European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00106.23M.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts samt Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die Zweitantragstellerin ist schuldig, der Erstantragstellerin die mit 4.238,64 EUR (darin enthalten 706,44 EUR) bestimmten Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der 2020 verstorbene Erblasser setzte mit fremdhändigem Testament vom 15. 10. 2020 seine Tochter, die Erstantragstellerin, zur Alleinerbin ein.
[2] Wenige Tage vor seinem Tod errichtete der schon schwerkranke, aber testierfähige Erblasser – nach vorheriger Besprechung im Notariat – ein weiteres, notarielles Testament in Form eines Notariatsakts, in dem er sämtliche früheren Verfügungen widerrief und die Zweitantragstellerin, seine Ehefrau, zur Alleinerbin einsetzte. Im Notariatsakt wird eingangs festgehalten, dass der Erblasser schreibunfähig sei und wegen einer Lähmung auch kein Handzeichen setzen könne. Die als Testaments- und Aktszeugen beigezogenen Notariatsangestellten bestätigten im Notariatsakt ua, dass „die Partei aus den angeführten Gründen auch ein Handzeichen nicht beifügen kann“.
[3] Bei Testamentserrichtung war die rechte Hand des Erblassers zwar nicht vollständig gelähmt, aber aufgrund von Metastasen im Gehirn kraftlos, sodass er mit ihr weder schreiben noch ein Handzeichen setzen konnte. Mit der linken Hand, die er normal bedienen konnte, hätte er hingegen zumindest ein Paraphe oder ein Handzeichen in Form von drei Kreuzen setzen können. Weshalb er gegenüber dem Notar angab, auch kein Handzeichen setzen zu können, kann nicht festgestellt werden.
[4] Die Erstantragstellerin gab gestützt auf das Testament vom 15. 10. 2020 eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Sie brachte – soweit noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens – vor, das spätere Testament sei formungültig, weil der Erblasser den Notariatsakt nicht unterfertigt habe, obwohl er schreibfähig oder zumindest in der Lage gewesen sei, ein Handzeichen zu setzen. Seine gegenteiligen Angaben habe der Notar nicht überprüft. Wäre der Erblasser tatsächlich nicht in der Lage gewesen zu unterschreiben oder ein Handzeichen zu setzen, wäre nur eine letztwillige Verfügung in Form eines notariellen Protokolls in Betracht gekommen.
[5] Die Zweitantragstellerin gab gestützt auf das notarielle Testament eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Das Testament sei formgültig. Der Erblasser habe weder unterschreiben noch ein Handzeichen beifügen können. Dies sei im Testament auch ausdrücklich festgehalten worden. Eine Überprüfung der Angaben des Erblassers sei nicht geboten. Auch bei Schreibunfähigkeit könne eine letztwillige Verfügung in Form eines Notariatsakts erfolgen.
[6] Das Erstgericht stellte das Erbrecht der Erstantragstellerin aufgrund des Testaments vom 15. 10. 2020 fest und wies die Erbantrittserklärung der Zweitantragstellerin ab, weil das spätere Testament mangels Einhaltung der Formvorschrift des § 68 Abs 1 lit g NO ungültig sei. Da der Erblasser dazu in der Lage gewesen sei, hätte er zumindest ein Handzeichen setzen müssen.
[7] Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Zweitantragstellerin Folge, stellte ihr Erbrecht aufgrund des notariellen Testaments fest und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob eine fremdhändige letztwillige Verfügung in Notariatsaktsform gültig sei, wenn der Erblasser – entgegen seinen Angaben gegenüber dem Notar – noch in der Lage gewesen sei, ein Handzeichen zu setzen. Dem schwer kranken Erblasser sei die Setzung eines Handzeichens aufgrund seiner schweren Erkrankung und des Umstands, dass er Rechtshänder gewesen sei, der mit der linken Hand „nichts machen“ habe können, zwar möglich, nicht aber zumutbar gewesen. Eine Überprüfung seiner Angaben hätte ihn vor schikanös anmutende Anforderungen gestellt. Sämtliche Formzwecke seien im vorliegenden Fall erfüllt, sodass von der Gültigkeit der Verfügung auszugehen sei.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin wegen Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Zweitantragstellerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, und im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses auch berechtigt.
[11] Der Revisionsrekurs argumentiert, dem Rekursgericht sei ein Verfahrensverstoß unterlaufen, weil es die Feststellungen des Erstgerichts zur Schreibfähigkeit des Erblassers ohne unmittelbare Beweisaufnahme ergänzt habe. Dem Erblasser sei die Setzung eines Handzeichens möglich und zumutbar gewesen. Mangels Einhaltung der Formvorschrift des § 73 Abs 2 NO (gemeint offenbar § 68 Abs 1 lit g NO) sei das Testament formungültig.
[12] 1. Das ABGB kennt mehrere, grundsätzlich gleichwertig nebeneinander stehende Arten zulässiger letztwilliger Verfügungen. Für fremdhändige letztwillige (schriftliche) Verfügungen stehen neben der privaten Form des fremdhändigen Testaments (§ 579 ABGB) auch die öffentlichen Formen des gerichtlichen Testaments (§ 581 und § 582 ABGB) und des notariellen Testaments (§ 583 ABGB; §§ 67, 70–75 NO) zur Verfügung (2 Ob 63/22m Rz 12 mwN).
[13] Nach dem mit „notarielle Verfügung“ überschriebenen § 583 ABGB kann eine letztwillige Verfügung vor zwei Notaren oder vor einem Notar und zwei Zeugen schriftlich oder mündlich errichtet werden. Die §§ 67 und 70–75 NO sind anzuwenden.
[14] 2. Die Errichtung einer letztwilligen notariellen Anordnung ist sowohl in Protokollform (§ 70 NO) als auch in Notariatsaktsform (§ 67 NO) möglich. Es ist damit zwischen zwei Arten notarieller Testamente zu differenzieren, wobei ein Notariatsakt wiederum zwei Erscheinungsformen aufweisen kann: Einerseits kann das Rechtsgeschäft unmittelbar als Notariatsakt errichtet und durch den Notar aufgenommen werden, andererseits kann auch eine von den Parteien bereits errichtete Privaturkunde in Form einer Solennisierung nach § 54 NO notariell „bekräftigt“ werden (2 Ob 63/22m Rz 15 mwN).
[15] 3. Die Einhaltung der Form gehört zum objektiven Tatbestand der letztwilligen Verfügung. Sie muss daher nicht gewollt, aber erfüllt sein (RS0012373).
[16] 4. Dass bei Errichtung einer notariellen letztwilligen Verfügung – unabhängig davon, ob diese in Form eines Notariatsakts oder eines notariellen Protokolls erfolgt – keine eigenhändige Nuncupatio des Erblassers iSd § 579 ABGB erforderlich ist, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (RS0134006).
[17] 5. Im konkreten Fall liegt eine letztwillige Verfügung in Form eines unmittelbar vom Notar errichteten und aufgenommenen Notariatsakts vor.
[18] 5.1 Nach § 68 Abs 1 lit g NO hat jeder Notariatsakt bei Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde unter anderem die Unterschriften der Parteien sowie, wenn die Zuziehung von Zeugen, Vertrauenspersonen oder Dolmetschern nach den Bestimmungen dieses Gesetzes notwendig ist, auch von diesen Personen zu enthalten. Kann eine Partei oder ein Zeuge nicht schreiben, so müssen sie bei der Fertigung auf Papier ihr Handzeichen beifügen und es muss im ersten Falle der Name der Partei von einem Zeugen oder dem zweiten Notar, im zweiten Falle der Name des schreibunkundigen Zeugen von dem zweiten Zeugen beigesetzt werden. Kann eine Partei auch ein Handzeichen nicht beifügen, so muss das entgegenstehende Hindernis ausdrücklich angeführt und von den Aktszeugen besonders bestätigt werden.
[19] 5.2 Generell heißt „nicht schreiben können“ in der NO (hier in § 68 Abs 1 lit g NO), seine Unterschrift nicht setzen zu können. Eine Partei oder ein Zeuge, der nicht schreiben, wohl aber seinen Namen eigenhändig niederschreiben kann, fällt nicht darunter. Wenn selbst ein Handzeichen von der Partei nicht gesetzt werden kann, ist dies von den Aktszeugen im Notariatsakt – bei sonstigem Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde – ausdrücklich zu bestätigen. Der Notar hat im Notariatsakt die entsprechenden Feststellungen zu den aufgenommenen Erklärungen der Partei über ihre Schreib‑(un‑)fähigkeit zu treffen (Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 68 NO Rz 14).
[20] 5.3 Schreibunfähigkeit liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unterschrift schlechthin unmöglich ist, sondern schon dann, wenn dem Erblasser eine Unterschrift nur unter solcher Anstrengung möglich wäre, dass es ihm billigerweise nicht zugemutet werden kann (vgl zur Schreibunfähigkeit gemäß § 580 Abs 1 ABGB: SZ 2/139; Tschugguel in Klang³ §§ 580, 581 aF, §§ 580, 590 nF ABGB Rz 3; Welser, Erbrechts-Kommentar § 580 ABGB Rz 2). Dies hat gleichermaßen im Anwendungsbereich des § 68 Abs 1 lit g NO für die Beurteilung der Schreibfähigkeit sowie der Fähigkeit, ein Handzeichen zu setzen, zu gelten (vgl 2 Ob 35/23w Rz 12 [„als des Schreibens nicht fähig iSv § 68 Abs 1 lit g NO bzw § 580 Abs 1 ABGB“]).
[21] 5.4 Schreibfähige können sich im Anwendungsbereich der §§ 579, 580 Abs 1 ABGB auch unter Einhaltung der Kautelen des § 580 Abs 1 ABGB nicht eines Handzeichens bedienen. Ein privates fremdhändiges Testament, dem der Erblasser ohne Notwendigkeit (nur) ein Handzeichen statt seiner Unterschrift beigesetzt hat, ist formungültig (Welser aaO Rz 1; Tschugguel aaO). Auch im Anwendungsbereich des § 68 NO besteht im Hinblick auf den von der Norm explizit angedrohten Solennitätsverlust und die nur unter bestimmten Voraussetzungen eröffnete Möglichkeit, an Stelle der Unterschrift ein Handzeichen zu setzen bzw auch auf dieses zu verzichten, keine „Wahlfreiheit“ des Erblassers.
[22] 5.5 Der eindeutige Wortlaut des § 68 Abs 1 lit g NO stellt auf das (objektive) Vorliegen von Schreibunfähigkeit bzw Unfähigkeit, auch nur ein Handzeichen zu setzen, und nicht auf die Angaben der Partei gegenüber dem Notar ab. Inwieweit der Notar allenfalls zur Überprüfung der Angaben verhalten ist (vgl dazu Wagner/Knechtel aaO), spielt bei der Beurteilung der Formgültigkeit keine Rolle. Liegen die Voraussetzungen für einen Verzicht auch auf ein Handzeichen objektiv nicht vor, so ist ein solches bei sonstigem Solennitätsverlust unter Einhaltung der Vorgangsweise des § 68 Abs 1 lit g NO beizusetzen.
[23] 6. Nach den – vom Rekursgericht explizit übernommenen – Feststellungen des Erstgerichts konnte der Erblasser seine linke Hand normal bedienen und einsetzen. Eine Paraphe oder die Beifügung von drei Kreuzen wäre ihm (mit dieser) möglich gewesen. Im Übrigen ist unerheblich, mit welchem Körperteil der Erblasser das Schreibgerät führt (RS0015396 [T3]). Anhaltspunkte, dass dem Erblasser die Setzung eines Handzeichens nur unter solcher Anstrengung möglich gewesen wäre, dass es ihm billigerweise nicht zugemutet werden konnte, sind dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.
[24] 7. Soweit das Rekursgericht eine Unzumutbarkeit aus dem Umstand ableitet, dass der Erblasser Rechtshänder gewesen sei, der mit der linken Hand „nichts machen“ habe können, kann dem nicht beigepflichtet werden. Die (die Feststellungsgrundlage insoweit ergänzende) Ausführung des Rekursgerichts ist in Anbetracht der ausdrücklich übernommenen Feststellungen des Erstgerichts sowie der Bezugnahme auf die Eigenschaft des Erblassers als Rechtshänder lediglich als Hinweis auf eine generell eingeschränkte Geschicklichkeit bei Verwendung der linken Hand zu verstehen. Selbst dies führt aber entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts nicht dazu, dass dem Erblasser die Setzung eines (grundsätzlich möglichen) Handzeichens nicht zumutbar gewesen wäre. Soweit der Revisionsrekurs daher in diesem Zusammenhang einen Verfahrensverstoß rügt, weil das Rekursgericht ohne unmittelbare Beweisaufnahme die Feststellungsgrundlage ergänzt habe, erweist sich dieser als nicht entscheidungserheblich, sodass der Revisionsrekursgrund des § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht erfüllt ist (vgl RS0043461 [T9]; RS0043027).
[25] 8. Wurde die Form nicht gewahrt, so führt dies gemäß § 601 ABGB selbst bei klarem und eindeutig erweisbarem Willen des Erblassers zur Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung (RS0012514). Denn der Grundsatz, dass dem wahren erblasserischen Willen zu entsprechen sei, hat dort seine Grenze, wo es sich um Formvorschriften für letztwillige Verfügungen im engeren Sinn handelt (RS0012452). Mangels Einhaltung der zwingenden Formvorschrift des § 68 Abs 1 lit g NO ist die letztwillige Verfügung ungültig, mag das Testament auch dem wahren Willen des Erblassers entsprochen haben. Maßgeblich ist nur der gültig erklärte Wille (RS0012452 [T2]).
[26] 9. Es war daher die Entscheidung des Erstgerichts samt Kostenentscheidung wiederherzustellen.
[27] 10. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 Abs 2 iVm § 185 AußStrG. Die Zweitantragstellerin hat der Erstantragstellerin die Kosten ihrer Rekursbeantwortung sowie ihres Revisionsrekurses zu ersetzen. Pauschalgebühren sind weder für das Rekurs- noch Revisionsrekursverfahren zu entrichten (TP 8 Anm 3 GGG).
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