzuordnende Gesetz zumindest auch das Vermögen des davon Betroffenen schützen will.

[45] 2.3. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand eine rechtliche Sonderverbindung, weil ihr durch § 21 Abs 2 Z 2 NAG ein subjektiv‑öffentliches Recht auf Inlandsantragstellung eingeräumt wurde und ihr diese Antragstellung – wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 21 Abs 6 NAG ergibt – ein Bleiberecht verschaffte (VwGH Ro 2022/22/0002). Der Verstoß der Beklagten gegen diese Bestimmung sowie gegen § 52 Abs 1 FPG 2005 und § 18 Abs 2 Z 1 BFA‑VG hat nach ihren Behauptungen dazu geführt, dass sich ihre Schulausbildung um zwei Jahre verzögert hat. Ein daraus allenfalls resultierender Verdienstentgang steht infolge der rechtlichen Sonderverbindung (gerade durch das gegen sie vom BFA geführte Abschiebungsverfahren) im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem Verstoß gegen diese Bestimmungen.

[46] Aufgrund der Sonderverbindung ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht maßgebend, dass die Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (ErläutRV 1078 BlgNR 24. GP , 5) als Zweck der Bestimmungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen nennen, dass der Drittstaatsangehörige unter vollständiger Achtung seiner Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt wird. Mag auch darin der Hauptzweck der Vorschriften liegen, sagt dies nichts darüber aus, dass der von einer rechtswidrigen Abschiebung Betroffene nicht auch seinen durch rechtswidrige Maßnahmen verursachten Verdienstentgang gegenüber der Beklagten geltend machen kann.

[47] 2.4. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass eindurch eine rechtswidrige Abschiebung verursachter Verdienstentgang einer Betroffenen im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem Verstoß gegen § 21 Abs 2 Z 2 und Abs 6 NAG, § 52 Abs 1 FPG 2005 und § 18 Abs 2 Z 1 BFA‑VG steht.

3. Zum Verdienstentgangsbegehren:

[48] 3.1. Der erkennende Senat hat bereits außerhalb von § 1325 ABGB zu einem deliktischen Anspruch auf Verdienstentgang ausgesprochen, dass von einem positiven Schaden auszugehen sei, wenn der Geschädigten bei Erteilung einer (rechtswidrig verweigerten) behördlichen Genehmigung „mit seinem Gewerbe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Verdienst erzielt hätte“ (1 Ob 89/21a [Rz 7]).

[49] 3.2. Gemäß § 406 Satz 1 ZPO ist die Verurteilung zu einer Leistung nur zulässig, wenn die Fälligkeit zur Zeit der Urteilsschöpfung bereits eingetreten ist. Der in der Klage geltend gemachte Anspruch muss daher spätestens zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig sein, widrigenfalls die Klage – jedenfalls im Umfang des gestellten Leistungsbegehrens – abzuweisen ist (7 Ob 170/22h [Rz 27 mwN]).

[50] 3.3. Die Verurteilung zu erst künftig fälligen Leistungen ist nur bei Alimenten möglich (vgl § 406 Satz 2 ZPO; § 1418 ABGB). Die entsprechenden (materiell‑rechtlichen) Normen, die den Zuspruch einer künftigen Schadensrente ermöglichen (§ 1325 [sowie § 1327 ABGB], § 152 Luftfahrtgesetz, § 14 EKHG, § 7 Reichshaftpflichtgesetz, § 11 Rohrleitungsgesetz, § 2 Impfschadengesetz) setzen jeweils einen Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut – in der Regel eine körperliche oder gesundheitliche Schädigung – voraus (vgl auch § 407 Abs 1 ZPO). Bei einem (wie hier behaupteten) bloßen bzw reinen Vermögensschaden besteht jedoch keine gesetzliche Grundlage für einen Zuspruch künftigen Verdienstentgangs (1 Ob 211/14g; 1 Ob 54/20b).

[51] 3.4. Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz war am 8. 11. 2022. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Klägerin selbst ohne Abschiebung ein (unterstelltes) dreijähriges Bachelorstudium der Pharmazie, das sie nach ihrer Matura und der Absolvierung der Aufnahmeprüfung frühestens im Herbst 2020 beginnen hätte können, noch nicht abgeschlossen gehabt. Daher kann auch der behauptete Verdienstentgang als angestellte Pharmazeutin für die ersten zwei Berufsjahre noch nicht eingetreten sein.

[52] 3.5. Diesbezüglich könnte sie nur die Feststellung der Haftung der Beklagten für einen künftigen Verdienstentgang anstreben. Sie hätte – was ihr Vorbringen betrifft – eine konkrete Beeinträchtigung ihrer künftigen beruflichen Tätigkeit darzulegen und zu erwartende vermögensrechtliche Nachteile zu behaupten (vgl 6 Ob 295/03f [Pkt 3.]). Auf Tatsachenebene ist für Klagen auf Feststellung der Haftung für künftige Schäden erforderlich, dass die „Möglichkeit“ künftiger Schäden offen bleibt (vgl RS0038976), künftige Schäden also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können (2 Ob 58/21z mwN; RS0039018). Diese Rechtsprechung hat sich im Zusammenhang mit Unfallschäden entwickelt (vgl RS0038976), gilt aber auch bei vertraglicher Haftung (2 Ob 50/19w mwN). Sie kann auch auf ein Feststellungsbegehren auf künftigen Verdienstentgang infolge rechtswidriger Abschiebung übertragen werden.

[53] Für das Vorliegen des Feststellungsinteresses genügt damit, dass ein zukünftiger Verdienstentgang konkret behauptet wird und dieser auf Tatsachenebene nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Ob dann bei einer zukünftigen Leistungsklage Verdienstentgang zuzusprechen ist, hängt davon ab, ob die Klägerin im Leistungsprozess nachweisen kann, dass sie ohne das schädigende Ereignis diesen Verdienst gehabt hätte.

[54] Dass die Erhebung einer Feststellungsklage für den künftigen Verdienstentgang geboten wäre, erkannte auch die (anwaltlich vertretene) Klägerin (erstmals) im Rechtsmittelverfahren.

[55] 3.6. Nach ständiger Rechtsprechung hat sich die Erörterungspflicht des Gerichts im Rahmen des behaupteten Anspruchs zu bewegen; nur in diesem Bereich ist auf eine Vervollständigung des Sachvorbringens oder auch darauf zu dringen, dass das Begehren schlüssig gemacht wird (RS0108818). Aufgrund § 182a ZPO ist die richterliche Anleitungspflicht nur insofern als erweitert anzusehen, als auf ein verfehltes Klagebegehren, das nicht dem offenkundig verfolgten Rechtsschutzziel der Partei entspricht, aufmerksam zu machen und der Klägerin Gelegenheit zu geben ist, ihr Klagebegehren auch dann zu ändern, wenn dies eine Klagsänderung darstellt (RS0108818 [T5]). Ein solcher Fall eines verfehlten, nicht dem offenkundig verfolgten Rechtsschutzziel entsprechenden Begehrens lag hier hinsichtlich des Verdienstentgangs vor.

[56] Das Berufungsgericht verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens wegen der diesbezüglich unterlassenen Manuduktion, weil die Beklagte, die den Ersatz eines Verdienstentgangs oder entgangenen Gewinns der Kläger in Abrede gestellt habe, bereits auf die Schwächen des erstinstanzlichen Leistungsbegehrens in Bezug auf den künftigen Verdienst hingewiesen habe. Diese Begründung ist, was die Revisionswerberin zutreffend als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens releviert, von der Aktenlage nicht gedeckt, weil die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptete, dass das Leistungsbegehren nicht zulässig sei. Da das Berufungsgericht die Mängelrüge auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigte (RS0043092 [T1], RS0043166), kann diese Mangelhaftigkeit vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden, weil damit das Berufungsverfahren selbst mangelhaft ist (RS0043086 [T7]).

[57] 4. Der Revision ist daher Folge zu geben, um die Erörterung des Begehrens auf Verdienstentgang mit dem Kläger zu ermöglichen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und dem Erstgericht ist eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[58] 5. Zur Frage eines allfälligen Allein‑ oder Mitverschuldens der Klägerin braucht auf der Grundlage des bisherigen Verfahrensstands nicht abschließend eingegangen werden.

[59] Jedenfalls begründet aber der von der Beklagten behauptete Umstand, dass die Klägerin nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des (zuvor mündlich verkündeten) Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Wien (Aufenthaltstitel „Schüler“) am 7. 8. 2019 „erst“ am 5. 9. 2019 bei der österreichischen Botschaft in Abuja die Erteilung eines „Visums D“ zur Abholung ihres Aufenthaltstitels beantragte, unter Bedachtnahme auf das Abwarten der sechswöchigen Frist (§ 26 VwGG) für eine allfällige außerordentliche Amtsrevision weder ein Allein‑ noch ein Mitverschulden daran, dass sie in weiterer Folge erst nach Beginn des Schuljahres 2019/2020 wieder nach Österreich einreisen durfte. Dass Organe der Beklagten der Klägerin zur Ermöglichung einer Wiedereinreise noch vor Beginn des neuen Schuljahrs behilflich gewesen wären, behauptet die Revisionsgegnerin nicht.

[60] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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