OGH 4Ob15/23v

OGH4Ob15/23v28.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ärztekammer für Oberösterreich, *, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Apothekerkammer, *, vertreten durch die Krüger/Bauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2022, GZ 4 R 77/22f‑18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00015.23V.0328.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1.1. Eine Geschäftspraktik gilt nach § 2 Abs 1 UWG als irreführend, wenn sie unrichtige Angaben enthält oder sonst geeignet ist, einen Marktteilnehmer in Bezug auf das Produkt über einen oder mehrere der in § 2 Abs 1 Z 1 bis 7 UWG genannten Punkte (Z 6: die Person, die Eigenschaften oder die Rechte des Unternehmers oder seines Vertreters, wie Identität und Vermögen, seine Befähigungen, sein Status, seine Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen sowie gewerbliche oder kommerzielle Eigentumsrechte oder Rechte an geistigem Eigentum oder seine Auszeichnungen und Ehrungen) derart zu täuschen, dass dieser veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Jedenfalls als irreführend gelten nach § 2 Abs 2 UWG die im Anhang zum UWG angeführten Geschäftspraktiken.

[2] § 2 UWG konkretisiert die Generalklausel des § 1 Abs 1 Z 2 UWG für den Fall irreführender Geschäftspraktiken. Ist der Tatbestand des § 2 UWG erfüllt, so werden zumindest im Regelfall eine Verletzung der beruflichen Sorgfalt und eine wesentliche Beeinflussung eines Durchschnittsverbrauchers im Sinne von § 1 Abs 1 Z 2 UWG vorliegen (vgl 4 Ob 42/08t; RS0129125); es kommt nicht auf die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit der eigenen Aussage für den Werbenden an, sondern nur auf deren objektive Unrichtigkeit (vgl RS0129125 [T1]).

[3] 1.2. Wer im geschäftlichen Verkehr eine unlautere Geschäftspraktik anwendet, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, wesentlich zu beeinflussen, kann nach § 1 Abs 1 Z 2 UWG auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz im Sinne des § 16 UWG in Anspruch genommen werden.

[4] 1.3. Beim Irreführungstatbestand des § 2 UWG ist allgemein zu prüfen, wie ein Durchschnittsadressat die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RS0123292). Der Bedeutungsinhalt der Äußerungen richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt; der Gesamteindruck einer Ankündigung ist aber nach ständiger Rechtsprechung nicht gleichbedeutend mit ihrem Gesamtinhalt (RS0078542), sondern kann insbesondere durch einzelne Teile, die als Blickfang besonders herausgestellt sind und auch für sich allein nicht irreführend im Sinne des § 2 UWG sein dürfen, entscheidend geprägt werden (4 Ob 61/22g mwN).

[5] Lässt eine Ankündigung mehrere Deutungen zu, muss der Werbende nach ständiger Rechtsprechung die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (RS0078428). Gesundheitswerbung ist generell nach strengen Maßstäben zu beurteilen (vgl 4 Ob 44/13v mwN).

[6] 1.4. Allgemein hängt die Frage, wie angesprochene Kreise eine Werbeaussage verstehen und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist, von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel ebenso wenig eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0107771; RS0043000; RS0053112; zum Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck RS0031883 [T28]) wie die Frage, ob eine andere Beurteilung vertretbar ist (vgl RS0107768).

[7] 2. Die Beklagte betreibt auf der von ihr betriebenen Website „www.*.at“ Werbung für den Berufsstand der Apothekerschaft, den sie als gesetzlich eingerichtete Körperschaft öffentlichen Rechts vertritt (§ 1 ApothekerkammerG 2001, BGBl I 2001/111); sie veröffentlichte dort, auf ihrem YouTube-Kanal sowie auf Fernsehsendern von ORF, Puls4 und ServusTV Werbe-Videospots mit folgendem Inhalt:

Mein Name ist Helmut. Vor vielen Jahren hatte ich einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall. Seither nehme ich sehr viele Medikamente. Dank meiner Apothekerin vertragen sich alle bestens, ich kann mein Leben jetzt wieder richtig genießen. Bei meiner Gesundheit gehe ich auf Nummer sicher.

Ich bin die Melanie und das ist die Lina. Wir haben wieder einmal die ganze Nacht durchgehustet. Und damit es heute besser wird, sind wir bei unserem Apotheker. Auf den können wir uns immer verlassen. Bei unserer Gesundheit gehen wir auf Nummer sicher.

[8] Auf dem YouTube-Kanal der Beklagten findet sich unter letzterem Video der Text:

Wenn Lina zu viel in der Sonne war, hustet, eine Erkältung oder Fieber hat, geht ihre Mutter Melanie zuerst in die Apotheke. Denn kleinere Erkrankungen lassen sich mit der dortigen Beratung einfach lösen – besonders am Wochenende oder in der Nacht.

[9] 3.1. Die Vorinstanzen gaben übereinstimmend dem von der Klägerin – der für die Vertretung des Ärztestandes für das Bundesland Oberösterreich gesetzlich eingerichteten Körperschaft öffentlichen Rechts (§ 65 ÄrzteG 1998, BGBl I 1998/169) – erhobenen, ausschließlich auf § 2 UWG gestützten, zum Hauptbegehren erhobenen ursprünglichen Eventualbegehren statt, der Beklagten zu untersagen, in Werbung für die geschäftliche Tätigkeit von Apothekern, insbesondere durch Veröffentlichung von Videos und Werbetexten den Eindruck zu erwecken, Apotheker wären zur Behandlung oder Verordnung rezeptpflichtiger Arzneimittel in Zusammenhang mit schweren Krankheiten, wie Schlaganfällen und Herzinfarkten, und/oder zur Behandlung von Erkrankungen mit Fieber, Erkältung, nächtelangem Husten und Sonnenstich berechtigt.

[10] Das Berufungsgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, die Werbung der Beklagten vermittle den irreführenden Gesamteindruck, die Rolle des Arztes bei der Behandlung zu reduzieren und die Aufgabe von Apothekern über eine Beratung hinaus auf Diagnose und Behandlung von schweren Krankheiten zu erstrecken.

Rechtliche Beurteilung

[11] 3.2. Diese Einschätzung hält sich im Rahmen der oben dargelegten Rechtsprechung sowie des den Gerichten im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums. Es ist insbesondere vertretbar, dass die Werbung der Beklagten Rolle und Aufgaben des Arztes nicht nur nicht hervorhebe, sondern diese relativiere, und Patienten im Laufe der Zeit nach Auftreten der erwähnten schweren Krankheiten ihre (Nach-)Behandlung zu Lasten der Rolle des behandelnden Arztes in Verkennung tatsächlicher (ärztlicher) Behandlungserfordernisse auf pharmazeutische Beratungsleistungen reduzieren könnten, zumal ein klarstellender Hinweis darauf, dass den Apotheken nur das Medikationsmanagement obliege, gerade nicht erfolgt sei. Ebenso im vertretbaren Rahmen hält sich die Einschätzung, Patienten könnte suggeriert werden, dass die in den Videos angesprochenen Probleme ohne ärztliche Diagnose und Behandlung primär durch einen Gang in die Apotheke gelöst würden.

[12] 4. Die außerordentliche Revision zeigt dagegen keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf:

[13] 4.1. Mit der Behauptung, die Begründung des Berufungsgerichts sei „zum Unterlassungsbegehren inkongruent“, wird keine erhebliche Rechtsfrage dargelegt. Es wird bloß behauptet, die Einschätzung des Berufungsgerichts wäre „absurd“, zumal in Österreich „jedes Kleinkind“ wisse, dass nur Ärzte Rezepte ausstellen dürften, und „nicht einmal ein unterdurchschnittlich begabter Mensch“ davon ausgehe, Apotheker könnten Schlaganfälle oder Herzinfarkte diagnostizieren, behandeln oder Rezepte hierfür ausstellen. Dass Derartiges entgegen den Überlegungen der Vorinstanzen auch aus dem „Helmut“-Video hervorgehe, wird mit einem Hinweis auf Medikationsmanagement als Aufgabe des Apothekers (und diesbezüglichen Motiven des Verordnungsgebers der Nov zu § 2 Abs 1 Z 5 Pharmazeutische FachkräfteV, BGBl 1930/40) nicht nachvollziehbar dargelegt, stellen doch sogar die in der Revision (wortgleich wie – erstmals – in der Berufung) ins Treffen geführten Materialien hierzu überhaupt nicht auf die Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit ab, sondern darauf, dass der Apotheker als Pharmazeut solche Tätigkeiten nicht seinem pharmazeutisch-kaufmännischen oder sonstigem Personal überlassen dürfe. Auf den vom Berufungsgericht vertretbar hervorgehobenen, vom Video aber gerade nicht behandelten Umstand, dass es primär dem behandelnden Arzt obliegt, die Frage der Notwendigkeit der Verabreichung von (gegebenenfalls auch mehreren) Medikamenten nach schwersten Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu beurteilen, um die Gesundheit des Patienten wieder herzustellen, um ihm primär damit zu ermöglichen, sein „Leben wieder zu genießen“, geht die Revision nicht ein. Warum § 5 ApothekenG lex specialis zum ÄrzteG sein und was dies im Zusammenhang mit der inkriminierten Werbung bedeuten sollte, ist nicht nachvollziehbar.

[14] 4.2. In Ansehung des „Melanie“-Videos geht es nicht um eine Differenzierung zwischen ärztlicher Behandlung und Beratung zur Selbstmedikation, wie die Revision vermeint, sondern um die vom Berufungsgericht vertretbar hervorgehobene Deutung der Werbung dahin, nach nächtelangem Husten, Fieber oder Sonnenstich könne der erste Weg, „damit es heute besser wird“, zum Apotheker, auf den man sich „immer verlassen“ könne, statt zum Arzt führen.

[15] 4.3. Das Unterlassungsgebot hat sich in seinem Umfang stets am konkreten Gesetzesverstoß zu orientieren (RS0037645; RS0037478). Eine gewisse allgemeine Fassung des Begehrens in Verbindung mit Einzelverboten ist aber meist schon deshalb erforderlich, um nicht die Umgehung des erwähnten Verbots allzu leicht zu machen (RS0037607). Auch ist es praktisch unmöglich, alle nur denkbaren Eingriffshandlungen zu beschreiben (RS0000845). Ein Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist (RS0037440). Wie ein bestimmtes Klagebegehren und das dazu erstattete Prozessvorbringen zu verstehen sind, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass sich eine erhebliche Rechtsfrage grundsätzlich nicht stellt (vgl RS0042828 [insb T25]).

[16] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das Klagebegehren nicht unschlüssig sei, weil es ein allgemeines Verbot ebenso wie den Kern der Verletzungshandlung umfasse, ist im Lichte der dargelegten Rechtsprechung nicht im Einzelfall korrekturbedürftig.

[17] 4.4. Auf in der Revision als klärungsbedürftig erachtete Rechtsfragen zu einem „Grenz- und Überschneidungsbereich der Berufsbefugnisse von Apothekern und Ärzten“ kommt es hier nicht an, zumal der Sachverhalt nicht nach der Fallgruppe „Rechtsbruch“ nach § 1 UWG, sondern im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Irreführung im Sinne des § 2 UWG zu beurteilen war.

[18] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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