OGH 3Ob211/19d

OGH3Ob211/19d26.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr, Dr. Kodek und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin D*, vertreten durch Beck & Dörnhöfer & Partner, Rechtsanwälte in Eisenstadt, gegen den Antragsgegner G*, vertreten durch Dr. Andrea Simma, Rechtsanwältin in Wien, wegen gesonderter Wohnungsnahme (§ 92 ABGB), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 14. August 2019, GZ 20 R 94/19a-45, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 31. Mai 2019, GZ 14 FAM 28/17z-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127940

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Streitteile schlossen am 9. September 2000 die Ehe; sie haben einen Sohn, geboren am * 2009. Das Verfahren über die vom Antragsgegner am 13. September 2017 erhobene Scheidungsklage wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung des hier gegenständlichen Verfahrens unterbrochen.

Die Antragstellerin begehrte am 29. September 2017 (einen Tag, nachdem sie die gemeinsame Ehewohnung verlassen hatte) die Feststellung, dass ihre gesonderte Wohnungnahme gemäß § 92 Abs 2 ABGB gerechtfertigt sei. Ein weiteres Zusammenleben mit dem Antragsgegner sei für sie unzumutbar; er sei streitsüchtig, beschimpfe sie nahezu täglich, äußere sich herabwürdigend und beleidigend über ihre berufliche Tätigkeit und konsumiere täglich Alkohol. Außerdem sei es zu sexuellen Belästigungen und Nötigungen gekommen. Sie sei durch das Verhalten des Antragsgegners in ihrer Gesundheit beeinträchtigt und auch das Wohl des gemeinsamen Sohnes sei gefährdet. Mit einer Verhaltensänderung des Antragsgegners sei in den nächsten Wochen und Monaten nicht zu rechnen.

Der Antragsgegner sprach sich gegen den Antrag aus. Er habe keine der ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen gesetzt; außerdem habe die Antragstellerin eine Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft ausgeschlossen, weshalb ihr Antrag unzulässig sei.

Das Erstgericht sprach aus, dass die gesonderte Wohnungnahme gerechtfertigt sei.

Es legte seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde, der im Wesentlichen den Schilderungen der Antragstellerin sowie der ihrer Familienangehörigen entspricht und den gegenteiligen Angaben des Antragsgegners und der von diesem namhaft gemachten Zeugen nicht folgt. Vom Antragsgegner beantragte weitere Zeugen wurden nicht einvernommen.

Das Rekursgericht verwarf die Verfahrens- und Beweisrüge des Antragsgegners und gab dem Rekurs nicht Folge.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs begehrt der Antragsgegner, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Antrag auf gesonderte Wohnungnahme abgewiesen werde; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Antragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs erweist sich als zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Zwar ist auch im Außerstreitverfahren der Oberste Gerichtshof nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (RS0006737; RS0007236), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht überprüft werden können. Allerdings kann mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden, dass das Rekursverfahren an einem Mangel leidet, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern geeignet war (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG; RS0043144 [T6]), wozu auch das Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung bei der Erledigung der Beweisrüge zu zählen ist (5 Ob 192/11p mwN; 4 Ob 91/10a). Ein Mangel des Rekursverfahrens liegt vor, wenn sich das Rekursgericht mit den Rekursausführungen zur Verfahrens- und Beweisrüge nur unvollständig auseinandergesetzt und sich mit gewichtigen Argumenten gar nicht befasst hat (RS0043144 [T7]).

1.2. Im (für diese Frage vergleichbaren) Zivilprozess gilt, dass im Zusammenhang mit der Erledigung der Beweisrüge ein Verfahrensmangel nur vorliegt, wenn sich das Berufungsgericht damit überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasste, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind („floskelhafte Scheinbegründung“; RS0043371 [T13]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist hingegen mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043150; RS0043268 [T4]). Es kommt nicht auf die Länge der Ausführungen des Berufungsgerichts bei Erledigung der Beweisrüge, sondern darauf an, ob das Berufungsgericht den wesentlichen Argumenten der Beweisrüge eigene Überlegungen – seien sie auch mit jenen des Erstgerichts identisch – entgegensetzt. Die mängelfreie Erledigung einer Beweisrüge erfordert somit wenn auch knappe, so doch logisch nachvollziehbare Erwägungen, die sich mit den Kernargumenten des Rechtsmittelwerbers inhaltlich befassen, ohne dass ein Eingehen auf jedes einzelne Argument erforderlich wäre (Lovrek in Fasching/Konecny³ § 503 ZPO Rz 79). Diesen Anforderungen wird zB entsprochen, wenn die Beweiswürdigung des Erstgerichts sowohl einleitend generell als fehlerfrei und schlüssig erachtet und im weiteren zu den einzelnen bekämpften Feststellungen auch eigene Erwägungen angestellt werden (3 Ob 51/13s).

2. Der Revisionsrekurswerber zeigt insoweit zutreffend einen Mangel des Rekursverfahrens auf, als sich das Rekursgericht jedenfalls mit seiner Beweisrüge nur unvollständig auseinandersetzte und sich mit gewichtigen Argumenten gar nicht befasste:

2.1 Der Antragsgegner erhob eine äußerst detaillierte und gesetzmäßig ausgeführte Tatsachenrüge, mit der er sich gegen 19 (!) Einzelfeststellungen (und damit gegen fast den gesamten festgestellten Sachverhalt) mit schlüssiger Argumentation aufgrund zahlreicher Beweisergebnisse wendete.

2.2. Die Argumente des Rekursgerichts dazu beschränken sich auf allgemeine Aussagen zur Beweiswürdigung an sich und zu den Anforderungen an eine Beweisrüge. Im Übrigen belässt es das Rekursgericht bei inhaltsleeren Floskeln, wie etwa, das Erstgericht habe seine Entscheidung „nachvollziehbar begründet“ und es habe offen gelegt, dass sie „in erster Linie auf den glaubwürdigen und schlüssigen Angaben der Antragstellerin“ basiere, sich aber auch mit den Aussagen des Antragsgegners und mehreren Zeugen auseinander gesetzt. Dazu wird „beispielsweise“ darauf verwiesen, dass das Erstgericht „im Lichte der allgemeinen Lebenserfahrung nachvollziehbar“ ausgeführt habe, dass glaubhafte Zeugenaussagen nicht geeignet seien, die „glaubwürdigen und in sich geschlossenen Ausführungen der Antragstellerin zu widerlegen.“ Außerdem heißt es weiter, es seien „die Schlussfolgerungen des Erstgerichts jedenfalls vollkommen unbedenklich“.

2.3. Nicht nur, dass diese Ausführung jeder (nachvollziehbaren) Begründung entbehren, worauf konkret das Rekursgericht seine Ansicht stützt, die Überlegungen des Erstgerichts seien überzeugend und Beweisergebnisse seien glaubwürdig, weshalb es sich um substratlose Wendungen handelt; das Rekursgericht unterließ überdies jede Auseinandersetzung mit auch nur einer der insgesamt 19 einzelnen Beweisrügen. So geht das Rekursgericht auch auf die – für die rechtliche Beurteilung des Antrags maßgebliche (vgl 8 Ob 23/12h = RS0127770; RS0047288) – Feststellung zur Bereitschaft der Antragstellerin, die häusliche und eheliche Gemeinschaft bei Verhaltensänderung des Antragsgegners wieder aufzunehmen, mit keinem Wort ein. Dies, obwohl der Antragsgegner dazu unter anderem auf die einander eklatant widersprechenden Angaben der Antragstellerin zu diesem Thema hinweist (ON 16, Seite 2 = AS 84: kein Glaube an Änderung; Rückkehr „ausgeschlossen“; dem gegenüber ON 23, Seite 6 = AS 152, ähnlich ON 37, Seite 2 = AS 248: bei Verhaltensänderung durchaus vorstellbar).

2.4. Auch wenn die Begründungspflicht im Rahmen der Erledigung einer Beweisrüge nicht überspannt werden darf, erfüllt diese Form der Erledigung der Beweisrügen des Antragsgegners nicht die oben dargestellten Anforderungen, weshalb das Rekursverfahren mangelhaft blieb.

2.5. Da somit noch keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Beurteilung der Berechtigung des Antrags auf gesonderte Wohnungsnahme nach § 92 Abs 3 ABGB vorliegt, wird sich das Rekursgericht neuerlich mit der Beweisrüge im Rekurs des Antragsgegners konkret auseinander zu setzen und diese umfassend und nachvollziehbar zu erledigen haben. Anzumerken ist dazu, dass das auch hier bemühte Argument des vom Erstgericht von den vernommenen Personen gewonnenen persönlichen Eindrucks hier kaum zum Tragen kommen kann, weil die entscheidende Erstrichterin aufgrund eines Richterwechsels in weit überwiegendem Ausmaß die Beweise (darunter die ausführlicheren Einvernahmen der beiden Streitteile, vor allem aber sämtlicher Zeugen) nicht selbst aufnahm, sondern nur eine kurze ergänzende Befragung ausschließlich der Antragstellerin (in Anwesenheit des Antragsgegners) durchführte.

3. Im fortgesetzten Rekursverfahren bedarf es wegen der Aufhebung der Rekursentscheidung auch einer neuerlichen Auseinandersetzung mit der Mängelrüge im Rekurs (unter anderem zur unterbliebenen Einvernahme von vom Antragsgegner geführter Zeugen zu den relevanten Beweisthemen seines Alkoholkonsums und der Motivation der Antragstellerin für den Auszug). Dazu ist mit Rücksicht auf die Begründung des Rekursgerichts für eine Verneinung eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels folgende Klarstellung angebracht:

3.1. § 92 Abs 3 ABGB verweist das Verfahren über den vorliegenden Antrag in das Verfahren außer Streitsachen.

3.2. Gemäß § 13 Abs 1 AußStrG ist das Verfahren so zu gestalten, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind. Ergänzt wird dies durch den in § 16 Abs 1 AußStrG angeordneten Untersuchungsgrundsatz und etwa auch durch § 31 Abs 2 AußStrG, aus dem ein Beweisaufnahmeermessen abgeleitet wird (RS0006319 [T2]). Hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme ist der Richter daher nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden; er kann darüber hinausgehen, aber auch nach seinem Ermessen im Interesse einer zügigen Verfahrensführung von der Aufnahme einzelner Beweismittel Abstand nehmen, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist (RS0006319 [T6]; 9 Ob 20/17g = RS0006319 [T10]; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 31 Rz 11; Schneider in Schneider/Verweijen, AußStrG § 31 Rz 6). Letzteres betrifft insbesondere den Sachverständigenbeweis (vgl RS0006319 [T7]).

3.3 Der vom Revisionsrekurswerber in seiner Zulassungsbeschwerde genannte, zu § 92 Abs 3 ABGB gebildete Rechtssatz RS0009484 (zu dem sich seit 1991 keine Indizierungen mehr finden) stammt aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Außerstreitgesetzes 2003. Die Aussage, dass eine Entscheidung über einen Antrag nach § 92 Abs 3 ABGB „nach einem möglichst raschen Verfahren und ohne unnötige Verfahrensverzögerungen durch überspannte Genauigkeitserfordernisse“ gefällt werden soll, ist nach der dargestellten aktuellen Rechtslage dahin zu verstehen, dass auch im Verfahren über einen Antrag auf gesonderte Wohnungnahme das (in § 13 Abs 1 AußStrG ohnehin festgelegte) Prinzip einer möglichst kurzen Verfahrensdauer ebenso zu beachten ist, wie das Beweisaufnahmermessen des Gerichts. Eine – wie hier von den Vorinstanzen (und der Revisionsrekursgegnerin) erkennbar angenommene – Interpretation dieses Rechtssatzes dahin, dass das Gericht allein mit Hinweis auf eine gebotene raschere Beendigung des Beweisverfahrens von einzelnen Beweisanträgen Abstand nehmen dürfte, ohne dass die entsprechende strittige Tatfrage auf andere Weise bereits verlässlich geklärt wäre, verbietet sich aber. Denn ein solches Verständnis stünde im Widerspruch zu den dargestellten Verfahrensgrundsätzen des Außerstreitverfahrens (insbesondere zum Untersuchungsgrundsatz gemäß § 16 Abs 1 AußStrG).

4. Die Notwendigkeit der Aufhebung der Rekursentscheidung zwecks Klärung der Tatsachengrundlage erübrigt eine Stellungnahme zur Rechtsrüge des Antragsgegners.

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