OGH 9ObA106/22m

OGH9ObA106/22m27.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassnersowie die fachkundigen Laienrichter KR Thomas Schaden (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I* C*, vertreten durch Dr. Stephan Rainer & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.086,68 EUR sA (Revisionsinteresse: 7.509,06 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Juli 2022, GZ 15 Ra 15/22a-34, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. November 2021, GZ 44 Cga 24/20w-27, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00106.22M.0427.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit 20. 10. 1973 mit dem bei den ÖBB beschäftigten P* C* verheiratet. Die Ehe wurde mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 7. 7. 1988 im Einvernehmen gemäß § 55a EheG geschieden. Der Scheidungsvergleich enthält den Passus:

„4. Die Antragsteller I* und P* C* verzichten derzeit gegenseitig auf Unterhalt, dies aufgrund der jeweiligen Einkommensverhältnisse. Die Antragstellerin I* C* erklärt jedoch, dass sich dieser Unterhaltsverzicht gegenüber P* C* nicht auf den Fall geänderter Verhältnisse und auf den Fall der Not bezieht. Festgehalten wird, dass bei einer von der Antragstellerin I* C* nicht verschuldeten Verschlechterung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse für diese dennoch die Möglichkeit besteht, in diesem Fall Unterhaltsansprüche gegen P* C* zu stellen …“

[2] Bis zu ihrem Pensionsantritt verdiente die Klägerin 1.551 EUR netto vierzehnmal jährlich. Ab dem Jahr 2012 betrug ihre Nettopension monatlich 1.062,02 EUR, seit dem Jahr 2020 1.213 EUR netto und seit Jänner 2021 1.247,56 EUR netto. Da die Klägerin mit dieser Pension finanziell nicht auskam, arbeitete sie ab dem Jahr 2014 als Reinigungskraft, musste diesen Posten jedoch 2018 aus gesundheitlichen Gründen wieder aufgeben. Mit der Zeit entwickelte sich zwischen der Klägerin und ihrem Ex‑Ehemann nach der erfolgten Scheidung wieder ein freundschaftlicheres Verhältnis. Die Klägerin unterrichtete ihren Ex-Ehemann auch über ihre finanzielle Situation. Er erbrachte an sie ab 15. 12. 2016 verschiedene Geldleistungen. Als es ihm bereits im März 2019 sehr schlecht ging, entschloss er sich, der Klägerin einen Betrag von 9.000 EUR zu überweisen. Er verstarb am 23. 7. 2019.

[3] Die Klägerin begehrte von der Beklagten zuletzt 8.086,68 EUR netto sA an Witwen-Versorgungsgenussansprüchen für den Zeitraum ab August 2019 bis November 2021 gemäß § 18 Abs 1 bzw Abs 1a Bundesbahn-Pensionsgesetz (BB-PG). Gemäß § 18 Abs 1 und 1a BB-PG komme der geschiedenen Gattin eines verstorbenen ÖBB‑Bediensteten ein Versorgungsgenussanspruch zu, wenn der Verstorbene zur Zeit seines Todes aufgrund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleichs oder einer vor Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für den Lebensunterhalt seiner früheren Ehegattin aufzukommen oder dazu beizutragen gehabt habe. Ein solcher Anspruch bestehe auch, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert habe und der verstorbene ÖBB-Bedienstete aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung seiner früheren Ehegattin zumindest für die Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod nachweislich regelmäßig Unterhaltszahlungen geleistet habe. Ihr Ex-Ehemann habe faktisch regelmäßig Unterhalt, auch in Form von Naturalunterhalt, in beträchtlichem Ausmaß geleistet, um sie bei der Bestreitung ihrer Existenz zu unterstützen. Die Leistungen würden sehr wohl auf einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung beruhen. Aufgrund des Scheidungsvergleichs sei der Anwendungsspielraum für einen Billigkeitsunterhalt gemäß § 68 ff EheG nach wie vor eröffnet geblieben, zumal der Grund für ihre geringe Pensionshöhe und den daraus resultierenden faktischen Unterhaltsbedarf gewesen sei, dass sie während ihrer aufrechten Ehe aus Gründen der Kindererziehung keine Beitragszeiten für ihre Pension erwerben habe können.

[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen das Fehlen der Voraussetzungen der §§ 18 Abs 1, Abs 1a BB-PG ein. Es seien keine Unterhaltszahlungen in regelmäßigen Abständen getätigt worden, vielmehr sei von von Zeit zu Zeit erfolgten freiwilligen Zahlungen auszugehen. Zudem würden Erhöhungen der Unterhaltsleistungen oder auch ein späteres Aufleben einer Unterhaltsleistung, um für die Bemessung des Versorgungsbezugs relevant zu sein, die gleichen Erfordernisse benötigen wie die Unterhaltsvereinbarung nach § 18 Abs 1 BB-PG. Eine Verschriftlichung liege jedoch nicht vor. Die Klägerin könne auch auf keinen gesetzesgemäßen Unterhaltstitel zurückgreifen. Eine analoge Anwendung der zu § 258 Abs 4 ASVG entwickelten Judikaturgrundsätze auf vergleichbare Leistungen nach dem BB-PG scheide aus. Auch sei die Höhe der Klagsforderung unrichtig berechnet worden.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Umfang von 7.509,06 EUR netto samt dem Zinsenbegehren ab.

[6] Es stellte folgende Leistungen des Ex-Ehemanns an die Klägerin fest: 15. 12. 2016 120 EUR, 15. 5. 2017 220 EUR, 20. 6. 2017 200 EUR, 27. 11. 2017 3.300 EUR, 4. 12. 2017 160 EUR, 11. 12. 2017 1.100 EUR, 10. 7. 2018 200 EUR, 1. 8. 2018 500 EUR, 13. 12. 2018 160 EUR, 28. 12. 2018 50 EUR, 18. 3. 2019 9.000 EUR, 14. 5. 2019 115 EUR, 20. 5. 2019 60 EUR, 21. 5. 2019 130 EUR, 28. 5. 2019 40 EUR, 11. 6. 2019 50 EUR sowie 620 EUR. Die 3.300 EUR am 27. 11. 2017 und die 1.100 EUR am 11. 12. 2017 erhielt die Klägerin von ihm für ein von ihr anzuschaffendes Auto und für die Versicherungskosten. Ihre monatlichen Fixkosten hätten mindestens 758 EUR betragen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin mit ihrem früheren Ehemann regelmäßig im Monat, zumindest zwei- bis dreimal im Monat die Lebensmitteleinkäufe so getätigt habe, dass er ihr diese Einkäufe finanziert bzw die monatlichen Apothekenkosten von ca 70 EUR im Monat bezahlt habe, um sie diesbezüglich finanziell zu unterstützen (mit unerledigter Beweisrüge bekämpfte Feststellungen, Anm). Schriftliche Vereinbarungen zusätzlich zum Scheidungsvergleich hätten sie nicht getroffen. In rechtlicher Hinsicht fehle es im Hinblick auf § 18 Abs 1 BB-PG an der Regelmäßigkeit von Zuwendungen.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte über die Berufung der Klägerin das Ersturteil im Umfang dieses Teils des Hauptbegehrens von 7.509,06 EUR, während die Zinsen betreffende abweisende Entscheidung ins Leere gehe. Im Übrigen hob es das Urteil im Kostenpunkt mit dem Auftrag zur Entscheidung über das unerledigte Zahlungsbegehren von 577,62 EUR sA auf. Rechtlich war es (anders als im ersten Rechtsgang) zusammengefasst der Ansicht, der Gesetzgeber habe im Anwendungsbereich des BB-PG mit dem eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung betreffenden Passus – im Gegensatz zu jenem des ASVG – eine gewollte zusätzliche Anspruchsvoraussetzung normiert, die nicht vorliege. Ein im Rahmen einer einvernehmlichen Scheidung nach § 55a EheG iSd § 55 Abs 2 leg cit konkret vereinbarter Unterhalt bilde nach herrschender Ansicht keinen gesetzlichen Unterhalt. Die im Rahmen des Scheidungsvergleichs getroffenen Regelungen seien als – nicht dem § 69a Abs 2 EheG unterfallende rechtswirksame – Unterhaltsvereinbarung zu verstehen. Der Vereinbarung sei aber auch kein „geschuldeter Unterhalt“ zu entnehmen, der gemäß § 69a Abs 1 EheG einem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten sei, soweit er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen sei. Die Klägerin habe sich lediglich die Möglichkeit einer künftigen Geltendmachung von nicht einmal ansatzweise näher definierten Unterhaltsansprüchen für den Fall geänderter Verhältnisse oder der Not vorbehalten, von einer Geltendmachung bis zum Ableben des geschiedenen Gatten aber nie Gebrauch gemacht. Die Revision sei zur Auslegung der Versorgungsbezugs-Anspruchsvoraussetzung einer „gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung“ nach § 18 Abs 1a BB‑PG zulässig.

[8] In ihrer gegen das Teilurteil gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe im Ausmaß eines Betrags von 7.509,06 EUR (oA); hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[11] Die Klägerin macht geltend, im Hinblick auf § 18 Abs 1 BB-PG verfüge sie mit dem Scheidungsvergleich sehr wohl über einen Unterhaltstitel. Auch sei nach Abs 1a leg cit ein Anspruch aufgrund einer analogen Anwendbarkeit des– mit Ausnahme des Passus der „gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung“ – wortidenten § 258 Abs 4 lit d ASVG zu bejahen, auf den auch ohne Vorliegen eines Unterhaltstitels, ja sogar im Fall eines bei Auflösung der Ehe vereinbarten Unterhaltsverzichts zurückgegriffen werden könne. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, käme die Gleichstellungsklausel des § 69a Abs 1 EheG zum Tragen.

Dazu war zu erwägen:

[12] 1. § 18 des hier unstrittig anzuwendenden Bundesbahn-Pensionsgesetzes (BB-PG) sieht vor:

Versorgungsbezug des früheren Ehegatten

§ 18. (1) Die Bestimmungen über den Versorgungsanspruch des überlebenden Ehegatten und über das Ausmaß der Versorgung des überlebenden Ehegatten – ausgenommen die Bestimmungen der §§ 20 Abs. 3 bis 6 und 22 – gelten, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, sinngemäß für den früheren Ehegatten des verstorbenen Beamten, wenn dieser zur Zeit seines Todes auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für den Lebensunterhalt seines früheren Ehegatten aufzukommen oder dazu beizutragen hatte.

(1a) Abs. 1 ist auch dann anzuwenden, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert und der verstorbene Beamte auf Grund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung seinem früheren Ehegatten

[13] Vergleichsweise nimmt § 258 ASVG nicht auf eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des früheren Ehegatten Bezug. Die Bestimmung lautet:

Witwen(Witwer)pension

(1) – (3) ...

(4) Die Pension nach Abs. 1 gebührt nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 auch

1. der Frau,

2. dem Mann,

deren (dessen) Ehe mit dem (der) Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr (ihm) der (die) Versicherte zur Zeit seines (ihres) Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten hatte bzw. Unterhalt geleistet hat, und zwar

a) auf Grund eines gerichtlichen Urteiles,

b) auf Grund eines gerichtlichen Vergleiches,

c) auf Grund einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung,

d) regelmäßig zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ab einem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Scheidung bis zu seinem (ihrem) Tod, mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem (ihrem) Tod, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat,

sofern und solange die Frau (der Mann) nicht eine neue Ehe geschlossen hat.

[14] 2. Soweit sich die Klägerin auf das Vorliegen eines Unterhaltstitels iSd § 18 Abs 1 BB-PG beruft, kann ihr nicht gefolgt werden:

[15] Richtig ist, dass sich der vereinbarte wechselseitige Unterhaltsverzicht nicht auf den Fall geänderter Verhältnisse oder der Not bezieht. Vielmehr wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Klägerin im Fall einer nicht verschuldeten Verschlechterung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Möglichkeit haben soll, Unterhaltsansprüche gegen ihren früheren Ehemann geltend zu machen. Diese wurden allerdings nicht näher spezifiziert.

[16] Zum nach § 258 Abs 4 ASVG gleichlautenden Erfordernis eines gerichtlichen Urteils, gerichtlichen Vergleichs oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung (lit a–c) entspricht es der Rechtsprechung, dass die Unterhaltshöhe aus dem Titel bestimmt oder leicht bestimmbar hervorgehen muss. Die bloße Vereinbarung, der Klägerin nach der Scheidung einen Unterhalt zu leisten, ohne dass die Höhe dieses Unterhaltsbetrags oder Unterhaltsbeitrags feststellbar wäre, erfüllt mangels Festlegung einer konkreten Unterhaltsleistung diese Voraussetzungen nicht, ebenso wenig das Vorliegen eines den Anspruch auf Unterhalt begründenden bloß abstrakten Tatbestands nach dem Ehegesetz. Auch die Vereinbarung einer Erhöhung oder Minderung des Unterhaltsbetrags „auf Basis der Lohnzettel der Vorjahre“ genügt nicht dem Kriterium der leichten Bestimmbarkeit der Unterhaltshöhe (s RS0085196 [insb T4, T6, T8, T12]; vgl auch RS0071219 betreffend die Vorläuferbestimmungen [§ 19 PG 1965, § 18 BB-PO 1966]: Das Erbringen von Leistungen mit Unterhaltscharakter – allenfalls auch aufgrund mündlicher Absprache – reicht nicht aus, den Pensionsanspruch entstehen zu lassen).

[17] Es entspricht auch der Literatur, dass es in den Fällen des § 258 Abs 4 lit ac ASVG auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung im Todeszeitpunkt nicht ankommt, das Gesetz stellt bloß auf den geschuldeten Unterhalt ab. Dem Sozialversicherungsträger soll die materielle Prüfung des Grundes und der Höhe des Unterhaltsanspruchs möglichst erspart bleiben. Geänderte Umstände, die nicht zu einer Änderung bzw Beseitigung des Titels iSd lit a–c geführt haben, sind unbeachtlich (Sonntag in Sonntag [Hrsg], ASVG, Jahreskommentar13 [2022] § 258 Rz 11).

[18] Es besteht kein Grund, die insofern gleichlautende Bestimmung des § 18 Abs 1 BB-PG anders auszulegen. In diesem Licht erfüllt die Unterhaltsvereinbarung der Klägerin die Voraussetzung ausreichender Bestimmbarkeit des Unterhaltsanspruchs nicht. Sie kann ihn danach nicht auf § 18 Abs 1 BB-PG stützen.

[19] 3. Zur gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nach § 18 Abs 1a BB-PG.

[20] Der für die Auslegung zunächst maßgebliche Wortlaut der Bestimmung des Abs 1a leg cit (s RS0008896) erfordert eine Unterhaltsleistung aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung, die in § 258 Abs 4 lit d ASVG nicht vorgesehen ist. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung im Sinn eines Abstandnehmens vom Erfordernis einer gesetzlichen Unterhaltspflicht kommt hier auch unter dem Eindruck der Entstehungsgeschichte des § 18 Abs 1a BB-PG nicht in Betracht:

[21] Durch die mit der 51. ASVG-Novelle (BGBl 335/1993, ErlRV 932 18. GP , 49) eingefügte Bestimmung des § 258 Abs 4 lit d sollen Härtefälle vermieden werden, ein Anspruch auf Hinterbliebenenpension daher auch dann entstehen, wenn mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor dem Tod des Versicherten nachweislich regelmäßig tatsächlich Unterhalt geleistet worden ist– unabhängig davon, ob nach zivilrechtlichen Grundsätzen ein Anspruch auf Unterhalt bestanden hätte. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nur auf die tatsächliche Leistung bei gegebenem Unterhaltsbedarf durch den in § 258 Abs 4 lit d ASVG angeführten Zeitraum an (s RS0085355 [insb T2, T5]).

[22] Das BB-PG weist allerdings eine größere Nähe zum Pensionsrecht der Bundesbeamten (PG) als zum Pensionsrecht des ASVG auf. Das BB-PG wurde im Zuge des Pensionsreformgesetzes 2001 idF BGBl Nr 86/2001 geschaffen. Vor seinem Inkrafttreten basierten die Pensionsansprüche der Angestellten der ÖBB auf Einzelverträgen, für die im Wesentlichen die Bundesbahn‑Pensionsordnung 1966 (BB-PO 1966), BGBl Nr 313/1966, sowie in der Folge die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den ÖBB (AVB) maßgeblich waren. § 18 BB-PO 1966 regelte nahezu wortgleich mit § 18 BB-PG idF BGBl 86/2001 den „Versorgungsbezug des früheren Ehegatten“. Eine § 18 Abs 1a BB-PG vergleichbare Bestimmung war weder in der BB-PO 1966 noch ursprünglich in § 18 BB-PG enthalten.

[23] Demgegenüber enthielt die allgemein für Beamte und deren Hinterbliebene geltende Bestimmung des § 19 Pensionsgesetz (PG) 1965 bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 18 BB-PG idF BGBl 86/2001 einen Abs 1a, der einen Versorgungsbezug des früheren Ehegatten auch dann vorsah (und nach wie vor vorsieht), wenn die Ehe zumindest zehn Jahre gedauert und der verstorbene Beamte aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung seinem früheren Ehegatten (Z 1) zumindest für die Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod (oder Z 2 …) nachweislich regelmäßig Unterhaltszahlungen geleistet hat. Die Gesetzesmaterialien zu § 19 Abs 1a PG idF BGBl Nr 16/1994 (ErlRV 1358 BlgNR 18. GP , 26) lauten: „Nach der derzeitigen Rechtslage ist die Erlangung eines Versorgungsanspruchs für einen früheren Ehegatten dann nicht möglich, wenn zwar vor Auflösung der Ehe keine vertragliche Unterhaltsverpflichtung eingegangen wurde, jedoch nach Auflösung der Ehe die Unterhaltsleistung vom Unterhaltsverpflichteten in ausreichender Höhe faktisch erbracht wird. Eine Zivilklage zur Erlangung eines gerichtlichen Urteils oder Vergleiches kann in diesen Fällen wegen Befriedigung zum Zeitpunkt der Klagseinbringung nicht mit Erfolg eingebracht werden. Dieser für die Betroffenen äußerst misslichen Rechtslage soll durch die gegenständlichen Bestimmungen abgeholfen werden. Der Anspruch auf Versorgungsgenuss gemäß Abs 1a kann jedoch nur dann entstehen, wenn die Unterhaltszahlungen auf Grund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung geleistet wurden. Ob eine solche gesetzliche Unterhaltsverpflichtung vorliegt, ist im Einzelfall von der Pensionsbehörde anhand der einschlägigen Bestimmungen des Ehegesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung zu klären […].“

[24] Der damit wortgleiche § 18 Abs 1a BB-PG wurde erst durch BGBl Nr 80/2005 geschaffen und trat gemäß § 62 Abs 12 Z 4 BB-PG mit 1. 7. 2005 in Kraft. Die Gesetzesmaterialien hiezu (ErlRV 953 BlgNR 22. GP , 13) führen aus: „Mit der Aufnahme dieser Bestimmungen, die sich inhaltlich identisch auch im ASVG und im PG 1965 finden, wird eine Versorgungslücke im Pensionsrecht der ÖBB‑Beamten geschlossen, die auftreten kann, wenn ein Unterhaltsanspruch aus einer geschiedenen Ehe nicht schriftlich fixiert wurde bzw – wegen Erfüllung – gar nicht fixiert werden konnte.“

[25] Auf den Begriff der in § 19 Abs 1a PG und in § 18 Abs 1a BB-PG, nicht jedoch in § 258 Abs 4 lit d ASVG erwähnten „gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung“ gehen die Materialien nicht ein. Daraus kann allenfalls geschlossen werden, dass sich der Gesetzgeber dieses Unterschieds zwischen dem PG/BB-PG einerseits und dem ASVG andererseits zuletzt unter Umständen nicht ausreichend bewusst gewesen sein mag. Das Erfordernis einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung iSd § 18 Abs 1a BB-PG entfällt dadurch jedoch nicht. Denn stehen die erläuternden Bemerkungen einer Regierungsvorlage im eindeutigen Widerspruch zum Gesetz, können sie zur Auslegung des Gesetzes nicht herangezogen werden (RS0008892). Das Vorliegen einer für die Klagsansprüche erforderlichen gesetzlichen Unterhaltverpflichtung ist daher nach Maßgabe des § 69a EheG zu prüfen.

[26] 4. Im Fall einer einvernehmlichen Scheidung gemäß § 55a EheG ist ein gesetzlicher Unterhalt nicht vorgesehen. Die Ehegatten müssen vielmehr vorab die Unterhaltsfolgen vereinbaren, weil sonst die Ehe nicht geschieden werden darf (§ 55a Abs 2 EheG; 5 Ob 113/17d).

[27] Gemäß § 69a Abs 1 EheG ist der aufgrund einer Vereinbarung nach § 55a Abs 2 EheG geschuldete Unterhalt einem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten, soweit er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist.

[28] Gemäß § 69a Abs 2 leg cit hat mangels einer rechtswirksamen Vereinbarung über die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegatten im Fall einer Scheidung im Einvernehmen ein Ehegatte dem anderen Unterhalt zu gewähren, soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entspricht; § 67 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 findet entsprechende Anwendung.

[29] Der im Fall einer Scheidung im Einvernehmen von den Ehegatten gemäß § 55a Abs 2 EheG vereinbarte Unterhalt ist daher zwar kein gesetzlicher, er wird aber nach § 69a Abs 1 leg cit einem solchen „gleichgehalten“. Generell erfassen damit alle Normen, die an den gesetzlichen Unterhalt anknüpfen, auch jenen aus einer Vereinbarung nach § 55a EheG (RS0109251 [T3]). Damit sollen im Wesentlichen bestimmte Folgen, die dem gesetzlichen Unterhalt zukommen, wie etwa die Geltung der Umstandsklausel oder steuerrechtliche Fragen erfasst werden (RS0109251 [T5]). Zur Gleichstellung mit dem gesetzlichen Unterhalt zählt weiter, dass bei Tötung des Unterhaltspflichtigen gemäß § 1327 ABGB Ersatz zu leisten ist und § 72 EheG Anwendung zu finden hat; außerdem ist keine Schenkung anzunehmen (keine Unentgeltlichkeit). Die in § 69a Abs 1 EheG normierte Gleichstellung des aufgrund einer Vereinbarung nach § 55a Abs 2 EheG geschuldeten mit dem gesetzlichen Unterhalt ist derart umfassend, dass auf den vereinbarten Unterhalt alle den gesetzlichen Unterhalt betreffenden gesetzlichen Regeln anzuwenden sind (RS0122822; s auch Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth,Ehe- und Partnerschaftsrecht2 [2021], § 69a EheG Rz 1 ff mwN).

[30] Liegt keine rechtswirksame Vereinbarung über die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegatten vor, normiert § 69a Abs 2 EheG, dass der Anspruch auf Unterhalt nach „Billigkeit“ in einem im Gesetz nicht näher ausformulierten Umfang besteht (RS0109251 [T8]). Der „Billigkeitsunterhalt“ kommt daher auch zum Tragen, wenn eine Unterhaltsvereinbarung wegen eines Willensmangels unter anderem wegfällt (vgl Stabentheiner/Mokrejs-Weinhappel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 69a EheG Rz 4 mwN).

[31] 5. Hier ist eine Vereinbarung über die unterhaltsrechtlichen Beziehungen, die einem gesetzlichen Unterhaltsanspruch gleichgehalten werden kann, aus folgender Erwägung zu bejahen:

[32] Auch Unterhaltsvergleiche nach § 55a EheG unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher (nur) im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu bemessen werden (RS0057146; s auch RS0018984).

[33] Die Unterhaltsregelung kann grundsätzlich auch in einem wechselseitigen Unterhaltsverzicht bestehen. Dieser ist auch unter Ausschluss der Umstandsklausel wirksam, weil die Geltung der Umstandsklausel allgemein oder auch nur für bestimmte Bereiche ausgeschlossen werden kann (RS0019089). Das Beharren auf einen solchen Verzicht auf die Umstandsklausel kann allerdings sittenwidrig sein, so insbesondere, wenn der Ausschluss der Umstandsklausel unerwartet die Existenzbedrohung für einen der Beteiligten zur Folge hat (RS0016544; s auch Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, aaO § 55a EheG Rz 11 mwN). Auch in diesem Fall besteht (erneut) eine Unterhaltsverpflichtung, deren Höhe neu zu bemessen ist.

[34] Ist eine Neubemessung des Unterhalts erforderlich, hat sie sich grundsätzlich an der vergleichsweisen Regelung zu orientieren; allenfalls ist eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen (vgl RS0019018; RS0105944; RS0047471). Bei einer Vereinbarung iSd § 55a Abs 2 EheG kann die Neubestimmung des Unterhaltsanspruchs wegen Änderung der Verhältnisse mangels gesetzlicher Regelung eines solchen Anspruchs immer nur im Weg ergänzender Vertragsauslegung erfolgen. Es kommt daher darauf an, was redliche und vernünftige Parteien für den von ihnen nicht bedachten Fall der geänderten Verhältnisse vereinbart hätten (RS0017805 [T2, T6]; RS0019018 [T22]). So wird bei vereinbartem Unterhaltsverzicht mit Ausnahme des Falls der Not grundsätzlich angenommen, dass „Not“ im Sinn des Unterhaltsrechts dann gegeben ist, wenn das Existenzminimum im Sinn des Ausgleichszulagenrichtsatzes nicht erreicht wird (RS0109823 [T2]).

[35] Im vorliegenden Fall haben die Klägerin und ihr früherer Ehemann einen Unterhaltsverzicht vereinbart, der sich nicht auf den Fall geänderter Verhältnisse und auf den Fall der Not beziehen sollte. Für diese Fälle liegt daher kein Unterhaltsverzicht vor. Diese Fälle blieben aber auch nicht völlig ungeregelt, ist doch der Vereinbarung weiter zu entnehmen, dass die Klägerin bei einer „von ihr nicht verschuldeten Verschlechterung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse“ berechtigt sein sollte, Unterhaltsansprüche gegen ihren früheren Ehemann geltend zu machen. Aus der Vereinbarung geht damit schon dem Grunde nach eine von beider Willen getragene Unterhaltsverpflichtung des früheren Ehemanns gegenüber der Klägerin für diese Fälle hervor. Hinsichtlich der Höhe wäre im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung beachtlich, dass die angesprochene Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin auch ohne Notsituation vorliegen kann, sodass das Existenzminimum (Ausgleichszulagenrichtsatz) keine zwingende Obergrenze für die Höhe eines allfälligen Unterhaltsanspruchs bildet. Grundvoraussetzung für die Gleichstellung des geschuldeten Unterhalts nach § 69a Abs 1 EheG mit einem gesetzlichen Unterhalt ist weiter eine Angemessenheitsprüfung (vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth,Ehe- und Partnerschaftsrecht2, § 69a EheG, Rz 4 ff). Nähere Erwägungen zur Höhe eines möglichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin erübrigen sich hier aber, weil die Klägerin die von der Beklagten errechnete Höhe ihrer Versorgungsbezugsansprüche ohnedies akzeptiert hat (ON 4, S 7; ON 5 S 2).

[36] 6. Aus all dem folgt, dass § 18 Abs 1a BB-PG zwar die nachweisliche Leistung von regelmäßigen Unterhaltszahlungen des Versicherten aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung zumindest für die Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod erfordert. Die Klägerin kann sich im vorliegenden Fall für das Kriterium der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung aber auf die Gleichstellungsklausel des § 69a Abs 1 EheG berufen, weil der Unterhaltsvereinbarung eine Unterhaltspflicht ihres früheren Ehemanns für die dort genannten Fälle (Umstandsklausel) zu entnehmen ist, deren Höhe hier nicht strittig ist.

[37] 7. Ob sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin derart verschlechtert haben, dass die Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen wieder auflebte und ob ihr dieser zumindest ein Jahr vor seinem Ableben regelmäßig Unterhalt leistete, ist Gegenstand der von der Klägerin bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen (oben hervorgehoben). Da das Berufungsgericht die in diesem Zusammenhang erhobene Beweisrüge aber noch nicht behandelt hat, ist seine Entscheidung zu diesem Zweck aufzuheben und die Rechtssache an dieses zurückzuverweisen. Die Revision der Klägerin ist danach im Sinn ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt (wobei das diesen Teil des Klagebegehrens betreffende Zinsenbegehren der Klägerin nicht revisionsgegenständlich war).

[38] 8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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