OGH 14Os91/21w

OGH14Os91/21w14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mock in der Strafsache gegen ***** G***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Mai 2021, GZ 31 Hv 27/21x‑107, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00091.21W.0914.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt A/I des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), sowie im Adhäsionserkenntnis mit Ausnahme des Zuspruchs von 3.680 Euro aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung, soweit sie sich gegen den Strafausspruch und den Privatbeteiligtenzuspruch im Umfang von 3.000 Euro richtet, wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen den Privatbeteiligtenzuspruch im Ausmaß von 3.680 Euro obliegt dem Oberlandesgericht Wien.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** G***** – soweit hier von Bedeutung – jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 (dritter Fall) StGB (D) sowie je eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B), der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (C), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (E) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (F) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*****

A/ ***** E***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, und zwar

I/ am 21. Juli 2020, indem er sie an der Brust packte, ins Gesicht schlug, an den Haaren zog und „im weiteren Verlauf“ mit seinem Penis vaginal in sie eindrang;

II/ zwischen dem 22. Juli und Ende Juli 2020 in zwei gesonderten Angriffen, wobei er sie jeweils am Nacken packte, zu Boden drückte und sodann mit seinem Penis anal in sie eindrang;

B/ am 17. Jänner 2021 E***** am Körper verletzt, indem er sie würgte und ihr mehrfach ins Gesicht schlug, wodurch sie eine Prellung des linken Armes, Blutergüsse und Würgemale am Hals sowie einen Bluterguss auf dem Nasenrücken erlitt;

C/ am 16. Jänner 2021 E***** durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich ihn in einem Park zu treffen, und zu einer Unterlassung, und zwar der Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung an die Polizei, zu nötigen versucht, indem er sinngemäß äußerte, sonst würde er sie und ihre Familie umbringen und dieser Nacktfotos vom Opfer schicken;

D/ zwischen Februar 2020 und 17. Jänner 2021 E***** wiederholt durch gefährliche Drohung zur Fortführung der Liebesbeziehung zu ihm, somit zu einer Handlung, die besonders wichtige Interessen von ihr verletzte, genötigt, indem er teils persönlich, teils telefonisch sinngemäß äußerte, er werde ihrer Familie, Bekannten und Freunden ein Video schicken, welches ihn beim Geschlechtsverkehr mit ihr zeige, sowie sie und ihre Familie umbringen, wenn sie ihn verlasse;

E/ am 17. Jänner 2021 E***** mit der Zufügung zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er äußerte, er habe ein Messer im Auto und werde sie an einen ruhigen Ort bringen, wo er ihr und sich die Kehle durchschneiden werde;

F/ in der Nacht vom 16. auf den 17. Jänner 2021 eine fremde Sache, nämlich den Pkw der E*****, beschädigt, indem er gegen die Fahrzeugtüren trat, auf den Seitenspiegel schlug und den hinteren Scheibenwischer herausriss.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise im Recht.

[4] Indem der Beschwerdeführer auf „§ 281 Abs 3 StPO“ gestützt Unzulänglichkeiten der Dolmetschung, den Umfang der Protokollierung (vgl RIS‑Justiz RS0098665) und den Umgang des Vorsitzenden mit den Verteidigern kritisiert, bezeichnet er keinen Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt. Insbesondere zeigt er weder die Verletzung einer der in Z 3 (taxativ) aufgezählten Bestimmungen auf, noch bezieht er sich – von Z 4 vorausgesetzt – konkret auf einen von ihm in der Hauptverhandlung gestellten Antrag oder dort erhobenen Widerspruch (vgl RIS‑Justiz RS0099250).

[5] Was an der Feststellung, der Beschwerdeführer habe das Opfer durch den Einsatz verschiedener Drohungen „zu einer Handlung, nämlich der Fortsetzung der Liebesbeziehung zu ihm“, bewegen wollen, wodurch „besonders wichtige Interessen des Opfers verletzt“ worden seien (US 6; vgl RIS‑Justiz RS0093043 [T3]), oder an deren Begründung (US 10) undeutlich sei (Z 5 erster Fall), erklärt die – inhaltlich gegen Punkt D des Schuldspruchs gerichtete – Mängelrüge nicht. Zudem handelt es sich bei der Drohung mit der Veröffentlichung eines Videos, auf dem die beiden beim Geschlechtsverkehr zu erkennen sind, nach dem Urteilssachverhalt nicht um das einzige Nötigungsmittel (US 6), weshalb die Kritik an der dazu getroffenen Konstatierung keine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsache anspricht (RIS‑Justiz RS0117499). Aus diesem Grund bedarf auch die dazu ausgeführte Tatsachenrüge (Z 5a) keiner Erwiderung (vgl RIS‑Justiz RS0118780).

[6] Dem zu Punkt A erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht nicht verhalten, sich mit dem Inhalt der mängelfrei als nicht glaubhaft beurteilten (US 8 f) Verantwortung des Beschwerdeführers näher auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098642 [T1]).

[7] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bezieht sich mit ihrer zu D erstatteten Kritik abermals bloß auf die Feststellungen zur angedrohten Veröffentlichung des „Sex‑Videos“, geht solcherart nicht von der Gesamtheit des Urteilssachverhalts aus und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0099810).

[8] Weshalb die zu A/II getroffenen Feststellungen, der Beschwerdeführer habe E***** „gewaltsam durch Vordrücken des Oberkörpers in eine entsprechende Position gebracht“ und sei „mit seinem Penis anal in sie eingedrungen“ (US 6 und 10; vgl auch US 2 [„am Nacken packte, zu Boden drückte und sodann mit seinem Penis anal in sie eindrang“]), den Schuldspruch (in objektiver Hinsicht) nicht trage, legt die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell auch Z 5) nicht dar (RIS‑Justiz RS0099620).

[9] Im Recht ist allerdings der im Rahmen der Rechtsrüge erhobene Einwand eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zum Schuldspruch A/I:

[10] Nach dem Urteilssachverhalt schlug der Beschwerdeführer E***** im Zuge eines Beziehungsstreits heftig ins Gesicht, zog sie an den Haaren und kratzte sie, wodurch sie blaue Flecken und Kratzer erlitt. In der Folge beruhigte er sich kurz, entschuldigte sich beim Opfer und wollte „Sex“ mit diesem haben. Dieses teilte ihm mit, dass es in Ruhe gelassen werden wolle, und wich den Küssen des Beschwerdeführers „durch Wegdrehen des Kopfes“ aus. Der Beschwerdeführer erkannte zwar, dass „das Opfer aufgrund des vorhergehenden massiven tätlichen Übergriffes massiv eingeschüchtert und körperlich und psychisch angeschlagen ist und ihm nur aus Angst vor weiteren Übergriffen keinen Widerstand entgegensetzte“, er vollzog jedoch trotzdem den vaginalen Geschlechtsverkehr mit E***** (US 5).

[11] Solcherart ist der Einsatz eines tatbildmäßigen Nötigungsmittels mit der Zielrichtung der Vornahme eines Geschlechtsverkehrs (gegen den Willen des Opfers) den Entscheidungsgründen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht zu entnehmen (vgl RIS‑Justiz RS0095127 [T1]; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 17; L/St/Tipold, StGB4 § 201 Rz 17). Dem stehen Entscheidungen nicht entgegen, denen zufolge das Tatbild auch dann erfüllt ist, wenn das Opfer aus Furcht vor (weiterer) Gewalt von Gegenwehr absieht oder seinen Widerstand aufgibt, weil es diesen für nutzlos oder gefährlich hält (vgl RIS‑Justiz RS0095240 [T2]). Denn damit wird bloß eine Aussage zur Kausalität des – im Gegensatz zu den dort jeweils zugrunde liegenden Sachverhalten hier gerade nicht festgestellten – Einsatzes von Nötigungsmitteln für den angestrebten Erfolg getroffen.

[12] Der aufgezeigte Rechtsfehler erfordert die sofortige Aufhebung des Schuldspruchs zu A/I, demgemäß auch des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[13] Das weitere zu Punkt A/I (im Rahmen der Mängelrüge) erstattete Beschwerdevorbingen bedarf daher keiner Erörterung.

[14] Sofortige Entscheidung in der Sache selbst kam nicht in Betracht, weil das Urteil (insbesondere zur subjektiven Tatseite) keine ausreichenden Feststellungen für einen – auf dieser Sachverhaltsgrundlage in Betracht kommenden – Schuldspruch nach § 83 Abs 1 und § 205a Abs 1 StGB enthält (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).

[15] Der Privatbeteiligtenzuspruch gründet im Umfang von 3.680 Euro auf den rechtskräftigen Schuldspruch zu Punkt F (US 12). Über die (auch) dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten wird das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

[16] Im weiteren Betrag von 3.000 Euro stützt sich der Zuspruch undifferenziert auf sämtliche Sachverhalte zu Punkt A des Schuldspruchs (US 12), weshalb er in diesem Umfang samt Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg zufolge teilweiser Aufhebung dieses Schuldspruchs gleichfalls zu beseitigen war (vgl 13 Os 62/14p; 17 Os 9/13x; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7).

[17] Auf diese Entscheidung war der Angeklagte mit seiner Berufung, soweit sie sich gegen den Strafausspruch und den Privatbeteiligtenzuspruch im Umfang von 3.000 Euro richtet, zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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