European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126626
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Die Obsorge über das nunmehr 13‑jährige Kind K* steht aufgrund einer Vereinbarung bisher beiden Eltern zu.
Am 13. 10. 2013 wurde das Kind im Alter von sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt; dadurch ist es in seiner Lebensführung schwer beeinträchtigt.
Mit Klage vom 8. 6. 2016 begehrte das durch die Eltern vertretene Kind zunächst vom Krankenhausträger die Abgabe eines Verjährungsverzichts. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung dieser Klage wurde rechtskräftig abgelehnt. Später brachte das Kind eine Klage gegen den Krankenhausträger auf Zahlung (232.000 EUR) und Feststellung wegen diverser Behandlungsfehler ein.
Am 4. 10. 2016 erhob das Kind durch seinen Verfahrenshelfer (RA Dr. S*), der von RA Dr. Ha* vertreten wurde, eine Klage gegen den Haftpflichtversicherer der Unfalllenkerin auf Zahlung von Schmerzengeld (750.000 EUR) und Verunstaltungsentschädigung (50.000 EUR) sowie auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. In der Folge gab RA Mag. J* bekannt, als neuer Substitut für den Verfahrenshelfer einzuschreiten. Mit Schriftsatz vom 28. 6. 2018 gab RA Mag. K* ihre direkte Bevollmächtigung durch die Eltern als Vertreterin des Kindes bekannt. Daraufhin widerrief die zuständige Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers. Mit Bescheid vom 30. 1. 2019 wurde RA Dr. Ho* zum neuen Verfahrenshelfer für das Kind bestellt. Im Zuge dieses Haftpflichtprozesses leistete der Haftpflichtversicherer der Unfalllenkerin Teilzahlungen in Höhe von rund 261.000 EUR, die auf zwei Sparbüchern des Kindes erliegen und pflegschaftsgerichtlich gesperrt sind. RA Dr. J* begehrte die Freigabe von 48.479,43 EUR und Auszahlung an die Eltern, weil dieser Betrag den Eltern und nicht dem Kind zustehe. Dem Auftrag des Pflegschaftsgerichts, diesen Betrag auf ein gesondertes Konto zu legen, kamen die Eltern nicht nach. Auch dem Auftrag, dem Pflegschaftsgericht binnen drei Monaten Veranlagungsvorschläge für die auf den Sparbüchern erliegenden Beträge zu unterbreiten, entsprachen sie nicht. In der Folge beantragten die Eltern, 6.713,96 EUR als Honorar für RA Dr. J* beheben zu dürfen. Dieser Rechtsanwalt sei von ihnen im Pflegschaftsverfahren namens des Kindes bevollmächtigt worden; sie hätten die Vollmacht im Dezember 2017 widerrufen. Vom Verfahrenshelfer verlangten sie die Freigabe von 15.000 EUR für anwaltliche Leistungen der ehemaligen Ehegattin des Vaters.
Im Zuge des Haftpflichtprozesses schlossen die Eltern namens des Kindes einen Teilvergleich mit dem Haftpflichtversicherer, wonach die Eltern ab 1. 1. 2017 bis auf Widerruf eine Pflegeentschädigung für das Kind in Höhe von monatlich 10.000 EUR inklusive Pflegegeld erhalten. Derzeit ist unklar, wer diesen Vergleich für das Kind unterfertigen soll; die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung steht daher noch aus.
Die Eltern, insbesondere der Vater, sind gegenüber Gerichten, Anwälten, Ärzten und Sachverständigen überaus skeptisch eingestellt und bringen diesen Instanzen kein Vertrauen entgegen. Sie setzen sich über Empfehlungen und gerichtlichen Anordnungen hinweg; teilweise ließen sie Gerichtsverhandlungen bewusst unbesucht. Der Vater zeigt ein mitunter aggressives Kommunikationsverhalten. Den Gang einer Gerichtsverhandlung zeichneten die Eltern ohne Offenlegung und Genehmigung auf einem Datenträger auf. Außerdem übermittelten sie diverse Aktenbestandteile und verfahrensbezogene Informationen an offizielle Stellen und darüber hinaus an Printmedien.
Das Erstgericht entzog den Eltern die Obsorge im Bereich der Durchsetzung der Ansprüche des Kindes aus dem Verkehrsunfall vom 13. 10. 2013 und aus allfälligen Behandlungsfehlern im Anschluss daran sowie im Bereich der Verwaltung der daraus erzielten Zahlungen und übertrug die Obsorge in diesem Umfang auf einen Rechtsanwalt. Die Eltern beanspruchten Zahlungen des Haftpflichtversicherers teilweise für sich selbst. Mit den häufigen Vollmachtswechseln seien nicht nur Verzögerungen in der Anspruchsverfolgung, sondern auch zusätzliche Kostenbelastungen verbunden. Durch die Übermittlung von verfahrensbezogenen Informationen an außenstehende Dritte seien die durch § 141 AußStrG geschützten Interessen des Kindes massiv beeinträchtigt worden. Dies gelte insbesondere für die Weiterleitung der Informationen an Medien, die keinen Verschwiegenheitspflichten unterlägen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Bevollmächtigung von Rechtsanwälten trotz der Bestellung eines Verfahrenshelfers habe zu zusätzlichen Kostenbelastungen geführt und eine zügige Verfahrensführung durch den Verfahrenshelfer behindert. Durch die Weiterleitung von das Kind betreffenden Informationen an Medien seien die durch § 141 AußStrG geschützten Interessen des Kindes verletzt worden. Zudem liege eine Interessenkollision im Sinn des § 271 ABGB vor. Bei einer Gesamtschau des Verhaltens der Eltern zeige sich, dass die Verfolgung der Interessen des Kindes bei der Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem in Rede stehenden Verkehrsunfall sowie bei der Verwaltung der daraus resultierenden Zahlungen gefährdet sei.
Rechtliche Beurteilung
Mit dem gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigen die Eltern keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und die behauptete Aktenwidrigkeit liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
Nach der Begründungserleichterung des § 60 Abs 2 AußStrG kann sich das Rekursgericht, wenn es die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhaltig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses hingegen für zutreffend erachtet, unter Hinweis auf deren Richtigkeit mit einer kurzen Begründung seiner Beurteilung begnügen. Ob den Anforderungen dieser Begründungserleichterung genügt wurde, ist eine Frage des Einzelfalls, die vom Obersten Gerichtshof im Allgemeinen nicht aufgegriffen werden kann (vgl 4 Ob 80/18w). Das Rekursgericht hat ausdrücklich auf die Begründungserleichterung des § 60 Abs 2 AußStrG Bezug genommen und zudem zu den wesentlichen Punkten im Rekurs Stellung genommen. Das Erstgericht hat auch seine Entscheidung betreffend die Verwaltung der Entschädigungsbeträge näher begründet.
Naheliegende Schlussfolgerungen, die das Rechtsmittelgericht aus den erstgerichtlichen Feststellungen zieht, begründen keine Aktenwidrigkeit. Im Übrigen kommt den in diesem Zusammenhang kritisierten Ausführungen des Rekursgerichts keine Entscheidungsrelevanz zu.
2. Die Entscheidung der Vorinstanzen betrifft den teilweisen Entzug der Obsorge in Bezug auf die Verfahrensführung in zwei Gerichtsverfahren (Haftpflichtprozess nach einem Verkehrsunfall und Schadenersatzprozess wegen angeblichen Behandlungsfehlern) sowie in Bezug auf die Verwaltung der daraus erzielten Zahlungen. Als Rechtsgrundlage dient § 181 Abs 1 ABGB.
Entgegen den Überlegungen im außerordentlichen Revisionsrekurs hat das Erstgericht keinen Kollisionskurator für das Kind im Sinn des § 271 ABGB bestellt. Die Ausführungen, die sich auf einen Interessenkonflikt zwischen dem Pflegebefohlenen und seinem gesetzlichen Vertreter beziehen (vgl dazu 4 Ob 72/18v), sind für den vorliegenden Beschluss damit nicht einschlägig.
3.1 Nach § 181 Abs 1 ABGB kann das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Kindeswohl gefährden, die Obsorge dem bisherigen Berechtigten ganz oder teilweise entziehen und an den Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen (§ 211 ABGB) oder sonst zur Sicherung des Kindeswohls geeignete sichernde oder unterstützende Maßnahmen treffen. Bei der Anordnung von solchen Maßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Familienautonomie zu berücksichtigen. Durch eine solche Verfügung darf das Gericht die Obsorge nur insoweit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohles des Kindes erforderlich ist. Eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, kommt nur als ultima ratio in Betracht. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes konkret gefährden (4 Ob 83/18m; 2 Ob 136/18s mwN).
3.2 Gemäß § 158 Abs 1 ABGB umfassen die Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen. Dementsprechend schließt gemäß § 181 Abs 3 ABGB die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge die Entziehung der gesetzlichen Vertretung im jeweiligen Bereich grundsätzlich mit ein (vgl RIS‑Justiz RS0112740). Die gesetzliche Vertretung kann sich somit speziell auf die Pflege, die Erziehung oder auf die Vermögensverwaltung beziehen. Daneben gibt es auch eine gesetzliche Vertretung außerhalb dieser Bereiche („bloße gesetzliche Vertretung“), so etwa bei der Wahrnehmung von Persönlichkeitsrechten des Kindes (vgl 8 Ob 99/12k; 2 Ob 136/18s).
Der zugrunde liegende Beschluss betrifft demnach zwei unterschiedliche Teilbereiche der Obsorge, nämlich die Verfahrensführung als Fall der bloßen gesetzlichen Vertretung und die Vermögensverwaltung betreffend die aus diesen Verfahren resultierenden Zahlungen an den Minderjährigen.
4.1 Für den Entzug der Obsorge im Teilbereich der Vermögensverwaltung ist erforderlich, dass die Eltern eine Pflichtverletzung begangen haben oder eine solche aktuell droht und daraus ein konkreter Vermögensnachteil für das Kind zu befürchten ist. Vorausgesetzt ist weiters, dass der zu befürchtende Nachteil nicht durch gelindere (pflegschaftsgerichtliche) Maßnahmen zur Kontrolle der Eltern als gesetzliche Vertreter abgewendet werden kann.
Ob und inwieweit ausgehend von diesen Grundsätzen einem Elternteil die Obsorge zu entziehen ist oder nicht, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und bildet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0115719; RS0007101).
4.2 Die Vorinstanzen haben ihrer Beurteilung die dargelegten Grundsätze zugrunde gelegt. Ihre Beurteilung, dass die Gefährdungsmomente für einen teilweisen Entzug der Obsorge im hier eingeschränkten Bereich der Vermögensverwaltung (Zahlungen an das Kind aus den von diesem geführten Rechtsstreiten) ausreichten, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung.
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Eltern Vermögen des Kindes in einem nicht unbeträchtlichen Teil für sich selbst und für von ihnen beauftragte Rechtsanwaltsleistungen in Anspruch nehmen wollen. Damit ist die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Zahlungen an das Kind und dadurch bedingter weiterer Auseinandersetzungen mit dem Haftpflichtversicherer verbunden. Unter gewöhnlichen Umständen kann eine solche missbräuchliche Mittelverwendung durch eine angemessene pflegschaftsgerichtliche Kontrolle (Sperre von Konten und Rechnungslegung) sowie das Erfordernis der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung etwa bei Aufwendungen, die außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs des Pflegebefohlenen gelegen sind, verhindert werden (vgl dazu 5 Ob 113/18f). Im Anlassfall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Eltern gerichtlichen Anordnungen zur Sicherung der in Rede stehenden Mittel des Kindes nicht nachkommen. So haben sie sich etwa geweigert, den Betrag von 48.479,43 EUR auf ein gesondertes Konto zu legen und dem Pflegschaftsgericht Veranlagungsvorschläge für die auf den Sparbüchern des Kindes erliegenden Beträge zu unterbreiten. Unter diesen Voraussetzungen besteht die naheliegende Gefahr, dass Zahlungen zugunsten des Minderjährigen ohne gerichtliche Kontrolle für Zwecke verwendet werden, die nicht dem primären Interesse des Kindes entsprechen. Eine nachträgliche Rechnungslegung käme in einem solchen Fall zu spät.
5. Für die Beurteilung der Befugnisse der Eltern zur gesetzlichen Vertretung des Kindes im Bereich der Verfahrensführung gelten dieselben Grundsätze. Auch in dieser Hinsicht ist die Entscheidung der Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig.
Aus den Feststellungen folgt, dass die Eltern– aufgrund ihres Misstrauens gegenüber den einschreitenden Rechtsanwälten und den befassten Gerichten – unnötige Prozesskostenbelastungen verursachen, die die wirtschaftlichen Interessen des Kindes erheblich beeinträchtigen. Die Begründung solcher Zahlungspflichten kann nicht durch gerichtliche Kontrolle vermieden werden, weshalb gelindere Mittel nicht in Betracht kommen.
Auch der Hinweis im außerordentlichen Revisionsrekurs, dass „Litigation‑PR“ nicht verboten sei, ist nicht zielführend. In der Entscheidung 4 Ob 38/13m wurde aus § 141 AußStrG (als gegenüber den Bestimmungen zur Akteneinsicht speziellerer Norm) ein ausnahmsloses Weitergabeverbot personenbezogener Daten bzw von Aktenbestandteilen gegenüber Dritten abgeleitet, und zwar nicht nur in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen, sondern (aufgrund eines Größenschlusses) auch in Bezug auf die sensibleren persönlichen Verhältnisse, wie etwa den Geisteszustand, aber auch das persönliche Leid einer schutzbedürftigen Person. Dazu wurde festgehalten, dass das Pflegschaftsverfahren ausschließlich dem Schutz der Interessen des Pflegebefohlenen dient. Daraus folgt, dass Informationen aus gerichtlichen Verfahren, an denen minderjährige Kinder beteiligt sind, als vertrauliche Informationen anzusehen sind, für die eine besondere Verschwiegenheitspflicht besteht. Richtig ist an sich, dass sich die in Rede stehende Norm an das Gericht wendet. Ihr ist allerdings das allgemeine Prinzip zu entnehmen, dass die Lebens- und Vermögensverhältnisse eines Pflegebefohlenen in seinem Interesse geschützt sein sollen und nicht der Öffentlichkeit etwa zur Befriedigung der Neugierde oder Sensationslust preisgegeben werden dürfen. Nach dieser Wertung richtet sich das Weitergabeverbot insbesondere auch an den am Verfahren beteiligten gesetzlichen Vertreter des Kindes, der dessen Geheimhaltungsinteresse nicht verletzen und die personenbezogenen Daten nicht missbräuchlich verwenden darf. Wenn die Vorinstanzen auch davon ausgehend eine Gefährdung des Kindeswohls bei der Weitergabe von Informationen aus Gerichtsakten zu einem bei einem Verkehrsunfall schwer verletzten Kind an Medien bejahen, stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.
6. Mit dem Hinweis auf den Schutz der Familie nach Art 8 EMRK zeigen die Eltern ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Bei Gefährdung der Interessen des Kindes ist ein Eingriff in die Obsorge durch geeignete sichernde oder unterstützende Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt. Werden bei einer im Interesse des Kindes gebotenen Beschränkung der Obsorge die jeweils geeigneten gelindesten Mittel angewandt, so ist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt.
7. Insgesamt gelingt es den Eltern mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
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