European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010NC00086.23X.0925.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Akt wird dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zurückgestellt.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien aus dem Titel der Amtshaftung vom Bund die Zahlung von 13.129,07 EUR sA. Er leitet seinen Amtshaftungsanspruch einerseits aus zwei Oppositionsprozessen ab, die er vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien und dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien verlor, sowie andererseits aus einem vor dem Bezirksgericht Ried im Innkreis gegen ihn geführten Prozess, den er ebenfalls verlor und der mit Entscheidungen des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht endete. Er behauptet, dass diesen Gerichtsentscheidungen willkürliche Beweiswürdigungen und unvertretbare Rechtsansichten zugrunde liegen.
Rechtliche Beurteilung
[2] Das angerufene Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 9 Abs 4 AHG vor, weil der Kläger Amtshaftungsansprüche aus den Berufungsverfahren des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien und des Landesgerichts Ried im Innkreis ableite.
[3] 1. Die Voraussetzungen für eine Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG durch den Obersten Gerichtshof liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung ist unter anderem dann ein anderer Gerichtshof erster Instanz als zuständig zu bestimmen, wenn Amtshaftungsansprüche aus einer Entscheidung des nach den allgemeinen Zuständigkeitsnormen zuständigen Landesgerichts oder des diesem im Rechtsmittelzug übergeordneten Oberlandesgerichts abgeleitet werden. Der Oberste Gerichtshof ist aber weder betreffend die behaupteten Fehlentscheidungen des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien noch des Landesgerichts Ried im Innkreis „übergeordnetes“ Gericht.
[4] 2. Der Kläger leitet den behaupteten Schadenersatzanspruch aus unterschiedlichen rechts-erzeugenden Tatsachen ab, wobei nach seinem bisherigen Vorbringen nicht ganz klar ist, ob jeder dieser Klagegründe für sich einem allfälligen Urteilsbegehren insgesamt zum Erfolg verhelfen soll (vgl zur sogenannten kumulierten Klagenhäufung RS0037814) oder nicht. Unabhängig davon, ob ein (einheitlicher) Schaden geltend gemacht wird oder – was wohl naheliegt – getrennt zu behandelnde Schäden, besteht jedenfalls keine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Delegierung im Sinn des § 9 Abs 4 AHG:
[5] 2.1. Für den Fall, dass ein einheitlicher Schaden geltend gemacht wird, ist Folgendes zu erwähnen: Nach § 9 Abs 1 AHG ist für Amtshaftungsklagen jenes Landesgericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen bzw das schadenstiftende Fehlverhalten gesetzt wurde. Bezieht sich das behauptete schuldhafte Verhalten (eines Organs) auf mehrere Gerichtshofsprengel, ist jedes Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung ebenfalls stattgefunden hat. Der Kläger kann in diesem Fall nach § 102 JN wählen, vor welchem der mehreren zuständigen Gerichte er klagen will (Schragel, AHG3 Rz 247; Vollmaier in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 9 AHG Rz 2, jeweils mwN). Dieses Wahlrecht käme dem Kläger aber auch dann zu, wenn er einen einheitlichen Schaden geltend macht, den er aus in verschiedenen Gerichtshofsprengeln begangenen Rechtsverletzungen mehrerer Organe (des Bundes) ableitet (1 Ob 105/13t [Punkt 2.5]). Wäre dies der Fall, wäre das Erstgericht für den gesamten vom Kläger verfolgten Anspruch (sachlich und) örtlich zuständig. In diesem Fall bezöge sich die Ausgeschlossenheit nach § 9 Abs 4 AHG auf sämtliche (kumulierten) Ansprüche. Ist aufgrund dieser Erwägungen für die Klage zwar das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien das örtlich zuständige Prozessgericht (§ 9 Abs 1 AHG), zugleich aber gemäß § 9 Abs 4 AHG von der Behandlung der Sache ausgeschlossen, womit ein Fall der notwendigen, der Parteiendisposition entzogenen Delegierung nach dieser Bestimmung vorliegt, hat das übergeordnete Oberlandesgericht Wien die entsprechende Delegierung vorzunehmen (1 Nc 32/19z mwN [Punkt 1.]).
[6] 2.2. Sollte kein einheitlicher Schaden vorliegen (was nahe liegt, aber mit dem Kläger noch zu erörtern ist) und ein Teil der Klageansprüche auch auf ein außerhalb des Sprengels des angerufenen Erstgerichts gesetztes Organverhalten gestützt werden (behauptete Fehlentscheidungen des Landesgerichts Ried im Innkreis), würden insofern hingegen weder die Voraussetzungen für eine Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG vorliegen (vgl RS0108886), noch – mangels örtlicher Zuständigkeit des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien – jene für eine objektive Klagenhäufung nach § 227 Abs 1 ZPO (vgl 1 Nc 24/19y; 1 Ob 196/21m [Rz 6]). Sollte kein einheitlicher Schaden geltend gemacht werden, wäre die (weitere) behauptete Rechtsverletzung im Sprengel des Landesgerichts Ried im Innkreis begangen worden, weshalb das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien für daraus abgeleitete Ersatzansprüche gemäß § 9 Abs 1 AHG nicht zuständig wäre und die Klage insofern zurückzuweisen wäre (vgl 1 Nc 32/19z [Punkt 2.]).
[7] 3. Aus den dargelegten Gründen ist der Akt daher dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zurückzustellen.
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