OGH 6Ob225/19k

OGH6Ob225/19k25.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. A*****, vertreten durch Dr. Angela Werner, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. G*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. U***** AG, *****, 3. S***** AG, *****, Zweit- und Drittbeklagte vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 70.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Februar 2019, GZ 4 R 142/18h‑36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00225.19K.0625.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Hat eine Partei vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsmittel eingebracht, so ist darüber nicht zu entscheiden, wenn vor der Entscheidung das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (RS0037039). Trotz eingetretener Unterbrechungswirkung unzulässiger Weise ergangene Entscheidungen sind aber nicht wirkungslos, sondern lediglich in die nächste Instanz anfechtbar (RS0064051 [T1]). Ein nach Eintritt der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO gefälltes Urteil leidet an der Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (RS0035434 [T5]; 9 ObA 61/17m mwN; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 477 Rz 30).

Eine derartige Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO kann durch nachträgliche Genehmigung der Prozessführung durch den Insolvenzverwalter geheilt werden (2 Ob 640/84 mwN; RS0041970 [T2]; RS0035434 [T7]). Eine nachträgliche Genehmigung der Prozessführung liegt auch dann vor, wenn der Insolvenzverwalter, ohne den Mangel der Vertretung geltend zu machen, durch Erstattung des Rechtsmittels oder der Rechtsmittelbeantwortung in das Rechtsmittelverfahren eingetreten ist (2 Ob 640/84 = RS0008544).

Das Berufungsgericht entschied am 27. 2. 2019, nachdem mit Beschluss des Bezirksgerichts ***** vom 6. 2. 2019 zu ***** das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden war, über dessen Berufung. In der Folge wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts ***** vom 18. 7. 2019 das Abschöpfungsverfahren eingeleitet; am 9. 10. 2019 wurde die rechtskräftige Einleitung des Abschöpfungsverfahrens in der Insolvenzdatei verlautbart.

Mit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem das Abschöpfungsverfahren eingeleitet wird, ist das Insolvenzverfahren (ex lege) aufgehoben (§ 200 Abs 4 IO). Damit fällt – auch im Fall der Eröffnung des Abschöpfungsverfahrens – die Prozesssperre weg; der Schuldner ist wieder prozessfähig (Kodek, Privatkonkurs² [2015] Rz 576, 581).

Mit der rechtskräftigen Einleitung des Abschöpfungsverfahrens endete sohin die Einschränkung der Prozessfähigkeit des Klägers. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Kläger daher durch seine eigenen Prozesshandlungen (unter Beachtung des § 27 Abs 1 ZPO) die dem Berufungsurteil anhaftende Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO sanieren.

Am 14. 10. 2019 beschloss das Erstgericht die Verfahrensfortsetzung. In seiner am 14. 11. 2019 eingebrachten außerordentlichen Revision macht der Kläger den im Berufungsverfahren unterlaufenen Mangel seiner gesetzlichen Vertretung nicht geltend. Die dem Berufungsurteil anhaftende Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO ist damit geheilt.

2. Am 4. 2. 2016 schlossen der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt einziger Gesellschafter der T*****-GmbH (künftig: Gesellschaft) war, die finanzierenden Banken, nämlich die Zweit- und Drittbeklagte, denen der Geschäftsanteil des Klägers bereits verpfändet war, und die R***** eGen, (die ehemalige Viertbeklagte), sowie der Erstbeklagte einen Sanierungstreuhandvertrag, mit dem der Erstbeklagte als Sanierungstreuhänder eingesetzt und ihm der Geschäftsanteil des Klägers treuhändig abgetreten wurde. Die Gesellschaft trat nur Punkt 9 dieses Vertrags bei und verpflichtete sich in dieser Vertragsbestimmung zur Zahlung eines laufenden Honorars an den Sanierungstreuhänder.

Der Kläger leitet die begehrte Feststellung der Nichtigkeit des gesamten Sanierungstreuhandvertrags aus einem Verstoß der in Punkt 9 enthaltenen Entgeltverpflichtung gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 82 GmbHG ab.

2.1. Ein Geschäft, das gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt, ist nach ständiger Rechtsprechung nach § 879 Abs 1 ABGB absolut nichtig (RS0105535 [T1]; RS0117033 [T2]; zuletzt etwa 6 Ob 18/20w; 6 Ob 195/19x). Zur Beantwortung der Frage, ob damit gänzliche oder lediglich Teilnichtigkeit gemeint ist, ist immer der Verbotszweck maßgeblich (6 Ob 195/19x; 6 Ob 239/16i). Der Normzweck der §§ 82 f GmbHG ist stets auf Erhaltung und Wiederherstellung des Gesellschaftsvermögens gerichtet (6 Ob 195/19x; 6 Ob 239/16i mwN der Literatur).

2.2. Darauf muss im vorliegenden Fall nicht weiter eingegangen werden, weil dem schon mangels Einbeziehung der Gesellschaft in den Prozess kein Erfolg beschieden sei.

2.3.  Allgemein gilt, dass im Rechtsstreit um die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags sämtliche Vertragsparteien eine notwendige Streitgenossenschaft bilden (RS0083003; 6 Ob 167/17b). Eine einheitliche Streitpartei ist immer dann anzunehmen,wenn sich die Wirkungen des zu fällenden Urteils auf sämtliche Streitgenossen erstrecken (RS0035479 [T9]), was nach dem materiellen bürgerlichen Recht zu beurteilen ist (RS0035479 [T11, T18]). Das Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft führt zur Klageabweisung, wenn wegen der Nichterfassung aller Teilhaber die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch verschiedene Entscheidungen entsteht (RS0035479).

2.4. Im vorliegenden Fall, in dem der Kläger die Gesamtnichtigkeit des Sanierungstreuhandvertrags aus der von der Gesellschaft gegenüber dem Erstbeklagten übernommenen Entgeltverpflichtung ableitet, liegt die Notwendigkeit der Einbeziehung der Gesellschaft in das Prozessrechtsverhältnis auf der Hand. Divergierende Urteile hinsichtlich der Wirksamkeit der Klausel 9 des Sanierungstreuhandvertrags könnten zu unlösbaren Verwicklungen führen, zumal die vom Kläger angestrebte Feststellung der Nichtigkeit des (gesamten) Sanierungstreuhandvertrags mangels Einbeziehung der Gesellschaft in den Prozess im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Erstbeklagten keine Wirkung entfaltet.

2.5. Die in der außerordentlichen Revision vertretene Ansicht, die Feststellung der Nichtigkeit des Sanierungstreuhandvertrags zwischen den übrigen Vertragsparteien führe auch zum Entfall der Entgeltzahlungspflicht der Gesellschaft gegenüber dem Erstbeklagten, lässt den Umfang der Rechtskraft außer Acht: Nach ihren subjektiven Grenzen erfassen die Wirkungen der materiellen Rechtskraft (nur) die Prozessparteien, deren Rechtsnachfolger und – hier nicht relevant – bestimmte andere Personen, auf die ein Gesetz die Entscheidungswirkungen erstreckt (RS0107340 [T5]; RS0041175 [T3]). Die Gesellschaft ist daher von der Rechtskraftwirkung des im vorliegenden Verfahren ergehenden Urteils nicht erfasst, sodass diese einer abweichenden Beurteilung in einem zwischen der Gesellschaft und dem Erstbeklagten abgeführten Verfahren nicht entgegen stünde. Dies führte aber zu der schon vom Erstgericht bejahten Gefahr unlösbarer Verwicklungen im Hinblick auf die Wirksamkeit des Vertrags zwischen sämtlichen Vertragsparteien einschließlich – hinsichtlich der Bestimmung Punkt 9 – der Gesellschaft.

2.6. Indem das Revisionsvorbringen die subjektiven Grenzen der Rechtskraft außer Acht lässt, wird im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Einbeziehung der Gesellschaft in den Prozess keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

2.7. Da dem Klagebegehren bereits aufgrund der unterbliebenen Einbeziehung der Gesellschaft in den Prozess keine Berechtigung zukommt, ist weder die Beurteilung der Zulässigkeit der zwischen dem Erstbeklagten und der Gesellschaft getroffenen Entgeltvereinbarung im Lichte des § 82 GmbHG noch die Frage der aus einer allfälligen Unwirksamkeit folgenden Teil- oder Gesamtnichtigkeit des Sanierungstreuhandvertrags präjudiziell für den Ausgang des Rechtsstreits. Damit sind die mit diesen Fragen im Zusammenhang stehenden Revisionsausführungen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision nicht geeignet (vgl RS0088931).

3. Der Revisionswerber rügt einen Verstoß des Erstbeklagten gegen das Verbot der Doppelvertretung gemäß § 10 RAO, der sich aus der Übernahme der Funktion des Sanierungstreuhänders nach der Erbringung von Beratungsleistungen gegenüber dem Revisionswerber ergebe.

3.1. Gemäß § 10 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rats abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen. Auch wo nur die Gefahr einer Interessenkollision vorliegt, darf der Rechtsanwalt nicht die Vertretung beider Parteien führen (RS0055534). Ob die Gefahr einer Interessenkollision besteht, kann nur ausgehend von den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.

3.2. Das Berufungsgericht verneinte die Gefahr einer Interessenkollision unter anderem mit der Begründung, die vorausgegangene Beratung des Erstbeklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Liegenschaften durch den Kläger sei nicht im Zusammenhang mit den Aufgaben des Erstbeklagten als Sanierungstreuhänder gestanden; auch im Zusammenhang mit den Sanierungsbemühungen der Jahre 2013 und 2014 und der damals vom Erstbeklagten übernommenen Treuhand ergebe sich kein Interessenwiderstreit, weil die selben Personen beteiligt gewesen seien und eine Vertretung (nur) des Klägers nicht feststehe. Diese Beurteilung, die entgegen dem Revisionsvorbringen auch die treuhändige Übernahme eines Geldbetrags von der Ehegattin des Klägers berücksichtigt, ist vertretbar. Die außerordentliche Revision vermag ein Überschreiten des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums nicht aufzuzeigen.

4. Ein Vertragspartner kann sich auf eine Änderung der Sachlage, deren Fortdauer eine typische Voraussetzung des Geschäftes bildet, nicht berufen, wenn die Änderung keine unvorhersehbare ist, mit ihr also gerechnet werden musste (RS0017593 [T14]; vgl RS0017454 [T1]).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass mit der möglichen Insolvenz der Gesellschaft habe gerechnet werden müssen, sodass die tatsächlich erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Sanierungstreuhandvertrag nicht die Geschäftsgrundlage entziehe, begründet schon angesichts des im Vertragsinhalt reflektierten Wesen einer Sanierungstreuhand (Bezugnahme auf die nachhaltige Sanierung der Gesellschaft in der Präambel [Punkt 2.1.] des Sanierungstreuhandvertrags, Unterstützung der Sicherung des Fortbestands als Aufgabe des Sanierungstreuhänders gemäß Punkt (i) in Anhang 5.1. zum Sanierungstreuhandvertrag), keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

5. Da insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht wird, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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