European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00057.23I.0822.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der verstorbene Ehegatte der Klägerin, T*, war bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen zunächst
von 1. 1. 2015 bis 31. 3. 2020 aufgrund seiner Gewerbeberechtigungen „Heizungstechnik verbunden mit Lüftungstechnik“ sowie „Gas‑ und Sanitärtechnik“, und ab 1. 4. 2020 bis 3. 6. 2021 als geschäftsführender Gesellschafter der G* GmbH pflichtversichert. Sein Unternehmen umfasste nicht nur Sanitärinstallationen, sondern auch die Vermietung von Maschinen wie Traktor und Hebebühne.
[2] Einer seiner größten Auftraggeber war die S* GmbH. Diese ist an der G* GmbH (nunmehr: W* GmbH), der Veranstalterin des Festivals „*“ (in der Folge: Festival), ebenso beteiligt wie an der S* GmbH und der A* GmbH, die am Festival für die Gastronomie bzw das Marketing und verschiedene andere Agenden zuständig sind.
[3] Seit 2013 war T* jährlich als selbständiger Dienstleister von der Veranstalterin mit Arbeiten für das Festival beauftragt worden. Er wurde zu einem wichtigen Partner in der Organisation des Festivals und gehörte zum „Kernteam“ der Produktion des Festivals. Das „Kernteam“ bestand aus (temporären) Arbeitnehmern der beteiligten Gesellschaften und zwei Selbständigen. Mit einem Mitglied, dem Hauptverantwortlichen für die Organisation des Festivals, war er befreundet und wurde von diesem zu einem Geburtstagsfest eingeladen; darüber hinaus gab es keine privaten Einladungen von und an Mitglieder des Produktionsteams. Aus der – für T* wirtschaftlich wichtigen – Geschäftsbeziehung mit den Veranstaltern und durch den Kontakt mit den Mitgliedern des Produktionsteams des Festivals entstanden für T* auch zahlreiche Folgeaufträge.
[4] Die Mitglieder des „Kernteams“ fuhren etwa zweimal im Jahr gemeinsam als Besucher zu anderen Festivals; einmal unternahmen sie auch einen dreitägigen Campingausflug. Bei diesen Ausflügen – an denen in der Regel auch T* teilgenommen hat – wurden immer wieder auch arbeitstechnische Dinge besprochen.
[5] Zwei oder drei Mitglieder des Produktionsteams hatten etwa drei oder vier Jahre vor ihrer Verwirklichung die Idee, einmal mit ihren Oldtimer‑Mopeds zu jenem Weinbauern ins Burgenland zu fahren, der am Festival ausschenkt. Diese Idee wurde zunächst aus Zeitgründen nicht umgesetzt, schließlich aber von dem mit T* befreundeten Mitglied des Kernteams doch aufgegriffen. Die S* GmbH war in die Planung ebenso wenig involviert wie ihr Alleingesellschafter und Geschäftsführer sowie die G* GmbH; diese bekamen davon auch nichts mit.
[6] Die Teilnehmer – davon sieben mit Oldtimer‑Mopeds und einer mit einem Begleitfahrzeug mit Ersatzteilen für die Mopeds – wollten ab Donnerstag, dem 3. 6. 2021, in zwei Tagesetappen mit einer Übernachtung zum Weinbauern fahren und nach einer zweiten Übernachtung mit einem Bus zurückkehren. Gemeinsames Ziel und Plan des Ausflugs waren, in der Gruppe des Kernteams der Produktion des Festivals mit den Mopeds fortzufahren und einerseits Spaß zu haben, andererseits aber die Gelegenheit wahrzunehmen, über die Aufgaben bei dem ab dem folgenden Montag beginnenden Aufbau des Festivals zu sprechen. T* lieh sich für die Teilnahme am Ausflug das Moped seines Vaters.
[7] Am Nachmittag des 3. 6. 2021 hatte ein Teilnehmer Probleme mit seinem Moped, sodass alle neben der Bundesstraße anhielten. Kurz darauf fuhr unvermittelt und aus ungeklärter Ursache ein Pkw‑Lenker in die Gruppe der Mopedfahrer und erfasste diese. T* und ein weiterer Teilnehmer verstarben noch an der Unfallstelle.
[8] Mit Bescheid vom 25. 10. 2021 anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 3. 6. 2021 nicht als Arbeitsunfall.
[9] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Tod ihres Ehegatten Folge eines Arbeitsunfalls vom 3. 6. 2021 war sowie die Zuerkennung einer Witwenrente ab diesem Zeitpunkt.
[10] Die Beklagte wandte ein, dass bei objektiver Betrachtung die Teilnahme an einem mehrtägigen Mopedausflug mit Freunden nicht als eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit angesehen werden könne.
[11] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin infolge des tödlichen Arbeitsunfalls ihres Ehegatten vom 3. 6. 2021 eine Witwenrente ab diesem Tag im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Der Motorradausflug sei als gemischte Tätigkeit zu qualifizieren, der nicht ausschließlich privaten, sondern wesentlichen betrieblichen Interessen des Ehegatten der Klägerin gedient habe.
[12] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge der Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab. Selbst wenn der verstorbene Ehegatte der Klägerin mit der Teilnahme am Mopedausflug subjektiv die Absicht der Kunden‑ und Kontaktpflege mit den Mitgliedern des Produktionsteams des Festivals verfolgt habe, fehle es bei objektiver Betrachtung an einem Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Installateur und der Teilnahme an einer zwei volle Tage in Anspruch nehmenden Oldtimer‑Mopedfahrt über mehr als 300 km. Derartige Ausfahrten würden vielmehr regelmäßig zum privaten Vergnügen unternommen. Einen objektiven Zusammenhang habe auch die Klägerin nicht dargelegt.
Rechtliche Beurteilung
[13] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[14] 1. Die Revisionswerberin rügt, dass das Berufungsgericht die Rechtsprechung betreffend die sogenannten „gemischten Tätigkeiten“ nicht berücksichtigt habe. Nur dann, wenn für die unfallbringende Verrichtung ausschließlich die privaten Interessen des Verstorbenen maßgebend gewesen wären, wäre der Unfall vom 3. 6. 2021 kein Arbeitsunfall. Dies sei hier aber nicht der Fall, weil das objektive Interesse des Ehegatten der Klägerin die Kunden- und Kontaktpflege im Rahmen des Mopedausflugs gewesen sei. Ausschließlich im Hinblick darauf habe der Verstorbene an diesem Ausflug teilgenommen.
[15] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die Grundsätze des Unfallversicherungsschutzes bei selbständig erwerbstätigen Versicherten erst jüngst in der – vom Berufungsgericht beachteten – Entscheidung 10 ObS 17/20b SSV‑NF 34/28 wie folgt dargestellt:
„1.1 Die Frage, ob es sich bei einer zu einem Unfall führenden Aktivität um eine Tätigkeit handelt, die in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung steht, beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung nach subjektiven und objektiven Kriterien. Die Tätigkeit muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt worden sein, seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darüber hinaus muss sie auch objektiv (aus der Sicht eines Außenstehenden) noch als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Die subjektive Meinung, dass eine bestimmte Tätigkeit den betrieblichen Interesse dienlich ist, muss im Einzelfall in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze finden (RS0084388).
1.2 Bei Selbständigen richtet sich die Frage, was zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehört, in erster Linie nach berufsrechtlichen Bestimmungen (R. Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 96). Daneben bleibt aber noch ein weiter Bereich von Tätigkeiten, die in der Gestaltungsfreiheit des Selbständigen liegen und zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung seiner selbständigen Existenz dienen, wie zB Tätigkeiten zu Werbezwecken, im Kundendienst oder zur Pflege des geschäftlichen Ansehens, ohne dass zusätzlich ein objektiver geldwerter Nutzen für den Betrieb konkret eingetreten sein muss. Maßgeblich für den Umfang des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung ist hier allgemein, ob sich das jeweilige Verhalten als Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit darstellt, indem es im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (10 ObS 108/08t SSV‑NF 22/59; RS0084271 [T6]).“
[16] 3.1 Der Unfallversicherungsschutz und auch die Frage, ob ein in die betriebliche Sphäre gehöriges besonderes Risiko zum Unfall geführt hat, können immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 3/12g SSV‑NF 26/7; RS0084229 [T17]).
[17] 3.2 Das Berufungsgericht hat sich sehr wohl damit auseinandergesetzt, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin durch die Teilnahme an dem Mopedausflug einerseits eine private Handlung ausübte, die andererseits nach seiner festgestellten Intention seinen betrieblichen Interessen dienen sollte, nämlich der Kunden‑ und Kontaktpflege mit den Mitgliedern des Produktionsteams des Festivals. Gerade in einem Sachverhalt wie dem vorliegenden, in dem eine klare Trennung der versicherten Tätigkeit von privaten Handlungen kaum möglich ist, genügt nach der Rechtsprechung nicht die bloße betriebliche Absicht. Vielmehr bedarf es der Objektivierung des betrieblichen Zusammenhangs (10 ObS 131/00p SSV‑NF 14/63 mH auf 10 ObS 70/90 SSV‑NF 4/32; 10 ObS 17/20b SSV‑NF 34/28). Die Ansicht des Berufungsgerichts, es fehle ungeachtet der betrieblichen Interessen und Absichten des Ehegatten der Klägerin am erforderlichen objektiven betrieblichen Zusammenhang, hält sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen, weil die Teilnahme an einem zweitägigen Mopedausflug aus der Sicht eines Außenstehenden objektiv nicht als Ausübung der Erwerbstätigkeit des Klägers als selbständiger Installateur anzusehen ist.
[18] 4.1 Die Behauptung der Revisionswerberin, es liege nur dann kein Arbeitsunfall vor, wenn die Teilnahme des Ehegatten der Klägerin am Mopedausflug ausschließlich aus privaten Interessen erfolgt sei, findet in der Rechtsprechung keine Grundlage: Danach steht eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, unter dem Schutz der Unfallversicherung, sofern die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten (10 ObS 341/89 SSV‑NF 3/150; 10 ObS 17/20b SSV‑NF 34/28; RS0084271 [T7]; RS0084388 [T2]; auch die Entscheidungen 10 ObS 30/91 SSV‑NF 5/10 und 10 ObS 108/08t SSV‑NF 22/59 sprechen von einem Fehlen des Unfallversicherungsschutzes, wenn für die unfallbringende Verrichtung im Wesentlichen allein die privaten Interessen des Versicherten maßgeblich sind).
[19] 4.2 Ein Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Tätigkeit auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt war, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (10 ObS 102/10p SSV‑NF 24/57; 10 ObS 178/12t SSV-NF 27/6; 10 ObS 17/20b SSV‑NF 34/28; RS0084271 [T19]; in der deutschen Lehre wird von der „privaten Handlungstendenz“ gesprochen, Krasney in Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) – Kommentar § 8 SGB VII Rn 80). In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht – bei der Behandlung der Beweisrüge – darauf hingewiesen, dass der Ausflug auch dann zustande gekommen wäre, wenn das Festival nicht stattgefunden hätte. Das Erstgericht hielt dazu – teilweise im Rahmen der Beweiswürdigung – fest, dass die Idee des Ausflugs bereits seit mehreren Jahren bestanden hatte und der Ausflug selbst zu einem Zeitpunkt fixiert wurde, zu welchem – pandemiebedingt – noch nicht konkret feststand, dass das Festival auch tatsächlich stattfindet. Nachvollziehbar führt das Erstgericht weiter aus, dass sich durch den Umstand, dass sich der Termin des Ausflugs dann tatsächlich genau vor dem Beginn der Aufbauphase des Festivals befand, letztlich auch die Gewichtung dieser (wörtlich: gemischten) Tätigkeit dahin änderte, dass jedenfalls auch geplant war, beim Ausflug über die Aufgaben beim Festival zu sprechen. Den Teilnehmern des Ausflugs war aber klar, dass der Ausflug – sollte das Festival tatsächlich stattfinden – unmittelbar vor Beginn der Aufbauarbeiten dafür stattfinden würde. Vor diesem Hintergrund wären die erforderlichen Vorbereitungsgespräche für das Festival ohne den privaten Konnex wohl im Zuge des Beginns der Aufbauarbeiten geführt worden, war doch der Ehegatte der Klägerin seit Jahren in die Vorbereitung des Festivals integriert und Mitglied des „Kernteams“, von dessen Mitgliedern er auch bereits früher „Folgeaufträge“ erhalten hatte. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen davon ausging, dass die betrieblichen Interessen des Ehegatten der Klägerin an der Teilnahme am Mopedausflug gegenüber seinen privaten erheblich in den Hintergrund traten, hält sich dies im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung.
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