OGH 8ObA46/22f

OGH8ObA46/22f30.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mü* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2022, GZ 8 Ra 12/22a‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00046.22F.0830.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war seit 2013 bei der Beklagten als Sicherheitsbediensteter und später als Verpacker beschäftigt. Nachdem seine Arbeitsleistungen trotz Ermahnungen rund 20 % unter jener seiner Kollegen zurückblieb, wurde er am 19. 3. 2020 gekündigt. Er war damals 51 Jahre alt, sein letztes Gehalt betrug 3.450 EUR brutto bzw 2.267 EUR netto. Der Kläger hat eine Ausbildung als Starkstrommonteur und als KFZ-Techniker und war zuvor bei diversen Unternehmen als Monteur, im Autohandel und als Facility Manager tätig. Der Kläger könnte innerhalb von fünf bis sieben Monaten eine neue Beschäftigung finden und dabei ein Einkommen von 2.750 EUR brutto erzielen, was (unstrittig) 1.927,64 EUR netto entspricht. Der Kläger hat monatliche Fixkosten von 1.302 EUR, darin 484 EUR an Kreditraten für das von ihm bewohnte Haus und 250 EUR für die Haltung von vier Hunden. Der Kläger ist alleinstehend und hat keine Sorgepflichten.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Eine erfolgreiche Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG bedarf des Nachweises, dass die Kündigung wesentliche Interessen des Gekündigten beeinträchtigt (RIS‑Justiz RS0051845; RS0051746). Dabei ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (RS0051741; RS0051806; RS0051703). Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung nachgewiesen werden konnte, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt – abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung – in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051640 [T5]; RS0051741 [T3, T9]; RS0051753 [T9]). Das ist auch hier nicht der Fall:

[3] 2. Da jede Kündigung die Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt und mit sozialen Nachteilen verbunden ist, müssen Umstände vorliegen, die eine Kündigung für den Arbeitnehmer über das normale Maß hinaus nachteilig machen (RS0051746 [T7]; RS0051753 [T5]). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen (RS005172 [T2]). In der Vergangenheit ist die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Einbußen von unter 10 % hinzunehmen seien, während Verdiensteinbußen von 20 % und mehr auf gewichtige soziale Nachteile hindeuten würden (9 ObA 261/98t mwN).

[4] 3. Der Oberste Gerichtshof hat seither aber mehrfach darauf hingewiesen, dass bei den Einkommenseinbußen nicht auf starre Prozentsätze abgestellt werden darf (RS0051727 [T10]; RS0051753 [T7]). Es sind vielmehr alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RS0110944 [T3]). Dass das Berufungsgericht in der voraussichtlichen Nettoeinkommenseinbuße von (bei richtiger Berechnung) etwa 15 % angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls noch keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage des Klägers erblickte, hält sich noch im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung.

[5] 4. Eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung liegt insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer zur Deckung seiner wesentlichen Lebenshaltungskosten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist (RS0128986). Nach der Rechtsprechung müssen „Luxusaufwendungen“ dabei aber außer Betracht bleiben (RS0051753 [T11]). Soweit sich der Kläger gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts wendet, wonach die mit der Haltung von vier Hunden verbundenen Kosten von 250 EUR monatlich als Luxusaufwendungen zu qualifizieren seien, kommt dem keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil das am Arbeitsmarkt erzielbare Einkommen auch unter Berücksichtigung dieser Zusatzausgaben zur Deckung der Lebenshaltungskosten des Klägers hinreicht.

[6] 5. Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

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