OGH 8Ob91/22y

OGH8Ob91/22y29.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. *, vertreten durch die Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D* GmbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 19.260,81 EUR sA, über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Juni 2020, GZ 2 R 107/19y‑35, mit dem das Teil- und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Mai 2019, GZ 18 Cg 23/18y‑30, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00091.22Y.0329.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 3. August 2021, 8 Ob 86/21m, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 18. 12. 2009 von der erstbeklagten Fahrzeughändlerin einen gebrauchten PKW der Marke S* Y* um 26.100 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Zweitbeklagten entwickelten Dieselmotor „EA 189“ der Abgasklasse EU 5 ausgestattet.

[2] Die in Deutschland ansässige Zweitbeklagte ist Herstellerin der Dieselmotoren „EA 189“, welche auch in Modellen ihrer Tochtergesellschaft S* eingebaut wurden.

[3] Der Kläger begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand 19.260,81 EUR sA Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Feststellung von deren Haftung zur ungeteilten Hand für jeden ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehenden Schaden. Er brachte in Hinsicht auf die Erstbeklagte zum Grund des Anspruchs zusammengefasst vor, dass der eingebaute Motor eine verbotene Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 der VO (EG) Nr 715/2007 enthalten und nur aufgrund dieser „Manipulation“ die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx‑Grenzwerte eingehalten habe. Weil der Mangel unbehebbar sei, sei der Kläger nach Gewährleistungsrecht zur Wandlung des Vertrags berechtigt. Er habe aufgrund der Bewerbung des Fahrzeugs durch die Erstbeklagte und der von ihm angenommenen üblichen Eigenschaften zudem in mehrerer Hinsicht geirrt, insbesondere darüber, dass er ein „manipulationsfreies“ Fahrzeug erwerben würde und dieses frei von einer unzulässigen Abschaltvorrichtung und zum Zeitpunkt des Vertragsabschusses zulassungsfähig sei sowie die öffentlich kundgetanen Abgaswerte im Alltagsbetrieb einhalte. Die Erstbeklagte habe ihm daher auch nach Irrtumsrecht grundsätzlich den Kaufpreis abzüglich eines angemessenen Benützungsentgelts rückzuerstatten.

[4] Die Beklagten bestritten das Vorbringen und wandten insbesondere ein, dass am Fahrzeug am 19. 6. 2017 eine „technische Maßnahme“ erfolgreich durchgeführt worden sei, aufgrund derer der Kläger klaglos gestellt worden sei.

[5] Das Erstgericht erkannte mit Teil- und Zwischenurteil das Klagebegehren in Bezug auf die Erstbeklagte als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Es ging auf das Wesentliche gekürzt von folgendem Sachverhalt aus:

[6] Der im Fahrzeug eingebaute Dieselmotor war mit einer Software ausgestattet, die auf dem Rollenprüfstand ein anderes Motorprogramm als im Normalbetrieb einspielte. Hierdurch wurden am Prüfstand innerhalb der vorgeschriebenen Emissionsstandards liegende Stickoxidabgase emittiert. Im Betrieb auf der Straße schaltete die Software ein „normales Programm“, das weitaus höhere NOx‑Emissionen zur Folge hatte. Nur durch den Einbau der Software konnten die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx‑Grenzwerte eingehalten werden. Bei Kenntnis der Software hätte die Typengenehmigungsbehörde die Typengenehmigung in Entsprechung der RL 2007/46/EG versagt.

[7] Dem Kläger war zum Zeitpunkt des Kaufs das Thema Schadstoffemissionen wichtig, bei dem sich das Fahrzeug in einem Vergleichstest hervortat, weiters der Treibstoffverbrauch und darüber hinaus das Thema Feinstaub. Der Verkaufsberater bestätigte ihm, dass es sich bei dem im Fahrzeug verbauten Motor um den besten am Markt handle, und teilte ihm mit, dass das Fahrzeug die neueste Abgasnorm erfüllte und über Filtersysteme verfügte sowie, dass der verbaute Motor der aktuell „sauberste“ sei.

[8] Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als zuständige EU-Typengenehmigungsbehörde erließ per Bescheid nachträglich Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung von Fahrzeugen mit dem Motor „EA 189“, um deren Vorschriftsmäßigkeit zu gewährleisten. Folgt ein Zulassungsbesitzer dem erfolgten Rückruf nicht, führt dies zu einer besonderen Überprüfung gemäß § 56 KFG 1967, bei der der Nachweis zu erbringen ist, dass die erforderlichen Umrüstungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Kann der Nachweis nicht erbracht werden, droht eine Aufhebung der Zulassung.

[9] Der Kläger ließ die technische Maßnahme „23R6“ bei der Zweitbeklagten durchführen, weil in Diskussion stand, dass die betroffenen Fahrzeuge bei Nichtdurchführung des Software-Updates ihre Zulassung verlieren könnten, und S* Austria bestätigte, dass mit der Umsetzung der technischen Maßnahme hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, CO2‑Emission, Motorleistung und Drehmoment sowie Geräuschemission keine Verschlechterungen verbunden seien. Einige Tage nach Durchführung des Software-Updates begann das Fahrzeug Geräusche zu machen, die vor dem Update nicht vorhanden waren. Ob diese Geräusche auf das Update zurückzuführen sind, erachtete das Erstgericht als nicht entscheidungsrelevant, ebensowenig, ob der ursprüngliche technische Mangel am Klagsfahrzeug durch das Aufspielen der technischen Maßnahme beseitigt wurde.

[10] Im November 2017 berichtete der Verein für Konsumenteninformation (VKI) darüber, dass im Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ tausende Konsumenten von Problemen nach dem Software-Update berichteten. Auch Medien waren im Herbst 2017 Informationen zu entnehmen, wonach nach dem Aufspielen des Software-Updates Probleme, wie ein erhöhter Spritverbrauch, Leistungseinbrüche und Ruckeln des Motors, berichtet wurden und auch die EU-Kommission vor möglichen Langzeitfolgen für Dieselfahrzeuge gewarnt habe, weil man davon ausgehen könne, dass durch die neue Steuerungssoftware Komponenten stärker beansprucht würden.

[11] Die Erstbeklagte hatte zum Zeitpunkt des Verkaufs keine Kenntnis davon, dass eine „Manipulationssoftware“ im Fahrzeug verbaut war. Hätte sie von ihr und darüber, dass ohne sie eine EU-Typengenehmigung nicht erzielbar gewesen wäre, gewusst, und wäre ihr bekannt gewesen, dass nach Bekanntwerden der „Manipulation“ mangels Software‑Update durch den Hersteller ein Zulassungsentzug drohe, hätte sie das Fahrzeug dem Kläger nicht verkauft.

[12] Hätte der Kläger von der „Manipulationssoftware“ und davon, dass ohne sie eine EU‑Typengenehmigung nicht erzielbar gewesen wäre und das Fahrzeug im Normalgebrauch die Euro-5-Abgasnorm nicht einhielt, gewusst, und wäre ihm bekannt gewesen, dass ihm nach Bekanntwerden der „Manipulation“ mangels Software-Update durch den Hersteller ein Zulassungsentzug drohen würde, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Er hätte es insbesondere nicht gekauft, wenn er gewusst hätte, dass er damit jahrelang gegen die Euro-5-Abgasnorm verstoßen und übermäßig Emissionen verursachen würde. Er hätte das Fahrzeug auch nicht gekauft, wenn er gewusst hätte, dass der Mangel lediglich durch ein, wiederum nur durch den Hersteller angebotenes Software-Update beseitigt werden könnte, wobei sowohl für Behörden (EU-Kommission) als auch für Verbraucher unklar blieb, ob dieses Software-Update allenfalls später eintretende negative Auswirkungen auf das Fahrzeug haben würde.

[13] Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Kläger sei einem wesentlichen Geschäftsirrtum unterlegen. Er habe darüber geirrt, dass das Fahrzeug mit der EU‑Typengenehmigung übereinstimme und die Euro-5-Abgasnorm einhalte. Da auch die Erstbeklagte keine Kenntnis von den „Abgasmanipulationen“ gehabt habe und bei Kenntnis das Fahrzeug nicht verkauft hätte, habe ein gemeinsamer Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Fahrzeugs vorgelegen. Dieser bewirke die Unverbindlichkeit des Vertrags unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB. Eine Klaglosstellung sei nicht erfolgt. Ungeachtet des Software-Updates sei unsicher, ob daraus negative Langzeitfolgen für das Fahrzeug resultierten, die allenfalls durch ein komplexes Sachverständigengutachten ausgeräumt werden könnten. Auch dass der Kläger bereits viele Jahre durch den Gebrauch des Fahrzeugs gegen die Euro-5-Abgasnorm verstoßen und damit die Umwelt mehr als gesetzlich zulässig belastet habe, könne durch die technische Maßnahme nicht gutgemacht werden. Der zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten geschlossene Kaufvertrag sei daher ex tunc aufzuheben. Das Fahrzeug sei der Erstbeklagten Zug um Zug gegen Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich eines noch zu bestimmenden Benützungsentgelts zurückzugeben.

[14] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die ursprünglich eingebaute Software sei eine nach der bereits vorhandenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Abs 10 iVm Art 5 Abs 2 Satz 1 VO (EG) Nr 715/2007 einzustufende „Umschaltlogik“ gewesen. Weil sowohl der Kläger als auch die Erstbeklagte den Vertrag nicht abgeschlossen hätten, hätten sie von ihr und damit davon gewusst, dass die EU-Typengenehmigung von der Zweitbeklagten mit ihrer Software-Ausgestaltung „erschlichen“ worden sei, liege ein gemeinsamer und wesentlicher Geschäftsirrtum in Bezug auf die „latent vom Entzug bedrohte“ EU‑Typengenehmigung vor. Eine der Irrtumsanfechtung entgegenstehende Klaglosstellung aufgrund der von den Beklagten unter Beantragung eines – vom Erstgericht nicht eingeholten – Sachverständigengutachtens vorgebrachten „technischen Maßnahme“ vom 19. 6. 2017 sei zu verneinen. Es sei nicht entscheidungswesentlich, ob die technische Maßnahme erfolgreich war. Für eine Klaglosstellung wäre es nämlich notwendig, annehmen zu können, dass der Kläger diesem Behebungsversuch im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hypothetisch zugestimmt hätte. Ein solcher hypothetischer Vertragswille des Klägers könne nicht angenommen werden, weil es sich bei der Maßnahme um die sogenannte „Thermofenster“-Lösung gehandelt habe, deren rechtliche Zulässigkeit, nämlich ob sie nicht selbst wiederum eine verbotene Abschalteinrichtung darstelle, zumindest rechtlich zweifelhaft sei.

[15] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe zur irrtumsrechtlichen Vertragsaufhebung gegenüber dem jeweiligen Fahrzeughändler im Zusammenhang mit der „Abgas-Problematik“ noch nicht alle Rechtsfragen beantwortet.

[16] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus den Gründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO erhobene Revision der Erstbeklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungs- und hilfsweise einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

[17] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise diesem den Erfolg zu versagen.

[18] Das Revisionsverfahren wurde mit dem aus Punkt I. ersichtlichen Beschluss des Senats unterbrochen. Es ist aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , über das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs vom 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision ist zulässig, weil sich die Behandlung des Einwands der Klaglosstellung durch das Berufungsgericht als korrekturbedürftig erweist.

[20] Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags auf Aufhebung und Zurückverweisung auch berechtigt.

[21] In der Revision wird in rechtlicher Hinsicht insbesondere die Annahme des Berufungsgerichts beanstandet, für eine Klaglosstellung des Klägers wäre dessen Einverständnis mit der Verbesserungsmaßnahme Voraussetzung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird gerügt, dass das Berufungsgericht, ohne dass dies auf einem Vorbringen in erster Instanz beruhe, von der „Thermofenster“-Lösung ausgegangen sei.

[22] Die Revision befindet sich mit beiden Punkten im Recht.

[23] 1.1. Ein im Irrtum vorgenommenes Rechtsgeschäft ist dann nicht mehr anfechtbar, wenn die irrig angenommene Sachlage nachträglich doch noch rechtzeitig – vor Schluss der Verhandlung erster Instanz und solange der Irrende noch ein Interesse an dem Geschäft hat – eingetreten ist (6 Ob 657/85 = RIS‑Justiz RS0012431; 6 Ob 733/87 = RS0014907; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 871 Rz 62; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 871 Rz 43). Aus diesem Grund wird zB ein Recht zur Irrtumsanfechtung desjenigen Käufers abgelehnt, der zwar nicht wie von ihm angenommen qua Eigentumsübertragung durch den Verkäufer an ihn, aber immerhin gutgläubig Eigentümer der gekauften Sache wurde; anderes gilt nur, wenn besondere Interessen des über die Eigentumsverhältnisse irrenden Käufers bestehen, die nicht durch den nachfolgenden gutgläubigen Eigentumserwerb befriedigt werden (RS0016268). Ebenso kann derjenige nicht wegen Irrtums anfechten, dem bei Vertragsschluss eine bestimmte, in Wahrheit nicht gegebene Bebauungsdichte der Liegenschaft zugesagt wurde und der sich folglich – durch den anderen veranlasst – über eine wesentliche Eigenschaft des Kaufgegenstands geirrt hat, wenn im Weiteren die Bebauungsdichte geändert wird und damit die Liegenschaft doch noch wie angenommen bebaut werden kann (6 Ob 733/87).

[24] 1.2. Warum die irrig angenommene Sachlage doch noch eintritt, ist nicht von Bedeutung. So wurde zB als irrelevant beurteilt, wer das Bestandobjekt in den zum bedungenen Gebrauch tauglichen Zustand versetzte (1 Ob 27/97w). Maßgeblich ist, dass der Irrtum durch die Änderung der Sachlage „saniert“ wird, das heißt der Irrende tatsächlich das bekommt, was er (berechtigt) zu erhalten glaubte und somit sein Beschwerdegrund wegfällt (Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 871 Rz 63). Der Irrende ist durch die Änderung der Sachlage diesfalls „klaglos gestellt“. Dass er an dem Geschäft kein Interesse mehr hat und deshalb der nachträgliche Eintritt der irrig angenommenen Sachlage verspätet ist, ist vom Irrenden zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0014917; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 871 Rz 43).

[25] 2. Verbesserung oder gar deren Vorrang ist im Rahmen der irrtumsrechtlichen Behelfe nicht vorgesehen (W. Faber, Handbuch zum neuen Gewährleistungsrecht [2001] 147; P. Bydlinski, Glosse zu 5 Ob 191/05g in JBl 2006, 520 [521]; Buchleitner, Gewährleistung und Irrtum [2018] 140). Dem steht aber nicht entgegen, dass – wie dargestellt – sich die Sachlage nachträglich so verändern kann, dass kein anerkennungswürdiges Interesse mehr besteht, den Vertrag wegen eines seinerzeitigen, aber „sanierten“ Irrtums anzufechten (oder bei Unwesentlichkeit des Irrtums die Vertragsanpassung zu verlangen). Dabei kommt es darauf an, dass sich die Sachlage tatsächlich entsprechend geändert hat. Ob der Irrende hypothetisch im Vertragszeitpunkt mit der später vorgenommenen Verbesserungsmaßnahme einverstanden gewesen wäre, ist – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – unerheblich. Hat sich die Sachlage nachträglich so geändert, dass die zunächst irrige Annahme nunmehr in Übereinstimmung mit der Sachlage steht, und ist diese Änderung im bereits erörterten Sinn rechtzeitig erfolgt, so ist der Irrtum „saniert“.

[26] 3. Der Kläger und die Erstbeklagte unterlagen zunächst dem (gemeinsamen) Irrtum, der Motor erfülle aufgrund seiner Qualität (nicht aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung) die emissionsrechtlichen Vorgaben. Sie hätten bei Kenntnis über die sogenannte – damals in der Motorsteuerung enthaltene – „Umschaltlogik“ jeweils den Vertrag nicht geschlossen. Ein solcher gemeinsamer wesentlicher Irrtum bewirkt die Unverbindlichkeit des Vertrags unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB (RS0016230 [T3]). Die „Umschaltlogik“ ist eine unzulässige Abschalteinrichtung (10 Ob 44/19x [Pkt E.2.1.]; BGH VI ZR 889/20 [Rz 16]).

[27] Seitens der Beklagten wurde im Verfahren vorgebracht, dass die „technische Maßnahme“ erfolgreich durchgeführt und damit der Kläger „klaglos gestellt“ worden sei. Dazu, dass diese Maßnahme – wie in zahlreichen anderen Fällen – ein sogenanntes „Thermofenster“ implementiert habe, wie das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt, liegen keine Feststellungen vor. Selbst wenn man die Revision dahingehend versteht, dass es sich bei der „technischen Maßnahme“ tatsächlich um eine „Thermofenster“-Lösung gehandelt habe (vgl etwa Pkt 1.2.2. und 1.3.4. ff des Schriftsatzes), fehlt es an einem konkreten Vorbringen (und damit korrespondierenden Feststellungen) der für die Klaglosstellung behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten, aufgrund welcher Umstände die im bisherigen Verfahren nicht näher konkretisierte „technische Maßnahme“ zu einer Klaglosstellung geführt haben soll. Dies wird mit den Parteien im fortgesetzten Verfahren zu erörtern sein. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat. Das Verbot von Überraschungsentscheidungen gilt auch für die Rechtsmittelgerichte (vgl 3 Ob 9/21a Rz 56 mwN; RS0037300 [T20]).

[28] Dass er am Vertrag trotz der (vermeintlichen) Sanierung des Irrtums kein Interesse mehr habe, hat der Kläger nicht behauptet. Es erweist sich daher in irrtumsrechtlicher Hinsicht als entscheidungsrelevant, ob die vorgenommene „technische Maßnahme“ erfolgreich war, mit anderen Worten der Motor seither die Emissionsvorgaben erfüllt und keine unzulässige Abschalteinrichtung mehr vorhanden ist. Aus dem selben Grund kann über die Klage auch in gewährleistungsrechtlicher Hinsicht noch nicht abschließend geurteilt werden. Zumal die Vorinstanzen hierüber kein Beweisverfahren durchführten, sind ihre Entscheidungen aufzuheben. Dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Sollte sich erweisen, dass es sich bei der genannten „technischen Maßnahme“ um ein „Thermofenster“ handelt, wird im fortgesetzten Verfahren in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich von der Entscheidung des EuGH C‑145/20 auszugehen sein.

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