European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00083.21P.0126.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Dem Rechtsschutz‑Versicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die „Vertragsgrundlagen zur Rechtsschutz‑Versicherung“ sowie die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 2010“ (ARB) der Beklagten zugrunde; darin lautet es auszugsweise:
„ Wichtige Hinweise:
Um etwaige Deckungsprobleme von vornherein zu vermeiden, bitten wir Sie, folgendes zu beachten:
– Informieren Sie uns stets von wesentlichen Veränderungen (z.B. [...] Wohnsitzwechsel, […])
[...]
Artikel 2 Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
[...]
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines bloßen Vermögensschadens [...] sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen bloßer Vermögensschäden [...] – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.“
[2] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob ein Versicherungsnehmer eine Anschriftenänderung bezüglich eines Vertrags mitteilen müsse, wenn er zu anderen Verträgen seine Adressenänderung schon bekanntgegeben hätte und die geänderte Anschrift (bezüglich der anderen Versicherungsverträge) dem Versicherer bekannt sei.
[3] Damit zeigt das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage auf. Da auch der Kläger in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, zumal auch der Umstand, dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, für sich nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage begründet (vglRS0107773;RS0122015). Die Zurückweisung des ordentlichen Rechtsmittels kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[4] 1.1. Nach Art 2.3 ARB liegt der Versicherungsfall in der Vertrags‑Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Demnach ist ein Verstoß ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen (RS0114001). Maßgeblich ist, welche Rechtsverfolgung der Versicherungsnehmer anstrebt und welcher behauptete Verstoß dafür gegebenenfalls adäquat kausal gewesen sein kann (vgl 7 Ob 85/20f). Der Versicherungsfall und damit die Beurteilung der Deckungspflicht richtet sich nach dem vom Kläger geltend zu machenden Anspruch und ist insofern eine Frage des Einzelfalls (RS0123775; 7 Ob 129/20a).
[5] 1.2. Der Klagevertreter hat mit einem Aufforderungsschreiben vom (unstrittig) 6. 2. 2019gegenüber der Beklagten die Übernahme von Rechtsschutzdeckung (zu einem vorerst außergerichtlichen) Regulierungsversuch gegenüber einem Unfallversicherer verlangt und darin behauptet, dass die von diesem angenommene Invalidität wesentlich höher als im vom Unfallversicherer übermittelten Gutachten eingeschätzt hätte werden müssen.
[6] Die Vorinstanzen vertraten die Auffassung, der Rechtskonflikt zwischen dem Kläger und dem Unfallversicherer betreffe den Grad der Invalidität und daraus folgend die Höhe der Versicherungsleistung; er basiere darauf, dass der Kläger die ihm zustehende Invaliditätsleistung als wesentlich höher einstufe als die vom Unfallversicherer in dessen Schreiben vom 21. 1. 2019 bekanntgegebene, auf einem Sachverständigengutachten beruhende, Invaliditätsentschädigung.
[7] Mit der Darlegung der Revision, der Versicherungsfall sei erst Monate später eingetreten, als er entsprechend den Unfall‑Versicherungsbedingungen ein Gegengutachten eingeholt, aber der Unfallversicherer dieses abgelehnt und dadurch gegen seine Eintrittspflicht verstoßen habe, vermag der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Dass der behauptete Keim des Rechtsstreits, der in der angeblich unrichtigen Ausmittlung der Invaliditätsentschädigung liegende Verstoß des Unfallversicherers lag, der Gegenstand der vom Kläger angestrebten Rechtsverfolgung sein sollte, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl 7 Ob 129/20a [2.]).
[8] Der Keim des Rechtskonflikts und damit der Eintritt des Versicherungsfalls fällt somit jedenfalls in jenen Zeitraum von Juni 2018 bis 5. 3. 2019, in dem nach den Feststellungen ein Prämienrückstand des Klägers bestand.
[9] 2.1. Nach § 39 Abs 1 VersVG kann der Versicher, wenn eine Folgeprämie nicht rechtzeitig bezahlt wird, dem Versicherungsnehmer auf dessen Kosten schriftlich eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen bestimmen. Dabei sind die Rechtsfolgen anzugeben, die nach Abs 2 und 3 mit dem Ablauf der Frist verbunden sind. Eine Fristbestimmung ohne Beachtung dieser Vorschriften ist unwirksam. Tritt der Versicherungsfall nach dem Ablauf der Frist ein und ist der Versicherungsnehmer zur Zeit des Eintritts mit der Zahlung der Folgeprämie im Verzug, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass der Versicherungsnehmer an der rechtzeitigen Zahlung ohne sein Verschulden verhindert war (§ 39 Abs 2 VersVG).
[10] Die Leistungsfreiheit des Versicherers bei nicht rechtzeitiger Zahlung einer Folgeprämie ist damit an drei Voraussetzungen geknüpft (RS0080654): 1. dem Versicherungsnehmer muss eine der Bestimmung des § 39 Abs 1 VersVG entsprechende Mahnung zugegangen sein, 2. bei Eintritt des Versicherungsfalls muss die ihm vom Versicherer bestimmte Zahlungsfrist bereits abgelaufen sein, 3. der Versicherungsnehmer muss bei Eintritt des Versicherungsfalls mit der Zahlung schuldhaft in Verzug sein.
[11] Die qualifizierte Mahnung nach § 39 VersVG ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Wirkung nur dann eintritt, wenn sie dem Versicherten iSd § 862a ABGB zugegangen ist (RS0014059). Im Sinne der Empfangstheorie ist eine Erklärung dem Adressaten dann zugekommen, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass nach regelmäßigen Umständen mit der Kenntnisnahme durch ihn gerechnet werden konnte, wenn sie also in eine solche Situation gebracht wurde, dass die Kenntnisnahme durch den Adressaten unter normalen Umständen erwartet werden kann und Störungen, die sich ihr entgegenstellen sollten, nur mehr im Lebensbereich des Adressaten möglich sind. Dass der Empfänger absichtlich den Zugang verhindert, ändert nichts an der Rechtswirksamkeit der Empfangserklärung (RS0014071, RS0014076; 7 Ob 55/02t mwN). Verhindert der Empfänger absichtlich den Zugang, so ist die Zustellung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zugegangen wäre (vgl RS0028552). Die Verpflichtung, für die Möglichkeit des Zugangs von rechtsgeschäftlichen Erklärungen vorzusorgen, ist umso stärker zu gewichten, je eher mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen zu rechnen ist. Grundsätzlich muss der mit der Zahlung der Folgeprämie in Verzug geratene Versicherungsnehmer mit dem Zugang einer qualifizierten Mahnung rechnen (RS0014098); dabei muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden, ob dem Versicherungsnehmer die Kenntnisnahme der Mahnung möglich war bzw ob ihm vorgeworfen werden kann, den Zugang wider Treu und Glauben verhindert zu haben (vgl 7 Ob 55/02t mwN). Für die Beurteilung, ob objektiv mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden kann, sind alle Umstände des Einzelfalls maßgebend (RS0014089).
[12] Nach ständiger Rechtsprechung hat der Versicherer den Zugang der qualifizierten Mahnung wie jeder, der sich im Prozess auf den Zugang einer empfangsbedürftigen einseitigen Willenserklärung beruft, zu behaupten und zu beweisen (RS0014065). Ob eine qualifizierte Mahnung iSd § 39 VersVG, die nachweislich (sei es eingeschrieben oder nicht) zur Post gegeben wurde, beim Versicherungsnehmer eingelangt ist, ist eine nach den Umständen des konkreten Falls durch die Tatsacheninstanzen zu lösende Beweisfrage, die einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist (vgl 7 Ob 24/09v).
[13] Für Willenserklärungen nach Vertragsabschluss (nicht jedoch für die Begründung des Versicherungsvertragsverhältnisses) gilt § 10 Abs 1 VersVG (RS0102505 [T1, T2]): Demnach genügt im Fall, dass der Versicherungsnehmer seine Wohnung geändert, diese Änderung aber dem Versicherer nicht mitgeteilt hat, für eine Willenserklärung, die dem Versicherungsnehmer gegenüber abzugeben ist, die Absendung eines eingeschriebenen Briefes nach der letzten dem Versicherer bekannten Wohnung; die Erklärung wird in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ohne die Wohnungsänderung bei regelmäßiger Beförderung dem Versicherungsnehmer zugegangen wäre. Die Prämieneinmahnung unter Nachfristsetzung ist eine der von § 10 VersVG erfassten Willenserklärungen (vgl RS0080265). Die Absendung einer Willenserklärung iSd § 10 Abs 1 VersVG in Form eines eingeschriebenen Briefes ist für die rechtswirksame Annahme der Zugangsfiktion erforderlich; dem Umstand, dass der Versicherungsnehmer nicht ausdrücklich darüber belehrt wurde, seine Adressänderung dem Versicherer bekanntzugeben, kommt keine Bedeutung zu, wenn sich eine derartige Verpflichtung ohnedies jedermann einleuchtend aus der Überlegung ergibt, dass der Geschäftspartner bei nicht bekanntgegebener Adressänderung seine Willenserklärung ja nicht mehr rechtswirksam zusenden kann (RS0102504). Der Kläger wurde darauf hingewiesen, einen Wohnsitzwechsel bekanntzugeben.
[14] 2.2.1. Der Kläger wohnte seit 2009 tatsächlich an einer anderen Adresse, als er der Beklagten bei Abschluss des Rechtsschutz‑Versicherungsvertrags 2010 angegeben hatte, er war an der neuen Adresse seit 2011 auch gemeldet. Im Jahr 2011 gab er aber dem ihn seit Jahren betreuenden Mitarbeiter der Beklagten bekannt, dass alle Schriftstücke im Zusammenhang mit diesem Vertrag (und einer Reihe weiterer Versicherungsverträge zwischen den Parteien) trotzdem an seiner der Beklagten zuvor bekanntgegebenen (bisherigen) Adresse zuzustellen seien, an der weiterhin seine Eltern wohnten. Nachdem der Kläger eine bis dahin bestehende Ermächtigung zum Lastschrifteinzug (nicht aber die Bekanntgabe einer abweichenden Zustelladresse) widerrufen hatte, blieb er ab Juni 2018 die Prämien für den vorliegenden Vertrag schuldig. Daraufhin übermittelte ihm die Beklagte ein Schreiben vom 1. 7. 2018 mit iSd § 39 VersVG qualifizierter Mahnung an die ihr bekanntgegebene (elterliche) Adresse, welches postalisch hinterlegt wurde.
[15] 2.2.2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts (unabhängig davon, dass aufgrund der festgestellten Hinterlegung der Mahnung wohl eindeutig von einem Einschreiben iSd § 10 VersVG auszugehen ist), dass damit ab 14 Tagen nach der hier erwiesenen Zustellung durch Hinterlegung des Mahnschreibens ein qualifizierter Zahlungsrückstand iSd § 39 VersVG bestand, weil der Kläger im Hinblick auf seinen niemals revidierten Wunsch nach Zusendungen an die elterliche Adresse und wegen seines Widerrufs der Einzugsermächtigung (ab Juni 2018) dort mit der Zusendung von Zahlungsaufforderungen und Mahnungen zu rechnen hatte, hält sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Ermessensspielraums. Zufolge des tatsächlich weiterbestehenden Kontakts mit seinen Eltern war dem Kläger die Kenntnisnahme der Mahnung auch möglich und unter normalen Umständen erwartbar, zumal die Beklagte dem ausdrücklichen Ersuchen des Klägers entsprochen hatte. Durch den Zustellversuch an der elterlichen Adresse, die Zurücklassung einer Hinterlegungsanzeige und die Hinterlegung des Schriftstücks zur Abholung beim Postamt war diese Sendung in den Machtbereich des Klägers gelangt, woran nichts änderte, dass dessen Mutter eine Rücksendung des Schriftstücks an die Beklagte veranlasste (wobei das Einlangen der Rücksendung bei der Beklagten nicht feststellbar war). Dies dem Kläger zuzurechnen und als in seine Sphäre fallend zu qualifizieren, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.
[16] 2.2.3. Die Ausführungen der Revision, Schreiben der Beklagten seien aus nicht nachvollziehbaren Gründen an die elterliche Adresse gesandt worden, entfernen sich von den Feststellungen, wonach dies dem ausdrücklichen Wunsch des Klägers entsprach. Der Kläger zeigt damit weder einen von der Beklagten zu vertretenden Missstand bei der Umstellung der Zahlung auf Zahlscheine noch einen vom Berufungsgericht angeblich verkannten Anlass für die Beklagte auf, allenfalls unterschiedliche Adressen bei verschiedenen Versicherungsverträgen des – bei ihr zudem unternehmerisch wie privat versicherten – Klägers zu hinterfragen oder weitere Nachforschungen anzustellen. Dass der Versicherer darauf vertrauen durfte, dass die ihr vom Kläger für die Zustellung von Schriftstücken ausdrücklich bekanntgegebene Adresse richtig ist und der Kläger vorgesorgt hat, dass ihn an dieser Adresse zugestellte Schriftstücke auch tatsächlich erreichen, ist unter den vorliegenden Umständen des Einzelfalls vielmehr vertretbar. Dass Zahlscheine für andere Versicherungen des Klägers bei der Beklagten an eine andere Adresse gesandt worden sein mögen und auch hinsichtlich des vorliegenden Vertrags zu einem gerade nicht feststellbaren Zeitpunkt eine neue Adresse bei der Beklagten intern erfasst worden sein mag, ist dagegen für die hier zu beantwortende Frage des Zugangs der konkreten qualifizierten Mahnung iSd § 39 VersVG rechtlich unerheblich.
[17] 2.3. Zusammengefasst zeigt die Revision gegenüber der Auffassung des Berufungsgerichts, für den Kläger habe im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zufolge Prämienrückstands kein Versicherungsschutz bestanden, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf; sie ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.
[18] 3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.
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