OGH 8Ob23/12h

OGH8Ob23/12h28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Univ.‑Prof. *****Dr. W***** H*****, vertreten durch Dr. Petra Patzelt, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die Antragsgegnerin Dr. S***** H, vertreten durch Dr. Christoph Brandweiner und Dr. Gabriela Brandweiner‑Reiter, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen gesonderter Wohnungsnahme, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 23. Dezember 2011, GZ 21 R 295/11w‑19, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 1. Juli 2011, GZ 20 FAM 48/09b‑13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der abweisende Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 371,52 EUR (darin enthalten 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 445,82 EUR (darin enthalten 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile haben am 28. 8. 1976 geheiratet. Ihrer Ehe entstammen zwei mittlerweile volljährige Kinder. Am 1. 4. 1992 verließ der Antragsteller die gemeinsame Ehewohnung. Eine von ihm im Jahr 1987 erhobene Scheidungsklage wurde abgewiesen, ebenso seine Wiederaufnahmsklage aus dem Jahr 2000. Mit Urteil vom 20. 8. 1999 wurde die Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs 3 EheG mit dem Ausspruch geschieden, dass der Antragsteller die Zerrüttung überwiegend verschuldet habe. Das Berufungsverfahren ist anhängig. Ebenso behängt zwischen den Streitteilen seit 22. 11. 1993 ein Verfahren wegen Ehegattenunterhalt.

Am 25. 6. 2009 stellte der Antragsteller den Antrag auf Feststellung, dass seine gesonderte Wohnungsnahme seit 1. 4. 1992 gerechtfertigt sei. Seit Mitte 1986 sei die Ehe zerrüttet. Das Zusammenleben mit der Antragsgegnerin habe sich in der Folge äußerst spannungsreich gestaltet, weil diese immens zank‑ und widerspruchsüchtig sei. Die daraus resultierende emotionale Dauerbelastung habe dazu geführt, dass er psychisch schwer erkrankt sei. Das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung sei nach wie vor gegeben, weil die Entscheidung präjudiziell für das Unterhaltsverfahren sei.

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen diesen Antrag aus. Das rechtliche Interesse für die begehrte Feststellung liege nicht vor, weil aufgrund der Dauer der getrennten Wohnungsnahme seit 1992 ein unveränderlicher Dauerzustand gegeben sei.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Nach den Feststellungen sei der Antragsteller unter keinen Umständen mehr bereit, in die Ehewohnung zurückzukehren. Es liege daher ein unveränderlicher Dauerzustand vor, der einen Antrag nach § 92 Abs 3 ABGB unzulässig mache.

Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Außerstreitsache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Zweck des Feststellungsverfahrens nach § 92 Abs 3 ABGB sei auch die präjudizielle Abklärung des Rechts zur gesonderten Wohnungsnahme für einen Unterhalts‑ oder Scheidungsprozess. Eine Entscheidung könne nur dann nicht mehr erfolgen, wenn die Ehe bereits rechtskräftig geschieden und ein Unterhaltsanspruch nicht erhoben oder rechtskräftig erledigt worden sei. Von einem Dauerzustand könne dann keine Rede sein, wenn sich das Verhalten eines Ehegatten, das einen wichtigen Grund zur gesonderten Wohnungsnahme für den anderen Ehegatten bilde, in Zukunft ändern könnte. Diese theoretische Möglichkeit sei auch im vorliegenden Fall gegeben. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit eine 19 Jahre zurückliegende gesonderte Wohnungsnahme noch zum Gegenstand einer Entscheidung nach § 92 Abs 3 ABGB gemacht werden könne, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin, der auf die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Antragsteller, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zu den Voraussetzungen einer Entscheidung nach § 92 Abs 2 und 3 ABGB eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint und die Entscheidung des Rekursgerichts einer Korrektur bedarf.

1. Wie der Antragsteller auch in seiner Revisionsrekursbeantwortung festhält, hat sich die Beweisrüge in seinem Rekurs auf die Ausführungen des Erstgerichts bezogen, wonach (mittlerweile) von einem unveränderlichen Dauerzustand auszugehen sei. Bei dieser Überlegung des Erstgerichts handelt es sich in Wirklichkeit aber um eine rechtliche Würdigung. Da der Antragsteller keine ordnungsgemäße Tatsachenrüge erhoben hat, war von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen auszugehen.

2.1 Die Vorinstanzen haben die Voraussetzungen für einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit einer gesonderten Wohnungsnahme nach § 92 Abs 2 und 3 ABGB an sich zutreffen dargelegt. Der Anlassfall liegt im Spannungsfeld der möglichen Zweckbestimmungen eines solchen Feststellungsantrags.

2.2 Richtig ist, dass eine Entscheidung nach § 92 Abs 3 ABGB dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn die Ehe bereits rechtskräftig geschieden ist und entweder ein Unterhaltsanspruch, für den die Entscheidung noch präjudiziell sein könnte, nicht erhoben oder darüber gleichfalls bereits rechtskräftig abgesprochen wurde (RIS‑Justiz RS0009486; Smutny in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 92 Rz 34). Ebenso richtig ist, dass die gerichtliche Feststellung für einen späteren Scheidungs‑ oder Unterhaltsprozess präjudiziell sein kann. Sie ist aber keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Wohnungsnahme des ausziehenden Ehegatten (Smutny aaO Rz 27; vgl auch RIS‑Justiz RS0047298).

2.3 Nach dem klaren Wortlaut der zugrunde liegenden Bestimmung ist das Hauptaugenmerk des in Rede stehenden Feststellungsantrags aber auf der zeitlichen Begrenzung des Trennungsgrundes gelegen. Die gesonderte Wohnungsnahme nach § 92 Abs 2 ABGB darf im Hinblick auf § 90 Abs 1 ABGB keine endgültige, sondern immer nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Dauerzustände können daher nicht zum Gegenstand einer Entscheidung nach § 92 Abs 2 und 3 ABGB gemacht werden (Smutny aaO Rz 14 und 30).

Auch wenn keine absolute Frist für den Wegfall des wichtigen Grundes besteht und das Ende des die gesonderte Wohnungsnahme begründenden Zustands nicht von vornherein absehbar sein muss, muss es sich doch um einen Grund handeln, der nicht grundsätzlich von dauernder Natur ist, sondern seiner Art nach wieder wegfallen kann (Stabentheiner in Rummel 3 § 92 ABGB Rz 4). In diesem Zusammenhang ist durchaus richtig, dass nach der Rechtsprechung in dem die gesonderte Wohnungsnahme rechtfertigenden Verhalten des anderen Ehegatten in der Regel kein Dauerzustand liegt, weil sich dieses theoretisch ändern kann (RIS‑Justiz RS0047288; Stabentheiner aaO Rz 4). Dies kann aber nur solange gelten, als nach der konkreten Tatsachengrundlage die Möglichkeit des Wegfalls des Trennungsgrundes zumindest mit geringer Wahrscheinlichkeit noch besteht und der Eintritt eines Dauerzustands nicht gesichert erscheint. Ist die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft aber ausgeschlossen, so kann nicht mehr von einer vorübergehenden Maßnahme gesprochen werden.

Auch der vom Antragsteller zitierten Entscheidung 1 Ob 219/08z liegt die Beurteilung zugrunde, dass sich die entscheidungsrelevanten zukünftigen Entwicklungen, konkret eine Änderung im Verhalten des anderen Ehegatten, im Entscheidungszeitpunkt noch nicht beurteilen lassen. Dementsprechend wird die Begründung vom Hinweis getragen, den (dortigen) Feststellungen lasse sich nicht entnehmen, dass die dortige Antragstellerin auch bei einer Besserung ihres Gesundheitszustands und einer Bereitschaft des dortigen Antragsgegners zur Verhaltensänderung keinesfalls zu einer Rückkehr bereit wäre.

3. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller seinen Feststellungsantrag auf die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens mit der Antragsgegnerin aufgrund deren Wohnungsverhaltens gestützt. Schon seinem Vorbringen lassen sich keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass er von einer möglichen Verhaltensänderung der Antragsgegnerin ausgeht. Vielmehr bezieht er sein Feststellungsinteresse auf die Präjudizialität der Entscheidung für das Unterhaltsverfahren. Auch nach den Ausführungen in seiner Revisionsrekursbeantwortung liegt die Motivation für den Feststellungsantrag darin, dass ihm sein Auszug aus der Ehewohnung nicht als Scheidungsgrund ausgelegt werden kann. Nach den Feststellungen hält der Antragsteller eine Verhaltensänderung der Antragsgegnerin für ausgeschlossen und ist auch selbst nicht mehr bereit, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen.

Es mag sein, dass allein aus dem Umstand einer fast 20‑jährigen häuslichen Trennung die Unzulässigkeit des Feststellungsantrags noch nicht zwingend abgeleitet werden könnte. Ausgehend von der konkreten Tatsachengrundlage ist aber die rechtliche Schlussfolgerung des Erstgerichts, dass von einem unveränderlichen Dauerzustand auszugehen sei, nicht zu beanstanden, zumal sowohl eine Meinungsänderung im Sinn einer Rückkehrbereitschaft des Antragstellers als auch aus seiner Sicht eine Verhaltensänderung der Antragsgegnerin ausgeschlossen erscheint.

4.1 Zusammenfassend ergibt sich: Eine gesonderte Wohnungsnahme nach § 92 Abs 2 und 3 ABGB darf nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Ein Dauerzustand liegt in der Regel noch nicht vor, wenn eine Änderung des Verhaltens des anderen Ehegatten, das zur häuslichen Trennung geführt hat, und eine Meinungsänderung beim Antragsteller zumindest mit geringer Wahrscheinlichkeit möglich erscheint. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft ausgeschlossen ist.

4.2 Die Entscheidung des Rekursgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht stand. In Stattgebung des Revisionsrekurses der Antragsgegnerin war daher die abweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG.

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