OGH 8Ob3/22g

OGH8Ob3/22g30.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragsteller 1. K*, vertreten durch Mag. Volker Flick, Mag. Eva Flick, Rechtsanwälte in Graz, 2. Dr. C*, vertreten durch Mag. Martin Sudi, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung im Einvernehmen gemäß § 55a EheG, über den Revisionsrekurs des Erstantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 12. November 2021, GZ 1 R 222/21f‑15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 18. August 2021, GZ 21 FAM 25/21w‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00003.22G.0330.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass dem Antrag des Erstantragstellers auf Teilausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs vom 10. Mai 2021 zu dessen Punkt 1.2 (Regelungen bezüglich Liegenschaftseigentum) stattgegeben wird.

 

Begründung:

[1] Die aus Anlass der einvernehmlichen Scheidung der Ehe der Antragsteller gemäß § 55a EheG geschlossene Scheidungsfolgenvereinbarung enthält ua Regelungen über die Übertragung von Liegenschaften zwischen den Antragstellern.

[2] Am 20. 7. 2021 beantragte der Erstantragsteller eine „Teilausfertigung des Scheidungsvergleichs hinsichtlich Punkt 1.2. mit Aufbringung der Bestätigung der Rechtswirksamkeit zur Vorlage vor dem Grundbuchgericht im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des EGMR“.

[3] Nachdem ihm das Erstgericht entgegengehalten hatte, dass eine Teilausfertigung eines Vergleichs vom Gesetz nicht vorgesehen sei, wiederholte der Erstantragsteller seinen Antrag mit Schriftsatz vom 5. 8. 2021 und führte unter Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 6. 4. 2021, 5434/17, Liebscher gegen Österreich aus, dass eine Teilausfertigung eines Vergleichs im Gesetz zwar nicht explizit vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen sei.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil nach § 144 Geo Ausfertigungen genau nach Weisung der Urschrift herzustellen seien. Für die Herstellung von Teilausfertigungen bestehe keine gesetzliche Grundlage. Es bedürfe einer Gesetzesänderung, um die Interessen der Parteien berücksichtigen zu können.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Erstantragstellers nicht Folge. Auch wenn die Ausstellung von Teilausfertigungen eines Vergleichs vom Gesetz nicht ausdrücklich verboten werde, folge daraus noch kein Anspruch auf Erteilung einer Teilausfertigung, weil sich gerichtliches Handeln grundsätzlich nur auf positive gesetzliche Anordnungen stützen dürfe. Die ins Treffen geführte Entscheidung des EGMR enthalte keine Aussage über die maßgebliche Frage, ob die Partei des Verfahrens auf einvernehmliche Scheidung Anspruch auf Erteilung einer Teilausfertigung der Scheidungsfolgenvereinbarung habe, und entfalte im Übrigen keine unmittelbare Bindungswirkung für österreichische Gerichtsentscheidungen. Letztlich wäre auch das rechtliche Interesse des Antragstellers an der beantragten Teilausfertigung zu verneinen, weil das für die Prüfung nach § 94 Abs 1 GBG funktionell nicht zuständige Familiengericht nicht für das Grundbuchsgericht bindend aussprechen könne, ob der Auszug des Scheidungsvergleichs sämtliche in Bezug auf die Liegenschaft getroffenen Vereinbarungen enthalte. Eine „Teilausfertigung“ oder ein „Auszug“ des Scheidungsvergleichs sei daher keine ausreichende Eintragungsgrundlage.

[6] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage des Anspruchs von Parteien auf Teilausfertigungen gerichtlicher Vergleiche keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Erstantragstellers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Antragsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

[9] 1. Nach der Rechtsprechung des für Grundbuchsachen zuständigen Fachsenats des Obersten Gerichtshofs stellt die Vorlage einer „Teilausfertigung“ oder eines „Auszugs“ des Scheidungsvergleichs keine ausreichende Eintragungsgrundlage dar (so schon 5 Ob 250/15y). Der auf dem vorgelegten Auszug enthaltene Hinweis des Familiengerichts, wonach dieser „sämtliche im Scheidungsvergleich in Bezug auf die Liegenschaft … getroffenen Vereinbarungen (umfasst)“ ändert daran nichts, weil das für die Prüfung nach § 94 Abs 1 GBG funktionell nicht zuständige Familiengericht nicht für das Grundbuchsgericht bindend aussprechen kann, ob der Auszug des Scheidungsfolgenvergleichs tatsächlich sämtliche in Bezug auf die Liegenschaft getroffenen Vereinbarungen enthält (vgl RIS‑Justiz RS0130874).

[10] 2. Richtig ist, dass der EGMR in der Entscheidung vom 6. 4. 2021, 5434/17, Liebscher gegen Österreich zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Verpflichtung, dem Grundbuchsgericht einen vollständigen Scheidungsfolgenvergleich zur Prüfung der Einverleibungsvoraussetzungen und zur Veröffentlichung in der Urkundensammlung vorzulegen, das aus Art 8 EMRK abgeleitete Recht auf den Schutz persönlicher Daten verletzt (iFamZ 2021, 74 [Pesendorfer]; NZ 2021, 622; jusIT 2021, 171 [Thiele]).

[11] Nach der auf Rassi (Scheidungsfolgenvergleich in der Urkundensammlung, EF-Z 2021, 161) zurückgehenden Ansicht des Schrifttums „liefern nicht die Prüfung oder Entscheidung des Grundbuchgerichts, sondern 'erst' §§ 6 f GBG wegen der normierten Veröffentlichung der Grundbuchsurkunden den eigentlichen Sprengstoff für die grundrechtliche Problematik“ (so auch Thiele aaO 172; Rechberger, Grundbuch und verfassungskonforme Interpretation, NZ 2021, 692 [694]). Rassi (aaO 161) betont, erst die Veröffentlichung könne zur Verletzung des Art 8 EMRK führen, vor allem dann, wenn in der Urkunde auch vertrauliche Informationen enthalten sind, die mit der entsprechenden Liegenschaft nichts zu tun haben (wie etwa Unterhaltshöhe, Einkommen, Schulden, Obsorge und Kontaktrecht bei Kindern).

[12] Zur Abhilfe wird einerseits auf einen legistischen Handlungsbedarf, andererseits aber auch auf die Praxis verwiesen, den Scheidungsfolgenvergleich in einen grundbuchsrelevanten und einen sonstigen Teil aufzusplitten (Thiele aaO; Gitschthaler, [Kein] Ehe-Striptease im Grundbuch! EF-Z 2021, 97; Kommenda, Straßburg schützt Geschiedene vor Gehaltsstrip in Grundbuch, Die Presse 2021/15/05; vgl auch Leb, Jetzt muss sich noch die Praxis ändern, Die Presse 2021/16/07).

[13] Rassi (aaO 163) erwägt darüber hinaus eine Gesamtanalogie zu vergleichbaren Bestimmungen des Verfahrensrechts, die davon geprägt sind, dass Teile des Akteninhalts vor anderen Prozessparteien und daher umso mehr auch vor Dritten geschützt werden. Er nennt in dem Zusammenhang § 298 Abs 2 ZPO, nach dem eine Partei (im Gegensatz zum Gericht) keine Einsicht in nicht relevante Teile der vom Prozessgegner vorgelegten Urkunde erhält, und § 26h UWG, nach dem das Gericht vertrauliche Beweismittel für die Entscheidung verwerten darf, die dem Prozessgegner und Dritten nicht offenstehen. Aufgrund einer analogen Anwendung dieser Regelungen könnten die Grundbuchsgerichte seiner Meinung nach uU dazu übergehen, dass nur die relevanten Teile der ihnen unzensiert vorgelegten Urkunden in der Urkundensammlung veröffentlicht werden.

[14] Im Anschluss daran plädiert Rechberger (aaO 694 f) für eine verfassungskonforme Analogie zu näherliegenden Bestimmungen des AußStrG. Er verweist auf §§ 140 f AußStrG, wonach in den Ehe-, Kindschafts- und Erwachsenenschutzverfahren Mitteilungen über Umstände des Privat- und Familienlebens, an deren Geheimhaltung ein begründetes Interesse einer Partei oder eines Dritten besteht, nicht veröffentlicht werden dürfen, wenn deren Kenntnis ausschließlich durch das Verfahren vermittelt wird (§ 140 Abs 2 AußStrG). Darüber hinaus führt er § 178 Abs 4 AußStrG ins Treffen, wonach derjenige, der glaubhaft macht, dass es sonst zu einer Beeinträchtigung der Privatsphäre des Verstorbenen oder der Parteien käme, die gesonderte Ausfertigung von Anordnungen des Einantwortungsbeschlusses verlangen kann. Rechberger zieht aus diesen Bestimmungen den Schluss, dass der Antragsteller dem Grundbuchsgericht sowohl den ganzen Scheidungsfolgenvergleich als auch einen Auszug daraus (oder eine geschwärzte Fassung davon) vorlegen und beantragen kann, dass das Grundbuchsgericht nach entsprechender gerichtsinterner Überprüfung nur die zweite Urkunde als Basis für die Grundbuchseintragung und zur Aufnahme in die Urkundensammlung verwendet.

[15] 3.1 Die Schließung einer planwidrigen und daher ungewollten Gesetzeslücke durch Analogie ist auch im Verfahrensrecht möglich (RS0115998).

[16] Das Grundbuchsgericht kann daher auf Basis der oben wiedergegebenen Erwägungen zu dem Schluss kommen, dass es sich nach Einsicht in den gesamten Scheidungsfolgenvergleich – trotz fehlender gesetzlicher Grundlage – mit der Veröffentlichung einer Teilausfertigung in der Urkundensammlung begnügt, um dem Grundrecht der Antragsteller auf Schutz persönlicher Daten im Sinn des Art 8 EMRK Rechnung zu tragen.

[17] Vor diesem Hintergrund ist ein Bedürfnis des Rechtsmittelwerbers an der Übermittlung nicht nur einer Voll-, sondern auch einer – mit Rechtswirksamkeitsbestätigung versehenen – Teilausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs nachvollziehbar. Allerdings fehlt es – wie die Vorinstanzen zutreffend bemerkt haben – an einer gesetzlichen Grundlage für die Ausstellung einer solchen Teilausfertigung. Dem Antragsteller kann ein im Rechtsweg durchsetzbarer Anspruch wiederum nur im Wege der Analogie gewährt werden.

[18] 3.2 Für eine analoge Anwendung kommt vor allem die schon zitierte Bestimmung des § 178 Abs 4 AußStrG in Betracht, mit der der Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, dass ein Beschluss in einer Ganzausfertigung und zusätzlich in Teilausfertigungen ergehen kann (vgl Knoll, RZ 2005, 2).

[19] In den ErlRV 224 BlgNR 22. GP 112 wird die Einführung des § 178 Abs 4 AußStrG auf folgende Überlegungen gestützt:

Es mag Fälle geben, in denen sich aus praktischen oder auch verfahrensexternen Gründen ein Bedürfnis ergibt, dass nicht alle, deren Rechtssphäre durch einen Teil dieser Enderledigung berührt ist, von sämtlichen übrigen Inhalten des erweiterten Einantwortungsbeschlusses Kenntnis erlangen sollen. Der berechtigte Kern der derzeitigen Trennung von Einantwortungsurkunde und Endbeschluss lag wohl darin, dass in manchen Fällen nur jene Informationen weitergegeben werden sollten, die nun im Abs 1 enthalten sind. Diese Diskretionsmaxime kann ein Gericht von sich aus veranlassen, die einzelnen Erledigungen zu sondern, doch wird ein besonderes Interesse daran häufig nicht von vornherein deutlich werden. Abs 4 erlaubt daher Anträge auf gesonderte Ausfertigung von Anordnungen, deren gleichzeitige Ausfertigung die Privatsphäre des Erblassers oder einer Partei beeinträchtigen würde. Die Interessen sind zu bescheinigen.

[20] Bittner/Gruber (in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 178 Rz 8) meinen unter Hinweis auf Sailer (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 178 Rz 7 [Fn 9]), dass eine strenge Prüfung der Bescheinigungspflicht nicht angebracht ist. Sailer hält dazu fest, man werde –  da der Aufwand gesonderter Ausfertigungen beim heutigen Stand der Textverarbeitung gering sei (und oft die Beschlüsse ohnehin von den Parteienvertretern vorbereitet würden)  – wohl großzügig sein und entsprechenden Anträgen ohne weitere Prüfung nachkommen können.

[21] 3.3 Obgleich der Einantwortungsbeschluss eine Entscheidung des Gerichts ist, der Scheidungsfolgenvergleich hingegen – in einem gewissen Umfang – von den Parteien ausgestaltet und allenfalls von Vornherein aufgesplittet werden kann, gelten die Erwägungen, die zur Einführung des § 178 Abs 4 AußStrG geführt haben („Diskretionsmaxime“), auch und gerade für letzteren. Berücksichtigt man die zitierte Rechtsprechung des EGMR und das Bemühen des Gesetzgebers, mit § 178 Abs 4 AußStrG die Möglichkeit zu schaffen, persönliche Daten nicht publik machen zu müssen, ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des § 140 Abs 2 AußStrG anzunehmen, dass im Verfahren über die Scheidung der Ehe im Einvernehmen eine ungewollte Regelungslücke vorliegt. Diese Lücke ist durch Analogie zu schießen. Andernfalls wären die Parteien auf den guten Willen der Familiengerichte angewiesen, in deren Belieben es stünde, die (für das Grundbuchsgericht) beantragten Teilausfertigungen des Scheidungsfolgenvergleichs – weil sie, wie das Rekursgericht und der Revisionsrekurswerber zu Recht hervorheben, nicht verboten sind – doch herzustellen. Die Vorlage einer vollständigen Ausfertigung mit anschließender Veröffentlichung einer Teilausfertigung (statt einer geschwärzten Ausfertigung) scheint aber auch den Bedürfnissen des Grundbuchs am ehesten gerecht zu werden.

[22] 4. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der Antrag analog § 178 Abs 4 AußStrG zu bewilligen.

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