OGH 14Os15/23x

OGH14Os15/23x27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Obergruber LL.M. in der Strafsache gegen * E* wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Oktober 2022, GZ 17 Hv 102/22z‑20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, und des Verteidigers der Angeklagten, Mag. Dr. Havlik, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00015.23X.0627.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Tat (auch) nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (2./B./), demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

* E* hat zu 2./B./ das Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für die weiteren ihr nach dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Oktober 2022, GZ 17 Hv 102/22z‑20, zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1./A./ und 2./A./) sowie das Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (1./B./), unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 302 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

10 (zehn) Monaten

verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die verhängte Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * E* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1./A./ und 2./A./) sowie zweier Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (1./B./ und 2./B./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[2] Danach hat sie

1./ am 25. Jänner 2022

A./ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Einhebung von Gebühren zu schädigen, die für das Verfahren AZ * zuständige Beamtin des Finanzamts Österreich, * S*, wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem sie dieser ein als „Kulanzmitteilung (Courtesy Notice)“ bezeichnetes Drohschreiben samt Beilagen übermittelte, worin sie unberechtigt Schadenersatzforderungen zumindest in Höhe von 500 Feinunzen Silber, somit 10.619,37 Euro, stellte sowiedie Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung androhte, und diese sinngemäß aufforderte, die im genannten Verfahren mit Bescheid vom 18. November 2021 erlassene Gebührenfestsetzung in Höhe von insgesamt 45 Euro aufzuheben, das Verfahren einzustellen und von der Einhebung der Gebühren abzusehen, wobei es infolge der Weigerung der Beamtin beim Versuch blieb;

B./ durch die zu 1./A./ geschilderte Handlung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz S* durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen zur Aufhebung der am 18. November 2021 im genannten Verfahren erlassenen Gebührenfestsetzung und zur Einstellung des Verfahrens zu nötigen versucht, wodurch der Bund in einem Betrag von 45 Euro „und S* mit einem nicht näher bekannten Betrag, jedoch mindestens mit 10.619,37 Euro“ am Vermögen geschädigt werden hätte sollen;

2./ am 2. April 2022

A./ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Strafverfolgung von Verwaltungsübertretungen zu schädigen, die für das Verwaltungsstrafverfahren AZ * des Polizeikommissariats Landstraße zuständige Beamtin, * H*, wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des „Bundes“ (richtig [vgl Art 11 Abs 1 Z 4 B‑VG]: Landes) als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen, indem sie dieser ein als „Kulanzmitteilung (Courtesy Notice)“ bezeichnetes Drohschreiben samt Beilagen übermittelte, worin sie unberechtigt Schadenersatzforderungen zumindest in Höhe von 2.000 Feinunzen Silber, somit 46.300 Euro, stellte sowie die Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung androhte, und diese sinngemäß aufforderte, die im genannten Verfahren ergangene Anonymverfügung vom 10. März 2022 aufzuheben und das Verfahren einzustellen, wobei es infolge der Weigerung der Beamtin beim Versuch blieb;

B./ durch die zu 2./A./ geschilderte Handlung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz H* durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen zur Aufhebung der Anonymverfügung vom 10. März 2022 und Einstellung des Verfahrens zu nötigen versucht, wodurch der Bund in einem Betrag von 55 Euro „und H* mit einem nicht näher bekannten Betrag, jedoch mindestens 46.300 Euro“ am Vermögen geschädigt werden hätte sollen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Die zu 1./B./ und 2./B./ erhobene Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) kritisiert die Beweiswürdigung (US 13) zu den Feststellungen, wonach die Angeklagte bei S* und H* jeweils „ein Gefühl der Bedrohung ihres Vermögens und der Verängstigung sowie einer starken Unterdrucksetzung, die von der Angeklagten geforderte Handlung auszuführen“, erzeugt hat (US 8 und 10), und behauptet, es liege „völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung“, dass sich die zwei Beamtinnen, die aufgrund ihrer Ausbildung und Berufspraxis „mit rechtlichen Sachverhalten und Inhalten bestens vertraut“ seien, durch den Inhalt der „völlig verwirrt wirkenden Schreiben“ der Angeklagten bedroht oder unter Druck gesetzt gefühlt haben. Indem sie damit (im Übrigen bloß anhand eigener beweiswürdigender Erwägungen) lediglich anzweifelt, ob den Opfern durch die Drohungen tatsächlich begründete Besorgnis eingeflößt wurde, bezieht sie sich nicht – wie bei Geltendmachung von Nichtigkeit aus Z 5 aber erforderlich (RIS‑Justiz RS0106268) – auf Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0117264; vgl RIS‑Justiz RS0092392, RS0127353). Denn die Rechtsfrage der Eignung der Drohung, begründete Besorgnis einzuflößen, ist unter Anlegung eines objektiv-individuellen Maßstabs zu beurteilen, sodasszwar in der Person des Bedrohten gelegene besondere Umstände zu berücksichtigen sind, es aber nicht darauf ankommt, ob die Drohung beim Bedrohten tatsächlich Besorgnis erweckt hat (RIS‑Justiz RS0093967, RS0092538, RS0092753).

[5] Bleibt anzumerken, dass das Schöffengericht den Bedeutungsinhalt der gegenständlichen Schreiben (US 8, 10) nicht nur auf die Angaben und Eindrücke der Zeuginnen S* und H*, sondern (auch) „auf den objektivierten Wortlaut der Schreiben“ gestützt hat (US 13).

[6] Soweit die Beschwerde (nominell Z 5 vierter Fall) die zu 1./A./ und 2./A./ getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 10 f) „schon alleine aufgrund des festgestellten Inhalts der zweifelsohne wirr wirkenden Schreiben (…) mit den Denkgesetzen der Logik bzw. der allgemeinen Lebenserfahrung keinesfalls vereinbar“ erachtet, wird kein Begründungsmangel zur Darstellung gebracht, sondern werden bloß in unzulässiger Form die Konstatierungen kritisiert (RIS‑Justiz RS0118317).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

[8] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) von nicht geltend gemachter, der Angeklagten zum Nachteil gereichender Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) betreffend den Schuldspruch zu 2./B./.

[9] § 144 Abs 1 StGB setzt eine Nötigung des Opfers (mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung) zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung voraus, die dieses oder einen anderen (unmittelbar) am Vermögen schädigt. Tritt der Schaden an einem anderen Rechtsgut ein, wird – soweit hier relevant – § 105 StGB begründet (Eder‑Rieder in WK2 StGB § 144 Rz 47).

[10] Der staatliche Strafanspruch und damit (hier zu 2./B./ angesprochen) eine im Verwaltungsstrafverfahren über die Angeklagte verhängte Geldstrafe unterliegt (anders als Gebühren [vgl 1./B./]) nicht dem Vermögensbegriff des § 144 Abs 1 StGB, weil mit der Einhebung einer Geldstrafe keine Vermögensinteressen verfolgt werden, sondern die Wirksamkeit der (hier: verwaltungsbehördlichen) Strafverfolgung sichergestellt wird (jüngst eingehend 14 Os 104/22h und 14 Os 84/22t jeweils mwN).

[11] Nach den Feststellungen (US 9 und 11 f) wurde vom Polizeikommissariat Landstraße durch die zuständige Sachbearbeiterin H* eine Anonymverfügung wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet an die Angeklagte versandt, auf welche diese – wie aus den Konstatierungen ersichtlich – schriftlich reagierte. Durch die (festgestellten) Übelsandrohungen wollte die Angeklagte „die Beamtin[nen] zu dem von ihr intendierten oder beschriebenen Verhalten, jegliches verwaltungsbehördliche Handeln gegen sie einzustellen, nötigen“. „Sie wusste dabei, dass dadurch die österreichischen Gebietskörperschaften in ihrem Vermögen geschädigt würden, und wollte dies auch. Ebenso kam es ihr darauf an, sich durch die Zurücknahme der behördlich von ihr geforderten Gebühren und die Einstellung der Verfahren in der jeweiligen Höhe unrechtmäßig zu bereichern.“

[12] Auf Basis dieser Feststellungen kommt mangels Vermögensschädigung eine Subsumtion nach § 144 Abs 1 StGB nicht in Betracht. Die im Tenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) enthaltenen Passagen, wonach vom Vorsatz der Angeklagten auch eine Vermögensschädigung der Beamtin umfasst gewesen sei (US 2 f), finden in den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen (Negativ-)Feststellungen (US 11 f iVm US 18) (ausdrücklich) keine Deckung (RIS‑Justiz RS0114639).

[13] Der – übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aufgezeigte Subsumtionsfehler erfordert die Aufhebung des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich.

[14] Unter Zugrundelegung der vom Erstgericht getroffenen (und erfolglos bekämpften) Feststellungen sowie der vorliegenden Negativfeststellungen war sogleich in der Sache selbst zu entscheiden (§ 288 Abs 1 Z 3 StPO) und zu 2./B./ ein Schuldspruch wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB zu fällen.

[15] Bei der Strafbemessung war nach § 302 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen. Erschwerend war dabei das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und innerhalb des § 302 Abs 1 StGB das Vorliegen von zwei Angriffen, mildernd hingegen der Umstand zu werten, dass es bei allen Taten beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).

[16] Entgegen der Berufung kam der Angeklagten der Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB nicht zu Gute, stehen der Annahme eines ordentlichen Lebenswandels doch die beiden Vorstrafen jeweils wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 StGB sowie nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB entgegen.

[17] Ausgehend davon sowie mit Blick auf die allgemeinen Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) erweist sich die im Spruch genannte Freiheitsstrafe als tat- und schuldangemessen.

[18] Schon mit Blick auf das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO) war die Strafe – wie bereits vom Erstgericht – unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen (§ 43 Abs 1 StGB).

[19] Entgegen der Berufung stehen einer Anwendung des § 37 Abs 1 StGB mit Blick auf die Persönlichkeit der Angeklagten spezialpräventive Erwägungen entgegen.

[20] Diversionelles Vorgehen (§§ 198 ff StPO) kam schon aufgrund fehlender Verantwortungsübernahme (RIS‑Justiz RS0126734, RS0116299) nicht in Betracht.

[21] Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (RIS‑Justiz RS0101558), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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