OGH 1Nc32/19z

OGH1Nc32/19z8.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der beim Landesgericht Salzburg zu AZ 3 Nc 4/19i anhängigen Verfahrenshilfesache der Antragstellerin R*****, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010NC00032.19Z.0108.000

 

Spruch:

Die Akten werden dem Oberlandesgericht Linz zurückgestellt.

 

Begründung:

Die Antragstellerin begehrt beim Landesgericht Salzburg die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Amtshaftungsklage gegen den Bund. Ihren Amtshaftungsanspruch leitet sie einerseits aus einem behaupteten Fehlverhalten eines Richters des Landesgerichts Salzburg ab, der sie in der Verhandlung herabwürdigend behandelt und den Schadenersatzprozess gegen ihren ehemaligen Zahnarzt „völlig willkürlich nach Leoben überwiesen“ habe. Andererseits behauptet sie diverse Fehler von Richtern des Landesgerichts Leoben im (dorthin überwiesenen) Prozess gegen ihren früheren Zahnarzt.

Das angerufene Landesgericht Salzburg legte die Akten dem Oberlandesgericht Linz zur Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG vor, weil die Antragstellerin ihre Amtshaftungsansprüche (auch) auf ein behauptetes Fehlverhalten eines Richters dieses Landesgerichts stütze. Das Oberlandesgericht Linz übermittelte daraufhin die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Bestimmung eines Erstgerichts nach § 9 Abs 4 AHG unter Hinweis darauf, dass die Antragstellerin ihren Amtshaftungsanspruch aus in demselben Verfahren ergangenen Entscheidungen des Landesgerichts Salzburg (Überweisung an das Landesgericht Leoben) und des Landesgerichts Leoben im überwiesenen Verfahren ableite. Ausschließlich (örtlich) zuständig für den geltend zu machenden (einheitlichen) Schadenersatzanspruch wären gemäß § 9 Abs 1 AHG einerseits das Landesgericht Salzburg und andererseits das Landesgericht Leoben. Da die Voraussetzungen des § 9 Abs 4 AHG vorlägen, das Landesgericht Leoben aber nicht im Sprengel des Oberlandesgerichts Linz liege, komme als übergeordnetes Gericht im Sinn des § 9 Abs 4 AHG nur der Oberste Gerichtshof zur Bestimmung eines anderen Landesgerichts in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG durch den Obersten Gerichtshof liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung ist unter anderem dann ein anderer Gerichtshof erster Instanz als zuständig zu bestimmen, wenn Amtshaftungsansprüche aus einer Entscheidung des nach den allgemeinen Zuständigkeitsnormen zuständigen Landesgerichts oder des diesem im Rechtsmittelzug übergeordneten Oberlandesgerichts abgeleitet werden, wobei dies auch für das dem eigentlichen Amtshaftungsprozess vorgelagerte Verfahrenshilfeverfahren gilt (RIS‑Justiz RS0050123 [T1, T2, T3]; RS0122241; Schragel , AHG 3 Rz 255). Der Oberste Gerichtshof ist aber weder betreffend die behaupteten Fehlverhalten des Landesgerichts Salzburg noch des Landesgerichts Leoben „übergeordnetes“ Gericht.

Die Antragstellerin leitet ihren Schaden aus unterschiedlichen rechtserzeugenden Tatsachen ab, wobei nach ihrem bisherigen Vorbringen nicht klar ist, ob jeder dieser Klagegründe für sich einem allfälligen Urteilsbegehren insgesamt zum Erfolg verhelfen soll (vgl zur sogenannten kumulierten Klagenhäufung RS0037814) oder nicht. Unabhängig davon, ob ein (einheitlicher) Schaden geltend gemacht wird – wovon offenbar das Oberlandesgericht Linz ausgeht – oder getrennt zu behandelnde Schäden, besteht jedenfalls keine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Delegierung im Sinn des § 9 Abs 4 AHG:

1. Nach § 9 Abs 1 AHG ist für Amtshaftungsklagen jenes Landesgericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen bzw das schadenstiftende Fehlverhalten gesetzt wurde. Bezieht sich das behauptete schuldhafte Verhalten (eines Organs) auf mehrere Gerichtshofsprengel, ist jedes Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung ebenfalls stattgefunden hat. Die Antragstellerin kann in diesem Fall nach § 102 JN wählen, vor welchen der mehreren zuständigen Gerichte sie klagen will (Schragel aaO Rz 247; Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek, ABGB4 VII AHG § 9 Rz 2, je mwN). Dieses Wahlrecht käme der Antragstellerin aber auch dann zu, wenn sie – wovon offenbar das Oberlandesgericht Linz ausgeht – einen (einheitlichen) Schaden geltend macht, den sie aus in verschiedenen Gerichtshofsprengeln begangenen Rechtsverletzungen mehrerer Organe (des Bundes) ableitet (1 Ob 105/13t). Wäre dies der Fall, wäre das Erstgericht für beide von der Antragstellerin verfolgten Ansprüche aus den Verfahren vor dem Landesgericht Salzburg und dem Landesgericht Leoben (sachlich und) örtlich zuständig und damit auch das für den Verfahrenshilfeantrag zuständige Prozessgericht im Sinn des § 65 Abs 2 ZPO. Beide Ansprüche würden sich auf das AHG stützen, sodass über keinen in einem besonderen Verfahren (einer besonderen Verfahrensart) zu verhandeln und zu entscheiden wäre. Auch wenn die Ausgeschlossenheit des Landesgerichts Salzburg (im Sinn des § 9 Abs 4 AHG) nur einen von mehreren der verfolgten Ansprüche betrifft, wirkt sich dies dennoch umfassend aus. Wäre das Landesgericht Salzburg für eine allfällige Klage – und damit auch für den vorliegenden Verfahrenshilfeantrag (§ 65 Abs 1 ZPO) – uneingeschränkt zuständig, bezöge sich auch eine etwaige Ausgeschlossenheit nach § 9 Abs 4 AHG auf sämtliche (kumulierte) Ansprüche. Ist für den Verfahrenshilfeantrag zwar das Landesgericht Salzburg das örtlich zuständige Prozessgericht (§ 9 Abs 1 AHG), zugleich aber gemäß § 9 Abs 4 AHG von der Behandlung der Sache ausgeschlossen, womit ein Fall der notwendigen, der Parteiendisposition entzogenen Delegierung nach dieser Bestimmung vorliegt, hat das übergeordnete Oberlandesgericht Linz die entsprechende Delegierung vorzunehmen.

2. Sollte kein einheitlicher Schaden vorliegen und die Klagsansprüche auch auf ein außerhalb des Sprengels des angerufenen Erstgerichts gesetztes Organverhalten gestützt werden (behauptetes Fehlverhalten von Richtern des Landesgerichts Leoben), würden insofern hingegen weder die Voraussetzungen für eine Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG vorliegen (vgl RS0108886), noch – mangels örtlicher Zuständigkeit des Landesgerichts Salzburg – jene für eine objektive Klagenhäufung nach § 227 Abs 1 ZPO (vgl 1 Nc 24/19y). Ein an ein unzuständiges Gericht (§ 65 Abs 1 ZPO) gerichteter Verfahrenshilfeantrag wäre in sinngemäßer Anwendung des § 44 JN dem zuständigen Gericht zu übermitteln (RS0131152; 1 Nc 9/19t mwN). Sollte kein einheitlicher Schaden geltend gemacht werden, wäre die (weitere) behauptete Rechtsverletzung im Sprengel des Landesgerichts Leoben begangen worden, weshalb die Rechtssache insofern diesem als dem gemäß § 9 Abs 1 AHG zuständigen Gerichtshof erster Instanz vom Erstgericht zu überweisen wäre. Dieses hätte den Akt gegebenenfalls im Sinn des § 9 Abs 4 AHG dem Oberlandesgericht Graz vorzulegen.

3. Aus den dargelegten Gründen ist der Akt daher dem Oberlandesgericht Linz zurückzustellen.

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