European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00134.21B.1125.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach § 22 Abs 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (kurz: KV) müssen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen fünf Monaten nach dem Entstehen bzw Bekanntwerden geltend gemacht werden, widrigenfalls der Anspruch erlischt. Bei rechtzeitiger Geltendmachung der Ansprüche bleibt die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt (§ 22 Abs 3 KV).
[2] 2. Verfallsklauseln haben nicht nur den Zweck, dem Beweisnotstand zu begegnen, in welchem sich der Arbeitgeber bei verspäteter Geltendmachung befinden würde (RS0034417 [T4]), sondern auch für eine möglichst rasche Bereinigung offener Ansprüche zu sorgen (9 ObA 136/17s [Pkt 2]; RS0034417 [T9]). Der Zweck der kollektivvertraglichen Verfallsbestimmungen besteht (auch) in der Klarstellung der offenen Ansprüche der Arbeitnehmer (RS0034417 [T14]).
[3] 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die vom Feststellungsbegehren umfassten Entgeltansprüche der betroffenen Arbeiter (Differenz zwischen dem ausbezahlten Nachtarbeitszuschlag von 30 % und dem gebührenden Nachtarbeitszuschlag von 50 % für den Zeitraum Dezember 2017 bis September 2019) seien verfallen, nicht zu beanstanden. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt die außerordentliche Revision des Klägers nicht auf. Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer bestimmten Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage (RS0102181).
[4] 4. Richtig ist zwar, dass zwischen den Parteien aufgrund der ordnungsgemäßen Lohnabrechnungen (vgl RS0029299) der Beklagten die Anzahl der zuschlagspflichtigen Nachtarbeitsstunden nicht strittig war und die Arbeitsvertragsparteien ursprünglich von der unrichtigen Rechtsansicht ausgingen, den vom Feststellungsbegehren betroffenen Arbeitnehmern stünde nur der geringere Zuschlag zu. Diese Umstände hindern aber den Verfall dieser erstmals im Februar 2020 geltend gemachten Ansprüche nicht (vgl 8 ObA 90/08f).
[5] 5. Zutreffend ist auch, dass es nach der Rechtsprechung einer Geltendmachung von Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers dann nicht bedarf, wenn diese vom Arbeitgeber rechnerisch richtig in die Lohnabrechnung aufgenommen wurden. Ein Klarstellungsinteresse des Arbeitgebers ist in diesen Fällen nicht gegeben (8 ObA 34/07v; vgl RS0034435). Im Anlassfall hatte der Arbeitgeber aber nicht den richtigen Nachtzuschlag von 50 % in die Lohnabrechnungen aufgenommen, sondern – unstrittig – (je nach steuerlicher Belastung des jeweiligen Arbeitnehmers) nur ′NAZ pfl. 30 %′ bzw ′NAZ frei 30 %′.
[6] 6. Auch aus dem Wortlaut der Verfallsbestimmung des KollV ′bzw. Bekanntwerden′ ist für den Kläger im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen. Der Lauf der Verfallsfrist beginnt grundsätzlich mit der Fälligkeit des betreffenden Anspruchs. Nur wenn dem Anspruchsberechtigten der tatsächliche Entstehungsgrund der betreffenden Forderung oder der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht bekannt ist, ist der Zeitpunkt des Bekanntwerdens solcher Umstände für den Beginn des Laufes der Fallfrist maßgebend (4 Ob 102/85; 4 Ob 159/85). Beide Umstände waren den betroffenen Arbeitnehmern aber zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit ihrer reklamierten Entgeltansprüche bekannt. Dass sie sich – sowie ihre Arbeitgeberin – über die Höhe der ihnen gebührenden Nachtarbeitszuschläge in einem Rechtsirrtum befanden, begründet kein späteres „Bekanntwerden“ im Sinn des § 22 Abs 2 KollV.
[7] 7. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass sich der Arbeitgeber dann nicht auf die Verfallsklausel aus einem Kollektivvertrag berufen könne, wenn er andere kollektivvertragliche Bestimmungen falsch ausgelegt habe, ist dem Gesetz fremd (RS0051974 [T3]). Umstände, die die Berufung der Beklagten auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, wurden weder geltend gemacht, noch sind sie herausgekommen.
[8] Insgesamt zeigt die außerordentliche Revision des Klägers keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.
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