OGH 10Ob10/22a

OGH10Ob10/22a24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl in der Rechtssache der klagenden Partei A*, Slowenien, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Mag. Rolf Gabron, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen Herausgabe (in eventu Duldung des Zutritts) und Duldung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 10. Februar 2022, GZ 3 R 167/21z‑11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 5. November 2021, GZ 5 C 179/21i‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00010.22A.0524.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:

Die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs wird verworfen.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, das Verfahren über die Klage fortzusetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit 1.148,98 EUR (darin 191,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten, ihr Schlüssel für das Wohnhaus auf einem näher bezeichneten (in Österreich gelegenen) Grundstück zu übergeben, hilfsweise ihr und einer Vertrauensperson den jederzeitigen Zutritt zu diesem Haus zu gestatten. Überdies begehrt die Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, das Anbringen von Videokameras zur Sicherung des Hauses (unter Wahrung der Privatsphäre der Beklagten) zu dulden.

[2] Sie brachte dazu vor, aufgrund eines im Jahr 2015 mit ihrem Sohn geschlossenen Schenkungsvertrags Alleineigentümerin der Liegenschaft zu sein. Die Beklagte sei die ehemalige Ehegattin ihres Sohnes. Obwohl die Ehe der Beklagten mit ihrem Sohn im November 2013 (in Slowenien) geschieden worden sei, stehe diese auf dem Standpunkt, aufgrund des während aufrechter Ehe (nach slowenischem Recht) bestehenden gemeinschaftlichen Vermögens mit ihrem Sohn (weiterhin) ein Nutzungsrecht an der Liegenschaft zu haben. Die Beklagte nutze die Liegenschaft auch nach wie vor und verweigere ihr nicht nur zu Unrecht den Zugang zum Objekt bzw die Herausgabe mehrerer Schlüssel, sondern ohne Rechtsgrundlage auch das Anbringen von Videokameras, die sie unter Achtung der Privatsphäre der Beklagten zur Sicherung der Liegenschaft installieren wolle.

[3] Die Beklagte wandte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ein.

[4] Das Erstgericht sprach aus, dass das Verfahren gemäß § 40a JN im Außerstreitverfahren zu führen sei, weil die mit Klage eingeleitete Streitigkeit im Kern die Nichteinigung über die Nutzung gemeinsamen Vermögens betreffe. Aus der Klage gehe hervor, dass die Ehe zwischen der Beklagten und dem Sohn der Klägerin in Slowenien geschieden und ein Aufteilungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Das nach § 9 Abs 1 iVm § 19 IPRG auf die Wirkungen und die Scheidung dieser Ehe anzuwendende slowenische Sachrecht sehe eine Errungenschaftsgemeinschaft in der Form vor, dass den Ehegatten das gemeinschaftliche Vermögen – ohne Bestimmung von Anteilen – gemeinsam gehöre und von ihnen gemeinsam und einvernehmlich zu verwalten sei. Dementsprechend gehe die Klägerin auch davon aus, dass die Beklagte ihr Nutzungsrecht aus einem Gesamthandeigentum ableite. Sie stütze ihre Klage daher nicht auf ein dingliches Recht (§ 523 ABGB), sondern ziele (bloß) auf die Gewährung der Teilnahme an der Nutzung des gemeinsamen Vermögens. Würde eine derartige Streitigkeit zwischen Miteigentümern geführt, wäre darüber gemäß § 838a ABGB im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Dies müsse auch gelten, wenn wie hier materiell‑rechtlich Gesamthandeigentum an einer Sache bestehe, zumal dieselben Probleme zu erwarten und zu regeln sowiedieUnterschiede zwischen (schlichtem) Miteigentum und Gesamthandeigentum primärdogmatischer Natur seien.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und verwies auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts. Die Liegenschaft sei während der Ehe der Beklagten mit dem Sohn bzw Rechtsvorgänger der Klägerin erworben worden und stelle Gesamthandvermögen der Ehegatten dar. Die Klägerin habe sich auch selbst auf das daraus abgeleitete Nutzungsrecht der Beklagten bezogen.

[6] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur (analogen) Anwendung des § 838a ABGB auf Gesamthandeigentum slowenischer Eigentümer fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

[8] 1. Die Wahl der Verfahrensart durch die verfahrenseinleitende Partei bestimmt die anzuwendenden Rechtsmittelvorschriften (RS0046238 [T2]; RS0046245 [T4, T9]). Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ist daher nach § 528 ZPO zu beurteilen.

[9] 1.1. Obwohl das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts zur Gänze bestätigt hat, ist der Revisionsrekurs nicht nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Die Überweisung der Rechtssache vom streitigen in das außerstreitige Verfahren ist nämlich dann der Zurückweisung einer Klage gleichzuhalten, wenn mit der Überweisung der Rechtssache eine Veränderung der Anspruchsgrundlage und der anzuwendenden materiellen Bestimmungen verbunden ist (RS0044538 [T4]; RS0103854 [T3, T4]; RS0106813 [T4, T5]). Das ist hier der Fall, zumal bei Unterstellung der Klage unter § 838a ABGB die §§ 825 ff ABGB und nicht die zur Begründung der Klage herangezogenen eigentumsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung gelangen.

[10] 2.1. Bei der Beurteilung, ob eine Rechtssache im streitigen oder im außerstreitigen Verfahren zu erledigen ist, kommt es nicht auf die Bezeichnung durch die Parteien, sondern ausschließlich auf den Inhalt des Begehrens und das Vorbringen der Partei an (§ 40a JN). Maßgebend für die Bestimmung der Art des Rechtswegs sind also der Wortlaut des Begehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen (RS0005896 [T17]; RS0013639; RS0005861), wobei vor allem der innere Sachzusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige oder in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie von Bedeutung ist (RS0013639 [T15]). Ohne Einfluss für die Beurteilung dieser Frage ist, was der Gegner einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist (RS0013639 [T20]; RS0005896 [T12]; RS0045584 [T35]). Im Zweifel gehören alle in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden (Zivilrechts‑)Sachen auf den streitigen Rechtsweg (RS0012214 [T5, T14]).

[11] 2.2. An diesen Grundsätzen hat auch der mit dem Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz 2004 (FamErbRÄG 2004, BGBl I 2004/58) eingeführte § 838a ABGB, wonach Streitigkeiten zwischen den Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden sind, nichts geändert (5 Ob 33/20v; RS0012214 [T12]).

[12] 2.3. Ausschlaggebend für die Verweisung auf den außerstreitigen Rechtsweg nach § 838a ABGB ist, ob eine Streitigkeit zwischen Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten „den Kern des Begehrens“ bildet (RS0013622 [T10]). Weiterhin auf den streitigen Rechtsweg gehören daher Ansprüche, die nicht (nur) auf das Miteigentumsverhältnis gegründet sind, sondern auf andere Rechtsgrundlagen, etwa Besitzstörungs-, Schadenersatz‑ und Bereicherungs‑ oder auch nachbarrechtliche Unterlassungsansprüche sowie Ansprüche nach § 523 ABGB (5 Ob 33/20v; Sailer in KBB6 § 838a Rz 3 mwN).

[13] 3. Die Klägerin zeigt im Revisionsrekurs zu Recht auf, dass die Vorinstanzen ihr Vorbringen und ihr Begehren gegen ihren erklärten Willen ausgelegt haben, was auch im Einzelfall aufzugreifen ist (RS0042828 [T30]).

[14] 3.1. Nach den in der Klage vorgetragenen Tatsachen und dem primär verfolgten Rechtsschutzziel begehrt die Klägerin nämlich keine Regelung der gemeinsamen Benützung der Liegenschaft, sondern den Schutz ihres Eigentums gegen ihrer Ansicht nach unberechtigte Eingriffe der Beklagten (vgl auch 6 Ob 54/22t und 4 Ob 53/22f).

[15] 3.2. Zwar gehen die Vorinstanzen davon aus, dass an der Liegenschaft Gesamthandeigentum bestehe. Sie nehmen bei dieser Beurteilung aber nicht darauf Bedacht, dass sich die Klägerin ausdrücklich (nur) auf ihr alleiniges Eigentum an der Liegenschaft iSd §§ 353 ff ABGB beruft, wohingegen sie das Recht der Beklagten immer bloß als „Nutzungsrecht“ bezeichnet. Zwar führtdie Klägerin aus, die Beklagte leite das in Anspruch genommene Recht aus dem seinerzeit gemeinschaftlichen Vermögen mit ihrem Sohn ab. Darin liegt aber nicht die Behauptung, die Liegenschaft stehe auch nach ihrem Standpunkt im (außerbücherlichen) Gesamthandeigentum der Streitteile gemäß dem slowenischen (Ehegüter-)Recht. Ihrem Vorbringen kann demgemäß auch nicht entnommen werden, sie betrachte die Beklagte als Teilhaberin an der Sache im Sinn eines gleichgearteten bzw (qualitativ) gleichwertigen Rechts, wie es etwa zwischen Mitmietern, obligatorisch Wohnberechtigten oder Wohnungseigentumswerbern besteht (vgl Sailer in KBB6 § 825 ABGB Rz 7), weshalb sie eine Regelung der Nutzung der gemeinschaftlichen Sache anstrebe. Vielmehr bringt die Klägerin erkennbar bloß zum Ausdruck, dass ihr Vollrecht als Alleineigentümerin (§ 362 ABGB) durch eine allfällige (auch sie als Rechtsnachfolgerin ihres Sohnes bindende) obligatorische Verpflichtung gegenüber der Beklagten beschränkt sein mag, die Beklagte ihr(vermeintliches) Nutzungsrecht aber überschreitet, indem sie ihr den Zugang zum Objekt verwehrt und das Anbringen von Videokameras verhindert.

[16] 3.3. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die Klägerin das von der Beklagten beanspruchte Nutzungsrecht anerkennt, zielt sie mit ihrer Klage daher nicht auf die Verwaltung und Nutzung einer gemeinschaftlichen Sache, sondern auf die Wahrung ihrer Rechte als Eigentümerin der Liegenschaft. Die Rechtssache ist daher im streitigen Verfahren zu führen.

[17] 4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit dahin abzuändern, dass die von der Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs verworfen wird. Das Erstgericht hat das Verfahren über die Klage fortzusetzen.

[18] 5. Der Kostenersatz richtet sich im Zwischenverfahren nach § 40a JN nach jener Verfahrensart, den der das Hauptverfahren Einleitende in seinem Rechtsschutzantrag gewählt und behauptet hat (RS0046245 [T2]).

[19] Die Kostenentscheidung beruht hier daher auf §§ 41, 52 Abs 1 Satz 2 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs obsiegt, sodass ihr die Beklagte die Kosten des Zwischenstreits zu ersetzen hat (vgl RS0035955). Da die Streitteile in der (nur ½ Stunde dauernden) Streitverhandlung vom 23. September 2021 auch zur Sache vorgebracht haben und dort auch Beweise (in Form der Verlesung von Akten) aufgenommen wurden, beschränken sich die Kosten auf die Kosten des Rekurs‑ und des Revisionsrekursverfahrens (3 Ob 115/19m; 8 Ob 58/11d ua).

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