OGH 4Ob155/21d

OGH4Ob155/21d16.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin B* GmbH, *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beklagten Dr. A* B*, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Herausgabe (Streitwert 35.000 EUR), über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Mai 2021, GZ 11 R 69/21d‑27, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. Februar 2021, GZ 58 Cg 22/20m‑21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00155.21D.1216.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin deren mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen der klagenden GmbH und dem beklagten Rechtsanwalt bestand ein Mandatsverhältnis. Mit Schreiben vom 20. 4. 2020 erklärte der neu bestellte Geschäftsführer der Klägerin, dieses Vertretungsverhältnis aufzukündigen und forderte den Beklagten gleichzeitig zur Aushändigung aller im Zusammenhang mit diesem Mandat stehenden Unterlagen auf. Der Beklagte hat dieser Aufforderung bisher nicht Folge geleistet.

[2] Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr binnen 14 Tagen sämtliche Geschäftsunterlagen über ihre Beratung und Vertretung, insbesondere alle Honorarvereinbarungen zwischen den Parteien, dem Beklagten von der Klägerin erteilte Vollmachten, sämtliche vom Beklagten an die Klägerin gelegten Rechnungen samt Leistungsbeschreibungen, Verträge, Datenträger und sonstige digitale Dateien, sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit den vom Beklagten angeblich begleiteten Ausmietungen an einer im Eigentum der Klägerin stehenden näher bezeichneten Liegenschaft, insbesondere hinsichtlich näher bezeichneter Personen, sowie Schriftsatzentwürfe, Korrespondenzen zwischen den Parteien und aller sonstigen Unterlagen und Handakte, wahlweise im Original oder als Kopie, herauszugeben.

[3] Der Beklagte beantragt die Abweisung dieses Begehrens und wendet im Wesentlichen ein, die von der Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin beschlossene Umbestellung der Geschäftsführer sei anfechtbar und nichtig. Es sei deshalb fraglich, ob die nun einschreitende Klagevertreterin über eine gültige Prozessvollmacht verfüge. Das Herausgabebegehren sei zu unbestimmt formuliert, und überdies hätten die früheren Geschäftsführer der Klägerin die Rechnungen und Unterlagen betreffend die Ausmietung der genannten Wohnungen vom Beklagten bereits erhalten.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es kam – im Wesentlichen bereits auf Basis des Vorbringens der Streitteile – zum Ergebnis, dass das Herausgabebegehren berechtigt sei.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Spruch mit der Wortfolge „... wahlweise im Original oder als von der beklagten Partei anzufertigende Kopie, auszufolgen.“ endet. Der Generalversammlungsbeschluss, mit der die Umbestellung der Geschäftsführer der Klägerin vorgenommen worden sei, sei mangels gerichtlicher Aufhebung wirksam. Die durch diesen Beschluss bestellten Geschäftsführer seien daher befugt gewesen, der Klagevertreterin Prozessvollmacht zu erteilen. Das Klagebegehren sei hinreichend bestimmt. Der Rechtsanwalt sei gemäß § 12 Abs 1 RAO nach Beendigung des Mandatsverhältnisses verpflichtet, der Partei über Verlangen die ihr gehörenden Akten und Urkunden im Original auszuhändigen. Darüber hinaus treffe den Rechtsanwalt gegenüber seinem Klienten eine die Beendigung des Mandats überdauernde Treuepflicht. In dessen Rahmen sei der Rechtsanwalt verpflichtet, dem Klienten auf dessen Verlangen Kopien der von § 12 Abs 1 RAO umfassten Unterlagen zur Verfügung zu stellen, sofern er noch darüber verfüge. Diese Verpflichtung bestehe auch dann, wenn der Klient das einschlägige Original und/oder die Kopien schon früher erhalten haben sollte. Denn auch in dieser Konstellation sei ein praktisches Bedürfnis des Klienten in vielen Fällen denkbar, zB wenn er die Unterlagen mittlerweile verloren habe, wenn er sie an Dritte weitergegeben habe oder wenn zwischen den derzeitigen und früheren vertretungsbefugten Organen einer juristischen Person kein gutes Einvernehmen herrsche. Da dem Rechtsanwalt für diese besondere Dienstleistung ein Kostenersatz gebühre, bedürfe ein entsprechendes Ersuchen des Klienten keiner besonderen Rechtfertigung. In casu habe der Beklagte eingewandt, die damaligen Geschäftsführer der Klägerin hätten einzelne Unterlagen von ihm erhalten. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre der Prozessstandpunkt des Beklagten nicht zielführend, denn die Klägerin räume ihm in ihrem Klagebegehren ohnehin die Möglichkeit ein, statt der Originale Kopien zu übermitteln, wozu der Beklagte im Rahmen seiner Treuepflicht verpflichtet sei. Dass es dem Beklagten nicht möglich sei, der Klägerin zumindest Duplikate auszuhändigen, bringe er nicht vor. Welche konkreten Unterlagen er den früheren Geschäftsführern schon übergeben habe, bedürfe daher keiner näheren Prüfung.

[6] Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Berufungsgericht mit 30.000 EUR übersteigend und die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Judikatur zu der bedeutsamen Rechtsfrage existiere, ob und – bejahendenfalls – unter welchen näheren Voraussetzungen der Rechtsanwalt nach Beendigung des Mandats im Rahmen seiner Treuepflicht verhalten sei, seinem Klienten gegen Kostenersatz Kopien von Urkunden auszufolgen, die das einstige Vertretungsverhältnis beträfen.

[7] Der Beklagte beantragt mit seiner – von der Klägerin beantworteten – Revision, die Klage abzuweisen; in eventu stellt er einen Aufhebungsantrag. Er moniert (erkennbar als unrichtige rechtliche Beurteilung) die Nichterfüllung des Bestimmtheitserfordernisses nach § 226 ZPO durch das Klagebegehren sowie die mangelnde Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit der Frage, welche Urkunden im Original (bzw in Kopie oder in digitalisierter Form) noch beim Beklagten vorhanden sind und/oder welche Urkunden den ehemaligen Geschäftsführern der Klägerin schon ausgehändigt wurden, sodass eine weitere Herausgabe nicht mehr möglich sei und das Urteilsbegehren ins Leere laufen würde.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1. Gemäß § 12 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, bei Beendigung der Vertretung der Partei über Verlangen die ihr gehörigen Urkunden und Akten im Original auszuhändigen, er ist aber berechtigt, falls seine Vertretungskosten nicht berichtigt sind, die zu deren Feststellung nötigen Abschriften der auszufolgenden Schriftstücke auf Kosten der Partei anzufertigen und zurückzubehalten. Nach Abs 2 leg cit ist der Rechtsanwalt „niemals verpflichtet“, „Schriftenentwürfe, Briefe der Partei an den Rechtsanwalt und andere Handakten, endlich Nachweise über geleistete und ihm noch nicht rückersetzte Zahlungen“ der Partei auszufolgen, wohl aber gehalten, derselben auf ihr Verlangen und ihre Kosten Abschriften hievon auszuhändigen. Diese Verpflichtungen sowie die Verbindlichkeit zur Aufbewahrung der Akten erlöschen nach fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Vertretung.

[10] 1.2. Es besteht daher grundsätzlich die Verpflichtung zur Herausgabe. § 12 RAO räumt dem zur Rückgabe verpflichteten Rechtsanwalt insofern auch keine Vorprüfung der Wertigkeit der ihm vom Klienten übergebenen Urkunden und Akten ein (Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 12 Rz 3 mwN).

[11] 1.3. Die in § 12 RAO normierte Aushändigungspflicht des Rechtsanwalts ist grundsätzlich mit einmaliger Ausfolgung der Unterlagen an den vormaligen Mandanten erfüllt. Wie vom Berufungsgericht richtig erkannt, kann sich aus der die Beendigung des Mandats überdauernden Treuepflicht des Rechtsanwalts (vgl RS0038728) aber eine Verpflichtung zur nachträglichen neuerlichen Ausfolgung von Urkunden bzw von Kopien von bereits einmal ausgefolgten Urkunden an den vormaligen Mandanten (innerhalb der Fünfjahresfrist des § 12 Abs 2 RAO) ergeben. Allerdings muss dafür ein besonderer Grund seitens des Mandanten gegeben sein, der von ihm bei klageweiser Geltendmachung darzutun ist. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Unterlagen bei ihm in Verstoß geraten sind, wenn zwischen den Organen der vertretenen juristischen Person eine Konfliktsituation besteht oder wenn (wie hier) ein Wechsel in der Person der Organwalter stattgefunden hat.

[12] 1.4. Die unbedingte Treuepflicht des Rechtsanwalts resultiert aus § 9 Abs 1 RAO (vgl Csoklich in AnwBl 2013, 571), sowie allgemein die umfassende Treuepflicht des Gewalthabers aus § 1009 ABGB (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 Rz 25 mwN). Dies gebietet es dem Machthaber, jedenfalls aber dem Rechtsanwalt, dem (ehemaligen) Mandanten auch nach Beendigung des Mandats noch vorhandene Unterlagen bzw (auf dessen Kosten) Kopien derselben auszufolgen. Die Beweislast über die Existenz der herauszugebenden Akten liegt jedoch beim Mandanten (8 ObA 26/09w).

[13] 1.5. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Notwendigkeit der (nochmaligen) Aktenherausgabe dargetan. Ihr Begehren auf Herausgabe, wahlweise im Original oder in Kopie, ist daher dem Grunde nach berechtigt.

[14] 2. Der Kostenersatz des Anwalts für Kopien ergibt sich schon aus § 12 RAO, sodass eine gesonderte Erwähnung im Urteilsspruch unterbleiben kann. So anerkennt auch der Revisionswerber, dass der Kostenersatz keiner besonderen Rechtfertigung bedürfe.

[15] 3.1. Ein auf die „Übergabe sämtlicher Geschäftsunterlagen“ lautendes Klagebegehren ist hinreichend bestimmt (RS0037512).

[16] 3.2. Der Beklagte hat nicht eingewendet, er verfüge nicht über bestimmte (vom Begehren umfasste) Urkunden (ist er doch aufgrund seiner Berufspflichten eine gewisse Zeit lang zur Aufbewahrung von Unterlagen auch nach Beendigung des Mandats verpflichtet), sondern hat sich darauf beschränkt zu behaupten, dass die früheren Geschäftsführer der Klägerin bereits einen Teil der vom Begehren umfassten Unterlagen von ihm bereits ausgefolgt bekommen hätten. Dass er sich von diesen ausgefolgten Dokumenten nicht Kopien zurückbehalten habe, behauptet er er allerdings nicht.

[17] 3.3. Bei dieser Sachlage ist die in der Revision zitierte Entscheidung 4 Ob 118/12z, wo das Vorhandensein oder der Umfang der vom Ausfolgeauftrag umfassten Unterlagen strittig war, nicht einschlägig. Hier wendet sich der Beklagte mit dem Argument gegen das Klagebegehren, die Klägerin habe ohnehin (teilweise) schon bekommen, was sie nunmehr (neuerlich) begehre.

[18] 3.4. Der Beklagte hat nicht behauptet, dass er alle begehrten Unterlagen schon herausgegeben habe. Dies ist auch nach seinem Vorbringen ausgeschlossen, in dem etwa von Honorarvereinbarungen zwischen den Parteien, die ebenfalls vom Begehren umfasst sind, keine Rede ist. Die Herausgabepflicht des Beklagten in Bezug auf die zurückgehaltenen Unterlagen besteht daher jedenfalls zu Recht, und was die schon zuvor im Original herausgegebenen Unterlagen betrifft, so hat sie der Beklagte – wie oben begründet – aufgrund der ihn treffenden fortwirkenden Treuepflicht im Mandatsverhältnis ein weiteres Mal in Kopie auszufolgen.

[19] Das Berufungsgericht hat dem Herausgabebegehren daher zu Recht stattgegeben. Der Revision des Beklagten ist somit nicht Folge zu geben.

[20] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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