OGH 9ObA61/17m

OGH9ObA61/17m24.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Werner Krachler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** M*****, vertreten durch Beck & Dörnhöfer & Partner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei Dr. K***** S*****, als Masseverwalter im Konkursverfahren der K***** GmbH, ***** (AZ ***** des Handelsgerichts Wien), wegen Feststellung (45.085 EUR netto), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2016, GZ 8 Ra 99/16m‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 25. April 2016, GZ 17 Cga 29/16d‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00061.17M.0524.000

 

Spruch:

Die Bezeichnung der beklagten Partei wird wie im Kopf der Entscheidung ersichtlich berichtigt.

Aus Anlass der Revision wird das Urteil des Berufungsgerichts als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Am 26. 9. 2016 legte das Erstgericht den Akt dem Berufungsgericht zur Entscheidung über die Berufung der Beklagten vor.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 5. 12. 2016, AZ *****, wurde über das Vermögen der vormaligen Beklagten das Sanierungsverfahren (nunmehr Konkursverfahren) eröffnet und Dr. K***** S***** zum Masseverwalter bestellt.

In Unkenntnis dieser Eröffnung gab das Berufungsgericht der Berufung mit Urteil vom 20. 12. 2016 in nichtöffentlicher Sitzung nicht Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Zustellung dieses Urteils an die Parteienvertreter erfolgte am 12. 1. 2017 (BV) bzw 13. 1. 2017 (KV).

Am 10. 3. 2017 beantragte der Masseverwalter beim Erstgericht die Berichtigung der Parteienbezeichnung der Beklagten, die Fortsetzung des Verfahrens nach Anmeldung der klagsgegenständlichen Forderung im Insolvenzverfahren und Bestreitung durch den Masseverwalter, die Zustellung der Berufungsentscheidung an den Masseverwalter und Erlassung einer neuen Berufungsentscheidung, weil die nach Insolvenzeröffnung ergangene Berufungsentscheidung nichtig sei. Im selben Schriftsatz erhob der Masseverwalter Revision, weil davon ausgegangen werden könne, dass die zu ergehende Berufungsentscheidung inhaltlich ident mit jener (nichtig) ergangenen sein werde.

Über Auftrag des Berufungsgerichts vom 23. 3. 2017 stellte das Erstgericht am 28. 3. 2017 die Berufungsentscheidung dem Masseverwalter zu. Dort langte sie am 29. 3. 2017 ein. Der Kläger erstattete rechtzeitig eine Revisionsbeantwortung, in der er sein Leistungsbegehren in ein Feststellungsbegehren änderte.

1.  Die Revision des Masseverwalters ist wirksam erhoben, weil diese auch schon vor dem Zeitpunkt der Zustellung des damit angefochtenen Urteils erhoben werden kann (RIS‑Justiz RS0041748).

2.  Durch die Eröffnung des Sanierungsverfahrens über das Vermögen der vormaligen Beklagten wurde das Verfahren ex lege unterbrochen (§ 7 Abs 1 IO). Der für die Beseitigung der Unterbrechungswirkung weiter erforderliche Aufnahmebeschluss des Gerichts muss nicht als solcher bezeichnet werden (RIS-Justiz RS0037193). Auch hier muss aber durch die das Verfahren vorantreibende Verfügung der Entscheidungswille des Gerichts, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen, deutlich erkennbar sein. Nach der jüngeren Rechtsprechung ist das Verfahren etwa auch mit der Zustellung einer Gleichschrift des Fortsetzungsantrags – mit dem Datum der Zustellverfügung (RIS-Justiz RS0037128 [T14]; RS0036654 [T3]) – durch das Erstgericht iSd § 165 Abs 2 ZPO aufgenommen (9 ObA 61/15h mwN; ggt 3 Ob 238/12i). Der Aufnahmewille des für den Aufnahmebeschluss funktionell zuständigen Berufungsgerichts (§ 165 Abs 1 ZPO) manifestiert sich hier in dem an das Erstgericht ergangenen Auftrag, die Berufungsentscheidung dem Masseverwalter zuzustellen. Dass der Fortsetzungsantrag des Masseverwalters bei dem für den Aufnahmebeschluss funktionell unzuständigen Erstgericht gestellt und die Zustellung letztlich auch von diesem Gericht vorgenommen wurde, schadet nicht (vgl 1 Ob 59/02m; 2 Ob 134/07f; Gitschthaler in Rechberger 4 , §§ 164–166 ZPO Rz 4). Das zunächst ex lege unterbrochene Berufungsverfahren gilt daher als aufgenommen.

3.  Bei Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Verfahrens sind die hierfür erforderlichen Änderungen des Klagebegehrens ohne Rücksicht auf die Art des Verfahrens und die sonst für Klageänderungen gegebenen Voraussetzungen zulässig (RIS‑Justiz RS0039309). Der Kläger hat sein Leistungsbegehren in ein entsprechendes Feststellungsbegehren geändert (§ 110 IO; RIS‑Justiz RS0065967). Die Bezeichnung der Beklagten war wie im Spruch ersichtlich richtigzustellen (RIS‑Justiz RS0039713).

4. Damit kann die Revision des Masseverwalters behandelt werden. Aus Anlass dieses Rechtsmittels ist das in Revision gezogene Berufungsurteil als nichtig aufzuheben.

Wie bereits ausgeführt, wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten das Verfahren – im Stadium des Berufungsverfahrens – ex lege am 5. 12. 2016 (§ 7 Abs 1 IO) unterbrochen. Das Berufungsurteil hätte daher nach diesem Zeitpunkt nicht gefällt werden dürfen. Ein nach Eintritt der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO gefälltes Urteil leidet an der Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (9 ObA 9/15m mwN). Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners ist ebenso wie der Mangel der Prozessfähigkeit gemäß § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0035434 [T5]). Eine solche Nichtigkeit kann zwar nachträglich dadurch saniert werden, dass der Masseverwalter in das Verfahren eintritt und die bisherige Prozessführung genehmigt (1 Ob 199/06f; 10 Ob 99/11y). Im vorliegenden Fall weist der Masseverwalter aber gerade auf die Nichtigkeit der in Unkenntnis der Eröffnung des Sanierungsverfahrens ergangenen Berufungsentscheidung hin. Die dem Berufungsurteil anhaftende Nichtigkeit ist somit nicht geheilt, sondern vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmen.

Dem Gericht zweiter Instanz ist die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Obersten Gerichtshof im derzeitigen Verfahrensstadium verwehrt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Da nur das Urteil des Berufungsgerichts, nicht aber das diesem vorangegangene Verfahren aufgehoben wurde, ist § 51 ZPO nicht anwendbar (RIS‑Justiz RS0123067; Fucik in Rechberger , ZPO 4 § 51 Rz 1 mwN).

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