OGH 1Ob144/20p

OGH1Ob144/20p23.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. C* K*, vertreten durch Dr. Martin Brenner, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei I* GmbH, *, vertreten durch die HASCH & PARTNER Anwaltsgesellschaft mbH, Wien, wegen 19.600 EUR sA und Vornahme von Arbeiten, aufgrund der „außerordentlichen“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. Jänner 2020, GZ 1 R 166/19m‑39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. Februar 2019, GZ 11 C 688/16f‑35, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129809

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, die angefochtene Entscheidung durch einen Ausspruch gemäß § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO zu ergänzen.

 

Begründung:

Die Klägerin, die von der beklagten Bauträgerin zwei Eigentumswohnungen in einem von dieser auf ihre Kosten zu sanierenden Altbau erworben hatte, schloss anlässlich ihrer Zustimmung zu der wegen des Dachausbaus erforderlichen Neuparifizierung des Hauses mit der Beklagten im Mai 2011 eine Vereinbarung. In dieser verpflichtete sich die Beklagte zur termingerechten Fertigstellung einzelner genau angeführter Sanierungsarbeiten unter Zusage von monatlichen Pönalen von jeweils 200 EUR und zum Ersatz der durch Abriss und Abbau von Mauern im 2. Stock entstandenen Schäden an den Wohnungen der Klägerin.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten das Rückgängigmachen diverser Baumaßnahmen bzw die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen und auf der Grundlage der getroffenen Vereinbarung die Leistung einer Pönalezahlung von 19.600 EUR.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, verpflichtete die Beklagte – unangefochten und damit rechtskräftig – zur Zahlung von 2.000 EUR sA und bestätigte die darüber hinausgehende Klageabweisung. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, traf aber keinen Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO.

Dagegen erhob die Klägerin eine – nach Bewilligung der Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung des Rechtsmittels rechtzeitige – „außerordentliche“ Revision, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.

Diese Aktenvorlage widerspricht dem Gesetz.

Rechtliche Beurteilung

1. Hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, so kann eine Revision (die hier nicht vorliegenden Fälle des § 502 Abs 5 ZPO ausgenommen) nur erhoben werden, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt (außerordentliche Revision). Übersteigt der Wert des Streitgegenstands in zweiter Instanz wohl 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR und hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, so kann eine Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.

2. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine einheitliche Bewertung aufgrund Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS‑Justiz RS0037838; RS0053096), somit die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen (vgl RS0042741; RS0037838; RS0042258; RS0042753). Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt insbesondere vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche (dem Grunde nach) die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert (vgl RS0037648 [T4]; RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037905 [T12]). Bei der Beurteilung dieser Frage ist vom Klagevorbringen auszugehen (RS0042741).

3. Nach den Klagebehauptungen stehen sowohl die Sanierungs‑ bzw Wiederherstellungsbegehren als auch das Zahlungsbegehren in einem rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN, sodass vom Berufungsgericht ein einheitlicher Bewertungsausspruch zu treffen sein wird. Die Klägerin leitet ihre Ansprüche insbesondere aus der im Mai 2011 zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung ab. Das Berufungsgericht hat daher den nicht ausschließlich in Geld bestehenden vermögensrechtlichen Entscheidungs-gegenstand – ohne Bindung an die Bewertung der Klägerin nach § 56 Abs 2, § 59 JN (RS0042385 [T5]) – eigenständig zu bewerten (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO; RS0042296). Das Zahlungsbegehren über 19.600 EUR fällt für sich in den „Zwischenbereich“, weshalb ein Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts zur Beurteilung der Revisionszulässigkeit des § 502 Abs 3 ZPO grundsätzlich erforderlich und daher nachzutragen ist (RS0114386).

4. Das Berufungsgericht wird daher eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands vorzunehmen haben. Sollte es den Entscheidungsgegenstand mit mehr als 30.000 EUR bewerten, sind die Akten dem Obersten Gerichtshof neuerlich vorzulegen. Sollte der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteigen, wird – gegebenenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens – zu prüfen sein, ob die im Schriftsatz der Klägerin enthaltenen Ausführungen den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entsprechen (vgl etwa 1 Ob 106/19y mwN).

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