OGH 4Ob85/22m

OGH4Ob85/22m30.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Abwesenheitspflegschaftssache der P* GmbH, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin B* GmbH, *, vertreten durch die Kronberger Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. März 2022, GZ 4 R 66/22f‑5, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. Februar 2022, GZ 2 Nc 3/22m‑2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00085.22M.0630.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Im Ausgangsverfahren brachte die Antragstellerin im Sprengel der Bestandsache eine Mietzins- und Räumungsklage gegen ihre Mieterin, eine GmbH mit Sitz im Sprengel des Erstgerichts ein. Ein vorbereitender Schriftsatz verbunden mit einer Klagsausdehnung konnte weder am Sitz der GmbH noch an der für den Alleingesellschafter und ‑geschäftsführer im Firmenbuch angegebenen Adresse in Deutschland zugestellt werden, sondern kam von beiden Adressen mit dem Vermerk „unbekannt“ zurück.

[2] Die Antragstellerin beantragte daraufhin beim Prozessgericht die „Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 116 ZPO“, weil „die Klage“ nicht habe zugestellt werden können. Das Prozessgericht leitete diesen Antrag ans Erstgericht als zuständiges Pflegschaftsgericht am Sitz der GmbH weiter.

[3] Das Erstgericht deutete den Antrag als solchen auf Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 277 ABGB (in der Folge nur: Abwesenheitskurator) und wies ihn ab, weil nur für natürliche Personen ein Abwesenheitskurator bestellt werden könne.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit abweichender Begründung. Zwar könne auch für juristische Personen ein Abwesenheitskurator bestellt werden. Im vorliegenden Fall wäre aber die Bestellung des beantragten Kurators nach § 116 ZPO völlig ausreichend, sodass es keines Abwesenheitskurators bedürfe. Außerdem sei die Bestellung eines Abwesenheitskurators subsidiär gegenüber der Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG.

[5] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist wegen fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Verhältnis von § 277 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 ABGB zu § 15a GmbHG zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Die Bestellung eines Kurators nach § 116 ZPO wäre für die Zustellung einer die Mahnung nach § 1118 ABGB enthaltenden Räumungsklage nicht ausreichend.

[7] 1.1. Ein die Auflösung eines Mietvertrags rechtfertigender qualifizierter Zinsrückstand iSd § 1118 ABGB liegt nur vor, wenn der Mieter den Zins trotz gehöriger Mahnung nicht bis zum nächsten Zinstermin bezahlt hat (RS0021152). Diese Mahnung kann aber auch durch Einbringung einer Mietzinsklage oder durch Geltendmachung des Räumungsanspruchs erfolgen, sofern die Mietzins- bzw Betriebskostenschuld hinreichend konkret angeführt ist (RS0021216 [T5]; vgl auch RS0021229).

[8] 1.2. Der Wirkungsbereich eines Kurators nach § 116 ZPO beschränkt sich auf die Vertretung der prozessunfähigen Partei in jenem Verfahren, für das er bestellt wurde. Er ist nicht befugt, andere Rechtshandlungen zu setzen, wie etwa Zahlungen für den Kuranden aus dessen Vermögen zu leisten. Die Geltendmachung von Mietzinsrückständen einem Kurator nach § 116 ZPO im Räumungsprozess gegenüber ersetzt daher nicht die gemäß § 1118 ABGB bei Zinszahlungsrückstand erforderliche Mahnung (RS0021322).

[9] Auch die erst in der Klage ausgesprochene Vertragsauflösung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, also keine bloß prozessuale Handlung (RS0021322 [T2]).

[10] 1.3. Im Bestandverfahren brachte die Antragstellerin zwar vor, dass die GmbH mit ihrem Mietzins trotz qualifizierter Mahnung im Rückstand sei. Die Vertragsauflösung wurde jedoch erst in der Klage erklärt.

[11] Das Bestand- und das Erstgericht deuteten den Antrag im Bestandverfahren auf „Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 116 ZPO“ daher aus nachvollziehbaren Gründen als einen solchen auf Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 277 ABGB und nicht eines Kurators nach § 116 ZPO.

[12] 2. Kann ein Vermieter seinen Bestandvertrag mit einer GmbH nicht beenden, weil ihre vertretungsbefugten Organe abwesend sind, ist kein Abwesenheitskurator gemäß § 277 Abs 3 ABGB, sondern ein Notgeschäftsführer nach § 15a GmbHG zu bestellen.

[13] 2.1. Das ABGB sah schon in der Stammfassung „die Bestellung eines Curators für Abwesende“ vor, „wenn sie keinen ordentlichen Sachwalter zurückgelassen haben, ohne solchen aber ihre Rechte durch Verzug gefährdet, oder die Rechte eines Andern in ihrem Gange gehemmet würden“ (§ 276 idF JGS Nr 1811/946).

[14] Ein Abwesenheitskurator kann daher zum Schutz der Interessen des Abwesenden selbst, aber auch zum Schutz von Interessen Dritter bestellt werden, etwa um dem Dritten die Kündigung eines Vertragsverhältnisses mit dem Abwesenden zu ermöglichen (vgl RS0049228 [T1] = 5 Ob 534/81).

[15] 2.2. Diese Bestimmung wurde zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern analog angewendet, wenn eine Gesellschaft keine zur Vertretung befugten Organe hatte und die Voraussetzungen für eine Kuratorbestellung nach § 8 ZPO nicht vorlagen (4 Ob 531/78; Torggler, Die Rechtsstellung des GmbH-Geschäftsführers, GesRZ 1974, 5 [5, 8] mwH).

[16] 2.3. Für Aktiengesellschaften bestand seit 1937 gemäß § 76 AktG die Möglichkeit, fehlende Vorstandsmitglieder in dringenden Fällen vom Gericht bestellen zu lassen (sog Notvorstand; Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2020] § 15a Rz 1).

[17] Nach diesem Vorbild schuf die GmbH‑Novelle 1980 mit§ 15a GmbHG eine vergleichbare Regelung auch für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Ratka inStraube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2020] § 15a Rz 1). Auch für diese sehr geläufige Gesellschaftsform sollte damit das neu geschaffene Institut des Notgeschäftsführers Abhilfe schaffen, wenn die zur Vertretung der Gesellschaft erforderlichen Organe fehlen, was der Gesellschaft, ihren Gläubigern und Arbeitnehmern schweren Schaden zufügen kann (ErläutRV 5 BlgNR 15. GP 6).

[18] Diese Bestimmungen können dabei nicht nur bei formellem Fehlen von Organen angewandt werden, wenn also das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ nicht ausreichend besetzt ist (Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2020] § 15a Rz 10). Vielmehr reicht schon faktisches Fehlen vertretungsbefugter Organe aus, also wenn etwa Geschäftsführer zwar in der erforderlichen Zahl bestellt sind, jedoch aus faktischen oder rechtlichen Gründen an der Vertretung der Gesellschaft gehindert sind oder aber die Amtstätigkeit verweigern (RS0060010 [insbes T5]; Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2020] § 15a Rz 14).

[19] 2.4. Dogmatisch stellte sich dadurch die Frage nach dem Verhältnis von § 15a GmbHG zu den bereits zuvor bestehenden Regelungen über Kuratoren im ABGB zu einander. Mit anderen Worten war zu klären, in welchen Fällen für eine GmbH ein Kurator und in welchen ein Notgeschäftsführer bestellt werden konnte.

[20] Eine Ansicht ging von einer echten Konkurrenz von § 15a GmbHG und § 276 ABGB aF aus, dass also wahlweise entweder ein Abwesenheitskurator oder ein Notgeschäftsführer bestellt werden konnte (Reich-Rohrwig, GmbHR I² [1997] 2/54).

[21] Teile von Lehre und Rechtsprechung vertraten dagegen die Ansicht, dass die Bestimmung des § 15a GmbHG als lex specialis und lex posterior die analog anzuwendende Bestimmung des § 276 ABGB aF verdränge (Schmidt/Saria, Rechtsmittelentscheidungen des Handelsgerichts Wien [1. Lfg 2001] 1 R 129/00t; LGZ Wien 4. 6. 1991, 41 R 344/91, WR 1991/501; Wünsch, Die Organe der GmbH im Lichte der Novelle 1980, GesRZ 1980, 165; Wünsch, Der Notgeschäftsführer im Sinne des § 15a GmbHG, GesRZ 1985, 157 [161]; Schlemmer in Schwimann, ABGB² [1997] § 276 Rz 3).

[22] 2.5. Die Voraussetzungen für die Bestellung von Abwesenheitskuratoren in § 276 ABGB aF wurde durch das KindRÄG 2001 neu formuliert. Sie war nach dem Wortlaut in dieser Fassung zulässig, wenn „nicht in anderer Weise, etwa durch die Bestellung eines Kurators in einem bestimmten gerichtlichen Verfahren durch das dort zur Entscheidung berufene Gericht, für die Wahrung dieser Rechte Sorge getragen werden kann“.

[23] Dadurch wurde den Materialien zufolge klargestellt, dass § 116 ZPO und § 276 ABGB aF nicht parallel anzuwenden seien, sondern vielmehr die Bestellung eines Abwesenheitskurators subsidiär gegenüber der Bestellung eines Kurators nach der ZPO sei (ErläutRV 296 BlgNR 21. GP  80 f).

[24] Das Verhältnis zwischen § 276 ABGB aF und den Regeln zur Bestellung von Notgeschäftsführern und ‑vorständen wird dagegen weder im Gesetzestext idF KindRÄG 2001 noch in den Materialien ausdrücklich angesprochen. Zu beachten ist jedoch, dass nach dem Gesetzestext offenbar bereits die Möglichkeit, die Rechte auf andere Weise zu wahren, ausreicht. Das wird bereits dann zu bejahen sein, wenn ein Vertreter nach einer anderen Norm, insbesondere der ZPO, bestellt werden könnte.

[25] Mit dem SWRÄG 2006 wurde die Regelung in den § 270 ABGB aF verschoben, ohne dass sich der Text änderte (vgl „inhaltlich völlig unverändert“ in ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP  12).

[26] Der Meinungsstreit zum Verhältnis von Abwesenheitskuratel und Notgeschäftsführung zueinander setzte sich auch nach diesen beiden Novellen fort.

[27] Die Kommentare zum GmbHG gingen weiterhin von einer echten Konkurrenz der entsprechenden Normen und somit einem Wahlrecht zwischen der Bestellung eines Abwesenheitskurators und eines Notgeschäftsführers aus (Koppensteiner in Koppensteiner/Rüffler, GmbH-Gesetz3 [2007] zu § 15a Rz 2 mwN; Ratka in Straube, GmbHG [2013] § 15a Rz 2; Gellis, GmbHG7 [2009] § 15a Rz 2; Nunner‑Krautgasser in Fasching/Konecny 3 II/1 § 8 ZPO [2014] Rz 16; Zib in Torggler, GmbHG § 15a [2014] Rz 5; Rohregger/Kudrna in Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/ Hoffenscher‑Summer, GmbHG [2017] § 15a GmbHG Rz 57; Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 [2017] Rz 4/155; so auch Mondel, Kuratoren2 [2013] Rz 4/59 f außerhalb der GmbHG-Literatur).

[28] Dagegen vertraten andere Lehrmeinungen, dass § 15a GmbHG als speziellerer Norm der Vorrang einzuräumen sei (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2011] § 270 Rz 3; Oberhammer, Heilung von Mängeln der organschaftlichen Vertretung des Klägers im Zivilprozess, in FS Aicher [2012] 505 [510]).

[29] Der Oberste Gerichtshof ließ diese Frage in 8 Ob 41/05w unter Verweis auf den Literaturstreit zur Konkurrenz ausdrücklich offen. Er stellte jedoch klar, dass kein Abwesenheitskurator für einen abwesenden Geschäftsführer bestellt werden kann, um Rechte der GmbH zu wahren.

[30] 2.6. Seit dem am 1. 7. 2018 in Kraft getretenen 2. ErwSchG findet sich die Regelung für den Abwesenheitskurator in § 277 ABGB. Nach dessen Abs 1 Z 3 ABGB ist für eine abwesende Person ein Kurator zu bestellen, wenn „ihre Angelegenheiten nicht durch einen anderen Vertreter wahrgenommen werden können“.

[31] Außerdem wurde die Bestellung eines Abwesenheitskurators im Interesse Dritter – also nicht zur Wahrung der Rechte des Abwesenden selbst – nun separat in Abs 3 geregelt.

[32] Wie sich aus den Materialien ergibt, wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung eine allgemeine Subsidiarität der Kuratorenbestellung anordnen, wie sie schon vor dem 2. ErwSchG in § 270 ABGB aF vorgesehen war (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  47). In diesem Zusammenhang heißt es: „Bei einer juristischen Person kommt zB auch die Vertretung durch einen Notgeschäftsführer in Betracht.“

[33] Leider erfolgte auch anlässlich dieser Novelle keine ausdrückliche Klarstellung, ob die Bestellung eines Abwesenheitskurators bereits dann ausscheiden soll, wenn es möglich wäre, einen Notgeschäftsführer zu bestellen, oder aber – wie in Teilen der Lehre vertreten wird – erst dann, wenn ein Notgeschäftsführer bereits bestellt wurde (so etwa N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 15a Rz 7, 10).

[34] Dementsprechend werden auch im jüngsten Schrifttum weiterhin unterschiedliche Ansichten dazu vertreten:

[35] Die gesellschaftsrechtliche Kommentarliteratur befürwortet nach wie vor eine Konkurrenz der beiden Rechtsinstitute Abwesenheitskurator und Notgeschäftsführer, also dass anstelle eines Notgeschäftsführers gemäß § 15a GmbHG auch ein Abwesenheitskurator nach § 277 ABGB bestellt werden könne (N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 15a Rz 7, 10; Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2020] § 15a Rz 2 mwN; Umfahrer in GmbH7 [2021] Kap 4 Rz 4.21 mwN; vgl auch Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG³ [2021] § 76 Rz 8 zur Zulässigkeit der Bestellung eines Abwesenheitskurators für eine AG statt eines Notvorstands; die Konkurrenz voraussetzend: J. Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/ Karollus, AktG II6 [2018] § 76 Rz 4).

[36] Dagegen herrscht in Kommentaren zum ABGB vorwiegend die gegenteilige Auffassung vor, dass angesichts der allgemeinen Subsidiaritätsbestimmung des § 277 Abs 1 ABGB für GmbHs der Notgeschäftsführer nach § 15a GmbHG zu bestellen sei (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 277 Rz 10; Pfurtscheller in Schwimann/Neumayr, ABGB5 [2020] § 277 ABGB Rz 9; Mondel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB³ [2020] § 277 ABGB Rz 33; Rudolfin Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 [Stand 1. 9. 2021, rdb.at] § 277 Rz 21; Mondel, Das Recht der Kuratoren³ [2021] Rz 8.47, der seine frühere gegenteilige Ansicht seit Inkrafttreten von 2. ErwSchG für überholt hält).

[37] Einige weitere Autoren sprechen – wie auch die Gesetzesmaterialien zum 2. ErwSchG – die allgemeine Subsidiarität im Zusammenhang mit Notgeschäftsführern an, legen aber nicht ausdrücklich dar, ob sie auch gegenüber erst zu bestellenden Notgeschäftsführern besteht (Barth/Dokalik/Potyka, ABGB26 § 277 ABGB [2018]; Stefula in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB6 [2020] § 277 ABGB Rz 2 mwN).

[38] 2.7. Der Senat ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitskurators nicht vorliegen:

[39] § 277 ABGB regelt – wie übrigens auch alle seine Vorgängerbestimmungen – den Fall, dass eine Person abwesend ist. Eine Regelung für die Abwesenheit von Organen juristischer Personen enthalten sie nicht. Ihre Anwendung erfolgte daher immer nur analog (so offenbar einhellig in Schrifttum und Rechtsprechung seit Torggler, Die Rechtsstellung des GmbH-Geschäftsführers, GesRZ 1974, 5 [5, 8] mwH).

[40] Die analoge Anwendung einer Norm setzt jedoch eine planwidrige Regelungslücke voraus. Das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf (RS0098756, RS0008845).

[41] Eine solche Lücke liegt hier jedoch schon nach den Behauptungen der Antragstellerin im Abwesenheitspflegschaftsverfahren nicht vor. Sie macht geltend, dass sie durch die Zustellprobleme im Bestandverfahren an der Vertragsbeendigung gehindert sei. Dieser Schwierigkeit kann aber durch Anwendung der eigens (auch) dafür geschaffenen Norm des § 15a GmbHG begegnet werden. Das Rechtsinstitut des Notgeschäftsführers soll ja gerade auch dann Abhilfe schaffen, wenn die Organe einer GmbH faktisch verhindert (zB abwesend) sind und dadurch Gesellschaftsgläubiger an der Wahrung ihrer Rechte gehindert werden.

[42] In Fällen, in denen § 15a GmbHG zur Anwendung kommt und durch Bestellung eines Notgeschäftsführers den Rechten eines Gesellschaftsgläubigers (hier: auf Vertragsbeendigung) zum Durchbruch verschafft werden kann, scheidet deshalb die analoge Anwendung des § 277 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 ABGB und damit die Bestellung eines Abwesenheitskurators aus.

[43] 3. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass aus der Auffassung, wonach der Notgeschäftsführer als subsidiär gegenüber den Kuratoren gemäß der ZPO angesehen wird (nur zu § 8 ZPO: RS0113944; für viele: Pöltner, Der Notgeschäftsführer in der GmbH [2002] 62 f; auch zu § 116 ZPO: Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 270 ABGB Rz 7), für die Lösung der hier zu beurteilenden Frage nichts abzuleiten ist. Dies wird nämlich damit begründet, dass ein Kurator gemäß ZPO mit seinem sehr begrenzten Aufgabengebiet einen geringeren Eingriff in die Privatautonomie der Gesellschafter darstelle (ausführlich: Pöltner, Der Notgeschäftsführer in der GmbH [2002] 62 f). Diese Überlegung lässt sich jedoch nicht auf den Abwesenheitskurator übertragen: Ein Abwesenheitskurator kann nämlich ohnehin nur bestellt werden, wenn auch Angelegenheiten außerhalb eines Zivilprozesses zu regeln sind, sodass eben nicht nur Prozesshandlungen anstehen. Im Übrigen könnte erforderlichenfalls auch der Notgeschäftsführer mit einem– zumindest im Innenverhältnis – beschränkten Tätigkeitsbereich bestellt werden (RS0113946).

[44] 4. Die Annahme der Vorinstanzen, dass im vorliegenden Fall schon die Klagszustellung an die GmbH nicht wirksam erfolgt sei, ist in den Entscheidungen nicht nachvollziehbar begründet. Die Postfehlberichte im Bestandakt betreffen nämlich den vorbereitenden Schriftsatz. Bei der Klage ist dagegen ein Zustellschein angeschlossen, der eine Hinterlegung am Sitz der GmbH ausweist.

[45] Ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers tatsächlich vorliegen oder überhaupt nach anderen Normen vorzugehen wäre (vgl RS0115726 [T3]; RS0112829, RS0006044), ist in der Abwesenheitspflegschaftssache jedoch nicht zu klären.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte