OGH 10ObS17/20b

OGH10ObS17/20b16.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Dr. Martin Gleitsmann (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. W*****, LL.M. oec, *****, vertreten durch Estermann & Partner OG Rechtsanwälte in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2019, GZ 11 Rs 97/19 t‑9, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00017.20B.0416.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger ist gewerberechtlicher Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der P***** GmbH, die eine Online-Plattform betreibt, auf der österreichweit Veranstalter sportliche Aktivitäten wie Rafting, Canyoning, Paragleiten, Klettern oder Bogenschießen anbieten können. Das Tätigkeitsfeld der Gesellschaft besteht darin, die Veranstaltungsbetriebe zu betreuen und eine werbewirksame Präsentation der Anbieter zu gewährleisten. Bei erfolgreichen Buchungen erhält die Gesellschaft eine Vermittlungsprovision. Die Gewerbeberechtigung lautet auf „Reisebüro“ gemäß § 94 Z 56 GewO 1994. Die Bundesländer Tirol, Salzburg und Kärnten werden vom Unternehmen direkt bearbeitet, die Bundesländer Wien und Niederösterreich sind an ein Franchise-Unternehmen vergeben.

Weiters ist der Kläger Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter einer Gesellschaft, die Tandemflüge anbietet. Neben dem Kläger sind in diesem Unternehmen vier Büromitarbeiter in Teilzeit beschäftigt. Etwa 15 Tandempiloten arbeiten auf Werkvertragsbasis. Termine und Besprechungen mit diesen Piloten führt der Kläger zum Großteil bei Outdoor-Events oder anlässlich geplanter Tandemsprünge durch.

Mit einem langjährigen Bekannten, der in der Vergangenheit bereits als Tandempilot eingesetzt war, absolvierte der Kläger regelmäßig Kletterrouten bis zum Schwierigkeitsgrad 9. Seit geraumer Zeit gab es zwischen den beiden Gespräche darüber, dass dieser Freund die Bearbeitung des Bundeslands Tirol unter einer neu zu schaffenden Marke als Franchise-Unternehmen der P***** GmbH übernehmen soll. Zum überwiegenden Teil führten die beiden die Gespräche bei gemeinsamen sportlichen Aktivitäten in der Natur oder anlässlich von Tandemsprüngen.

Am Sonntag, 4. 11. 2018, wollten der Kläger und sein Freund in Niederösterreich eine bestimmte Kletterroute des Schwierigkeitsgrads 6 durchsteigen und bei dieser Gelegenheit auch die Rahmenbedingungen der Schaffung der Marke besprechen. Zugleich beabsichtigte der Kläger, eine am Gipfelplateau gelegene Flugschule zu besichtigen. Während des etwa halbstündigen Zustiegs zur Kletterwand sprachen der Kläger und sein Freund über diverse geschäftliche Projekte im Outdoor-Bereich und auch über die beabsichtigte Franchise-Übernahme. Kurz vor dem Einstieg in die Wand, als sich die beiden bereits in felsigem, leichtem Klettergelände befanden, rutschte der Kläger mit dem rechten Fuß ab, verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings ca 10–15 m einen steilen felsigen Abhang hinab, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog.

Mit Bescheid vom 25. 6. 2019 sprach die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall vom 4. 11. 2018 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und dass kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren, den Unfall des Klägers vom 4. 11. 2018 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zuzuerkennen, übereinstimmend ab.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.

1. Grundsätze des Unfallversicherungsschutzes bei selbständig erwerbstätigen Versicherten

1.1 Die Frage, ob es sich bei einer zu einem Unfall führenden Aktivität um eine Tätigkeit handelt, die in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung steht, beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung nach subjektiven und objektiven Kriterien. Die Tätigkeit muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt worden sein, seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darüber hinaus muss sie auch objektiv (aus der Sicht eines Außenstehenden) noch als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Die subjektive Meinung, dass eine bestimmte Tätigkeit den betrieblichen Interesse dienlich ist, muss im Einzelfall in dem objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze finden (RS0084388).

1.2 Bei Selbständigen richtet sich die Frage, was zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehört, in erster Linie nach berufsrechtlichen Bestimmungen (R. Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 96). Daneben bleibt aber noch ein weiter Bereich von Tätigkeiten, die in der Gestaltungsfreiheit des Selbständigen liegen und zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung seiner selbständigen Existenz dienen, wie zB Tätigkeiten zu Werbezwecken, im Kundendienst oder zur Pflege des geschäftlichen Ansehens, ohne dass zusätzlich ein objektiver geldwerter Nutzen für den Betrieb konkret eingetreten sein muss. Maßgeblich für den Umfang des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung ist hier allgemein, ob sich das jeweilige Verhalten als Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit darstellt, indem es im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (10 ObS 108/08t SSV‑NF 22/59; RS0084271 [T6]).

1.3 Auch sportliche Aktivitäten sind vom Unfallversicherungsschutz umfasst, wenn betriebliche Interessen der Teilnahme im Vordergrund stehen und die sportliche Betätigung geeignet ist, die eigene wirtschaftliche Existenz des Versicherten entscheidend zu fördern (10 ObS 203/97v SSV-NF 11/134). Notwendig ist auch hier ein spezifischer Bezug der betreffenden Aktivität zur versicherten Tätigkeit (R. Müller in SV-Komm § 175 [222. Lfg] Rz 100).

2. Überblick über die bisherige Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen

2.1 Ob – ausgehend von den dargestellten Grundsätzen – ein der betrieblichen oder ein der privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre zugehöriges Risiko zum Unfall geführt hat, kann immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 3/12g SSV‑NF 26/7 mwN; siehe auch RS0084229 [T17]).

2.2 Als versichert wurde etwa die Teilnahme eines Waffenhändlers an einer Jagd zum Zweck der Präsentation und Erprobung von Jagdflinten mit kaufinteressierten Kunden erachtet (10 ObS 70/90 SSV‑NF 4/32) oder die aktive Teilnahme eines selbständigen PR‑Beraters an einem Fussballturnier von Medienmitarbeitern zum Zweck der Kontaktpflege und Kontaktaufnahme (10 ObS 137/02y SSV‑NF 16/88). In dem Zurückweisungsbeschluss 10 ObS 108/08t (SSV-NF 22/59) wurde – ohne Wiedergabe des Sachverhalts in der Entscheidung selbst – der Unfallversicherungsschutz bejaht, wenn die Notwendigkeit einer Schiabfahrt, auf der sich der Unfall ereignete, im Hinblick auf die vorherigen Gespräche mit dem Geschäftspartner (beim Mittagessen auf einer Almhütte und während der Liftfahrten) in einem wesentlichen Umfang von betrieblichen Interessen mitbestimmt wurde.

3. Von dieser Rechtsprechung weicht die Entscheidung der Vorinstanzen nicht ab:

Gerade in Fällen, in denen eine klare Scheidung von versicherten Tätigkeiten und privaten Handlungen von Menschen, die auch geschäftliche Beziehungen unterhalten, schwierig ist, reicht allein die „betriebliche Absicht“ (hier: geschäftliche Gespräche zu führen) für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes nicht aus, sondern es bedarf auch der Objektivierung des betrieblichen Zusammenhangs (10 ObS 131/00p SSV-NF 14/63). Die Ansicht des Berufungsgerichts, es fehle – wenngleich der Kläger subjektiv der Meinung war, eine betriebliche Tätigkeit zu entfalten – der erforderliche objektive betriebliche Zusammenhang, weil aus Sicht eines Außenstehenden das Felsklettern nicht als Ausübung der Erwerbstätigkeit des Klägers anzusehen sei, überschreitet nicht den den Gerichten eingeräumten Ermessensspielraum.

Im Unterschied von den unter Pkt 2.2 genannten Entscheidungen sind im vorliegenden Fall keine Umstände gegeben, die die sportliche Aktivität (das Felsklettern) notwendig gemacht und die es dem Kläger aus betrieblichen Belangen nicht erlaubt hätten, sich dieser Aktivität zu entziehen. Fest steht nur, dass der Kläger und sein Bekannter eine gemeinsame Klettertour planten, im Zuge derer sie „auch“ über ein gemeinsames geschäftliches Projekt sprechen wollten.

4. Den Revisionsausführungen ist noch entgegenzuhalten, dass eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, nur dann unter Unfallversicherungsschutz steht, wenn die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten (RS0084271). Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der Unfall des Klägers bei einer mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit zusammenhängenden Tätigkeit ereignet hätte, würde dieses betriebliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse an der Absolvierung einer Klettertour mit einem langjährigen Freund so in den Hintergrund treten, dass es nur mehr als Nebenzweck und als „Gelegenheitsursache“ für den Unfall angesehen werden könnte. Ein Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Tätigkeit auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt war, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (10 ObS 178/12t SSV‑NF 27/6; RS0084271 [T19]). Ohne einen privaten Konnex bzw Zweck wäre das geschäftliche Gespräch über die Begründung eines Franchiseverhältnisses mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einer Klettertour geführt worden.

5. Da die Tatsachengrundlagen für die rechtliche Beurteilung, es liege kein Arbeitsunfall vor, ausreichen, sind die begehrten weiteren Feststellungen für die Frage des Unfallversicherungsschutzes ohne Belang (RS0053317).

6. Ergebnis: Da die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts in Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung steht und der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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